Originaltitel: La decima vittima__Herstellungsland: Italien/Frankreich__Erscheinungsjahr: 1965__Regie: Elio Petri__Darsteller: Marcello Mastroianni, Ursula Andress, Elsa Martinelli, Salvo Randone, Massimo Serato, Milo Quesada, Luce Bonifassy, George Wang, Evi Rigano, Walter Williams, Richard Armstrong u.a. |
Geht es um die Vorläufer der großen Menschenjagd-Actionfilme wie „Harte Ziele“, „Running Man“ und „Surviving the Game“, dann wird quasi immer „Graf Zaroff – Genie des Bösen“ als Urvater dieser Spielart genannt, öfter auch mal „Das Millionenspiel“, selten dagegen „Das 10. Opfer“ von Elio Petri („Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“).
Was vielleicht auch daran liegt, dass der italienische Gesellschaftskritiker weniger Wert auf Genreaspekte legt, auch wenn „Das 10. Opfer“ in seiner Prämisse manchen Sci-Fi-Actioner leicht vorwegnimmt. In der Zukunft des Films jedenfalls gibt es ein Spiel, an dem große Teile der Gesellschaft teilnehmen. Für einen Millionengewinn muss man zehn Jagden überstehen, fünf als Jäger, fünf als Gejagter. Das Opfer kennt noch nicht einmal die Identität des Verfolgers, der Jäger ist über seine Beute im Klaren. Gleichzeitig darf man auch nur denjenigen oder diejenige umbringen, der/die einem als Gegenpart zugeteilt ist – bei einer nicht gerechtfertigten Tötung droht eine Strafe. Doch das System wirkt anscheinend, denn das in Bahnen gelenkte Morden wird nicht nur als schneller Weg zu Ruhm und Reichtum gesehen, sondern senkt angeblich auch Aggressionen und Kriminalitätsraten – ein ähnlicher Gedanke beseelt ja auch die Prämisse der „The Purge“-Filme.
Nach Etablierung der Grundidee lernt der Zuschauer die Protagonisten kennen. Caroline Meredith (Ursula Andress) hat gerade ihre neunte Jagd überstanden, indem sie in der Opferrolle ihren Jäger in einen Stripclub lockte und dort mit einem Schusswaffen-BH niederstreckte. Marcello Poletti (Marcello Mastroianni) hat gerade Jagd Nr. 6 hinter sich gebracht, als Jäger, der einen deutschen Adligen mithilfe explodierender Reiterstiefel um die Ecke brachte. Marcello wird Caroline als nächste Beute zugeteilt, die nun kurz vor dem großen Preis steht, während seine Lage verzwickt ist: Zahlungen an Noch-Ehefrau Lidia (Luce Bonifassy) und seine aktuelle Geliebte Olga (Elsa Martinelli) haben Marcellos Gewinne bereits verbrannt, weshalb der Pfandleiher selbst seine exquisite Comicsammlung abholt, womit der Film seine konträren Protagonisten vorstellt.
Caroline nähert sich Marcello, indem sie sich als Journalistin ausgibt, die einen typischen italienischen Mann interviewen will. Der ist allerdings auf der Hut und hat den Verdacht, dass Caroline seine Jägerin sein könnte. So versucht man einander auszubooten…
httpv://www.youtube.com/watch?v=TxbSO-AKW0s
Trotz seiner nicht ganz unwichtigen Stellung im Bereich des Menschenjagdfilms sollte man von „Das 10. Opfer“ keinen reinrassigen Actionfilm erwarten. Die Spektakelszenen konzentrieren sich auf Anfang und Ende des Films, sind eher klein skaliert und nie das Hauptaugenmerk von Petris Film. Auch wenn es durchaus etwas hat, wenn sich Leute in schrillen Sixties-Klamotten mit Wummen durch die Gegend jagen und teilweise zu kreativen Mord- und Verteidigungsmethoden greifen. Jedoch überwiegt auch hier Style die Stuntarbeit: „Das 10. Opfer“ huldigt dem Futurismus der 1960er ähnlich wie etwa „Barbarella“ oder „Danger: Diabolik“ in der Folgezeit, nutzt das damalige Design geschickt für die Schaffung einer bunten Kunstwelt, die auch Jahrzehnte später noch einen Science-Fiction-Touch versprüht und das Artifizielle zum elementaren Bestandteilen des Films macht.
Denn „Das 10. Opfer“ ist in erster Linie eine überzeichnete Satire, zum einen auf das menschliche Balzverhalten. Wenn Caroline und Marcello miteinander flirten, sich annähern und einander umtanzen, dann wirkt das wie eine pervertierte Form der Screwballcomedy: Man versucht mehr über den anderen zu erfahren, will im Geschlechterkampf, der hier wortwörtlich zu nehmen ist, die Oberhand zu behalten. Denn letztendlich geht es darum herauszufinden, ob der andere der Jäger ist (Marcello) bzw. das Opfer in einer Falle zu locken (Caroline). Irgendwann kommen auch noch Gefühle ins Spiel, bei denen der Film lange offen lässt, ob sie auf beiden Seiten echt oder nur gespielt sind. Jedoch liegt hierin auch das Problem vom Petris Film: Das Rezept nutzt sich schnell ab, allem Glamourfaktor zum Trotz, wenn hier das Ur-Bondgirl mit den Posterboy des europäischen Autorenfilms flirtet, weshalb das Spiel um Schein und Sein in der Beziehung weitaus weniger reizvoll rüberkommt als es auf dem Papier klingen mag.
So sind die besseren Spitzen immer dann zu finden, wenn es um die skizzierte Gesellschaftsordnung geht. Da legt ein Jäger sein Opfer noch auf den Stufen der Behörde um, erhält von der Polizei erst eine Gratulation zum erfolgreichen Abschuss und danach ein Ticket fürs Falschparken. An einer anderen Stelle wird ein Cafébesuch gestört, weil ein Jäger einen Gejagten dorthin verfolgt, der Kellner aber energisch darauf verweist, dass das Spiel auf Leben und Tod in dem Etablissement verboten ist, worauf der Jäger sich beschwert, dass man heutzutage ja überhaupt nichts mehr dürfe. Caroline wird ein Werbedeal in Aussicht gestellt, wenn sie Marcello im Kolosseum vor präparierter Kulisse zur Strecke bringt und die Jäger sagen gern Werbeparolen in die Kamera, eher sie zur Tat schreiten. Das ist durchaus amüsant, torpediert aber auch die innere Logik des Films: Wie soll ein Opfer da nicht schon meterweit den Braten riechen, wenn es den potentiellen Häscher schon auf allen Fernsehschirmen der Welt gesehen hat? Gerade im Falle von Carolines dünner Coverstory ist das besonders fragwürdig, aber als Thriller mit Präzisionsspannungsführung war „Das 10. Opfer“ ja auch nie geplant.
Stattdessen gibt es hier eben den kompletten Style-Rausch, in dem auch die Stars zu Ausstellungsstücken werden, die zwar durchaus gut spielen, vor allem aber gut auszusehen haben. Marcello Mastroianni („Tödlicher Irrtum“) gibt den grüblerischen, auch in der größten finanziellen Not noch stilvollen Lover, während Ursula Andress („James Bond jagt Dr. No“) ihr Image als Venusfliegenfalle mal in sinisterer Form darbietet. Der Rest der Darsteller ist in erster Linie da und sonst nicht viel mehr, auch wenn die eine oder andere Figur im Schlussspurt noch eine tragende Rolle spielt, bis zum gehässigen, offen interpretierbaren Ende.
„Das 10. Opfer“ ist kein einfacher Film, denn als Satire auf eine mögliche Gesellschaftsform sowie auf Liebesbeziehungen (und deren Instrumentalisierung) ist das Ganze schon eine reizende Angelegenheit. Allerdings kann man sich des Verdachts nicht erwehren, dass Petri Style und Starpower letztendlich wichtiger waren als eine vollkommen zu Ende gedachte Karikatur, da sich das Rezept bisweilen etwas abnutzt. Als Geschichtsstunde für Menschenjagdfilm-Interessierte ist „Das 10. Opfer“ aber unerlässlich.
In Deutschland hat Bildstörung/Al!ve den Film auf DVD und Blu-Ray veröffentlicht, freigegeben ab 16 Jahren. In Sachen Bonusmaterial gibt es eine Dokumentation über Marcello Mastroianni, Trailer und den deutschen Vorspann zum Film.
© Nils Bothmann (McClane)
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