Dream Car
Originaltitel: Dream Car__Herstellungsland: Italien__Erscheinungsjahr: 1989__Regie: Mariano Baino__Darsteller: Elio Baino, Silvia Esposite, Andrea Belsito, Franco De Rosa, Marcello Manco |
Wenn man sich in der Retrospektive mit den Anfängen eines Regisseurs befasst und dort auf Kurzfilme trifft, klopft man diese in aller Regel auf Indizien ab, die sich als Puzzleteil für die Handschrift seiner bedeutenden Werke einsetzen lassen. „Dream Car“ ist der erste professionelle Kurzfilm von Mariano Baino, der gemeinsam mit seinem Bruder jedoch schon seit dem Alter von 6 bzw. 8 Jahren Kurzfilme drehte. Elio Baino ist auch diesmal wieder Hauptdarsteller und verkörpert einen Außenseiter, der auf ein herrenloses Auto stößt und darin die Erfüllung seiner Träume wähnt; schließlich könnten sich mit fahrbarem Untersatz seine Chancen beim weiblichen Geschlecht erhöhen…
„Dream Car“ bezeichnet insofern den jugendlichen Traum von Erfüllung und Freiheit, möglicherweise beeinflusst durch den damals in Medien vorgelebten Cabrio-Lifestyle: die Sonne im Nacken, den Wind im Haar, eine Schönheit auf dem Beifahrersitz und der endlose Highway vor dem Steuer, so definierten beispielsweise Videospiele wie „Out Run“, in dem man einen roten Ferrari Testarossa steuerte, die Unabhängigkeit. Rot ist auch das Auto, das sich Baino von einem Bekannten für den Dreh leisten durfte. Das Cabrio verbot sich allerdings schon durch das Drehbuch, denn in „Dream Car“ wird das Auto zum Gefängnis.
Was der Regisseur in jungen Jahren bereits anzudeuten weiß, ist sein Talent im Umgang mit der Symbolik von Träumen. Die stimmungsvolle Eröffnungssequenz um ein Feld voller Nebel und eine unheimliche Erscheinung unter einem Laken mündet in eine Szene, in der dem Träumenden Zeitungspapier in den Rachen gestopft wird, bevor er geweckt durch einen asthmatischen Anfall erwacht. Die Ängste der Hauptfigur sind auf diese Weise schnell und effektiv etabliert. Mit ihnen erklären sich viele nachfolgenden Reaktionen: Der Neid auf die erfolgreichen Schulkollegen, der Drang, etwas an der eigenen Situation zu ändern, die unmittelbare Reue, als sich das vermeintliche Geschenk als Falle entpuppt. Bis zu diesem Punkt ist die Story herrlich surreal und spielt auf perfide Weise mit der Unsicherheit des Protagonisten.
Im zweiten Abschnitt kippt die Stimmung leider ein wenig zugunsten konventioneller Schlüsselbilder des Slasher-Films. Es geschieht ein dergestalt inszenierter Mord, der in keinerlei direkter Verbindung zum Kernthema des Kurzfilms steht und das Finale auf der Müllpresse ist dann ein typisches Spiel gegen die Zeit. Was junge Filmemacher ferner antreibt, immer und immer wieder Szenen integrieren zu müssen, in denen im Blut gematscht wird oder eklige Dinge gegessen werden müssen, bleibt wohl auch ein Geheimnis dieser eingeschworenen Runde. Die surrealen Momente allerdings, insbesondere die Unsichtbarkeit des Hilferufenden, bleibt kein Selbstzweck, sondern ist mit einem tiefen Verständnis für individuelle Ängste versehen, das deutlich sichtbar auch in das Fundament von „Dark Waters“ eingeflossen ist.
Caruncula
Originaltitel: Caruncula__Herstellungsland: Großbritannien__Erscheinungsjahr: 1990__Regie: Mariano Baino__Darsteller: Rosalind Furlong, Joan Hicks, Jonathan Jaynes, Peter Waddington |
Es stimmt wohl – das Kino ist der Quell grenzenloser Inspiration und somit oft auch Startpunkt für ambitionierte Filmemacher, die eine ausgeprägte Vorliebe für spezielle Genres, Filme, Regisseure oder auch Filmepochen pflegen und daher im Kino den idealen Ort für einen Dimensionssprung in die Meta-Ebene ausgemacht haben. Während auf der Leinwand lautes Getöse davon zeugt, dass einer kleinen Runde von Kinobesuchern soeben eine Geschichte erzählt wird, setzt Mariano Baino im Verdauungstrakt des Kinos seine eigene Geschichte auf die Gleise – zwischen den mit Graffiti beschmierten Toiletten, den mit rotem Samt verhangenen Gängen und den Kellerbereichen.
Und kaum baumeln blutige Ketten mit aufgespießten Innereien von der Decke, ist Clive Barker als wichtigste Inspiration abgehakt. Morbide Puppen werden in einer Collage wie bei den Credits der „Chucky“-Fortsetzung mit Seziermesser und Bunsenbrenner bearbeitet, es entsteht eine perverse Lesart von Outsiderkunst, die wohl nur von einem Psychopathen ausgeführt werden kann. Und tatsächlich, schnell finden Slasher- und Giallo-Elemente in die optische und akustische Ausschmückung. Antreibende Synthesizer fordern zur Eile auf, denn der Killer ist bereits unterwegs, angeführt durch eine Egoperspektive, die eine Hand mit einem Messer wie einen Fühler vor sich hält. Wes Cravens „Das Haus der Vergessenen“ kam erst ein Jahr später, sonst hätte man den großen Twist nach zwei Dritteln beinahe auf seine Invasion-Horror-Komödie zurückführen können. Hier bekommt „Caruncula“ dann auch endlich seine tiefere Ebene, wenn Baino plötzlich mit der Rollenverteilung von Wolf und Reh spielt und nach erfolgreicher Enthüllung stets auf der Suche ist nach der menschlichen Unvollkommenheit in der Bestie – nicht ganz ohne einen Hauch von ironischem Humor.
Never Ever After
Originaltitel: Never Ever After__Herstellungsland: Großbritannien__Erscheinungsjahr: 2004__Regie: Mariano Baino__Darsteller: Abby Leamon, Jackie Stirling, Jacqueline Wilkie, Ellie Sprack |
Mit „Never Ever After“ legt Mariano Baino seinen bis dahin mit Abstand ambitioniertesten Kurzfilm vor, was Konzeptdesign und visuelle Umsetzung angeht. Ein enormer Aufwand muss in die Vorproduktion geflossen sein, weit mehr jedenfalls als in den eigentlichen Dreh: Das extravagante Design der Raumausstattung, Kostüme und Make-Up, prothetische Effekte, Farb- und Beleuchtungstests mit dem neuen Digitalkamera-Format… all diese Elemente zeugen von einer klaren künstlerischen Linie mit wohl durchdachten, gleichwohl nicht besonders gut versteckten Einflüssen. Als die beiden Ärztinnen Dr. Frank und Dr. Stein die junge Patientin mit totem Blick in ihrer Klinik (= kahler, weißer Raum mit einem Schreibtisch) begrüßen und eine von ihnen auch noch die Frisur von Frankensteins Braut trägt (oder Marge Simpson, wie Baino im Audiokommentar mehrmals schmunzelnd anführt), schwingt der Holzhammer bereits in der Luft. Hinzu gesellen sich Einflüsse des deutschen Expressionismus, der in verzerrten Schatten an der Wand entlangfährt, sowie eine gewisse Faszination für die Metall-auf-Fleisch-Abhandlungen von David Cronenberg (“Scanners“), hier insbesondere „Die Unzertrennlichen“. Auch Clive Barker schwebt nach wie vor als Konstante im Schaffen des Regisseurs im Raum, spiegeln sich die dämonischen Cenobiten doch in den toten Augen der beiden Medizinerinnen. Auf der visuellen Ebene ist dieses Konglomerat der bizarrsten Werke des Horrorfilms äußerst reizvoll geraten, zumal Baino alle paar Sekunden einen Einfall aus dem Hut zaubert, um die Atmosphäre noch surrealer zu gestalten. Vor allem aus den Koordinationsbemühungen der Ärztinnen werden äußerst unheimliche Situationen erzeugt, handeln und sprechen sie doch wie die beiden Gehirnhälften eines einzelnen Wesens, wobei die Ausführung der Bewegungen so hakelig und versetzt vonstatten geht wie bei einer Stop-Motion-Kreatur von Ray Harryhausen.
Die Idee zum Film ist aus Gedanken zum Schön- und Schlankheitswahn gereift, der bis heute immer wieder zu überzeichneten Horror-Grotesken inspiriert (etwa Refns „The Neon Demon“ oder Starry Eyes). Für einen Regisseur mit Bainos Präferenzen handelt es sich also eher um ein naheliegendes Thema, auch wenn es ihm immerhin gelingt, in eine weibliche Perspektive einzutauchen (andererseits ist das für ihn nach „Dark Waters“ und „Caruncula“ auch kein Neuland mehr). Die Pointe mag fies sein, sie ist aber auch Meilen gegen den Wind zu riechen. In ihrer einfachen Herleitung erinnert sie an die typischen Episodenbeiträge von Horror-Anthologien, in denen vor allem Newcomer anhand simpler moralischer Twists ihren Kokon abstreifen, um anschließend groß durchzustarten. Baino allerdings ist bereits an einem späteren Zeitpunkt seiner Karriere. Dahingehend ist die Auflösung ein wenig enttäuschend; man würde erwarten, dass im Anschluss noch der eigentliche Twist folgt (zumal noch mehrere Minuten für den sehr langen Abspann anberaumt werden). Am Handwerk hingegen sieht man, dass dieser Mann zwischenzeitlich eine Großtat in seinem Konto verewigt hat.
Sascha Ganser (Vince)
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