Originaltitel: Shadow Dancer__Herstellungsland: Großbritannien, Irland__Erscheinungsjahr: 2012__Regie: James Marsh__Darsteller: Clive Owen, Gillian Anderson, Aidan Gillen, Andrea Riseborough, Domhnall Gleeson, Martin McCann, Stuart Graham, Michael McElhatton, Mark Huberman u.a. |
Seit ihr Bruder 1973 in Belfast von britischen Sicherheitskräften getötet wird, ist Collettes Familie glühender Anhänger des Kampfes der IRA gegen Großbritannien. Zwanzig Jahre später wird Collette von Agenten des MI5 aufgegriffen, als sie gerade einen Sprengsatz in der Londoner U-Bahn deponiert hat. In einem Verhör wird sie von einem MI5-Agenten vor die Wahl gestellt: Entweder sie wandert für 25 Jahre ins Gefängnis und wird ihren Sohn nicht aufwachsen sehen oder sie arbeitet als Doppelagentin für den Geheimdienst.
Schweren Herzens entscheidet sie sich für ein Leben als Spionin und muss fortan ihre eigene Familie unterwandern. Bald stellen sich auch erste Erfolge ein, doch Collettes Kontaktmann beim MI5 kommen bald Zweifel an seinem eigenen Geheimdienst! Scheinbar versucht dieser Collette nur als einen Strohmann zu installieren, um einen viel wichtigeren Doppelagenten zu schützen…
httpv://www.youtube.com/watch?v=2sGUWnfyyCU
“Shadow Dancer” basiert auf dem gleichnamigen Roman von Tom Bradby, der selbigen selbst zu einem Drehbuch für diese BBC-Produktion umfunktionierte. Der Konflikt zwischen IRA und englischer Krone ist dabei nur der Katalysator für einen extrem ruhig erzählten, beinahe entschleunigten Thriller, der betont sachlich und nüchtern an seine Geschichte und seine handlungsantreibenden Figuren herangeht. Nehmen wir Collette. Sie ist verbittert aufgrund des Todes des kleinen Bruders, für den sie sich auch ein wenig die Schuld gibt. „Shadow Dancer“ könnte sie nun einfach zur Rachefurie machen, doch schon bei Collettes erstem Einsatz, den man als Zuschauer mitverfolgen darf, bröckelt die Fassade der jungen Frau. Zunächst wirkt sie eiskalt und beherrscht, doch je länger sie durch die U-Bahn-Station läuft, um so mehr verliert sie diese Sicherheit, diese Entschlossenheit. Eingestiegen in eine U-Bahn bricht ihr eisiger Blick komplett auf und man spürt, dass sie ihren Auftrag nicht zu Ende bringen wird. Auch das folgende Gespräch mit dem MI5-Mann Mac ist ein solches Wechselbad der Gefühle. Zwischen Beherrschung und Verzweiflung schwankend, brilliert Andrea Riseborough („Oblivion“) als Collette und entwirft einen Charakter, der, nur weil er zustimmt, für die Gegenseite zu arbeiten, nicht plötzlich von der Terroristin zur Heldin wird, geschweige denn zu einem Menschen, der nur noch das Richtige tut. Ganz im Gegenteil.
Auf der anderen Seite ist da Mac, stark gespielt von Clive Owen („Killer Elite“). Er hält sich vermutlich selbst für einen aufrechten und integren Menschen. Doch innerhalb des Systems, in dem er agiert, sind diese Werte gar nicht gefragt! Es geht um höhere Interessen, Politik, verschlungene Winkelzüge. Und so verspricht er Collette Schutz, obwohl er ziemlich genau weiß, dass er diesen gar nicht garantieren kann. Kurzum: In „Shadow Dancer“ gibt es weder die Guten noch die Schlechten, weder Schwarz noch Weiß. Regisseur James Marsh (Oscar für die Dokumentation „Man on Wire“) bedient sich stattdessen ausgiebig der Grautöne und entwirft echte Charaktere vor einem brodelnden Pulverfass. Gleichzeitig beziehen so weder er noch sein Film irgendeine Stellung. Marsh bleibt auf Distanz zu seinen Figuren und dem grundlegenden Konflikt. Wertet nicht. Und entzieht so seinem Film die Vorhersehbarkeit. Es gibt keinen strahlenden Helden, der alle rettet, keinen Bösewicht, den man niederringen muss, um hernach glücklich in den Sonnenuntergang zu reiten. Am Ende von „Shadow Dancer“ ist klar, dass so gut wie jeder mit gezinkten Karten gespielt hat. Jeder jeden hintergangen hat. Und das unsere Welt nun einmal nicht Schwarz oder Weiß ist, sondern grau …
All das verpackt James Marsh in beinahe schmucklose, sehr einfache Bilder, die von fahlen Farben dominiert werden. Lange, starre, exakt durchgeplant wirkende Einstellungen durchziehen den gesamten Film und kommen den Charakteren ganz nahe. Teilweise meint man, in die Intimsphäre der Charaktere einzudringen, so schutzlos ausgeliefert wirken sie dem Kameraobjektiv. Dahingehend muss man besonders die Szene um Collette in der U-Bahn hervorheben, in der die Kamera wie ein heimlicher Beobachter hinter ihr herschwebt und zuschaut, wie sich ihre Entschlossenheit in Luft auflöst. Doch „Shadow Dancer“ braucht diesen nüchternen, bohrenden Blick, damit die unter der Oberfläche brodelnden Emotionen heraus können. Dahingehend kann sich der Regisseur vollkommen auf sein starkes Ensemble verlassen. Bis hinein in die kleinsten Nebenrollen spielen allesamt sehr natürlich und vor allem glaubwürdig auf. Darunter auch “Akte X”-Star Gillian Anderson als Vorgesetzte von Mac.
Am Ende bleibt ein Film, der sich lange Zeit dem gängigen Spannungskino und den üblichen Thriller-Klischees verweigert. „Shadow Dancer“ studiert lieber seine Figuren, anstatt sie über die Klinge springen zu lassen. Ruhige Momente, in denen kleine Gesten mehr sagen als tausend Worte, ersetzen Explosionen und Shootouts. Und statt Bösewichten und Helden präsentiert der Film lieber echte Menschen, wie sie nun einmal sind. Daraus resultiert eine sehr nüchterne und sachliche Erzählweise, eingehüllt in eine eher schwermütige Atmosphäre, geprägt durch eine latent vorhandene, gegen Ende deutlicher zutage tretende Spannungskurve, untermalt von einem schönen Score und getragen von starken Darstellern und einer genialen Hauptdarstellerin. Für Tempofetischisten und Fans offensichtlicher Spannungsspitzen ist der daraus resultierende, durchaus sperrige Film mit Sicherheit nichts. Für Freunde intelligenter und nachdenklich machender Filme allerdings schon.
Die deutsche DVD/Blu-ray kommt von Koch Media und ist mit einer FSK 16 Freigabe ungeschnitten. Eine kurze Featurette lässt einige an „Shadow Dancer“ beteiligte Personen zu Wort kommen und ist nach dem Anschauen des Filmes durchaus geeignet, eigene Gedankengänge zu ordnen.
In diesem Sinne:
freeman
Was meint ihr zu dem Film?
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