Originaltitel: Back Roads__ Herstellungsland: USA_ Erscheinungsjahr: 2018__ Regie: Alex Pettyfer__ Darsteller: Alex Pettyfer, Nicola Peltz, Jennifer Morrison, Juliette Lewis, June Carryl, Chiara Aurelia, Hala Finley, Tom Everett Scott, Robert Longstreet, Robert Patrick, … |
Zum Trailer (in der Originalfassung) geht´s hier!
Basierend auf dem 1999 veröffentlichten Roman Tawni O’Dells, sollte das abgründig-düstere 2018er Drama “Back Roads” eigentlich von Adian Lyne in Szene gesetzt werden, welcher um 2011 herum zudem gemeinsam mit der Autorin die zugehörige Drehbuch-Adaption verfasste (übrigens sein erster Screen-Credit seit “Unfaithful”, damals 2002). Als die Realisierung des Projekts in der Form letztlich jedoch nicht zustande kam, erhielt der als Hauptdarsteller gecastete Alex Pettyfer von der Produktions-Gesellschaft im Folgenden die Möglichkeit offeriert, in Gestalt des kleinen “Indies” zugleich auch sein Regie-Debüt abzuliefern: Ein Angebot, das der den meisten bis dato vorrangig als “seichter Schönling” in Mainstream-orientierten Werken á la “I am Number Four“, “Beastly”, “Magic Mike” und “In Time” bekannte Brite kurzerhand annahm – und das glücklicherweise mit dem nötigen Maß an Ambition und Entschlossenheit, um diese sich u.a. um bestimmte emotionale Auswirkungen bei sexuell missbrauchten Kindern rankende Geschichte in angemessener Weise “filmisch aufzubereiten”…
Im Zentrum der 1995 im Hinterland Pennsylvanias angesiedelten Handlung steht Harley (Pettyfer), der sich seit dem Tag, an dem sein gewalttätiger Vater von seiner Mutter (Juliette Lewis) erschossen wurde, aufopfernd ums Versorgen und Großziehen seiner jüngeren Schwestern Jody (Hala Finley), Misty (Chiara Aurelia) und Amber (Nicola Peltz) kümmert: Eine arge Verantwortung, die an dem jungen Mann ebenso physisch wie psychisch zehrt wie die langen, nicht einmal sonderlich gut bezahlten Nachtschichten in einem lokalen Supermarkt. Bei regelmäßigen Sessions mit einer Therapeutin (June Carryl) gibt er sich “nach außen hin” weitestgehend gefestigt – während er seine Verbitterung und Ängste sonst auch gern mal “mit ‘nem Bier hinunterspült”. Nicht bloß dank des rebellischen Verhaltens Ambers – provokant zur Schau getragene Sexualität mit inbegriffen – droht die angespannte familiäre Situation zunehmend zu eskalieren. Es ist just dann, dass er und Callie (Jennifer Morrison) – eine rund 10 Jahre ältere, verheiratete, aktuell von ihrem Leben gelangweilte Mutter einer Freundin Jodys – sich auf eine “stürmische” Affäre miteinander einlassen…
“Back Roads” eröffnet mit einer Text-Einblendung, welche das Publikum darüber informiert, dass Harley´s Mutter 1993 wegen der Ermordung ihres Ehemanns inhaftiert wurde, sowie dass es im Anschluss daran zu seiner Aufgabe geworden ist, sich um die übrigen drei Kinder zu kümmern, anstatt aufs College zu gehen – gefolgt von einem 24-monatigen Zeitsprung sowie des Anblicks eben jenes Twens, wie er “mitgenommen ausschauend” im Verhörzimmer eines Polizei-Reviers einem Beamten (Robert Patrick) gegenüber sitzt, der ihn gerade dazu befragt, warum genau er denn eine Frau getötet hätte, deren Identität jedoch noch nicht konkret benannt wird. Nicht selten ist es ein Fehler, eine solche Szene Schrägstich Offenbarung derart “vorwegzustellen” – allerdings haben wir es im Vorliegenden nicht mit einem Krimi oder Mystery-Thriller zutun und hat die fortan “rückblickend” erzählte Story noch verschiedene weitere Geheimnisse und Wahrheiten aufzubieten, die nach und nach ein “dichtes Geflecht” aus Sehnsüchten, Vermutungen, gravierenden Entscheidungen und Traumata preisgeben. Die vermittelte Stimmung kommt dabei den zahlreichen “seelischen Wehen” entsprechend daher…
Wir lernen Harley als einen introvertierten, sich förmlich von einem (u.a. seinen Job als Verkäufer sowie häufig Konflikte thematisierende Gespräche umfassenden) Tag zum nächsten schleppenden Mittzwanziger kennen, der sich bei Interaktionen mit nicht zur Familie gehörenden Personen oft (sichtlich) nicht geheuer fühlt. Die ihm auferlegten Verpflichtungen nimmt er ernst – doch wiegt exakt diese “Last auf seinen Schultern” schwer, so dass vor allem seine Therapeutin – mit welcher er kleine, aber stetige Fortschritte bei der Aufarbeitung seiner Vergangenheit erzielt – zu Recht um ihn besorgt ist. Als er und Callie Sex zu haben beginnen, dient das bei beiden sowohl der Abwechslung und Ablenkung als auch der Befriedigung “aufgestauter Gelüste”. Während sie den “Kick” ihrer Treffen genießt, macht Harley in seinem Denken daraus jedoch “mehr”: Sucht sie bspw. daheim auf, obgleich sie nicht allein dort ist, und fängt gar mit Überlegungen hinsichtlich einer potentiellen gemeinsamen Zukunft an. Es sind von ihm so noch nie empfundene Gefühle, die schon bald zu einer (mit zusätzlicher Verunsicherung verknüpften) “Obsession” hin tendieren…
Unabhängig dessen, dass Pettyfer ein wenig zu alt für den Part ist, liefert er in “Back Roads” die bislang beste schauspielerische Leistung seiner Karriere ab und verkörpert Harley, der ohne diese “schicksalhaften Umstände” sicherlich eine angenehme Zeit auf dem College verlebt hätte, lobenswert überzeugend. Eine ergiebige Wahl war es, Jennifer Morrison (“Amityville: the Awakening“) als untreue Hausfrau Callie zu casten – wogegen Nicola Peltz (“Transformers: Age of Extinction“) die beileibe nicht einfach zu portraitierende Rolle der ältesten Schwester leider nicht gänzlich zu meistern in der Lage war. Amber ist promiskuitiv, will von Harley, dass er ihr (trotz der generellen Geld-Probleme) ihren Führerschein finanziert, droht wiederholt mit Auszug und reagiert vielfach aufbrausend, provokant und vorwurfsvoll-beschimpfend: Evidente Folgen zurückliegender, ihr widerfahrener Ereignisse, mit denen Misty ebenfalls unverkennbar zu ringen hat – allerdings äußert sich das bei ihr deutlich minder “dramatisch-extrovertiert”; eher “geheimnisreich in sich gekehrt”. Jody – ihres Zeichens das jüngste Kind – begreift indes schlichtweg nicht, was um sie herum eigentlich so vor sich geht…
Mit ihren Darbietungen rufen Chiara Aurelia (“Gerald´s Game“) und Hala Finley (TV´s “Man with a Plan”) jeweils keinerlei Anlass zur Beanstandung hervor. Richtig gut tritt derweil Juliette Lewis (“Picture Claire“) als inhaftierte Mutter der Geschwister in Erscheinung, der die Trennung von ihren Liebsten (samt der damit verbundenen, ihr schmerzhaft gewahren Auswirkungen) offenkundig zusetzt und deren Motive für ihre Tat – auf die sie sich vehement genauer einzugehen weigert – weiterhin bestimmte unbeantwortete Fragen heraufbeschwören. Im Rahmen seiner Besuche prägen gewichtige Emotionen die Momente zwischen ihr und ihrem Sohn: So wie einige andere auch, bleiben einem diese nachhaltig in Erinnerung. June Carryl (“Under the Silver Lake”) wurde prima als sich innig ums Wohlergehen Harleys engagierende Therapeutin gecastet – worüber hinaus u.a. noch Robert Patrick (der neben Pettyfer ja bereits in dem 2014er “Endless Love“-Remake zu sehen war) als Polizist, Robert Longstreet (“Aquaman“) als “Onkel Mike” sowie Tom Everett Scott (“Enemies Closer“) als Callie´s Gemahl mit von der Partie sind…
Mehr schlecht als recht verarbeitet jeder Angehörige der zentralen Familie in “Back Roads” das Geschehene (ob nun gezielt oder unbewusst) verschieden – was wiederum zu einem “Zersplittern” ihres Zusammenhalts, ihrer im Grunde möglichst unterstützend-schützend-stabil sein sollenden “Einheit” geführt hat. Enttäuschung, Wut, Bekümmerung, mangelndes Verstehen, Hoffnungen und Wünsche, das Meiden spezieller Themen, Dysfunktionalität und Scham: Ein “gemütsbezogenes Pulverfass” sozusagen. Warum wurden die Kinder des Öfteren von ihrem Vater geschlagen, ohne dass er je seiner Frau gegenüber gewalttätig wurde? Es gibt diverse an Harley “nagende” Spekulationen, die wohl nur seine Mutter aufzuklären vermag. Doch die schweigt dazu – jedenfalls bis er sie eines Tages ungewohnt direkt konfrontiert. Im Verlauf geraten eine ganze Reihe tragisch-bitterer, teils verdrängter Gegebenheiten “an die Oberfläche”, deren “Beeinflussung der Psyche” so manche Verhaltensweise erklärt. Die betreffenden “Abgründe” sind ebenso düster wie tief – verstören, erwecken Mitleid und offerieren sowohl den Zuschauern als auch Protagonisten herbeigesehnte Aufschlüsse…
Handwerklich hatte Pettyfer die Umsetzung des Films erstaunlich kompetent im Griff – schuf in Verbindung mit den Performances, der feinen Kamera-Arbeit Jarin Blasckes (“the VVitch“) sowie des passenden Scores John Hunters (“Room 105”) ein “atmosphärisches” Ergebnis, das die bedrückend-tragische Materie weitestgehend “nüchtern” präsentiert sowie im Zuge dessen mit einigen einprägsamen Augenblicken und Bildern aufwartet – wie als Harley eines Abends kurzerhand eine Couch vorm Haus verbrennt, auf der er just zuvor Amber beim Sex mit einem Fremden erwischt hatte. O’Dell und Pettyfer verfügen über genügend Empathie für die Leidtragenden von Missbrauch und/oder anderweitigen “seelischen Erschütterungen” – allerdings verwehren sowohl die nur unzureichend komplex verfassten Charaktere als auch die schiere Menge dieser Belastungen und Einwirkungen dem Gesamt-Eindruck letztendlich ein gewisses Maß an “Gewicht”. Nichtsdestotrotz ist “Back Roads” all jenen mit einem grundsätzlichen Interesse an dieser Art von Genre-Kost durchaus zu empfehlen: Ein “unbehaglicher Indie” u.a. über Aufopferung und Trauma-Bewältigung sowie ein beachtenswertes Regie-Debüt Pettyfers…
starke
Während “Back Roads” in den USA bereits auf DVD erhältlich ist, sind mir bis heute (03/2023) indes noch immer keine Infos hinsichtlich einer deutschen VÖ bekannt...
Stefan Seidl
Was hältst Du von “Back Roads”?
zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
Copyright des “Back Roads” Postermotivs sowie der Pics: Upturn Productions / Infinity Media / Samuel Goldwyn Films (US)__ Infos zur amerikanischen VÖ:__ Freigabe: Not Rated__ DVD/BluRay: ja/nein |