Originaltitel: Castle Freak__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1995__Regie: Stuart Gordon__Darsteller: Jeffrey Combs, Barbara Crampton, Jonathan Fuller, Jessica Dollarhide, Massimo Sarchielli, Elisabeth Kaza, Luca Zingaretti, Helen Stirling, Alessandro Sebastian Satta, Raffaella Offidani, Marco Stefanelli, Tunny Piras u.a. |
Nein, gleich in den Kopf des Freaks einzudringen und somit eine vorlagengetreue Adaption der Lovecraft-Kurzgeschichte „Der Außenseiter“ zu wagen, das wäre wohl eine Spur zu ambitioniert gewesen für Charles Band und seine B-Movie-Schmiede Full Moon. Die Geschichte müsse sich einfach nur um einen „Freak“ drehen und ein Schloss solle als Schauplatz dienen; weitere Bedingungen gab Band seinem Regisseur Stuart Gordon nicht auf den Weg. Denn dies waren die beiden einzigen Bestandteile des Posters zu „Castle Freak“, das lange vor Produktionsstart fertiggestellt worden war.
Lovecraft, der ja selbst ein Außenseiter war, drang noch per Ich-Erzähler in die Gedanken der Kreatur ein, so wie er es oft zu tun pflegte. Er bezweckte damit, den aufkeimenden Wahnsinn des Erzählers möglichst direkt erlebbar zu machen. Außerdem sollte dem Leser mit diesem Perspektivenwechsel ein Blick auf die Spiegelseite der mentalen Gesundheit ermöglicht werden. Sein Protagonist war durchaus mit einer gewissen Intelligenz beschlagen, die jedoch angesichts einer unbekannten Zeitspanne der Verwahrlosung in ihrer dunklen Zelle zu einem vertrockneten Pflänzchen verkümmert war. Aberhunderte von Büchern prägten seine verzerrte Vorstellung einer Realität, die schließlich, so die große Pointe am Ende, nicht mit der tatsächlichen Realität übereinstimmen würde.
Es war zu erwarten, dass Gordon solche inneren Monologe nicht in einem Genre-Film aufgreifen würde. Man rückte also erwartungsgemäß von der Egoperspektive Lovecrafts ab und erfand eine zerbrochene Familie mit einer traumatischen Vergangenheit hinzu, die sich im Schloss des Kerkerbewohners einrichtet. Wenn man schon aus dem Kopf des Irren hüpft, benötigt man eben ein anderes Vehikel als Ersatz. Ein Familienvater, der an den Narben seiner eigenen Vergangenheit knabbert, ist da nicht die schlechteste Wahl. Mit Jeffrey Combs ist außerdem sichergestellt, dass man der inneren Zerrissenheit seiner Figur auch wirklich folgt, zumal ihm auch noch Barbara Crampton zur Seite gestellt wird. Was sollte mit dem „Re-Animator“-Duo als Mr. und Mrs. Reilly auch schiefgehen?
Der Freak mutiert währenddessen vom redseligen, belesenen Erzähler zum jaulenden, grunzenden und sabbernden Monstrum, das zu keiner verständlichen Artikulation fähig ist. Nach Lovecraft-Terminologie ist er zu Filmbeginn eher das unergründliche Grauen, das im Verlies vor sich hin vegetiert und kaum Menschliches in sich zu tragen scheint. Doch was wie ein Verlust von inhaltlicher Substanz klingt, könnte man auch als neue Chance betrachten.
Denn der von Jonathan Fuller verkörperte Freak ist gerade in Sachen Make-Up eine außergewöhnliche Erscheinung im Bereich des B-Horrors. Sechs Stunden Maske täglich haben sich jedenfalls mehr als gelohnt: Fuller verschwindet als Darsteller hinter einer Ganzkörper-Abscheulichkeit, die ihren nackten, entstellten und von Amputationen übersäten Leib behelfsmäßig mit einem weißen Laken einhüllt – eine Gestalt, die an einen Leprakranken oder eine Mumie erinnert. Den geistigen Verfall der Figur aus der Vorlage, den Gordon über das Medium Film nicht adäquat abbilden kann, kompensiert er also mit dem körperlichen Verfall aus der Trickkiste der Effektkünstler, der wiederum in der Vorlage wegen des dortigen Mangels an Spiegeln im Unsichtbaren blieb.
Werft einen Blick ins Schloss des “Castle Freak”
httpv://www.youtube.com/watch?v=iTwTScQAC9c
Doch nicht nur in Sachen Make-Up erweist sich der Film als gelungene Ergänzung zur Kurzgeschichte; auch die Charakterzeichnung hebt den Freak deutlich vom abgrundtief Bösen ab, das normalerweise in den dunklen und feuchten Ecken lauert und Jagd auf Menschen macht. Es gibt ein, zwei derbe, in ihrer Ausführung durchaus verstörende Verstümmelungssequenzen zu sehen, die manch anderer Produktion aus dem Slasher- und Splatterbereich zur reinen Provokation gedient hätten. Hier jedoch drücken sie durch den geschickten Aufbau der Szene etwas durch und durch Tragisches aus. In der wohl intensivsten Sequenz, der unglücklichen Zusammenkunft zwischen dem Freak und einer Prostituierten, wird nicht zuletzt auch James Whales „Frankenstein“ Tribut gezollt. Das spielerische Missverständnis, mit dem die Kreatur hier Schaden anrichtet, entspringt derselben Art von Tragödie wie die berühmte Szene mit Frankenstein und dem kleinen Mädchen am See… und wird zugleich doch den grauenhaften Momenten der Erkenntnis gerecht, die sich im Schreiben Lovecrafts regelmäßig offenbaren.
Was Familie Reilly angeht, die natürlich einen weniger verständnisvollen Blick auf das Monster wirft als der Zuschauer, darf man sich vom Drehbuch zwar keine psychologischen Wundertaten erwarten. Ihre düstere Vergangenheit, die per Flashback auch kurz bebildert wird, sorgt aber für eine angemessen ernste Grundstimmung, die dem für Gordon typischen schwarzen Humor fast vollständig abschwört. Jessica Dollarhide wandelt als erblindete Tochter wie ein Mahnmal an die Fehler des Vaters durch die Kulisse. Ihre Blindheit sorgt zudem für geschickte Suspense-Spiele mit der Anwesenheit des ungebetenen Gastes, der dann auch bei einer Umarmung zwischen Mutter und Tochter direkt an der Türschwelle kauern kann, solange es nur die Tochter ist, die mit dem Gesicht dem Eingang zugewandt ist. Ein wenig muss man bei ihrer Ausstrahlung außerdem an die junge Jennifer Connelly denken, die in Dario Argentos „Phenomena“ ähnlich verloren durch die Gewölbe schlich.
Charles Bands Bruder Richard sorgt passend dazu immer wieder für ein schleifendes Crescendo aus Streichern, die wie Cellobögen über die Nerven des Zuschauers gezogen werden. Das Schloss im mittelitalienischen Giove überzeugt als Setting mit seinen kalten, nackten Fluren, die im Kontrast stehen zu den eher bürgerlich eingerichteten Gesellschaftsräumen und Schlafzimmern. Insbesondere da in der Umgebung einheimische Statisten und Schauspieler eingesetzt wurden, wirkt der Schauplatz wie ein dunkles schwarzes Loch mitten im „La Dolce Vita“ aus dem sonnigen Italien. Atmosphäre ist also reichlich vorhanden, gerade auch im von Blitz und Regen begleiteten Finale auf dem Dach.
Ein eher konventioneller Abschluss nichtsdestotrotz, der ein gewisses Gefühl der Zwiespältigkeit hinterlässt: Man ist sich nicht ganz einig darüber, wie gut „Castle Freak“ wirklich als Lovecraft-Adaption sowie als Genre-Werk funktioniert. Der Geist des Schriftstellers in allen Ehren – man fühlt eben auch, wie sich die Rädchen aus der Full-Moon-Fabrik in gewohnter Manier drehen. „Castle“ und „Freak“ sind in diesem Zusammenhang nichts als die primitiven Kernzutaten einer High-Concept-Strategie, mit der möglichst viele Videothekenjünger möglichst effizient eingefangen werden sollen. Dann aber merkt man doch die besondere Handschrift des Regisseurs, dem es gelingt, aus dem Kellermonster mehr zu machen als eine weitere gewissenlose Bestie. Die geplagte Seele macht er jedenfalls spürbar. Das reicht schon, um zumindest in den Dunstkreis Lovecrafts vorzustoßen.
Gute
Informationen zur Veröffentlichung von “Castle Freak”
Im Keller geht der Vollmond auf…
Wer einen Keller im Haus hat, der kennt vielleicht das mulmige Gefühl, dass da unten womöglich etwas Unaussprechliches hausen könnte. Es müsste sich ja nur aus einer Laune heraus mal dazu entschließen, hinauf in den Wohnbereich zu klettern… und prompt hat man es im Wohnzimmer stehen.
Kein Problem für einen Filmfreund. Solange das Unaussprechliche knapp 20 Zentimeter groß ist, mit einem 24-seitigen Begleitheft sowie zwei entnehmbaren Silberlingen bestückt ist und „Full Moon Collection No.3“ heißt. In dieser Form ist seit Ende 2018 „Castle Freak“ von Wicked-Vision erhältlich. Das auf 888 Einheiten limitierte Hochglanz-Mediabook mit einem gezeichneten Artwork von Justin Osbourn feiert zwar auf dem deutschen Markt keine Blu-ray-Premiere und ist auch nicht die erste ungeschnittene Veröffentlichung, doch aufgrund der hochwertigen Boni und der Neubearbeitung des Bildes dürfte es sich wohl um die bislang beste Ausgabe handeln.
Kerzenlicht und Mauerschall
Dabei hat gerade die technische Umsetzung des Hauptfilms trotzdem noch mit ein paar Schwächen zu kämpfen. Das Bild (Format: 1,85:1) wurde laut offizieller Angabe noch einmal einer Säuberung unterzogen und an 800 Stellen um Schmutzpartikel erleichtert. Tatsächlich fallen Verunreinigungen kaum ins Auge und in hellen bis neutralen Aufnahmen ist eine sehr gute Schärfe auszumachen, wobei stets eine prägnante Körnung wahrzunehmen ist. In den meisten Passagen ist das Bild allerdings extrem dunkel und verschluckt viele Details. Das dürfte auch der Beleuchtung am Set geschuldet sein (immerhin wurde in dunklen Kellerverliesen gedreht), zwischenzeitlich hat man aber das Gefühl, der Kontrast dürfte gerne noch etwas ausgeprägter sein. An einer Stelle fällt am rechten Bildschirmrand außerdem ein dünner grüner Streifen auf, der mit kurzen Unterbrechungen etwa ein bis zwei Minuten lang zu sehen ist.
Der englische Ton ist auswählbar in 2.0 oder 5.1, für die deutsche Synchronisation lässt sich nur das 2.0-Format auswählen, alles wie gewohnt in DTS-HD Master Audio. Bei der deutschen Spur kommt es gelegentlich zu einem kurzen „Schluckauf“, so dass Dialoge, Hintergrundgeräusche und Musik für den Bruchteil einer Sekunde kurz verstummen. Deutsche Untertitel für die englische Fassung sind vorhanden.
Alternativ kann man sich zu Dr. Gerd Naumann, Matthias Künnecke und Christopher Klaese gesellen, um ihrem Audiokommentar beizuwohnen. Naumann übernimmt dabei in gewohnt ruhiger Art die Führung und lenkt die Richtung immer wieder mit neuen Themen, zu denen auch die anderen Beiden viel zu sagen haben. Man kommt gemeinsam zu der Erkenntnis, dass der Film die Vorzüge eines B-Horrorfilms mit einer ernsteren, anspruchsvolleren Linie zu kombinieren in der Lage sei und aufgrund dessen aus der Masse ähnlich gearteter Produktionen hervorsteche.
Shatnerzone
Das Bonus-Abteil setzt auf Raritäten und Abwechslung, anstatt mit schierer Masse zu überfordern. Ebenso wie die im Keep Case veröffentlichten Full-Moon-Titel von Wicked-Vision kann auch „Castle Freak“ mit einer Episode der Making-Of-Reihe „Videozone“ aufwarten, bei der ein Mix aus Werbe-Interviews und B-Rolls von den Dreharbeiten aufgeboten wird. Regisseur Stuart Gordon darf in einem rund 6-minütigen Video auch noch einmal reüssieren, was sein Film eigentlich genau zu bieten hat. Ein 10-minütiges Interview, das William Shatner als Gastgeber mit Stuart Gordon, Jeffrey Combs und Barbara Crampton führt, wird auf dem Backcover nicht einmal aufgeführt; vielleicht auch deshalb, weil es bereits in der „Full Moon Collection #2“ aka „Doctor Mordrid“ angeboten wurde. Dennoch – wer es noch nicht kennt, sollte unbedingt einen Blick riskieren – Shatner weiß jedenfalls, wie man eine Party am laufen hält.
The Evil Clergyman
Das große Highlight unter den Extras ist sicherlich der Bonus-Kurzfilm „The Evil Clergyman“ aus dem Jahr 1988. Ursprünglich als Teil des Anthologiefilms „Pulse Pounders“ geplant, machte der Bankrott von Bands Produktionsfirma Empire International Pictures den Plänen einen Strich durch die Rechnung, so dass es nie zu einem Release kam. Zwischenzeitlich galt der 29-Minüter mit Jeffrey Combs, Barbara Crampton und David Warner in den Hauptrollen sogar als verschollen, bis 2011 doch noch ein Workprint entdeckt wurde. Zum Glück, denn auch wenn die eher schlechte Bildqualität das Eintauchen in das Szenario zumindest erschwert, so wird doch offensichtlich, dass Charles Band hier ein unglaublich atmosphärisches Kammerspiel geschaffen hat, das abgesehen von einer Ratte mit einem Menschenkopf nicht viele Effekte benötigt, um direkt vom Lovecraft-Brunnen zu kosten. Ihm reicht ein einzelnes Studioset (in Form eines stimmungsvoll ausgeleuchteten Turmzimmers), eine halbe Handvoll starker Darsteller und eine gute Story, um ein Höchstmaß an Effektivität zu erreichen. Mit raffiniert gesetzten Schnitten verschwimmt die nüchterne Realität langsam zu einem surrealen Strudel, mit dem sich der Geisteszustand der Protagonistin langsam ins Nirwana verabschiedet. Gespickt ist dieser psychologische Grusel aber nicht nur mit Lovecraft, sondern auch mit allerhand Märchenbezügen, von „Rapunzel“ über „Schneewittchen“ bis zum „Froschkönig“.
Der Kurzfilm ist enthalten im Vollbildformat mit englischem Originalton und optionalen deutschen Untertiteln. Anders als beim Hauptfilm handelt es sich hier tatsächlich um eine Deutschlandpremiere. Im Ausland hingegen wurde er schon vor einigen Jahren veröffentlicht.
Doch nicht nur der Kurzfilm selbst ist auf der Disc enthalten, sondern auch ein paar Auszüge von der Weltpremiere am 11. August 2012 im Chicagoer Muvico-Theater. Zunächst treten einige Besucher vor die Kamera und teilen ihre ersten Eindrücke (die in diesem Video selbstredend alle positiv bis überschwänglich ausfallen), schließlich sehen wir Charles Band, Richard Band und die Hauptdarsteller bei einer Ansprache auf der Bühne.
Der Originaltrailer und eine Bildergalerie runden die Extras ab. Der auf dem Backcover versprochene deutsche Trailer hingegen ist nicht enthalten.
Klageschreie auf Ton gebannt
Und dann haben wir das Ganze noch auf einer zweiten Disc als DVD… halt, doch nicht! Bei der zweiten Disc handelt es sich diesmal nicht um eine DVD, sondern eine Audio-CD. Diese enthält den 42 Minuten langen Soundtrack zum Film von Richard Band. Wer im Film von den Bildern gebannt war, kann sich also auf diese Weise noch einmal isoliert den Soundtrack zu Gemüte führen. Wie in der Hauptkritik angeklungen, besteht dieser hauptsächlich aus schrill inszenierten Streichern, die vor allem den Puls in die Höhe schnellen lassen sollen. Es ist aber auch Platz für ein paar melancholische Momente, etwa im Abschlusstrack „The Final Battle“. Die Laufzeiten der einzelnen Stücke variieren zwischen 1.5 und 8 Minuten, ein Spiegelbild der sehr schnell wechselnden Stimmungen. Dies ist jedenfalls ein mehr als sinnvoller Bonus, den man sich noch viel öfter für Sondereditionen wünschen würde. Zumal es den Komponisten sicher auch freuen dürfte, wenn seine Arbeit auf diese Weise noch mehr Aufmerksamkeit erfährt.
Vergilbtes aus dem Bibliotheksarchiv
Ehrensache, dass auch im Booklet noch einmal separat auf den Soundtrack eingegangen wird. Davon abgesehen referiert Christoph N. Kellerbach in seinem Haupttext ausführlich über „Castle Freak“. Er verwendet dabei offenbar auch das Bonusmaterial als Quelle, da sich hier viele Informationen wiederholen. Von Regisseur Stuart Gordon ausgehend, leitet er über zu Charles Band und lässt dabei den Namen von so manchem Filmtitel fallen, der unter Full Moon produziert wurde. Der eigentliche Film wird eher kurz behandelt. Dafür gibt es noch ein paar Seiten zur durchaus aufschlussreichen Fassungs-Historie des Films, der natürlich nicht immer und überall von der Schere unangetastet blieb.
„Castle Freak“ erschien übrigens ausnahmsweise nur in einem Cover-Motiv, das auch durchaus keinen großen Anlass gibt, nach einem zweiten Motiv zu fragen. Ein hübsches Finish für eine gute Veröffentlichung, die in der Auswahl der Extras ganz besondere Stärken beweist.
Bildergalerie zum Film
(kein Original-Bildmaterial aus der Veröffentlichung)
Sascha Ganser (Vince)
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