Originaltitel: Huang Tian Ba__Herstellungsland: Hongkong__Erscheinungsjahr: 1962__Regie: To Lung__Darsteller: Kai Yu, Bik-Ying Cheng, Yim Lam, Hark-Suen Lau, Sang Cheung, Man-Biu Bak, Jackie Chan, Sammo Hung, Yuen Wah, Ming-Tsai Wu u.a. |
Für verschollene Filme kann es die unterschiedlichsten Gründe geben. Das empfindliche Material könnte in einer Lagerhalle Feuer gefangen haben und einem Brand zum Opfer gefallen sein. Studios könnten sogar bewusst die Vernichtung der Filmrollen in Auftrag gegeben haben, um Platz zu schaffen oder Rohmaterialien zu gewinnen. Transporte schaffen schon grundsätzlich Risiken für allerlei Eventualitäten. Und wenn all dies nicht zutrifft, besorgt die Chemie den Rest. Das Material zerstört sich selbst – um so schneller, je weniger auf sachgemäße Lagerung geachtet wird.
Auch wenn der Mensch letztlich machtlos ist, was die Abwendung des Verfalls angeht, so ist die Nichtverfügbarkeit einer nicht mehr zählbaren Menge von filmischen Werken auf reine Kulturignoranz zurückzuführen, die vermutlich in der Frühzeit des Films sogar von den Schaffenden geteilt wurde. Wer noch Filme dreht in der Annahme, eine alternative Form der flüchtigen Bespaßung irgendwo zwischen Theater und Jahrmarktsattraktion zu bedienen, der kümmert sich nicht darum, was spätere Generationen in seine Arbeit hineindeuten könnten. Derjenige, der Geschichte schreibt, ist sich dessen während der Entstehung in aller Regel nicht bewusst – das ist die bittere Ironie, die bei der Bewahrung des Filmkulturerbes so viele Lücken verursacht hat.
Nehmen wir einmal „Big and Little Wong Tin-Bar“ aus dem Jahr 1962. Der Kostüm- und Kampfkunstfilm aus Hongkong galt über Jahrzehnte als verschollen, bis er im Jahr 2016 so selbstverständlich bei den gängigen Videoportalen auftauchte, als habe sich der Einsteller am selben Morgen gedacht: Heute ist der Tag gekommen, die Lücke mal zu schließen. Nein, da war kein Filmprofessor mit Peitsche und Fedora, der eine Filmrolle von einem steinernen Altar entführte und von Eingeborenen gejagt ins Museum seiner Heimat eskortierte. Lediglich ein anonymer User, der ein sepiafarbenes Video-Dokument hinterließ und danach wieder im Nichts verschwand. Seine Motivation bleibt unklar; möglicherweise hat sie aber etwas mit dem Namen „Jackie Chan“ zu tun.
Denn „Big and Little Wong Tin-Bar“ ist das Filmdebüt des siebenjährigen Yuen Lau, der später bei einer Zwischenstation auf dem Bau den Namen „Little Jack“ erhielt und nochmals später zum internationalen Superstar des Martial-Arts-Films aufsteigen würde – eine Entwicklung, die im Jahr 1962 niemand, weder der Regisseur noch die Statisten noch die Eltern oder Lehrer der Opernschule, vorhersehen konnten. Neben Jackie Chan („The Foreigner“) sind im wuselnden Pulk der hyperaktiven Kinderdarsteller außerdem Sammo Hung („Dragon Squad“), Yuen Wah (Schnurrbart-Fiesling zahlloser Kampfsportfilme, zB. “The Master“) und Wu Ming-Tsai („Regen in den Bergen“) zu finden; Grund genug, die Rolle aus den Archiven zu bergen, in denen sie all die Zeit ihren Dornröschenschlaf verbrachte.
Die fehlende Romantik einer glorreichen Wiederentdeckungszeremonie wie etwa beim Fund der Langfassung von Fritz Langs „Metropolis“ im Jahr 2008 muss man akzeptieren. Trotz allem: Wenn man sich bereits durch mehr als 100 Spielfilme Jackie Chans gewühlt hat mit all den wahnwitzigen Stunts und kindlichen Gags, diesem ewigen Nebeneinander höchster Disziplin und kindlicher Ausgelassenheit, verursacht die Möglichkeit zur Rückkehr an den verloren geglaubten Ursprung ein gewisses Hochgefühl, Geschichte könne sich manchmal eben doch komplettieren. Momentan ist der Film lediglich in einem Zustand verfügbar, der keinerlei Rücksicht auf den Konsumenten nimmt. Das Schwarzweiß-Bild ist von Laufstreifen durchzogen, die sich wie ein Vorhang aus Dauerregen über das Abgefilmte legen; Schmutzpartikel surren wie lästige Fliegen durchs Bild. Je nach Version hat man in der unteren und oberen Ecke auch noch eingebrannte Tags zu ignorieren. Massive Unschärfen sind natürlich inbegriffen, in einigen Momenten deuten sich mit der Stop-and-Go-Ästhetik des Stummfilms auch Filmrisse an, die an der wahrhaftigen Vollständigkeit der etwa 106-minütigen Version noch Restzweifel lassen. Eine Tonspur ist immerhin gemeinsam mit dem Bild erhalten geblieben, doch das kantonesische Mono ist verwaschen und wirkt übersteuert – wenn die Akteure mal etwas lauter werden, löst sich das Organische in einer Dusche aus digitalen Artefakten auf. Untertitel für jene Bevölkerung, die des Kantonesischen nicht Herr ist, wurden zumindest bis zum Tag dieser Besprechung ebenfalls keine angefertigt. Schon der fehlenden Sprachkenntnisse wegen kann es sich hier also nicht um eine vollwertige Rezension handeln, sondern nur eine unverbindliche Beobachtung dessen, was zur Verfügung steht.
In Bezug auf den Werdegang der „Seven Little Fortunes“, denen sowohl Jackie Chan als auch Sammo Hung und Yuen Wah angehörten, aber auch in Bezug auf die Filmkultur Hongkongs, das in den 60er Jahren starken gesellschaftlichen Veränderungen unterlag, erweist sich „Big and Little Wong Tin-Bar“ als ertragreich. Gedreht zwei Jahre vor Beginn der Kulturrevolution, markiert er nicht nur Jackie Chans Filmdebüt, sondern auch den Beginn seiner Zeit in der Peking Opera School, die seine Karriere in Vertretung seines Lehrmeisters Yu Jim-Yuen wohl mehr geprägt hat als jede andere seiner Lebenserfahrungen. Der Film kann in seinem Ablauf zunächst als eine Entsprechung des Lehrstoffs aus der Opernschule betrachtet werden. Geboten wird eine fließende Mischung aus Schauspiel, Kampfchoreografien, Akrobatik und Gesang, und zwar im Austausch der Generationen. Erwachsene in teils sonderlicher Verkleidung (auffallend vor allem ein älterer Mann mit dicker schwarzer Hornbrille, die sich regelmäßig bewegt, als sei sie ein eigenes Körperteil) befinden sich im gleichen Raum mit nur halb so großen Burschen, die wuselnd und wirbelnd von einer Ecke des Bildes in die andere hüpfen. Die Älteren sitzen zumeist gesammelt an ihrem Tisch und beobachten das Spektakel kommentierend. Regelmäßig vermischen sich die beiden Altersgruppen; wenn nicht zum gemeinsamen Speisen, dann, um gegeneinander anzutreten. Ohne Frage: Dies ist ein Prototyp für die in den 70er Jahren so populär gewordenen Kung-Fu-Ausbildungsfilme, nur ohne deren Einsamer-Krieger-Attitüde.
Das Szenenbild wirkt aufgrund der vielen Darsteller und der detailreichen Verzierungen der Kostüme und der Möbel sehr opulent und scheint noch von der Zeit vor der Kulturrevolution geprägt, betont es doch das Festliche und Traditionelle, in dessen Rahmen sich die Darstellungskunst bewegen sollte. Tatsächlich jedoch ist das Set mit ein paar Tischen, Stühlen, einem Satz Gardinen und Raumteilern spartanisch gehalten. Die Umgebung wird zur statischen Dekoration, um die Akteure entsprechend in Szene zu setzen. Deren Bewegungsabläufe sind es, die jedwede Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen. Dem Umgang mit Siebenjährigen entsprechend, sind die Bewegungen vergleichsweise langsam koordiniert und mit aller gebührenden Vorsicht umgesetzt; dennoch überrascht die Körperkontrolle der Kleinkinder, die in mancher Pose den erwachsenen Profis verblüffend ähneln.
Chan selbst in dem Gewirr aus Armen, Beinen und schelmisch grinsenden Pausbacken zu entdecken, ist nicht ganz einfach, aber auch nicht allzu relevant, treten die „Seven Little Valiant Warriors“ doch hauptsächlich als Gruppe im Stil der „kleinen Strolche“ in Erscheinung. Dabei spielt sich mit Yuen Man Meng einer der weniger bekannten Namen zum Anführer der Knilche auf, seiner schelmischen Alfalfa-Visage zum Dank.
So manche Albernheit wird den kleinen Kriegern durchgelassen, denn Regisseur To Lung nimmt sich einmal auch die Zeit, ihnen ohne Erwachsene zu folgen. Wenn es allerdings ans Eingemachte geht, werden sie durchaus als Bestandteil der Erwachsenenwelt behandelt. Es werden Duelle vom Format David gegen Goliath geboten, auch Symbolisches fließt ein, als sich ein Mann dem kompletten Kleingemüse im Tauziehen stellt. Um die Fähigkeiten der Talente zu unterstreichen, werden bisweilen sogar Spezialeffekte oder ungewöhnliche Kameraperspektiven verwendet. Bei einigen Sprungeinlagen würde man Wirework vermuten, in einer Szene gegen Ende wird ein Manöver mit einer großen Flagge aus zwei Kameraperspektiven gezeigt.
Unerwarteterweise wird der genügsame Theaterrahmen mit der Zeit jedoch aufgebrochen. Zuerst sind es kleine Impulse von außen, durch die sich die Situation ändert; Eindringlinge im Ninja-Stil, ein Gefängnis, dessen mit Eisenspitzen behangene Decke sich senkt. Wohl kaum hätte man jedoch erwartet, im weiteren Verlauf eine feuerspuckende Echse aus einer Höhle torkeln zu sehen, der man zur Krönung anscheinend auch noch den originalen Godzilla-Schrei in den Mund gelegt hat. Die Fantasy-Elemente mit relativ aktuellem Bezug (das „Godzilla“-Original war damals acht Jahre alt, im selben Jahr erschien der dritte Teil der Reihe) scheinen hier als humorvolle Metapher für die Herausforderungen des Lebens zu stehen, auf dessen Tücken die Schule vorbereiten soll.
Von Interesse ist „Big and Little Wong Tin-Bar“ heute natürlich nicht wegen solcher Skurrilitäten (derer gibt es reichlich in augenscheinlich wesentlich besseren Filmen), sondern hauptsächlich wegen eines bestimmten Darstellers, der damals bloß ein noch nicht ausgebrütetes Ei von vielen war und heute eine Legende seines Fachs. Während Jackie Chan hier aber tatsächlich einfach nur ein kleines Kind ist, beginnt sein Filmdebüt jenseits der rein filmischen Parameter vor allem als historisches Dokument zu wirken. Die Wiederentdeckung von 2016 war wertvoll, bei weitem aber nicht nur, um Chans Karriere besser einzuordnen…
—- **KEINE WERTUNG** —-
Informationen zur Veröffentlichung von “Big and Little Wong Tin-Bar”
Der Film galt als verschollen, bevor er im Jahr 2016 auf gängigen Videoportalen hochgeladen wurde. Eine Fassung verfügt über feste chinesische Untertitel, die andere hat keinerlei Untertitel zur Verfügung. Über die Existenz einer Veröffentlichung auf einem Datenträger ist bislang nichts bekannt.
Sascha Ganser (Vince)
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