Originaltitel: Ballad in Blood__Herstellungsland: Italien__Erscheinungsjahr: 2016__Regie: Ruggero Deodato__Darsteller: Carlotta Morelli, Edward Williams, Roger Garth, Ernesto Mahieux, Gabriele Rossi, Noemi Smorra u.a. |
Vom Kannibalen-Schocker über die Poliziotteschi zum Barbaren-Schund. Dann langsam abtauchen ins italienische Fernsehen der 90er, um mit Bud Spencers Kopfnüssen die Karriere ausklingen zu lassen. Alles sah so aus, als wenn Ruggero Deodato seine turbulente Zeit als Regisseur gemütlich und unspektakulär in den Ruhestand münden lassen würde. Mancher wird nicht einmal unbedingt gewusst haben, dass der für seine filmischen Exzesse der 70er Jahre berüchtigte Italiener überhaupt noch lebt, geschweige denn, dass er mit seinen knapp 80 Jahren immer noch kreative Arbeit leistet. Als Autor hat er eigener Aussage zufolge in den letzten Jahren einige Drehbücher geschrieben. Verfilmen durfte er nun „Ballad In Blood“, seine eigene Interpretation der wahren Geschichte des Mordes an der britischen Austauschstudentin Meredith Kercher, der sich im November 2007 in Perugia ereignete.
Man könnte nun fragen, was Deodato an diesem Kriminalfall so gereizt haben mag, dass er dafür nach mehr als zwei Jahrzehnten als Regisseur ins Horror-Fach zurückkehrt. Die Frage wird müßig, wenn man erfährt, dass er eigentlich lieber eine seiner anderen Geschichten verfilmt hätte. Doch „Ballad In Blood“ war die einzige, für die er einen Produzenten auftreiben konnte. Soweit zur völlig unromantischen Entstehungsgeschichte. Drei Jahre soll es dann gedauert haben, dem Skript den letzten Feinschliff zu verpassen. Was in dieser Zeit jedoch genau geschliffen wurde, lässt sich kaum nachvollziehen, denn gerade das Drehbuch erweist sich als mittlere Katastrophe. Es fehlt ihm nämlich nicht nur der feine Schliff, sondern, nun ja, überhaupt jeglicher.
Damit begegnet es der Faktenlage im Grunde auf Augenhöhe. Die genauen Hintergründe des Falls Kercher sind bis heute nicht vollständig geklärt und somit Spielball reinster Spekulation. Rund ein Jahr nach der Tat wurde ein junger Afrikaner wegen Mordes verurteilt, die mögliche Mitschuld der Amerikanerin Amanda Knox hingegen wurde zu einem Politikum aufgebauscht, das britische und amerikanische Medien im Advokaten-Stil unter sich austrugen. Zu entsprechend wilden Schlussfolgerungen lässt sich Deodato bei seiner Rückkehr auf den Regiestuhl beflügeln und weicht bewusst vom realen Fall ab, um eigenmächtig über die Ereignisse in der Mordnacht zu fantasieren. Nur, so recht scheint er nicht zu wissen, wie er die Ausgangskonstellation nun eigentlich vorantreiben soll…
Der Establishing Shot findet bei Nacht mit Blick auf eine Halloween-Party im Inneren der „Pozzo di San Patrizio“ statt. Der spiralförmig begehbare Brunnen mit seiner Rundbogen-Architektur liegt im umbrischen Orvieto und ist mit Abstand die interessanteste Location, die der Film zu bieten hat. Allerdings verhindert der sterile HD-Kamera-Look eine stimmigere Nutzung der Kulisse. Die grellen Lichtquellen der tanzenden Studenten vermischen sich unschön mit dem Korn der nächtlichen Schwärze. Anstatt einer visuell spannenden Einbettung im Bava- oder Rollin-Stil bekommen wir also schon recht früh die eklatanten Schwächen in der Bildnutzung vor Augen geführt. Frühaussteiger sind somit rechtzeitig vorgewarnt und können bereits nach wenigen Minuten die Biege machen, bevor das Ganze eskaliert.
Es ist dann auch nicht unbedingt eine Party, der man auf jeden Fall beiwohnen müsste. Deodato versteht sie als billiges Mittel, um ein Gefühl der Desorientierung beim Betrachter zu erzeugen und somit das Whodunit-Konzept auf den Weg zu bringen. In kurzen Frames wird eine nackte Frau gezeigt, die an ein Kreuz gebunden durch die Nacht getragen wird. Eine andere sitzt im Brautkleid da und wird mit Kunstblut besudelt, eine Prozedur, die sie teilnahms- und regungslos über sich ergehen lässt. Irgendwo hält ein Vermummter ein Glas mit Weißgottwas in die Höhe. Das Ganze wird verschnitten mit hässlichen Faschingsmasken und dem wilden Gewackel einer mobilen Kamera. Es ist fast so, als wolle der Rückkehrer zwei Dekaden verpasster Horrorfilmgeschichte aufholen, gefüllt mit Torture Porn und präsentiert via Found-Footage-Technik. Ganz wie in den 00er Jahren.
Schaut in den Trailer zu “Ballad in Blood” hinein
httpv://www.youtube.com/watch?v=hrO3b86kKjU
In der halluzinogenen Atmosphäre dieses Einstiegs scheint sich Deodato nun so wohl zu fühlen, dass er die Aura des Vernebelten auch gleich auf das Hauptset überträgt. In der abgerockten Studentenbude, die zum Einstieg gleich mit einem nackten, pinkelnden Darsteller (Schauspiel-Debütant Edward Williams) entweiht wird, wären eigentlich die Dienste einer Putzfrau dringend vonnöten. Wäre nicht auch hier die digitale Optik so antibakteriell, könnte man vermutlich die Dunstwolken aus Sex, Alkohol und Gras durch den Bildschirm hindurch riechen. Und als wolle man uns die olfaktorischen Sinneseindrücke bestätigen, öffnet der Pinkler, nachdem er in die Scherben einer selbst zertrümmerten Bierflasche getreten ist, die Tür ins Schlafzimmer, wo uns die anderen beiden Hauptdarsteller vorgestellt werden: pimpernd, schwitzend, stöhnend… und kotzend. Als dann schließlich auch noch das Mordopfer barbusig durch die Glasdecke bricht, sind wir mitten drin im verkaterten Sonntagnachmittag eines durchschnittlichen Studenten.
Ab diesem Punkt der Handlung erweist sich der Regisseur und Autor als Meister darin, den Status Quo so lange wie möglich zu halten. Und der besagt: NICHT die Polizei rufen. KEINE Panik schieben. TITTEN weiter ins Bild halten. Sich derweil über die tote Mitbewohnerin wundern und noch einen durchziehen, so wird sich das Problem irgendwann schon von selbst lösen. Es folgt schließlich eine Abfolge an völlig hirnrissigen Ereignissen, die man sich normalerweise nicht ausdenken kann. Mit einem Film wie „Die Barbaren“ hat die ganze Chose ja eigentlich herzlich wenig zu tun, aber vergleichbare Lachanfälle sind nicht ganz ausgeschlossen, was zumindest darauf schließen lässt, dass der alte Sinn für Ironisches noch nicht abhanden gekommen ist. Man könnte ein Trinkspiel daraus machen, wie oft Carlotta Morelli, oft genug selbst splitternackt im Bild, ihrer tot spielenden Co-Darstellerin die Brüste mit einem Tuch bedeckt, bevor diese gleich in der nächsten Szene doch wieder in aller Pracht das Bild ausfüllen. Man könnte auch fragen, wieso die beiden Männer plötzlich fröhlich zusammen ein Bad nehmen in der Wanne, in der gerade noch die Leiche schwamm. Oder weshalb es völlig kontextlos anschließend auf die Straße geht, um Drogendeals mit Schock-Rocker-Gruftis zu machen, die aussehen wie Neugeborene aus dem Schoß von Marilyn Manson und Alice Cooper.
Und die Figuren geraten mit der Zeit nicht gerade intelligenter. Ein Hauch von „wir wissen nicht, was wir letztes Wochenende getan haben“ weht durch die Luft. Die kläglichen Versuche, den Filmriss zu rekonstruieren, böten sich als Parodie auf die Slasher der 90er an; die Selbstzweifel und Schuldzuweisungen der Betroffenen werden auf Grundlage eines vom Opfer aufgenommenen Selfie-Stick-Videos angerührt, mithilfe von Sex und Drogen aber umgehend wieder zerstreut. Ehrenwert ist der Versuch, die Vergangenheit quasi interaktiv über Videomaterial in die Gegenwart einzubetten und so langsam Licht ins Dunkel zu bringen, völlig gescheitert ist er allerdings auch. Gelegentlich werden Versuche unternommen, die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen, doch der Entsorgungsversuch einer Leiche über die Müllabfuhr oder der versehentliche Anschlag auf eine unschuldige Oma resultieren bloß in weiteren Slapstick-Einlagen. Hätten sie doch bloß Mr. Wolf gerufen…
Ästhetisch orientiert sich der Altmeister ironischerweise am Frühwerk seines Kumpels Eli Roth, was inzestuös genug ist, wenn man bedenkt, dass Deodato umgekehrt bereits eine Inspirationsquelle für Roth war. „Hostel“ schlägt sich in den unansehnlich eingefangenen Schmuddel-Ecken Italiens nieder, die nicht zwangsläufig dazu geeignet sind, den Tourismus anzukurbeln. Um aber ernsthaft dreckige Sackgassen bis tief in die Eingeweide italienischer Seitengassen zu graben, fehlt sowohl der erzählerische Fokus als auch der visuelle Gestaltungswille und nicht zuletzt auch eine Prise gesunder Härte. Der Film gefällt sich zu sehr darin, im eigenen Dunst zu garen. Das funktioniert als Verschleierungselement, solange sich die bescheuerten Gebärden des infernalen Trios noch nicht abgenutzt haben. Aber es kommt der Punkt, da rettet nicht einmal mehr ein zünftiger Abendkleid-Striptease vor der Belanglosigkeit.
Das Beste an „Ballad In Blood“, klammert man die Comedy einmal aus, ist noch der Soundtrack von Goblin-Keyboarder Claudio Simonetti. Doch selbst der dudelt über die Bilder hinweg, ohne einen Bezug zu ihnen herstellen zu können. Man schließe also am besten die Augen, lausche Simonettis Kompositionen und stelle sich vor, man wäre gerade ganz woanders…
Mit Biegen und Brechen:
Informationen zur Veröffentlichung von “Ballad in Blood”
Mit „Ballad In Blood“ heben Wicked-Vision Media ein neues Sub-Label aus der Taufe. Unter dem Namen „Rawside Entertainment“ sollen demnächst die ungeliebten, grobschlächtigen und widerspenstigen Machwerke des Horrorfilms erscheinen. Das Logo mit dem hastig gekritzelten „R“ vor einem Kreissägeblatt ist bewusst so gewählt, dass man an die ungeschliffenen Rohdiamanten denken muss, die das Genre für ein abgehärtetes Nischenpublikum hervorgebracht hat; an die frühen Werke von Regisseuren wie Tobe Hooper („The Texas Chainsaw Massacre“) oder Wes Craven („The Hills Have Eyes“) vielleicht. Und weil die Mülheimer im Allgemeinen eher dafür bekannt sind, Stoffe mit Bezug zum Phantastischen zu vertreiben, können auf diese Weise nun auch Produktionen ins Programm genommen werden, die normalerweise nicht dem zentralen Beuteschema entsprechen würden. Mit dem unbequemen „We Are The Flesh“ hatte man vor zwei Jahren bereits einen ähnlichen Versuch unter dem vertrauten Logo mit dem Auge gewagt, für den eigens eine neue Reihe begonnen wurde. Erfolg war diesem Versuch wohl eher nicht beschieden, denn die „Subversive Cinema Collection“ hat es leider nie auf eine zweite Ausgabe geschafft (dabei sei mutigen Cineasten unbedingt ein Blick auf diesen mindestens außergewöhnlichen Film nahegelegt).
Abgesehen davon, dass das Wicked-Auge auf dem Spine dem „R“ weichen musste, hat sich an den Standards eigentlich nicht so viel verändert. Auch bei Rawside gibt’s die gewohnten Hochglanz-Mediabooks aus bekannter Produktion, bestückt mit einer Blu-ray und einer DVD gleichen Inhalts. Das hier besprochene Cover B (limitiert auf 333 Einheiten) kommt sogar mit einem ansprechend gezeichneten Artwork, das die wichtigsten Zutaten noch einmal zusammenfasst – Gekiffe, Sex und Mord. Cover A und C (je 222 Einheiten) hingegen richten sich eher an die Torture-Porn-Klientel, dabei ist die blutbesudelte Dame im weißen Kleid nur einige wenige Frames lang im fertigen Film zu sehen und hat keinerlei Bedeutung für die Handlung. Selbiges kann man von einigen reißerischen Screenshots behaupten, die auf dem Backcover zu sehen sind, eines davon sogar noch einmal ins A3-Format für die letzte Booklet-Seite vergrößert. Mit verrückten Bandagierten und Föten in Einmachgläsern oder gekreuzigten Jungfrauen hat das Ganze jedenfalls bis auf wenige Sekunden nichts zu tun, das Überangebot an Brüsten, die sich über das Mediabook verteilen (sieben auf der Rück- und eine auf der Vorderseite, um genau zu sein) wird aber immerhin im Film statistisch korrekt abgebildet.
Apropos Booklet: Christoph Kellerbach hat die nicht ganz so einfache Aufgabe, ein paar gehaltvolle Worte zu Deodatos neuestem Streich zu verlieren. Erwartungsgemäß füllt er die vielen Seiten (der 24-Seiten-Standard bleibt erfreulicherweise erhalten) mit einer biografischen Rückschau auf den italienischen Regisseur, mit dem Ziel, die Reduzierung auf den berüchtigten „Cannibal Holocaust“ zu relativieren und die große Bandbreite zu veranschaulichen. Schließlich leitet er über in einen kurzen Abriss der realen Geschichte um den Mordfall Meredith Kercher, der dem Film zugrunde liegt, um dann zum Kritikteil überzugehen.
Dies soll der einzige Filmdiskurs auf der Veröffentlichung bleiben. Ein Audiokommentar, der bei den „Limited Collector’s Editions“ als Standard gilt, wurde nicht auf die Scheibe gepackt. Immerhin gibt es eine etwa 17-minütige Behind-The-Scenes-Montage, bei der man einen unkommentierten Einblick bekommt in den Dreh ausgewählter Szenen. Hinzu kommt der Trailer zum Film im Original und in der Synchronisation, weiterhin in unterschiedlichen Schnittfassungen.
Die technische Umsetzung entspricht derweil den Produktionsstandards. Soll bedeuten: Das Bild liefert alle Stärken und Schwächen, die sich ergeben, wenn man auf Digitalkamera dreht. In tiefschwarzen Bereichen verschwimmen gerne die Details, ebenso wie bei schnellen Schwenks. Die Farben wirken steril und lassen die Einstellungen mitunter recht gewöhnlich wirken, selbst wenn sich der Regisseur bisweilen um ausgefeilte Raumaufteilung bemüht. Andererseits ist die Schärfe insgesamt als sehr gut zu bezeichnen und Verschmutzungen sind natürlich auch nicht zu erwarten.
Der deutsche Ton ist sauber und gut verständlich, die räumliche Tiefe hält sich trotz 5.1 in Grenzen. Simonettis Musik ist so kräftig, dass ihre fehlende Kopplung mit der Handlung um so mehr auffällt. Der Originalton des englischsprachigen Films liegt im 2.0-Format vor. Deutsche Untertitel können auf Wunsch zugeschaltet werden.
Rawside Entertainment starten also in Sachen Ausstattung ungefähr auf dem Niveau früherer Wicked-Vision-Veröffentlichungen, die außer der Reihe an den Start gingen, wie „Vampyres“ oder „Bloodsucking Bastards“. Unabhängig von der Qualität des Hauptfilms: Eine Rückkehr Ruggero Deodatos an die Wirkungsstätte, der er seinen Ruf zu verdanken hat, dürfte vermutlich genug interessierte Käufer finden, um dem neuen Sub-Label einen brauchbaren Start zu verschaffen. Wir sind schon mal gespannt auf den Mistgabel-Slasher „Pitchfork“, der bereits am 26. November 2019 als „Rawside Edition #2“ erscheinen wird.
Sascha Ganser (Vince)
Bildergalerie von “Ballad in Blood”
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