Originaltitel: Last Seen Alive__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: Brian Goodman__Darsteller: Gerard Butler, Jaimie Alexander, Russell Hornsby, Ethan Embry, Michael Irby, Cindy Hogan, Bruce Altman, Jordan Salloum, Dani Deetté, David Kallaway, Chip Lane, Aleks Alifirenko Jr., Emily Brinks u.a. |
Es ist ein Kreuz mit deutschen Verleihern und Actiontiteln: Einerseits will man der Zielgruppe knackige, englische Titel bieten, andrerseits hat man Angst davor, dass deren Kenntnisse der Sprache eingeschränkt sind. Also wird aus „Out for Justice“ „Deadly Revenge“, aus „Cradle 2 the Grave“ „Born 2 Die“ und nun aus „Last Seen Alive“ „Chase“.
Es geht um die Eheleute Will (Gerard Butler) und Lisa Spann (Jaimie Alexander), deren Beziehung gerade an einem Tiefpunkt ist. Lisa will eine Beziehungspause und deshalb für eine Weile zu ihren Eltern ziehen, Will fährt sie hin, möchte sie aber umstimmen. Die Fahrt ist voller unangenehmer Momente des Unausgesprochenen, kurz vorm Ziel will Will noch tanken. Es gibt eine Handvoll Verdachtsmomente und potentieller (falscher) Fährten, etwa wenn Lisa beim Klogang auf ihrem Handy Nachrichten eines anderen Mannes liest oder Will mit jemandem am Telefon über eine große Geldsumme spricht. Jedenfalls verschwindet Lisa nach dem Aufsuchen der Raststätte spurlos.
Der zunehmend verzweifelte Will ruft die Polizei, doch der ermittelnde Detective Paterson (Russell Hornsby) gibt zu bedenken, dass sie erst kurz Zeit weg ist, es andere Gründe als eine Entführung geben könnte und man auch Will nicht als Verdächtigen ausschließen könne. Da Will jedoch fest an ein Verbrechen glaubt und ihm die Polizei zu langsam arbeitet, nimmt er die Sache selbst in die Hand…
Der Trailer zu “Chase” mit Gerard Butler
Auf den Spuren von deutlichen Vorbildern wie „Spurlos verschwunden“ und „Breakdown“ kommt die dritte Regiearbeit von Brian Goodman („Boston Streets“) daher, der seine Karriere als Schauspieler begann. „Chase“ ist dabei allerdings von einigen schwer nachvollziehbaren bis unguten Entscheidungen geplagt, die auch oder sogar in erster Linie auf Drehbuchautor Marc Frydman („Black Butterfly“) zurückzuführen sind. Da ist zuallererst die Eingangsszene, die acht Stunden nach der Entführung spielt und zeigt, wie Paterson einen Verdächtigen namens Knuckles (Ethan Embry) verhört. Wo die Frau sei, die er mitten am Tag entführt habe, will der Detective wissen. Die ist tot, antwortet der Täter. Natürlich ist zu diesem Zeitpunkt unklar, ob es sich bei der Entführten um Lisa handelt, ob Paterson als Polizist oder als möglicher Mittäter handelt und ob Knuckles nicht vielleicht lügt, aber sie liefert dem Publikum doch ein paar Puzzleteile zu viel, die dem späteren Geschehen an Spannung nehmen.
Ähnlich sieht es mit manchen ausgelegten Fährten aus. Vieles, was angeteasert wird, etwa Lisas sechs Monate zurückliegende Affäre mit einem anderen Mann, erweist sich später als bedeutungslos, wird noch nicht mal groß als falsche Spur inszeniert. Zumal sich einige Figuren wenig nachvollziehbar verhalten: Die Schwiegereltern verdächtigen sofort Will, als er aufgelöst bei ihnen auf der Matte steht und nach Lisas Verbleib fragt, während der genervte Ehemann den nachhakenden Paterson irgendwann explizit fragt, warum er als Verdächtiger gilt, während er selbst die Polizei gerufen hat und fortwährend neue Beweise für eine Entführung liefert. Dessen wenig befriedigende Antwort lautet, dass Will ja vielleicht ein besonders cleverer Täter sei. Doch um dies glaubhaft verkaufen zu können, hätte man „Chase“ ein griffigeres oder gewitzteres Drehbuch an die Hand geben müssen: Dass die Identifikationsfigur vielleicht tatsächlich der Täter sein könne, lässt der Film nie als ernsthafte Option offen, gleichzeitig macht der Film wenig aus den Verdachtsmomenten der Polizei. Die sind in erster Linie aus dramaturgischen Gründen da, damit Will auf eigene Faust ermittelt.
Und auch da ist „Chase“ leider keine Sternstunde. Man könnte Goodmans Actionthriller freundlich als schnörkellos oder geradlinig betiteln, aber in Wahrheit ist er eher unterkomplex. Will muss nur zwei Mal die richtigen Personen verprügeln und schon ist er quasi am Ziel, wobei das Standardpersonal wie der zwielichtige Tankstellenwart oder der gefürchtete Meth-Koch allen Klischees altbekannter Genreware entspricht. Leider sieht es bei den Hauptfiguren kaum besser aus: Die Ehekrise der Spanns ist auch nie mehr als Mittel zum dramaturgischen Zweck, Lisa bleibt weitestgehend eine Frau ohne Eigenschaften, während sich Will auch nur durch seine Hartnäckigkeit als menschlicher Rammbock auszeichnet, der um jeden Preis seine Gattin wiederhaben will. So schlicht wie die Figurenzeichnung fällt dann auch die enttäuschende Auflösung auf, die alle komplexeren Ansätze vom Filmbeginn fröhlich in die Tonne tritt.
So sind es dann in erster Linie zwei Dinge, von denen „Chase“ profitiert. Das eine ist die Besetzung, die zwar nicht sonderlich gefordert ist, aber immerhin markige Gesichter aufzuweisen hat. Gerard Butler („Geostorm“) wirkt zwar ständig so, als habe sein Will ein Aggressionsproblem nicht unter Kontrolle, ist aber als knallharter Wüterich immer eine Bank. Zumal er – ähnlich wie in „Greenland“ – eine gute Figur als Normalo macht, der über sich hinauswächst. Russell Hornsby („Creed II“) als undurchsichtiger Cop, Ethan Embry („The Guest“) als verwarzter Verdächtiger und David Kallaway („Jumanji: The Next Level“) als ortsansässiger Meth-King können ebenfalls Akzente setzen. Das gilt leider nicht für Jaimie Alexander („Thor: Love and Thunder“), deren Figur über weite Strecken nur in (dramaturgisch begrenzt notwendigen) Rückblenden zu sehen ist und die immer eine Spur zu distanziert wirkt.
Pluspunkt Nummer zwei ist die saubere Inszenierung. Farbfilter in natürlichen Braun-, Geld- und Grüntönen betonen die geerdetere Ausrichtung von „Chase“, im Finale überzeugen Regisseur Goodman und Kameramann Peter Holland („Out of Death“) mit langen, spannungsfördernden Einstellungen, wenn Will ein Drogenlager durchforstet und sich Schleich- und Actionpassagen abwechseln. Mit Blick auf Wills Normalostatus sind die Schlägereien und Schießereien eher klein skaliert und realistisch gehalten, können aber auf eine rohe Down-to-Earth-Art überzeugen. Nur die finale Explosion fällt unangenehm aus dem Rahmen, da sie doch ziemlich offensichtlich aus dem Rechenknecht stammt.
So kann dieses Gerard-Butler-Vehikel mit kleineren Actionszenen, markigen Typen und einer sauberen Inszenierung punkten, wartet aber auch mit austauschbaren Figuren, einer Standardgeschichte und einer enttäuschend unterkomplexen Auflösung der anfangs vielversprechenden Prämisse auf. Als Actionthriller von der Stange ist „Chase“ genauso 08/15 wie sein deutscher Titel.
Knappe:
Leonine bringt „Chase“ am 15. September 2022 in die deutschen Kinos, ungekürzt ab 16 Jahren freigegeben.
© Nils Bothmann (McClane)
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Copyright aller Filmbilder/Label: Leonine__FSK Freigabe: ab 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein, ab 15.9.2022 in den deutschen Kinos |