Originaltitel: Enemy__Herstellungsland: Kanada / Spanien__Erscheinungsjahr: 2013__Regie: Denis Villeneuve__Darsteller: Jake Gyllenhaal, Mélanie Laurent, Sarah Gadon, Isabella Rossellini, Stephen R. Hart u.a. |
Gelb ist filmmethodisch gesehen die Farbe der Krankheit, der Eifersucht und des Fiebertraums. Als Biotop entzieht sie ihren Organismen den Entfaltungsdrang, nimmt ihnen die Luft zum Atmen und stiftet Verwirrung und Furcht.
Gelbe Farbfilter sind auch eines der Elemente, die Denis Villeneuve der Romanvorlage „Der Doppelgänger“ hinzufügte, als er sie noch vor seinem großen New-Hollywood-Revival „Prisoners“ verfilmte. Ein anderes Element sind Spinnen, die ihr Netz in facettenreicher Form symbolisch über das blocksteinartig und unwirtlich gefilmte Toronto spannen. Ob sie nun tatsächlich als Tiere durchs Bild krabbeln, als Alptraumkreaturen in Lynch-artige Bildkompositionen gebettet werden, als monströse Ungetüme wie ein Schirm über der Skyline der Stadt wachen oder sich ihre Netze in den Mustern der Urbanität widerspiegeln… „Enemy“ ist in jedem Fall eine freie Romanverfilmung, die eine vollkommen eigenständige Bildsprache entwickelt, am Ende vielleicht sogar der Mystery-Thriller mit der raffiniertesten innerfilmischen Logik seit „Mulholland Drive“.
Das Doppelgängerthema, insbesondere in der Art, wie „Enemy“ es aufbereitet, eignet sich im Grunde genommen ebenso gut als Gerüst für eine Komödie wie für einen Psychothriller. Wäre da nicht die kränkliche Atmosphäre, der dröhnende Score und all die verstörenden Sets, begonnen bei der desorientierenden Eingangsszene in einem pervers anmutenden Sexclub (unmittelbar nach einer Sex-Parallelmontage, die so emotionslos und kurz angebunden dargestellt wird, dass sie unmittelbar auf jene bekannte Entsprechung aus Nicolas Roegs „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ verweisen muss), so könnte der gesamte Aufbau auch einer Verwechslungskomödie entstammen: Ein Lehrer für Geschichte wird von einem Kollegen in einem oberflächlichen Gespräch über Hobbys auf einen Film aufmerksam gemacht, und obwohl der Geschichtslehrer normalerweise kein Interesse für Filme hegt, macht er auf dem Nachhauseweg spontan einen Umweg in die Videothek und leiht ihn aus. In seiner karg eingerichteten Wohnung schaut er sich den Film schließlich auf seinem Laptop an. Als er später zu Bett geht und einschläft, spult er die Handlung im Traum zurück und wird von irgendetwas darin irritiert, so dass er nach Erwachen den Drang verspürt, nochmals hineinzusehen. Zu seinem Erstaunen sieht er in einer Szene einen Komparsen im Pagenkostüm, der ihm bis aufs Haar gleicht.
Alles Weitere folgt zunächst der durch die Neugier des Menschen getriebenen Logik, bis hin zum folgenreichen Treffen der vermeintlichen Zwillinge. Das Genre wird in dieser Phase nicht etwa durch die Handlung festgemacht – es entsteht stattdessen durch die Visualisierung, die den Hauptdarsteller (herausragend: Jake Gyllenhaal), ohnehin schon von seinem dichten Bart bedrängt, von vornherein zu ersticken droht. Verpestet scheint die Luft zu sein, wenngleich die regelmäßig weiteratmende Großstadt mit ihren Glas- und Betonkörpern aus dem Katalog für brutalistische Architektur das Verlorenheitsgefühl der zentralen Figur nicht zu registrieren scheint, was das Isolationsgefühl noch zusätzlich verstärkt. Auch der Schnitt trägt viel zur Unruhe bei, die nicht einmal unbedingt an David Lynch direkt (im Sinne eines Plagiats), aber doch an das wuselnde Gewürm unter seinem „Blue Velvet“-Rasen erinnert: Es gibt keine Szenen, in denen man sich sicher sein kann, dass ein radikaler Schnitt nicht wieder eine ganz neue Konstellation eröffnet und weitere Bedrohungen auf den Plan bringt.
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So einfach die Handlung als solche im Vergleich mit Lynch- und Cronenberg-Werken wie „Lost Highway“ oder „Naked Lunch“, die nach ähnlichen Kriterien bewertet werden können, gehalten ist, so komplex reicht Villeneuves erstes englischsprachiges Werk in die Tiefe hinein. Besonders zeichnet es sich dadurch aus, dass es vor allem zwei – grundsätzlich völlig gegensätzliche – Interpretationen (nebst unzähligen Interpretationsvarianten im Detail) zulässt, die beide praktisch vollständig ohne Inkonsistenzen auskommen und sich doch gegenseitig nicht ausschließen, sondern im Gegenteil eher noch gegenseitig befruchten. Jede Szene ist prall gefüllt mit Hinweisen auf Zukünftiges und Vergangenes auf so vielen filmtheoretischen Ebenen, dass Gyllenhaals ebenfalls komplexe, aber allzu sehr dem Roten Hering folgende Spurensuche in Villeneuves Folgefilm „Prisoners“ im direkten Vergleich auf die Dimension der reinen Handlung beschränkt bleibt. Da sind Szenen wie jene in der Videothek, die man dringend nochmals auf DVD / Blu-Ray sezieren möchte, indem man die Pause-Taste betätigt und die mit so viel Krempel und Geröll ausstaffierte Raumausstattung nach versteckten Metaphern und Symbolen durchforstet. Im Kontrast dann die kargen Flächen der Außenszenen, als etwa der Geschichtslehrer vor den Augen der Schwangeren zwischen zwei riesigen, glatten Betonmauern verschwindet, um zurück ins Universitätsgebäude zu gehen, fast so, als würde er durch ein Dimensionstor wandeln.
Redundantes lässt sich in den kunstvollen Szenenverflechtungen trotz Hinzudichtungen zum Roman nirgends finden. Villeneuve begeht beispielsweise nicht den Fehler, die Spinnenmetaphorik überzustrapazieren – wann immer sie konkret in den Vordergrund rückt, ist sie semantisch eng verflochten mit den Filmereignissen und eifert nicht einfach einer surrealen Ästhetik nach, sondern misst ihre Gestalt an ihrer Bedeutung; so erinnert die Kreatur über Toronto nicht von ungefähr an Louise Bourgeois’ Skulptur „Maman“, die in diversen Großstädten überall auf der Welt aufgestellt ist.
Enden lässt der Regisseur sein Spiel mit dem Verstand des Zuschauers allerdings mit einem abrupten, unvorhergesehenen Schlusspunkt, einem waschechten What-The-Fuck-Moment. Dessen Bedeutung ist womöglich nicht auf Anhieb erkennbar, sondern möchte erst erschlossen werden, indem der gesamte Film nochmals – ebenso wie jener, den Gyllenhaals Figur auf seinem Laptop sieht – zu rekapitulieren ist. Die aus dem Affekt heraus so hysterisch wirkende, fast schon komisch wirkende Szene von nur wenigen Sekunden Dauer erweist sich im Nachhinein als Schlüsselsequenz, aufgrund derer sich jedes vorangegangene Ergebnis neu dechiffrieren lässt.
Identitätshorror und Psychothriller können Viele, Bizarres und Obskures ebenfalls, aber die Spreu trennt sich vom Weizen bei der inneren Kohärenz. Während viele Lynch- und Cronenberg-Trittbrettfahrer genau an jener Hürde scheitern, liefert Denis Villeneuve ein Musterbeispiel eigenständigen und dichten Erzählens ab, dessen viele Bedeutungsebenen selbst nach vielen Wochen der Auseinandersetzung noch nicht ausgeschöpft sind. Mit „Prisoners“ hat er dann sich und seinen Stil zwar immerhin weiterentwickelt, nicht jedoch wieder eine solche Geschlossenheit erzeugen können.
Eine Auswertung für das Heimkino erfolgt am 10. Oktober. Al!ve veröffentlicht den Film dann als Single-DVD als Limited-Edition-Blu-Ray im Steelbook und als Limited-Collector’s-Edition-Blu-Ray mit 3 Discs.
Sascha Ganser (Vince)
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