Mit „Brutale Stadt“ überträgt Regisseur Sergio Sollima Atmosphäre des Italowestern in ein gegenwärtiges Setting. Charles Bronson ist mal wieder in seiner Paraderolle als schweigsamer Killer besetzt, der in diesem Film nicht weiß, ob er seiner Geliebten über den Weg trauen kann und in ein Netz aus Intrigen gerät.
Originaltitel: Città violenta__Herstellungsland: Italien/Frankreich__Erscheinungsjahr: 1970__Regie: Sergio Sollima__Darsteller: Charles Bronson, Jill Ireland, Michel Constantin, Telly Savalas, Umberto Orsini, George Savalas, Ray Saunders, Benjamin Levy, Peter Dane, George Savalas, Beryl Salvatore, Goffredo Unger u.a. |
1970, zwei Jahre nach seinem Riesenerfolg mit „Spiel mir das Lied vom Tod“, hatte Charles Bronson das vielleicht produktivste Jahr seiner Karriere, denn gleich fünf Filme mit ihm in Hauptrollen erblickten das Licht der Leinwand, darunter „Brutale Stadt“.
Da Bronson zu diesem Zeitpunkt in Europa ein größerer Star als in seiner amerikanischen Heimat war, drehte er sowohl US- als auch Euro-Produktionen. „Brutale Stadt“, eine französisch-italienische Co-Produktion, wurde von Sergio Sollima inszeniert, der vor allem mit seiner Italowestern-Trilogie aus „Der Gehetzte der Sierra Madre“, „Von Angesicht zu Angesicht“ und „Lauf um dein Leben“ für Aufsehen gesorgt hatte. Sollima verschwendet keine Zeit, steigt direkt ins Geschehen ein: Profikiller Jeff Heston (Charles Bronson) und Gespielin Vanessa Shelton (Jill Ireland) machen Urlaub auf den Jungferninseln, doch nach idyllischen Bildern während der Credits werden sie angegriffen. Es kommt zu einer rasanten Verfolgungsjagd, an deren Ende Jeff erst von seinem früheren Auftraggeber Jerry Coogan niedergeschossen wird und dann noch sehen muss, wie Vanessa zu diesem ins Auto steigt.
Viele dieser Infos erhält man erst nach dem Auftakt, der teilweise in der Art eines Fiebertraums inszeniert ist und in dem der Protagonist über weite Strecken kein Wort spricht. Der verletzte Jeff wandert danach erst einmal für zwei Jahre in den Bau, während Rückblenden erklären, dass Jerry ihn zuvor angeheuert für den Mord an seinem Onkel angeheuert hatte, der Jerry zu Reichtum zu brachte. Wie viele der Western- und Actionhelden, die Bronson davor und danach verkörperte, wartet auch Jeff in Ruhe auf den Tag der Rache.
Mit Jerry rechnet der Auftragsmörder nach seiner Freilassung schnell ab, bei Vanessa fällt ihm das schwer, da er immer noch große Gefühle für sie hat. Diese ist jedoch mit dem Gangsterboss Al Weber (Telly Savalas) verheiratet, der Jeff gern für seine Organisation anheuern möchte…
Schaut euch den Trailer zu „Brutale Stadt“ an
„Brutale Stadt“ bringt das Flair des Italowestern in den Gangsterfilm und präsentiert eine Dog-Eat-Dog-Welt, in der vor allem die Stärkeren und Gerisseneren sich durchsetzen. Neffen lassen ihre Onkel für Geld ermorden, Partner hintergehen sich, Untergebene intrigieren gegen ihre Bosse – es gibt keine einzige ehrliche Haut in „Brutale Stadt“. Jeff setzt sich vom Rest allenfalls dadurch ab, dass er noch einen gewissen Ehrenkodex hat, doch Sollima und seine drei Co-Drehbuchautoren, darunter sogar Lina Wertmüller („Diese vitale Wut“), macht klar, dass er immer noch ein bezahlter Meuchelmörder ist, der ebenfalls nicht vor Intrigen sicher ist, obwohl er in diese Welt mehr hineingeworfen ist als dass er sie aktiv sucht. Eine weitere Westernparallele ist die Verpflichtung vom Komponist Ennio Morricone, der auch diesen Film gelungen vertont, wobei sein bestes Stück hier die Untermalung einer Verfolgungsjagd zu Fuß ist, in der er rhythmische Atemgeräusche einsetzt.
Ursprünglich hatte Morricone auch einen Score für das bittere Finale geschrieben, doch Sollima entschied sich für den gegenteiligen Weg – bis auf ein paar vereinzelte Geräusche herrscht dort Stille, was es umso wirkmächtiger macht. Es ist der konsequente Schlusspunkt, kommt ohne allzu große Action aus. Denn Sollima inszeniert seinen Star nicht als den großen Umleger, sondern baut nur ein paar kurze Schusswechsel und Mordattentate ein – Jeff ist präzise und eiskalt, setzt eher auf den Fangschuss als auf das große Gefecht. Dazu passt der explosive Auftakt als größte Actionsequenz: Es ist einer der Punkte, an denen Jeff mal nicht die Kontrolle hat und die Dinge eskalieren. Bisweilen übertreibt es Sollima allerdings auch mit dem Ausspielen von Jeffs Präzision: Die überlange Szene, in der Jeff sein Racheopfer Jerry auf einer Rennstrecke beobachtet und schlussendlich tötet, ist in ihrem Detailreichtum und ihrer Warterei irgendwann nicht mehr spannend, sondern eher zäh.
Während „Brutale Stadt“ mit seiner nihilistischen Atmosphäre stilistisch eine gerade Linie findet, sieht es dramaturgisch weniger gut aus. Vom Rachethriller wandelt sich das Ganze zum Ränkespiel und Gangsterfilm, wirft mit Plottwists um sich, wenn eigentlich so gut wie jeder Figur noch einen Geheimplan verfolgt. Manches wird dabei überschwänglich wortreich geklärt, anderes dagegen so kurz abgehandelt, dass man sich die Zusammenhänge selbst zusammenreimen muss, etwa wenn man Jeff einen Mordauftrag gewissermaßen durch die Blume erhält. Durchwachsen ist die Rückblendenstruktur des Films, die wichtige Ereignisse aus der jüngeren Vergangenheit Jeffs und Vanessas gerne mal per Flashback nachreicht: Manches vertieft die Charaktere, anderes ist überlang ohne dabei neue oder wichtige Informationen zu transportieren. Zumal man sich angesichts der zahllosen Betrügereien fragen muss, ob denn wirklich jede Schilderung der Wahrheit entspricht. Denn die zentrale Frage von „Brutale Stadt“ ist die: Kann Jeff seiner großen Liebe vertrauen? Vanessa könnte ein hilfloses Blatt im Wind, eine geschickte Manipulatorin oder irgendetwas dazwischen sein.
In dieser Rolle geht Jill Ireland („Ein Mann räumt auf“) – sonst oft eine eher limitierte Schauspielerin – geht in der Rolle des undurchsichtigen Gangsterliebchens wirklich auf und lässt das Publikum zusammen mit dem Protagonisten raten, wer diese Vanessa nun wirklich ist. Ihr Gatte Charles Bronson („Wenn die Hölle losbricht“) ist als eiskalter Killer zudem in einer Paraderolle besetzt und kann als schweigsamer Profi punkten. Ausgerechnet in den intimen Szenen mit Ireland strauchelt der Tough Guy allerdings: Den Romantiker, den unglücklich Verliebten will man ihm nicht so recht abkaufen, auch wenn Sollima die Beziehung als turbulent bis toxisch inszeniert, ein Liebesspiel der beiden als eine Art Gewaltakt in Szene setzt. Als besonders stark erweist sich Telly Savalas („Unternehmen Capricorn“) als Gangsterboss, der leider erst spät zum Film stößt: Wenn er mit süffisanter Überheblichkeit agiert, in einer Szene die Karriere eines populären Fernsehjournalisten mit einem einzigen Satz zerstört, dann verströmt ein unglaubliches Charisma. Von den Nebendarstellern ist dagegen eigentlich nur Umberto Osini („Der Antichrist“) als schmieriger Anwalt Steve noch erwähnenswert.
So hat Sollimas Gangsterfilm mit Italowestern-Sensibilitäten sicherlich seinen Reiz durch seine nihilistische Stimmung und einige sehr starke Passagen, gerade das famose Finale. Das kann allerdings nicht verhehlen, dass der Film leider seine Längen hat und dramaturgisch uneben ist. Durchaus interessant, gerade auf stilistischer Ebene, aber kein Film, der große Begeisterungsstürme auslöst.
Knappe:
Koch Media hat „Brutale Stadt“ hierzulande auf DVD veröffentlicht. Es existieren jedoch zwei Fassungen: Die ab 16 Jahren freigegebenen DVDs sind um rund zwei Minuten gekürzt, die ungeprüfte Uncut-Auflage ist an dem Aufdruck „Special Uncut Edition“ zu erkennen. Als Bonus gibt es Trailer, eine Bildergalerie und ein Interview mit Regisseur Sergio Sollima.
© Nils Bothmann (McClane)
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