Originaltitel: All Souls__ Herstellungsland: USA__ Erscheinungsjahr: 2023__ Regie: Emmanuelle Pickett__ Darsteller: Mikey Madison, Gerald ‚G-Eazy‘ Gillum, Mia Love Disnard, Samuel Roukin, Zach Villa, Calvin Clausell Jr., Xavier Jimenez, Jess Gabor, Jaime Navarro, … |
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Das amerikanische Postermotiv (© Lionsgate) sowie das recht langweilig und nicht wirklich gut passend gestaltete deutsche Covermotiv (© Lighthouse Home Entertainment).
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Bereits vor ihrer großen Breakthrough-Performance in Sean Baker’s „Anora“ (2024) war es Mikey Madison gelungen, sowohl in der Branche als auch unter bestimmten Genre-Fans auf sich aufmerksam zu machen – insbesondere dank zwei spezieller (im Gedächtnis bleibender) Nebenrollen-Auftritte, die zufälligerweise beide etwas mit Feuer zu tun haben: In Quentin Tarantino’s „Once upon a Time in… Hollywood“ (2019) spielte sie das Manson Girl Sadie – während sie in Tyler Gillett’s und Matt Bettinelli-Olpin’s 2022er „Scream“ als Amber in Erscheinung trat. Ihre Art gefiel mir – jeweils bis hin zu einem Punkt, an dem die entsprechenden Umstände sie dazu veranlassten, „hysterisch drüber“ zu agieren. Daher war ich gespannt darauf, wie sie sich so als Lead schlagen würde. Da ich den eingangs genannten „Palme d’Or“-Gewinner bis dato noch nicht gesehen hatte, bot sich mir meine erste Gelegenheit in dieser Hinsicht in Gestalt des kleinen 2023er Thrillers „All Souls“ – dem von Anthony Ragnone II („Josie“) verfassten Feature-Film-Regiedebüt Emmanuelle Picketts…
In Los Angeles ansässig, handelt es sich bei River (Madison) um eine alleinerziehende junge Mutter, die sich redlich Mühe gibt, sich und ihre fünfjährige Tochter Jade (Mia Love Disnard) vernünftig durchs Leben zu bringen. River mag zwar keine Heilige sein – allerdings genießt Jade bei ihr stets oberste Priorität. Eines Tages wird sie jedoch von einem Polizisten-Duo (Samuel Roukin und Zach Villa) mit einigen Drogen erwischt – im Zuge dessen jene sie vor die Wahl stellen: Entweder wird das Jugendamt informiert – oder sie hilft ihnen dabei, konkrete Beweise gegen den lokalen Kingpin Silas (Gerald ‚G-Eazy‘ Gillum) zu beschaffen, mit dem sie eine gemeinsame Vergangenheit teilt. Widerstrebend lässt sie sich auf letzteres ein – nimmt Kontakt zu Silas auf und schlägt ihm einen Deal vor, bei dem sie angibt, für $10.000 Drogen von ihm kaufen zu wollen, um jene anschließend dann in einer Bildungs-Einrichtung, wo sie Kurse besucht, selbst (mit Gewinn) weiterzuvertreiben. Als Silas einwilligt, wird stracks ein Treffen vereinbart – und alle setzen sich in Bewegung…
„All Souls“ ist ein überaus straffes Werk: Inhaltlich oberflächlich – dafür aber frei jeglichem „Leerlauf“. In nur 72 Minuten (ohne Abspann) entfaltet sich die erzählte Geschichte binnen nur ein paar Stunden – angesiedelt in der City of Angels vor dem Hintergrund der sich immerzu vom 31. Oktober bis zum 02. November erstreckenden Día de los Muertos Feierlichkeiten. Mit der Verhaftung Rivers, der daraus resultierten Übereinkunft sowie der Einfädelung des Plans schon vor Film-Beginn geschehen – ein Sachstand, von dem das Publikum durch kurze, zwischen den Credits eingebettete Clips Kenntnis erlangt – lernt man Jade und River im Rahmen ihrer Vorbereitungen auf den aktuellen Abend ein wenig kennen – u.a. wie sie zusammen im Bett liegen, Cereal essen und sich „Brauch-gemäß“ schminken. Jeder von ihnen erhält eine Antlitzhälfte wie ein Totenkopf angemalt – und das symmetrisch zueinander; somit zusätzlich (symbolisch ansprechend und passend) ihre gegenseitige Connection und Abhängigkeit ausdrückend. Ihre Devise lautet stay dangerous…
Bei ihrem Aufbrechen wechseln sie einige Worte mit ihren Nachbarn – darunter Danielle (Jaime Navarro), welche (so wie in ihrem Kulturkreis keine Seltenheit) einen Altar für die Schutz-Heilige Santa Muerte bei sich daheim aufgebaut hat. Auch hier genügt das, um einem eine zweckmäßige Impression ihres sozialen Umfelds zu vermitteln – Drogenkonsum, Kriminalität und schwach bezahlte Jobs inklusive (River z.B. arbeitet in einer Filiale einer Fast-Food-Kette). Zum Glück kann sie auf ihre Freundin Madison (Jess Gabor) zählen, wenn sie mal jemanden zur Beaufsichtigung Jades benötigt. In einem Park, in dem die Leute ausgelassen beisammensitzen – was mich wohlig an meinen eigenen 2016er Tag-der-Toten-L.A.-Trip (samt Festivitäten auf dem „Hollywood Forever“-Friedhof) erinnert hat – übergibt sie das Mädchen in ihre Obhut – bevor sie zu Fuß weiterzieht, sich eine Schachtel Zigaretten und ein Getränk kauft, sich auf der Kunden-Toilette die Gesichts-Farbe abwischt sowie im Anschluss daran zu den beiden auf sie wartenden Cops ins Auto steigt…
Carcillo und Hernandez haben die Möglichkeit ergriffen, via River an Silas ranzukommen – von dem sie wissen, dass er einer der führenden Dealer im örtlichen Geschäft ist. Moralisch mag ihre Entscheidung vielleicht nicht die beste gewesen sein, mit Jade derartig Druck auf sie auszuüben – doch hatte River unbestritten Drogen dabei und haben sie ein erstrebenswertes Ziel vor Augen. Ohne eine wirkliche Wahl zu besitzen, wurde River also zu ihrer Informantin. Sie ist nicht die einzige, die in einer solchen Weise von ihnen „eingespannt“ wird – allerdings ist sie die aussichtsreichste. Eine nicht unerhebliche Summe haben sie dafür vom Department zur Verfügung erhalten, River hat die Anfrage kommuniziert – und nun soll die Übergabe in einem menschenleeren Gewerbegebiet über die Bühne gehen. Man bestückt sie mit einem Sender und es wird abgemacht, bei welcher Formulierung der Zugriff erfolgen würde, sowie sich in Position begeben. Entgegen des Agreements taucht Silas dann aber nicht persönlich auf – sondern schickt stattdessen einen Wagen, um sie abzuholen…
Ab diesem Punkt (in Minute 13) wandelt sich „All Souls“ von einem Drama hin zu einem Thriller. River ist verunsichert, nervös und ängstlich – weiß aber, dass sie das durchziehen muss, um nicht weitere Komplikationen für sie (seitens der Cops ebenso wie von Silas) zu erzeugen. Leider verschließt sie ihr Getränk nicht richtig, als sie es in ihren Rucksack packt – wodurch es ausläuft und das Aufnahme- und Übertragungs-Gerät beschädigt. Als Carcillo und Hernandez mitbekommen, dass die Verbindung unterbrochen sowie River nicht mehr vor Ort ist, wird ihnen die Brisanz der Lage sofort gewahr – weshalb sie postwendend hektisch mit der Suche starten; die Zentrale davon aber noch nicht unterrichten, da der „Verlust“ 10.000 Dollars sowie einer Informantin sie nicht gerade gut dastehen lassen würde. Parallel dazu trifft River auf Silas‘ Anwesen am Stadtrand ein – umzäunt, bewacht sowie mit einer Art „Privat-Club“ im Keller, in dem diverse Leute feiern (tanzen, Drogen konsumieren etc.). Die Adresse konnte sie sich merken – doch sie ahnt, dass sie fortan auf sich allein gestellt ist…
Wir erfahren nun, woher River und Silas sich kennen: Früher gehörten sie denselben Kreisen an und waren ein Paar – bis sie mit 16 von ihm schwanger wurde und diese „Szene“ zugunsten einer besseren Umgebung für ihr Kind verließ. Ja – Silas ist Jade’s Vater. Einvernehmlich gingen sie getrennte Wege. River hat nie etwas von ihm gefordert – weder Unterhalt noch sonstwede Unterstützung beim Großziehen – und im Gegenzug hat er den Kontakt vollständig abgeschnitten; so wie von ihr gewünscht. Von daher ist er jetzt dazu bereit, ihr in dieser Sache „auszuhelfen“: Für das Geld gibt er ihr einen Beutel mit einer entsprechenden Menge an Molly, so dass sie die MDMA-Pillen im Folgenden mit ordentlichem Gewinn verticken könnte (wobei sie ihm aber einen Anteil jenes auszahlen müsste). Plötzlich fällt jedoch ihr durchnässter Rucksack auf – und mündet die Anweisung Silas‘ an Vic (Calvin Clausell Jr.) und Frankie (Xavier Jimenez), jenen für sie doch bitte zu trocknen, kurzerhand darin, dass der Sender entdeckt wird sowie River mit aller Kraft und Energie die Flucht antreten muss…
Nach dieser (ziemlich exakt) ersten halben Stunde injiziert diese Eskalation nun eine solide Dosis Action und Rasanz in die Geschehnisse. Die aufgebaute Spannung ebbt nicht ab – und River’s Verzweiflung und Antrieb, sie und ihre Tochter irgendwie heile aus dieser Situation herauszubekommen, reicht locker aus, um einen zum Dranbleiben sowie mit ihr Mitfiebern zu animieren; einer gewissen Vorhersehbarkeit zum Trotz. Mit ihrer Adresse bekannt und der bestehenden Klarheit darüber, wie wichtig Jade River ist, entbrennt ein Wettlauf hin zur Wohnung, im Rahmen dessen auch Madison in Gefahr gerät. Um ein unmissverständliches Zeichen für alle um ihn herum zu setzen, wie mit Spitzeln und Verrätern umgegangen wird, „muss“ Silas ein Exempel an River statuieren. Vorrangig ist jene auf sich selbst angewiesen – allerdings besteht simultan noch die Hoffnung, dass Carcillo und Hernandez rechtzeitig eine Nachricht abhören, die sie ihnen (umgeleitet übers LAPD-Callcenter) auf eine Mailbox gesprochen hatte, als sie zwischendurch mal Zugang zu einem Handy erlangen konnte…
Was „All Souls“ übers Mittelmaß hebt, ist dass Mikey Madison die Rolle dieser jungen Mutter (im Zentrum eines gefährlichen Dilemmas zwischen Polizisten und Gangstern), deren Tochter ihr mehr bedeutet als alles andere auf der Welt, hervorragend spielt. River mag beileibe kein perfektes Vorbild sein – so z.B. gibt sie zu, dass Jade das Fluchen bei ihr aufgeschnappt hat – und wahrhaft sympathisch kommt sie ebenfalls nie rüber – doch nimmt man ihr all ihre Facetten und Emotionen (von materner Zuneigung und Verletzbarkeit über Verantwortungs-Bewusstsein und Sorge bis hin zu erbitterter Wut sowie der Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt) vollumfänglich ab. Als sie damals (minderjährig sowie ohne familiärer Unterstützung) schwanger wurde, hatte sie das dazu veranlasst, sich „zusammenzureißen“ und aus dem Milieu „auszusteigen“. Debütantin Mia Love Disnard ist von ihrer Art und Erscheinung her drollig und verkörpert Jade prima. Ihre Chemie mit Madison passt und auch im Rahmen ihrer Begegnungen mit Silas hatte ich an der Leistung der Kleinen nichts zu beanstanden…
Eine Kombination aus Charme, Heimtücke und Bedrohlichkeit zur Schau stellend, geht der Rapper ‚G-Eazy‘ Gerald Earl Gillum („Hustlers“) als Silas in Ordnung: Eine Einschätzung, die so gleichermaßen für die Darbietungen der weiteren größeren Nebenpart-Mimen gilt – darunter Samuel Roukin („Solomon Kane“), Zach Villa („Destroyer“), Jess Gabor („Run Sweetheart Run“), Jaime Navarro („I Love America“) und Xavier Jimenez („Zero Fucks“). Natürlich hätte man mehr Details aus den Backstorys Rivers und Silas‘ preisgeben können – ebenso wie über die Verstrickungen und Konflikte Rivers mit den Cops im Vorfeld dieser Nacht – bloß kann man sich so einiges davon leicht selbst ausmalen und sind die Charakterisierungen nichtsdestotrotz effektiv geraten: Die Beweggründe aller sind nachvollziehbar – während die Entfaltung der Ereignisse „unverschnörkelt“ erfolgt sowie inhaltlich nur am Rande auf etwaige „Grauzonen“ bestimmter Methoden des War on Drugs (sowie auf damit verbundene soziale oder gesellschaftspolitische Auswirkungen) eingegangen wird…
Ragnone’s Skript weist einzelne Klischees auf – auch innerhalb der Dialoge – doch generell harmoniert der „ungeschliffene“ Eindruck der Vorlage mit so mancher Reaktion, Aussage und Tat der gehörig von Stress, Hektik und intensiven Gemütsregungen geplagten Protagonisten. Pickett’s Regie ist kompetenter Beschaffenheit – genauso wie das Sound-Design, die Musik-Untermalung Oliver Coates‘ („Significant Other“), die gebotene Editing-Arbeit und Sean Bagley’s („the Killer on the Road“) Bebilderung; wobei kräftige Farben die Optik zusätzlich stylish bereichern. Gradlinig-dynamisch steuert der Verlauf auf ein blutiges Finale zu, nach welchem man zufrieden in die Credits entlassen wird. Alles in allem ist „All Souls“ ein kompakter, gritty-düsterer dramatischer Indie: Ein zwar oberflächlich gearteter, unabhängig dessen aber kurzweilig-unterhaltsamer Thriller ohne Fett auf den Rippen – komplett mit einem schön straffen Tempo, einem brauchbaren Suspense-Level und einer überzeugenden, energisch-feinen Performance Mikey Madisons…
Hierzulande erscheint „All Souls“ am 28. März 2025 auf DVD und BluRay…
Stefan Seidl
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(© Signature Films sowie Lionsgate und Lighthouse Home Entertainment)
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Copyright des „All Souls“ Poster- und Covermotivs sowie der Pics: Particular Crowd / Grindstone Ent. Group / Sigh Films / Signature Films / Ingenious / Tea Shop Productions / Lionsgate Home Ent. (US) / Lighthouse Home Ent. (D)__ Freigabe: FSK-16__ DVD/BluRay: ja/ja |