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Boston

Originaltitel: Patriots Day__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2016__Regie: Peter Berg__Darsteller: Mark Wahlberg, John Goodman, Kevin Bacon, J.K. Simmons, Michelle Monaghan, Melissa Benoist, Rachel Brosnahan, Michael Beach, Alex Wolff, Lana Condor, Khandi Alexander u.a.
Boston

Mark Wahlberg und Peter Berg widmen sich erneut jüngerer amerikanischer Geschichte in “Boston”.

Am Montag, den 15. April 2013, schleppt sich Police Sergeant Tommy Saunders humpelnd und wetternd über das inzwischen abgesperrte Gelände, wo in wenigen Minuten der Bostoner Marathon starten soll. Tommy ist wütend, wurde er doch zu diesem Einsatz strafversetzt. Immerhin hat er einem Kollegen, wie er selbst sagt, die Zähne eingetreten… und sich dabei das Bein verdreht. Nun muss er sich das ungeliebte „Clownskostüm“ der Straßencops anziehen. Welche diverse Gehaltsstufen unter seinem eigentlichen Rang firmieren. Aber Tommy darf sich nicht beschweren…

Er hofft, das Großereignis möglichst schadlos hinter sich zu bringen. Und lange Zeit scheint auch alles super zu laufen. Nur ab und an muss er ordnend eingreifen und diversen Kollegen in den Arsch treten, dass sie ihrem Job nachgehen. Zudem sind die schnellsten Läufer schon längst über die Ziellinie gelaufen. Der Tag kann nicht mehr lange dauern. Tommy will nur noch heim, seine Beinschiene abnehmen und ein heißes Bad genießen.

Auf einmal gibt es einen lauten Knall. Eine Staubwolke breitet sich schlagartig aus. Menschen schreien. Tommy realisiert wie seine Kollegen erst Sekunden später, was eigentlich passiert ist. Da knallt es wenige Meter weiter noch einmal ohrenbetäubend. Tommy ist klar, dass hier zwei Sprengsätze gezündet wurden. Er beginnt, Befehle zu bellen, treibt seine Kollegen an und versucht alles, die Leute aus der Gefahrenzone zu bringen. Immerhin könnten da noch mehr Sprengsätze sein…

Der Trailer zu dem Thriller „Boston“

httpv://www.youtube.com/watch?v=G5VkTNx0kjQ

Regisseur Peter Berg taucht nun tief ein in das Chaos. Zeigt überforderte Helfer, verzweifelte Opfer, Blut, abgerissene Körperteile… und im Gegenschnitt die Bombenleger, die mit Bedauern feststellen, dass ihre Bomben nicht den erhofften tödlichen Impact hatten. Drei Tode gibt es dennoch zu beklagen. Peter Berg, sonst eher im Michael-Bay-Modus, wenn es um die Bebilderung jüngerer amerikanischer Geschichte geht (siehe „Lone Survivor“ oder die Action-Kettenreaktion „Deepwater Horizon“), inszeniert den Anschlag beinahe zurückhaltend. Dokumentierend. Explosion zwei etwa wird von den aufgefahrenen Stilmitteln beinahe verschluckt. Die wenig filmische Musik von Trent Reznor und Atticus Ross, die eher aus schwer zuzuordnenden Geräuschen denn aus Noten und klaren Takten zu bestehen scheint, unterstreicht den nüchternen Erzählstil von „Boston“.

Boston

Tommy und seine Frau, die bei dem Anschlag auf den Bostoner Marathon ebenfalls in Gefahr geraten wird.

Der sich im weiteren Verlauf auch kaum ändern wird. Peter Berg verzichtet auf Helden, räumt dem Zufall viel Raum ein und arbeitet die Ereignisse chronologisch ab. Wir sind dabei, wie das FBI die Ermittlungen übernimmt (Kevin Bacon führt die Truppe an), da der Anschlag schnell als terroristischer Akt deklariert wird. Überfordert vom Druck der Gesellschaft, die Aufklärung und Bestrafung fordert, bleiben auch die FBI-Agenten menschlich, fehlbar, nervös, hadernd. Wie der Held Tommy Saunders, mit viel Understatement von Mark Wahlberg gegeben. Eine fiktionale Figur, an der sich der Zuschauer festhalten soll. Angenehm störrisch gezeichnet vom Drehbuch. Ein Mensch, der immer wieder eingenordet werden muss, der gerne einen trinkt, flucht und gerne auch mal in die falsche Richtung losstürmt.

Und die Identifikation klappt gut, denn wie Tommy ist man sauer. Sauer auf das Unfassbare. Sauer auf die Täter. Auf die der Film irgendwann stark fokussiert. Nicht zu seinem Vorteil. Denn man möchte den beiden nicht beiwohnen. Man möchte nicht sehen, wie lapidar sie mit ihrem Tun umgehen. Wie beiläufig sie weitere Menschen aus dem Leben reißen und gefährden. Es schmerzt fast, den beiden zuzuschauen.

Boston

Die ermittelnden Behörden stehen zunehmend unter Druck…

Und dann ist da wieder der Zufall. Lässt Polizisten und Terroristen aufeinanderprallen. Kurz blitzt dann in Peter Bergs Regie der Michael-Bay-Modus auf. Zunächst mit Handfeuerwaffen bestritten, artet die Konfrontation zu einem regelrechten Straßenkrieg aus, in dem Sturmgewehre das Sagen haben und Rohrbomben verteilt werden wie Kamelle beim Karneval. Autos explodieren, Menschen werden umher geschleudert. Ganz kann Peter Berg nicht aus seiner Haut. Doch nach dieser langen Einlage, perfekt inszeniert und mitreißend in ihrer technischen Umsetzung, schaltet Berg wieder einige Gänge runter. Und packt einen irre antiklimaktischen Showdown an seinen Film.

Und am Ende sind da immer noch keine Helden geboren. Vielmehr sind da Männer und Frauen, Väter und Mütter, die nach tagelangen, intensiven Ermittlungen zu ihren Familien zurückkehren. Natürlich feiern die Einwohner Bostons in den Straßen, natürlich werden die Ermittler Tage später von der Stadt für ihre Verdienste gefeiert. Aber da ist nichts Heldenhaftes. Eine Handvoll Menschen ist tot. Eine noch viel größere Zahl wurde schwer verletzt. Und ein Ende des Terrors ist nicht abzusehen…

Boston

Tommy kann nicht fassen, was passiert ist.

Peter Berg versucht sich in „Boston“ erstmals als nüchterner Chronist. Sein stark besetzter (unter anderem noch John Goodman, J.K. Simmons, Michelle Monaghan und „Supergirl“ Melissa Benoist) „Boston“ will nicht unterhalten. Sein „Boston“ will nicht spektakulär sein. Sein „Boston“ sucht nicht nach Helden. Vermutlich ist es die nach wie vor unmittelbare Nähe zu den Ereignissen, die Berg haben so umsichtig agieren lassen. Diese Umsicht sorgt dafür, dass „Boston“ nicht in die Pathosfalle tappt, den Patriotismus im Rahmen hält und sich letzten Endes erstaunlich reif anfühlt. Und ein wenig unbequem. Auch weil er den Zuschauer durch seine nüchterne Bebilderung der Ereignisse immer mal wieder von sich wegstößt. Gefühlt auf eine klare Spannungsdramaturgie verzichtet. Und bei weitem nicht alle Register zieht, um das Publikum richtig zu packen und mitzureißen… und zwar bewusst! Man darf sicher gespannt sein, wie David Gordon Green und Jake Gyllenhaal das Thema in „Stronger“ angehen werden. Die Messlatte liegt aufgrund von Bergs „Boston“ ziemlich weit oben.

7 von 10

„Boston“ läuft seit dem 23. Februar 2017 in den deutschen Kinos, kommt von dem Label Studiocanal und ist mit einer FSK 12 Freigabe ungeschnitten.

In diesem Sinne:
freeman

Was meint ihr zu dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love

Copyright aller Filmbilder/Label: Studiocanal__Freigabe: FSK 12__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein, seit dem 23.2.2017 in den deutschen Kinos

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