Originaltitel: Ben__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1972__Regie: Phil Karlson__Darsteller: Lee Montgomery, Joseph Campanella, Arthur O’Connell, Rosemary Murphy, Meredith Baxter, Kaz Garas, Paul Carr u.a. |
„Willard“ endete mit einer finalen Konfrontation wie aus einer klassischen Tragödie. Trotz der Pionierleistungen für den Ratten-Horrorfilm machte ihn das nicht unbedingt zum offensichtlichen Kandidaten für eine Fortsetzung, wurden doch schließlich alle Rechnungen zwischen Protagonist (Bruce Davison), seinem Antagonisten (Ernest Borgnine) und nicht zuletzt den Ratten bis auf den letzten Cent beglichen. Ein sauberer Abschluss mit einem gekonnten moralischen Ausklang. Es gab nichts mehr zu sagen. Und doch erschien nur ein Jahr später ein zweiter Teil, schlicht betitelt nach der Anführer-Ratte: „Ben“.
Das klingt einerseits nach einem hastigen Schnellschuss, eröffnet andererseits aber auch Möglichkeiten, denn: Dass Ben als Ratte den ersten Film gemeinsam mit vielen seiner Artgenossen überlebte, anders als viele der wichtigsten menschlichen Charaktere, ist bereits für sich genommen ein Statement, das sich zu verfolgen lohnt. Weil sich „Willard“ noch um das introvertierte Wesen der gleichnamigen Hauptfigur drehte, eines jungen Mannes mit Muttersohn-Komplex, mag es dem ersten Gefühl nach unwürdig erscheinen, dass die Handlung über ihn hinaus fortbestehen soll. Eine weitläufige Konvention lautet schließlich: Die Geschichte endet, sobald die Entwicklung der Hauptfigur abgeschlossen ist. Es ist also an Provokation kaum zu überbieten, aus heiterem Himmel die Akte mit Kapitel 2 wieder zu öffnen, dabei auch noch den Vorspann dreist mit den letzten Minuten aus „Willard“ zu unterlegen, nur um anschließend einfach munter anzuknüpfen, als seien die bisherigen Geschehnisse nur eine Aufwärmübung gewesen. Es ging also die ganze Zeit über gar nicht um Willard, so wie es in „Star Wars“ auch nie um Anakin Skywalkers Ausbilder Obi-Wan Kenobi ging; es geht um den Darth Vader unter den Ratten, den schwarz bepelzten Imperator mit dem täuschend lieblichen Namen „Ben“.
Das macht dann doch neugierig, greift es doch über den Titel ganz direkt etwas auf, das im Genre des Tierhorrors zwischen den Zeilen stets mitschwingt: Die Vormachtstellung des Menschen auf der Erde währt nur vorübergehend und es wird Spezies geben, die ihn überleben. Auch wenn die Ernennung einer Ratte zum Titelhelden einen Anthropomorphismus mitschwingen lässt, der nicht ganz zu der natürlichen Stunt- und Dressurarbeit mit echten Tieren passen mag… hätte man die Fortsetzung langweilig nach Bens neuem Herrchen „Danny“ benannt, wäre diese spannende Auslegung passé gewesen.
Danny wiederum, ein Junge mit dem Handicap einer lebensbedrohlichen Herzkrankheit, wird von Lee Montgomery als empathisch veranlagtes, lebenslustiges Kind angelegt, das bisweilen aber auch zum verzogenen Gör mutieren kann – insbesondere, wenn es sich arrogant über jene Mitmenschen erhebt, die ihm ein Dorn im Auge sind. Das betrifft beispielsweise Nachbarskinder oder die Staatskräfte im Kampf gegen die Rattenplage, die sich inzwischen über kleine Gartenpartys hinaus ins Bewusstsein der gesamten Bevölkerung gefräst hat. Es ist ja löblich, dass man einen neuen Ansatz ausprobiert, anstatt gleich den nächsten Early-Twen-Außenseiter mit tyrannischem Boss aus dem Hut zu zaubern. Aber musste es ausgerechnet eine, mit Verlaub, klugscheißende Nervensäge sein, die kichernd eine ganze Stadt im Ausnahmezustand zum Narren hält und uns in ihrer Freizeit auch noch mit schief gesungener Folklore quält? Wie sehr wünscht man sich da Alex Norths subtilen Soundtrack von „Willard“ zurück, der mit milden Noten und feinen Nadelstichen genau die Stimmung des untermalten Films irgendwo zwischen Drama, Slapstick und bekömmlichem Horror traf. „Ben“ hingegen protzt mit dem vom blutjungen Michael Jackson gesungenen gleichnamigen Titeltrack, einer rührseligen Golden-Globe-Gewinner-Ode an die Freundschaft, die von Montgomery im Filmverlauf in den unterschiedlichsten Variationen immer wieder adaptiert wird – mal komponierend im Sprechgesang am Klavier, mal krächzend Acapella, dann auf der Mundharmonika geprustet oder einfach nebenbei gesummt. Und das mit einer arg- und reuelosen Freude im pausbäckigen Gesicht, die derjenigen eines Foltermeisters bei der Auswahl der Instrumente gleicht. Da bebt man regelrecht vor Erleichterung, wenn zum Abspann endlich der junge Michael Jackson persönlich die Stimme erhebt und Montgomery ein für allemal die Klappe hält. Auch wenn man den Song zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr hören kann, egal wer ihn anstimmt.
Schaut in “Ben” hinein
httpv://www.youtube.com/watch?v=Iq8i3jP5glU
Mit der fragwürdig konzipierten Hauptfigur steht also das Gelingen des Films trotz seiner interessanten Ausgangsidee schon früh auf der Kippe. Dabei kann Montgomery selbst eigentlich gar nicht viel für die Wirkung, die von ihm ausgeht; in „Burnt Offerings“ spielte er seinem Filmvater Oliver Reed beispielsweise gekonnt die Bälle zu und auch hier bleibt dem Zuschauer ein gewisses Charisma des damals 10-Jährigen nicht verborgen. Es ist auch nicht völlig unverständlich, weshalb man ihn auf diese gewöhnungsbedürftige Weise einsetzt, denn gerade für die erwiderte Zuneigung zwischen ihm und seinem neuen Schoßtier werden allerhand gute Gründe ausgestreut, die ausgehend vom Krankheitsbild des Jungen eine grundsätzlich recht natürliche Entwicklung nehmen. Und doch lassen sich einige der Gesangseinlagen vor lauter Fremdscham kaum ertragen, ebenso wie manche Dreistigkeit, mit der das ignorante Balg seine Umwelt von sich weist und eine Schutzkuppel um sich selbst und seinen kleinen Freund baut.
Und für diese Wirkung gibt es einen guten Grund. Das Fehlen eines starken menschlichen Gegenspielers, wie Borgnine ihn im ersten Teil verkörperte, wäre vielleicht noch zu verschmerzen, würde das Drehbuch Dannys Umfeld zumindest anderweitig stärker in die Vorgänge einbeziehen. Dies gelingt einzig bei Dannys großer Schwester Eve (Meredith Baxter, “Airline Disaster – Terroranschlag an Bord“) hin und wieder. Andere Charaktere, darunter die Mutter (Rosemary Murphy) ebenso wie sämtliche Polizeikräfte, bleiben graue Statisten am Rand der Erzählung, die bloß dazu gut sind, Panik zu stiften und Druck aufzubauen.
Auf der anderen Seite macht Tiertrainer Moe Di Sesso mit einer erhöhten Menge an dressierten Ratten weiterhin zuverlässig seinen Job. Es wird vieles über reale On-Set-Tricks gelöst, wobei einzelne Gruppen von Ratten jeweils auf unterschiedliche Tricks abgerichtet wurden, was für einen vielseitigen und abwechslungsreichen Einsatz der Tiere sorgt. Doch früh wird klar, dass die Produktion diesmal auf eine weniger organische, dafür spektakulärere Demonstration seiner vierbeinigen Spezialeffekte ausgelegt ist. Kaum werden in einer frühen Stunt-Sequenz Übergänge einer Sprungattacke für Sekundenbruchteile mit Zeichentrick-Animation überbrückt, beginnt die Bodenständigkeit der Trickeffekte aus dem ersten Teil bereits zu bröckeln. Zwischen Cornflakes-Packungen und den Abflussrohren einer Kanalisation setzt man die Tiere gezielt in solchen Kulissen ab, die der vorurteilsbehaftete Besenschwinger automatisch mit Ratten verbindet. Auch wenn die Schauplätze filmwirksam aufbereitet werden (speziell in der Kanalisation wird kreativ mit Farben und Schattenwurf experimentiert), hätte man sich vielleicht auch mal ein etwas ungewöhnlicheres Setpiece gewünscht. Das Finale gerät dann tricktechnisch völlig außer Kontrolle, Flammenwerfer treffen in schlecht montierten Bildschichten auf flüchtende Schatten, derweil sich einzelne Männer vor Schmerzen schreiend auf dem Boden rollen, als würden sie gerade im Inneren von den Ratten aufgefressen; dabei hocken bloß einige von ihnen auf ihrem Rücken. Immerhin verfällt „Ben“ nicht völlig der Dämonisierung der Nager des reinen Thrills wegen, sondern weiß ihre maßlose Verbreitung als natürliche Ausbreitungsstrategie der Natur zu verkaufen, die sich von derjenigen des Menschen kaum unterscheidet. Das reicht für den moralischen Zeigefinger und sogar noch für eine herzzerreißend rührende Abschlussszene, in der sich die fortschreitende Vermenschlichung Bens emotional bezahlt macht.
Man darf „Ben“ zugute halten, dass er als direkte Fortsetzung nicht den Fehler macht, die Geschichte von „Willard“ einfach mit einem neuen Ziehvater noch einmal zu erzählen, was problemlos möglich gewesen wäre. Für so etwas gibt es schließlich Remakes (wie eben „Willard“ von 2003). Die gute Ausgangsposition wird allerdings durch die Versteifung auf einen vorlauten Jungen vergeben, durch beharrliche Wiederholung und die schlechte Performance des nervtötenden Soundtracks seines Lebens und einen aus der Form geratenen Tonfall, der mit dem dezenten Spannungsaufbau des Vorgängers nichts mehr gemein hat, was letztlich auch sichtbare Auswirkungen auf die prinzipiell immer noch beeindruckende Arbeit mit den Tieren hat. Und nicht zuletzt fällt die Einbindung der Gesellschaft in die Vorgänge viel zu plakativ aus. „Willard“ bot immerhin einen zynischen Blick auf Kapitalismus, Ausbeutung und das zurückgedrängte Individuum; „Ben“ liefert abseits der durchaus zartfühlend beschriebenen Beziehung zwischen Danny und seinem Haustier nur Gekreische und reaktionäres Handeln im Angesicht einer Ratten-Apokalypse.
Informationen zur Veröffentlichung von “Ben”
„Willard“ wurde gefühlt gerade erst veröffentlicht, da steht auch schon „Ben“ in den Käselöchern. So richtig fiese Foltermeister sind sie ja nicht, die Herrschaften von Anolis. Lange leiden mussten die Komplettisten unter uns jedenfalls nicht. Es gab zwar nun noch einmal eine mehrwöchige Verschiebung (ursprünglicher Release-Termin war der 29. Juni), aber am Ende stehen gerade einmal zweieinhalb Monate zwischen der Nr. 1 und der Nr. 2 der neu aufgezogenen Reihe „Die 70er“. Da gab es schon schlimmere Durststrecken zu durchstehen… als nächstes geht’s übrigens laut Deckblatt-Rückseite gleich doppelt mit den 60ern weiter, dem schon längere Zeit angekündigten „Geheimagent Barrett greift ein“ wird „Im Banne des Dr. Monserrat“ mit Boris Karloff folgen. Zu den 80ern, die einst mit dem Alien-Rip-Off „Mutant“ eingeleitet wurden, gibt es noch keine Neuigkeiten.
Um aber wieder in die 70er zurückzukehren: Passend zu „Willard“ erscheint auch die Fortsetzung für das übersichtlich strukturierte Filmregal wieder als Einzel-Blu-ray auf einem erhöhten Tray im gewohnten Mediabook, das in zwei Cover-Varianten angeboten wird. An den linken Rand geklammert ist ein 20-seitiges Booklet, in dessen Innerem sich David Renske in mehreren Kapiteln zu Regisseur Phil Karlson, die Qualitäten des Films, Ratten in der allgemeinen Filmgeschichte und Michael Jacksons Faible für Horror-Fantasy-Stoffe austobt. Dazu werden Filmplakate, Aushangfotos und Produktionsnotizen gereicht.
Im Menü begrüßt uns Michael Jacksons Stimme mit dem Titelstück (womit sonst sollte man das Menü auch untermalen, zur Auswahl standen im Grunde nur Jacksons „Ben“ und ein geistloses Tralala-Lied aus dem Kasperletheater) und treibt uns an, möglichst schnell eine Auswahl zu treffen – beispielsweise, ob wir den dts HD-MA-Ton in Englisch oder Deutsch hören wollen oder ob wir deutsche Untertitel benötigen. An den Tonspuren ist jeweils kaum etwas zu beanstanden. Dem teils schwer erträglichen Gesang Dannys entkommt man ohnehin nicht, dieser erinnert nämlich in beiden Fällen an Fingernägel auf einer Tafel. Nur in einer kurzen Szene wechselt die deutsche Tonspur kurz in den O-Ton, ansonsten ist alles komplett synchronisiert.
Die Bildqualität fällt gemessen an der tollen Vorgängerveröffentlichung leider ernüchternd aus. Leicht feststellen lässt sich das schon daran, dass der Prolog ja direkt auf Szenen aus „Willard“ zurückgreift, die auf dieser Veröffentlichung deutlich unschärfer, blasser, grieseliger und verschmutzter wirken als noch auf der Ende Mai veröffentlichten Blu-ray zum Hauptfilm. Weil das Bild thematisch bedingt immer wieder düstere Ecken zeigt, fallen insbesondere die schwachen Kontrastwerte auf, die schwarze Flächen stellenweise eher betongrau erscheinen lassen. Als die Handlung schließlich in Dannys Zuhause verlagert wird, spürt man, dass Regisseur Phil Karlson eine ähnliche Farbcodierung vorschwebte wie seinem Vorgänger Daniel Mann (heller Räume mit vielen Farbtupfern in Grün- und Orangetönen), das sehr grobkörnige Bild lässt den Effekt aber verblassen. Immerhin steigert sich die Bildqualität (zumindest gefühlt) über den Filmverlauf auf ein solides Level, das wenigstens eine „filmische“ Optik aufweist, wenn es auch kaum HD-Feeling versprüht. Das mag mit dem Quellmaterial zusammenhängen, gemessen an „Willard“ ist hier aber von einem Klassenunterschied zu sprechen.
Schön ist es, dass man auch für „Ben“ wieder ein paar Extras zusammentragen konnte – nicht zuletzt dank des inzwischen 57-jährigen Hauptdarstellers, der sich in einem Interview an die Dreharbeiten zurückerinnert und diese Erinnerungen auf einem Audiokommentar im Gespräch mit Nathaniel Thompson von Mondo Digital noch vertieft. Dazu kommen diverse Trailer, TV- und Radio-Spots, Werberatschläge, das Presseheft und das Filmprogramm. Die wichtigsten Extras (also das Interview, der Audiokommentar und der Hauptfilm) sind außerdem optional deutsch untertitelt. Als finales Schmankerl ist noch die deutsche Kinofassung auswählbar, die etwa 2 Minuten kürzer ist als die Normalfassung.
Sascha Ganser (Vince)
Bildergalerie von “Ben”
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