„Candyman“ von Regisseurin/Co-Autorin Nia DaCosta und Co-Autor/Produzent Jordan Peele ist halb Fortsetzung, halb Reboot des Klassikers. In dem teilweise gentrifizierten Ex-Brennpunktviertel Cabrini Green stößt ein junger Künstler auf die Geschichte von Helen Lyle und den Mythos von Candyman, bringt den Killer mit Hakenhand wieder ins kollektive Bewusstsein und beschwört ihn so erneut herauf.
Originaltitel: Candyman__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2021__Regie: Nia DaCosta__Darsteller: Yahya Abdul-Mateen II, Teyonah Parris, Nathan Stewart-Jarrett, Colman Domingo, Kyle Kaminsky, Vanessa Williams, Rebecca Spence, Carl Clemons-Hopkins, Brian King, Miriam Moss, Tony Todd u.a. |

Die Neuauflage „Candyman“ ist halb Reboot, halb Sequel des Klassikers von 1992
Ein aktueller Trend, gerade im Horrorbereich, sind späte Sequels, die halb Fortsetzung, halb Reboot sind, etwa „Halloween“ von 2018. Ähnlich verhält es sich bei „Candyman“, der (im Original) den gleichen Titel wie der Erstling von 1992 trägt und sich primär auf diesen bezieht.
Der Auftakt spielt in den 1970ern, als die Siedlung Cabrini Green noch nicht ganz so verkommen wie im Erstling war, aber bereits ein Problemviertel. Ein Bonbons verteilender Schwarzer mit Hakenhand wird als Mörder gesucht, dem ein Junge im Waschkeller begegnet und durch Geschrei die Polizei alarmiert. Anschließend springt „Candyman“ in die Gegenwart und invertiert dabei den Auftakt des Erstlings: Sah man dort während einer Kamerafahrt von oben auf die geschäftige Stadt unter sich, so fährt die Kamera nun auf Bodenhöhe durch die Stadt und blickt nach oben, sodass man sehen kann, wie die Spitzen der Wolkenkratzer in den Himmel ragen.
Cabrini Green ist inzwischen gentrifiziert, die alten Häuser teilweise abgerissen und durch neue Luxuswohnungen ersetzt worden. Hier wohnt auch der Künstler Anthony McCoy (Yahya Abdul-Mateen II) mit seiner Freundin, der Galeristin Brianna Cartwright (Teyonah Parris). Anthony leidet jedoch unter einer künstlerischen Blockade, hat seit zwei Jahren keines neues Bild mehr fertig gestellt. Also sucht er in Cabrini Green und dessen dunkleren Ecken nach Inspiration, was wie ein Mix aus Clive Barkers ursprüngliche Kurzgeschichte „The Forbidden“ und der Erstverfilmung anmutet: Bei Barker wurde zu Graffitikunst geforscht, in Bernard Roses Film zu urbanen Legenden, hier ist es gewissermaßen beides, die Suche eines sozial interessierten Künstlers nach relevanten Themen.
Anthony stößt dabei auf die Legende des Candyman, der jene holen soll, die seinen Namen fünfmal vor dem Spiegel sagen. Auch von Helen Lyles Forschung erfährt er, verarbeitet den Candyman-Mythos jedoch vor allem in einem Kunstwerk. Schon bald trauen sich die ersten Candymans Namen fünfmal vorm Spiegel zu sagen, bald gibt es die ersten Toten und Anthony beginnt sich unter dem Einfluss des Killers aus dem Jenseits zu verändern…
httpv://www.youtube.com/watch?v=QksPW-k_Ki0

Maler Anthony McCoy (Yahya Abdul-Mateen II) muss auf unheimliche Weise feststellen, dass Candyman mehr als nur ein Mythos ist
„Candyman“ folgt der Blaupause des Erstlings ziemlich genau. War es dort eine weiße Frau, in deren Umfeld lauter grausige Morde durch den Hakenmann verübt wurden, die sogar selbst als Täterin in Frage kam (vor allem für die Polizei), so ist es hier ein schwarzer Mann. Das geht mit der Spiegelung vieler Momente aus dem Erstling einher, angefangen bei der erwähnten Skyline-Betrachtung. Starben im Erstling größtenteils Schwarze durch den Candyman, der „seine Gemeinde“ in Furcht versetzte, so sind es hier eigentlich nur weiße Figuren, die den Haken zu spüren bekommen, nachdem die Nachbarschaft gentrifiziert wurde. Dementsprechend wütet der Mörder nicht mehr unter den Armen, sondern eher unter den Betuchten. Der Mythos des Malers Daniel Robitaille, der für seine Liebe zu einer weißen Frau gelyncht wurde und als Candyman zurückkehrte, wird von dem neuen Film nicht negiert, sondern vielmehr erweitert: Candyman ist die Wiederkehr des Verdrängten, die Verkörperung mehrerer schwarzer Opfer von Lynchjustiz, wobei Robitaille lediglich den ersten in der Ahnenreihe darstellt. Die sozialen und politischen Aspekte der Geschichte werden noch stärker betont als im Erstling, wobei sich „Candyman“ nicht auf reine Schwarz-Weiß-Malerei einlässt. So entpuppt sich beispielsweise auch die schwarze Museumsdirektorin, die Brianna ein vermeintlich altruistisches Angebot macht, am Ende doch bloß als Opportunistin, die lediglich an der Publicity des Candyman-Mythos interessiert ist.
Der ist natürlich wieder in aller Munde und in den Medien, nachdem der Hakenmörder die erste Ladung Opfer filetiert hat. Allerdings sind die meisten davon relativ egale Nebenfiguren, die zudem oft so unsympathisch gezeichnet werden, dass es gar nicht schade um sie erscheint – da hatte man im Erstling wesentlich mehr Mitleid mit den Opfern. Zudem erreichen die Stalk- und Mordszenen selten das volle Spannungspotential, da nicht nur früh feststeht, wen es wohl erwischen wird, sondern die Opfer meist relativ zügig dran glauben müssen, nachdem sie den Faux Pas mit den Namen und dem Spiegel begangen haben. Dass der Killer hier nur im Spiegel zu sehen, erscheint eher wie ein Gimmick, sorgt aber immerhin inszenatorisch für ein paar nette Ideen. Etwa wenn die Kamera aus dem Apartment eines Opfers herauszoomt und man durch das Panoramafenster aus immer größerer Entfernung sieht, wie es von einem unsichtbaren Haken gepackt und durch die Gegend geschleudert wird.

Galeristin Brianna Cartwright (Teyonah Parris) ist Anthonys bessere Hälfte und bemerkt bald Veränderungen an ihm
„Candyman“ fährt inszenatorisch sowieso ein paar schicke Ideen auf, vor allem die immer wieder eingesetzten Schattenspiele mit Scherenschnittfiguren, welche die Vergangenheit – vor allem die Geschichten der Lynchjustiz – auf einfache wie effektvolle Weise aufrollen, wenn in diesen Szenen Unheimliches und Künstlerisches zusammenkommt. Das Zusammenspiel von Kunst, Gesellschaft und Realität ist auch intradiegetisch ein übergeordnetes Thema, das der Film durchaus smart aufgreift, aber manchmal etwas zu deutlich verhandelt: Ein paar Dialoge über das Wesen der Kunst weniger hätten es ruhig sein dürfen. Stark dagegen ist eine leichte Body-Horror-Komponente, wenn sich Anthony unter dem Einfluss Candymans auch körperlich zu verändern beginnt.
Schreiberisch kann der Film leider nicht mit der inszenatorischen Finesse mithalten. „Candyman“ funktioniert kaum ohne Kenntnis der 1992er Version, auf die laufend Bezug genommen wird, gerade wenn sich Anthony Helen Lyles Forschungsergebnisse besorgt und somit einen Vorgeschmack auf das bekommt, was ihm blüht. Zuschauer, die den Bernard-Rose-Film kennen, wissen es sogar recht genau, was die Spannungskurve merklich drückt. Erst im Schlusspart bringt „Candyman“ einen neuen Spin und ein paar überraschende Wendungen unter, die ihre Wirkung aber nicht voll entfalten können: Alle Neuerungen werden in Minutenhäppchen runtergerattert, sodass sie kaum Luft zum Atmen haben, und so wirklich schlüssig ist vieles davon nicht, da für vernünftige Erklärungen anscheinend auch keine Zeit mehr war. Auch ein paar andere interessante Aspekte, etwa das Aufgreifen der urbanen Legende von in Süßigkeiten versteckten Rasierklingen, hätten gern noch etwas mehr ausgearbeitet werden dürfen.

Der Candyman holt seine Opfer, wenn sie es wagen ihn zu rufen
Angesichts dieser Bezugnahmen auf den Film von 1992 ist es dann auch Ehrensache, dass dessen Stars Tony Todd („Sabotage – Dark Assassin“) und Virginia Madsen („Ambushed“) zumindest stimmlich Minirollen haben, während Vanessa Williams („New Jack City“) ihre Rolle als Anne-Marie McCoy erneut verkörpert. Das sind allerdings bessere Cameo-Auftritte, ein Bonus für die Fans. Vor allem steht Hauptdarsteller Yahya Abdul-Mateen II („Aquaman“) im Mittelpunkt, der den Film jedoch auf seinen Schultern zu tragen weiß als Künstler, der langsam dem Wahnsinn und dem Candyman anheimfällt. Aus dem Supportcast können Teyonah Parris („Chi-Raq“) als Anthonys bessere Hälfte und Colman Domingo („Tom Clancy’s Gnadenlos“) als Cabrini-Green-Urgestein Akzente setzen, der Rest der Besetzung ist eher unauffällig.
Was Regisseurin/Co-Autorin Nia DaCosta („Little Woods“) und Produzent/Co-Autor Jordan Peele („Wir“) an einer Neuauflage von „Candyman“ reizte, kann man durchaus verstehen, denn dieser sozialkritische Horrorfilm wirkt angesichts der aktuellen „Black Lives Matter“-Proteste tagesaktuell, obwohl er vor deren Beginn bereits abgedreht war. Jedoch folgt das späte Sequel etwas zu sehr der Blaupause des Erstlings und bringt seine neuen Ideen zu spät und zu wenig ausgearbeitet ein, um so wirklich zu überzeugen. Inszenatorisch besitzt „Candyman“ einige tolle Ideen und die Figur des coolen wie tragischen Todesengels mit der Hakenhand ist weiterhin faszinierend, die 2021er Version unterm Strich aber eher durchwachsen.
Universal bringt „Candyman“ ab dem 26. August in die deutschen Kinos, ungekürzt ab 16 Jahren freigegeben.
© Nils Bothmann (McClane)
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