Originaltitel: Droste no hate de bokura__Herstellungsland: Japan__Erscheinungsjahr: 2020__Regie: Junta Yamaguchi__Darsteller: Kazunari Tosa, Riko Fujitani, Gôta Ishida, Masashi Suwa, Yoshifumi Sakai, Haruki Nakagawa, Munenori Nagano, Takashi Sumita, Chikara Honda, Aki Asakura u.a. |
Als Produktionsdesigner haben sie dir auch schon mal größere Herausforderungen aufgehalst. Da kannst du dich diesmal nun wirklich nicht beschweren. Schau, da nimmst’ einfach ein leeres Lokal und ein Schlafzimmer mit ein bisserl Krimskrams drin, eine Treppe als Verbindungsstück zwischen den zwei Räumen und zwei Monitore. Da kann der Regisseur dann ein paar weitgehend unbekannte Nasen auf das Set schubsen, und die können dann auf die Monitore starren. Einfacher wird’s in diesem Job nicht mehr, oder?
Wie das aber so ist im Leben: Wenn es einer einfach hat, dann gibt es garantiert immer jemand anderen mit der Arschkarte. Die geht diesmal an den Drehbuchautoren. Der muss es ja jetzt irgendwie rausreißen mit einem wahren Geniestreich. Die recht schmucklose Verpackung will mit spektakulärem Inhalt gefüllt werden. Und als Vorgabe bekommt er nichts anderes als diese zwei dusseligen Monitore, mit denen man zwei Minuten in die Zukunft blicken kann. Nicht zwei Jahre, zwei Wochen oder zwei Stunden, nein, zwei Minuten.
Das mag für eine Suppenterrine reichen, für einen Quickie oder einen Rob-Zombie-Song. Wer Übung hat, hält vielleicht auch so lange die Luft an. Aber kann es gleich einen ganzen Film tragen? Gerade weil die Prämisse von „Beyond the Infinite Two Minutes“ so ungeeignet scheint für alles, was über einen Videoclip hinausgeht, ist sie natürlich auch wieder reizvoll. Denn nun will man ja erst recht mit eigenen Augen erleben, wie sich so ein winziges Zeitfenster zu einem mächtigen Panoramaglasdach ausfaltet.
Das Nebeneinander aus Low-Fi-Produktionsdesign und ambitioniertem Drehbuch erinnert in gewisser Hinsicht an Indies wie „Coherence“, „Primer“ oder „The Man From Earth“, teilt aber nicht deren intellektuelle Herangehensweise. Das Figurenrepertoire entstammt einfachen Verhältnissen und repräsentiert gewissermaßen die Bevölkerungsmitte; dem Erstkontakt mit Zeitreise-Indizien nähern sie sich also eher mit der Neugier eines Kubrick’schen Affen als mit dem analytischen Ansatz des Wissenschaftlers, der gerade auf eine große Sache gestoßen ist. In der Konsequenz gerät der Handlungsablauf zum Trial-and-Error, bei dem das Potenzial der Entdeckung Stück für Stück sichtbarer wird, so dass sich ein exponentieller Sog entwickelt, der im späteren Verlauf für immer schnellere Entwicklungsschübe im Drehbuch sorgt.
Zunächst schlägt der Backtracking-Effekt aber mit aller Kraft zu. Jede Unterhaltung wird gleich zweimal heimgesucht, einmal aus jeder Perspektive der Kommunikanten, die sich jeweils in der Vergangenheit oder in der Zukunft befinden, wobei die Gegenwart diese zeitlichen Ebenen durch die Monitore miteinander synchronisiert. Auf Dauer führt das eine ermüdende Wirkung mit sich. Manch ungeduldige Natur wird womöglich irgendwann zur Skip-Taste greifen, wenn mal wieder ein nicht eben vor Substanz platzender Dialog noch ein zweites Mal abgespielt wird… zumal die Variabilität in der Bildgestaltung fehlt, um die zweite Szene über den Dialog hinaus interessant zu halten. Ferner wird zwar ein interessantes Dilemma thematisiert, das darin besteht, dass der Betrachter des eigenen zukünftigen Ichs durch den Wissensvorsprung eigentlich dazu neigen müsste, sich anders zu verhalten als vormals auf dem Bildschirm gesehen… was wiederum zu dem Paradoxon führen würde, dass man eigentlich nur dann die gleiche Situation zweimal erleben dürfte, wenn der Sprecher genau dies explizit beabsichtigte. Nur leider wird das Dilemma eher selten effektiv ausgespielt, akzeptieren die Figuren ihr vorbestimmtes Schicksal doch zumeist wie willenlose Zombies, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, hinter den Spiegel zu schauen. Das Skript behandelt sie wie Bausteine, die man von einem Feld zum nächsten schiebt, um die selbst gesetzten Ziele verfolgen zu können.
Wenn man sich ungeachtet des Fehlens optischer Reize und der typischen Ungereimtheiten von Zeitreise-Theorie auf den Stoff einlässt, kann man aber durchaus belohnt werden. Als sich ein paar experimentierfreudigere Charaktere zur Runde der Eingeweihten gesellen und durch ihre „Was passiert wenn“-Haltung immer wieder kleine Quantensprünge im Umgang mit der Zeitspule vollziehen, geht „Beyond the Infinite Two Minutes“ in seine beste Phase, denn nun wird die Prämisse auf originelle Art dem Praxistest unterzogen. Mit Entdeckerfreude werden jetzt die Möglichkeiten von Raum und Zeit miteinander kombiniert und zu begehbaren Wegen umfunktioniert, so dass sich daraus auch gleich wieder neue Möglichkeiten ergeben. Weil im Zuge dessen auch das Tempo anzieht, hofft man auf einen satten Knall mit begleitender Pointe zum Ausgang. Leider machen in der Schlussphase beliebig wirkende, redundante Impulse von außerhalb der Gruppe dem einen Strich durch die Rechnung. Dem Zwei-Minuten-Experiment, das bis dahin noch sukzessive an Faszination zulegte, fügen sie nichts Elementares hinzu, im Gegenteil sogar, sie bremsen es in seiner Entwicklung und lenken unnötig von seiner Essenz ab.
So völlig aus dem Nichts kommt diese schrullige kleine Produktion natürlich nicht. Obwohl sich die Themen radikal voneinander unterscheiden, teilt sie die Geisteshaltung mit dem Überraschungshit „One Cut Of The Dead“… wohl auch in der Hoffnung, dessen Erfolg damit wiederholen zu können. Das Risiko ist klein, die Chance groß, insofern überrascht es sogar, dass es seitdem bislang nur wenige Filme dieser Art aus Japan zu uns geschafft haben. Auch wenn der Überraschungseffekt des charmanten Amateurzombie-Metafilms von 2017 nicht ganz wiederholt werden kann, kitzelt auch „Beyond the Infinite Two Minutes“ mit seinen zwei Räumen und zwei Monitoren die Synapsen im Gehirn effektiver als die allermeisten Hollywood-Blockbuster mit ihren endlosen Welten der Imagination, erdacht und erschaffen von Aberhunderten von kreativen Köpfen im Hintergrund. Den kompletten Job übernimmt hier im Grunde ein einziger Kerl, der Typ mit der Arschkarte nämlich: Makoto Ueda, Drehbuchautor.
Informationen zur Veröffentlichung von “Beyond the Infinite Two Minutes”
Im Juni diesen Jahres erschien “Beyond the Infinite Two Minutes” in Deutschland über Busch Media im Mediabook mit Blu-ray und DVD. Der Hauptfilm kommt mit japanischem Originalton und deutscher Synchronisation jeweils in DTS-HD Master Audio 5.1 und hat deutsche Untertitel an Bord. Neben dem Hauptfilm enthalten ist ein Interview mit Regisseur Junta Yamaguchi (ca. 14 Min.), ein Making Of (ca. 18 Min.), der japanische und deutsche Trailer sowie Filmtipps. Die bereits 2021 erschienene britische Blu-ray der Asia-Experten von Third Window Films hatte zusätzlich noch den zugrundeliegenden Kurzfilm “Howling” zu bieten, der auf der deutschen Disc fehlt.
Schaut in den Film hinein
Der Trailer zu “Beyond the Infinite Two Minutes”
Sascha Ganser (Vince)
Was hältst du von dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
Copyright aller Filmbilder/Label: Busch Media Group / AL!VE__FSK Freigabe: ab 12__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Ja / Ja |