Originaltitel: Benny Loves You__Herstellungsland: Großbritannien__Erscheinungsjahr: 2019__Regie: Karl Holt__Darsteller: Karl Holt, Claire Cartwright, George Collie, James Parsons, Anthony Styles, Darren Benedict, Lydia Hourihan, David Wayman, Jennifer Healy, Bella Munday, Catriona McDonald, Greg Barnett u.a. |
Die „Sesamstraße“ ging 1969 in den USA an den Start und mauserte sich schnell zu einer der populärsten und einflussreichsten Kinderserien, die jemals das Fernsehen erobert haben. Man möchte uns einreden, das gelang wegen der lehrreichen Inhalte, wegen der pädagogisch wertvollen Botschaften und der informativen Darstellung gesellschaftlicher Sachverhalte. Doch wir alle wissen, weshalb wir wirklich eingeschaltet haben: Wegen der Anarchie. Auf den Müll wurden Loblieder gesungen, es gab Kekse ohne Ende und an jeder Straßenecke konnte man ein „O“ kaufen. Wir haben die pelzigen Kreaturen aus Jim Hensons Werkstatt so sehr liebgewonnen, dass wir sie als Erwachsene immer noch auf T-Shirts, auf unseren Lieblingstassen und in unseren Herzen tragen.
Jack aus „Benny Loves You“ geht es da ähnlich, denn Jack ist ein 40-Jähriger… nein, halt, ein taufrischer 35-Jähriger, der sich bis dato nicht von den Spielkameraden seiner Kindheit trennen konnte. Das führt soweit, dass er sogar einer Anstellung als Designer für Kinderspielzeug nachgeht und noch im Haus seiner Eltern wohnt, wo ihm zu jedem Geburtstag eine fesche Party mit Torten und Ballons und Käsespießen und ohne Gäste ausgerichtet wird. Bis er beide Elternteile an seinem vierzigsten… nein, sechsunddreißigsten Geburtstag aufgrund einer Abfolge ungünstiger Missgeschicke an Gevatter Zufall verliert und als Konsequenz dessen wohl oder übel endlich erwachsen werden muss. So wird also am geliebten Stofftier Benny ein Exempel statuiert: Es muss in die Plastikkiste mit der Aussicht, nie wieder herauszukommen. Doch Benny ist anderer Meinung, was die Trennung der Beiden angeht…
Die ausgeflippte Horrorkomödie, die sich aus dieser Prämisse ergibt, ist ganz und gar die Kopfgeburt eines gewissen Karl Holt. Der Brite tritt nicht etwa nur als Ideengeber in Erscheinung, er fungierte auch als Regisseur, schrieb das Drehbuch, filmte das Material, schnitt es zurecht und ist außerdem in der Hauptrolle als lethargisch wirkender Nesthocker zu sehen. Und wo Alter Ego Jack sich von seiner Puppe zu lösen versucht, da spürt man bei Karl die bedingungslose Liebe, die er Benny in jeder einzelnen Einstellung zuteil werden lässt.
Benny könnte dem Aussehen nach ein Neffe von Elmo sein: Etwa 40 Zentimeter groß, ein großer Eierkopf hockt auf einem plumpen Körper aus gekräuseltem roten Fell, über dem zwei Glubschaugen thronen und geistlos in die Ferne schielen. Die Schlappohren werden ebenso widerstandslos von der Schwerkraft angesogen wie die flattrigen Extremitäten, bei denen nie so ganz klar ist, wie sie überhaupt die Balance halten können. Benny stammt zwar offensichtlich überwiegend oder sogar ausschließlich aus dem Rechner, darf aber als geradezu brillante Verbeugung vor der Supermarionation-Animationstechnik und dem Puppentrick bezeichnet werden, denn die torkeligen Bewegungsabläufe sind in ihrer Unvollkommenheit nicht nur eine Ode an das alte, zerfledderte Stofftier aus unserer Kindheit, sondern auch die perfekte Illusion eines raffiniert ausgeführten Marionettenspiels. Pausenlos könnte man dem knuffigen kleinen Kerl dabei zusehen, wie er sein Messer spazieren führt und jede hingerichtete Leiche mit einem satten „Tadaaaa“ präsentiert, stolz auf das eigene Werk wie ein Kind, das gerade zum ersten Mal alleine auf dem Töpfchen war.
Schaut in den Trailer von “Benny Loves You”
httpv://www.youtube.com/watch?v=prFA0IuUtHU
Holt weiß um das Potenzial seiner Puppe und präsentiert sie, so oft er nur kann. Warum sollte er mit ihrer Präsenz auch haushalten, es handelt sich ja nicht um Suspense-Horror der düsteren Sorte, auch wenn der Soundtrack von Émoi („Willy’s Wonderland“) an „Nightmare on Elm Street“ erinnert und so die dunklen Ecken der übernatürlichen Slasher der 80er Jahre aufleben lässt. Vielmehr liefert Benny beinahe schon verdrehtes Sitcom-Material, wenn er morgens kopflose Leichen in der Küche drapiert und seinen Fleischkumpel bei einem Besuch der örtlichen Polizei zu einer spontanen Putzaktion zwingt, nur um dann abends zitternd mit einem Kissen vor dem Gesicht einen Horrorfilm in der Flimmerkiste anzusehen.
Zwar bleibt dadurch auf volle Filmlänge ein gewisses Maß an Wiederholung nicht ganz aus, zumal Bennys Wortschatz kaum aus mehr als vier, fünf Onelinern und jede Menge Gekicher besteht; vor allem in Sachen Jump Scares (und hier vor allem False Scares) hätte man zur Mitte hin gerne ein wenig auf die Bremse drücken können. Andererseits wird jeder einzelne Auftritt des Störenfrieds viel subversiver aufbereitet als man es von der Masse der Puppenhorrorfilme gewohnt ist, beinahe so, als würde Karl Holt immer eine Ecke weiter denken als seine Konkurrenten. In die Animationen und das Voice Acting fließen jedenfalls so viel Variation und Einfallsreichtum, dass Bennys Allgegenwärtigkeit nie zur Belastung für den Film wird, sondern ihn ganz im Gegenteil stets lebendig und durchweg komisch wirken lässt.
Jedoch bleiben die Spezialeffekte nicht etwa auf das rote Fellknäuel und seine üblen Schandtaten beschränkt, die von niedlich auf Puppen drapierten Dosenspaghetti bis hin zu einem deftigen Büro-Massaker jeden Abstraktionsgrad für den geneigten Splatterfreund zu bieten haben. Nein, neben Schlitzohr Benny kommt noch ein kleines Arsenal an blutrünstigem Spielzeug zum Zuge, das am besten als Toy-Story-Truppe aus einem bösen Paralleluniversum beschrieben ist… wie die „Demonic Toys“, mit dem Unterschied, dass im Finale Spielzeug gegen Spielzeug antritt. Ein echter Clou in Bezug auf die visuelle Komposition ist dabei die Idee, einen humanoiden Roboter mit ultrarealistischen Bewegungen gegen Benny antreten zu lassen, dessen hilfloses Gestrampel jeder Physik trotzt, was gerade durch die Gegenüberstellung mit dem fließend animierten Hi-Tech-Roboter um so absurder wirkt. So erreicht der Film bei der visuellen Kreativität sogar ein absolutes Alleinstellungsmerkmal.
Weniger ambitioniert zeigt sich „Benny Loves You“, wenn es um die möglicherweise hinter dem Splatter-Spaß schlummernde psychoanalytische Substanz geht. Holt liefert in der Hauptrolle als verweichlichter Schluffi eine recht sympathische Performance, hat aber offenbar kein Interesse daran, allzu tief in die Abgründe seines Charakterprofils einzutauchen und die seltsame Beziehung zum eigenen Stofftier zu dekonstruieren. Mit Claire Cartwright holt er sich eine erfrischend lockere Co-Darstellerin an seine Seite, die ganz in Tradition britischer Comedy steht und in mancher Hinsicht an eine Katherine Parkinson („The IT Crowd“) oder Miranda Hart („Miranda“) erinnert. Die Chemie zwischen den Beiden geht in Ordnung, hätte aber noch wesentlich stärker ausfallen können, wenn man der Hauptfigur noch ein wenig stärker auf den Grund gegangen wäre.
Dabei ist es ja keineswegs so, dass es in „Benny Loves You“ ganz und gar oberflächlich zugehen würde. Eingebildete Schnepfen bekommen ebenso ihr Fett weg wie arrogante Chefs und hinterhältige Kollegen, spießbürgerliche Angehörige der älteren Generation, die manipulative Werbebranche oder das wenig schmeichelhaft dargestellte Polizeihandwerk. Benny ist vielleicht deswegen so liebenswert, weil all diese Auswüchse des normalen Lebens einfach an ihm abprallen und er angetrieben durch primitive Instinkte jene Anarchie auslebt, die wir irgendwann verloren haben, als wir erwachsen wurden. Ob man dazu nun Ernie anfeuert, wenn er Bert in den Wahnsinn treibt, oder Benny, wenn er mit dem Staubsauger überflüssige Gedärme abtransportiert… der therapeutische Effekt ist der gleiche.
„Benny Loves You“ kann seit kurzem als Video on Demand über diverse Portale gestreamt werden. Doch auch Freunde physischer Veröffentlichungen müssen nicht in die Röhre schauen. Pierrot Le Fou / Al!ve veröffentlichten Ende August eine DVD, eine Blu-ray und ein Mediabook mit beiden Formaten und 24-seitigem Booklet, das unter anderem ein Interview mit dem Regisseur bietet. Highlight des Bonusmaterials ist eine fast 90-minütige Behind-the-Scenes-Featurette, außerdem gibt es fast 20 Minuten gelöschte Szenen zu bestaunen sowie einen Audiokommentar mit Karl Holt und Koproduzent John Bowe zu hören. Trailer und Teaser sind ebenfalls an Bord.
Bildergalerie
Sascha Ganser (Vince)
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