Originaltitel: The Iron Giant__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1999__Regie: Brad Bird__Sprecher: Eli Marienthal, Jennifer Aniston, Harry Connick Jr., Christopher McDonald, Vin Diesel, John Mahoney, Charles Howerton, M. Emmet Walsh, Cloris Leachman, James Gammon u.a. |
Heutzutage kennt man Brad Bird als jenen Regisseur, der mit „Die Unglaublichen“ und „Ratatouille“ gleich zwei der besten Filme aus Pixars kommerzieller wie qualitativ extrem erfolgreicher, fast makelloser Phase von 2003 bis 2010 verantwortete. Anno 1999 war er noch jemand, der als Animator begann, dann bei ein paar Folgen von Serien wie „Die Simpsons“ Regie geführt hatte und dessen Langfilmdebüt „Der Gigant aus dem All“ ein waghalsiges Projekt war.
Das lag nicht nur an Birds geringer Erfahrung bei einem dicken Budget zwischen 70 und 80 Millionen Dollar – auch wenn der Film an der Kinokasse baden ging und erst später entdeckt wurde. Es lag auch am bewusst altmodischen Zeichenstil des Films in einer Zeit, in der Pixar bereits mit „Toy Story“ und „Das große Krabbeln“ mit moderner 3D-Animation Pionierarbeit geleistet hat. In „Der Gigant aus dem All“ kommen unterstützend 3D-Animationen zum Einsatz, doch eigentlich ist der Film klassischer Zeichentrick und stilistisch dabei auch noch an jener Ära orientiert, in der seine Handlung spielt: Den 1950ern. Nach dem Sputnik-Start der Russen herrschen in Amerika sowohl Technikskepsis als auch -enthusiasmus, das Weltall ist große Chance und drohende Gefahr zugleich – je nachdem, welche der beiden Weltmächte sich dort zuerst breitmachen könnte.
So vermischen sich Polit-, Technik- und Alienparanoia, was sich an unzähligen Invasionsfilmen jener Ära ablesen lässt, in denen die Außerirdischen kaum verhohlene Metaphern für Kommunisten darstellten. Ganz für voll nahm man solche Phantasien allerdings nicht, wie ein Fischer erkennen muss, welcher der Landung des titelgebenden Stahlgiganten beiwohnte, als er in jenem Diner davon erzählt, in dem die alleinerziehende Mutter des jungen Hogarth Hughes ihren Dienst schiebt. Hogarth hat derweil kaum Ohren für solche Geschichten, er will vor allem ein Haustier – doch das eingefangene Eichhörnchen erweist sich als wenig handzahm und richtet großes Chaos im Diner an.
Als Hogarth bei einer nächtlichen Erkundungstour jedoch auf den eisenfressenden Giganten aus dem All trifft und ihn aus einer Notlage befreit, scheint sein Wunsch in Erfüllung zu gehen: Der stählerne Riese freundet sich mit ihm an und lässt sich von ihm irdische Gepflogenheiten beibringen. Doch Militär und Geheimdienst spüren dem unbekannten Flugobjekt nach, das nahe Hogarths kleiner Heimatstadt in Maine niederging…
httpv://www.youtube.com/watch?v=oh-4Olv-S5c
Schaut man sich die Reaktionen auf „Der Gigant aus dem All“ an, dann wird Birds Spielfilmdebüt als Anti-Disney unter den Zeichentrickfilmen gehandelt. Tatsächlich sträubt er sich gegen vieles, was man in Disney-Zeichentrick (und klischierten Vorstellungen von Disney-Zeichentrick) findet: Es gibt keine Verharmlosung oder Ausblendung der realen, angsteinflößenden Umstände der Geschichte, keine Musicaleinlagen, keine lustigen Tiere als Sidekicks (das knuffige Eichhörnchen und ein putziges Reh treten nur kurz auf). Doch dahinter steckt eine Geschichte nach sehr ähnlichem Muster: Würde man den eisernen Giganten durch ein Tier ersetzen, man käme einem klassischen Kind-Tier-Freundschaftsfilm sehr nahe. Bezüglich des Gefahrenpotentials des Giganten könnte man sogar Vergleiche zu „Old Yeller“ ziehen (ein 1957er Realfilm, von Disney übrigens), der am Ende weniger familienfreundlich und deutlich konsequenter als „Der Gigant aus dem All“ daherkommt – der endet nämlich mit ziemlich furchtbarem Zuckerbäckerkitsch. Und ersetzte man den Giganten durch ein putziges Alien, dann käme man bei einem noch viel deutlicheren Vorbild heraus: „E.T.“. Aus Spielbergs Familienklassiker sind manche Plotelemente und Figuren in leicht veränderter Form übernommen, auch der Storyverlauf ist sehr ähnlich.
Vor allem aber könnte das Thema des (abwesenden) Vaters auch aus dem Spielberg-Kosmos stammen. Denn für Hogarth stehen zwei potentielle Ersatzväter bereit: Dean McCoppin, der freundliche Beatnik, Künstler und Schrottplatzbesitzer, der auch für den kleinen Mann einsteht und den Stahlgiganten auf seinem Schrottplatz beherbergt, wo er sich an Altmetall laben kann. Der Gegenentwurf ist der paranoide Geheimagent Kent Mansley, der nach dem Giganten sucht, sich als Untermieter bei den Hughes‘ einquartiert und ahnt, dass Hogarth etwas über das Wesen weiß. Beide werden als potentielle Partner für Hogarths Mutter Annie gehandelt, beide verhalten sich väterlich gegenüber dem Jungen, doch der Film unterteilt klar in den guten und den bösen Vater: Kent sucht Hogarths Vertrauen nur für den eigenen Vorteil, denkt nur an seine Karriere, während der freundliche Dean sich nicht aufdrängt, von Hogarth selbst ins Vertrauen gezogen wird und sich für andere aufopfert. Dean, der Hogarth gleich zu Beginn des Films sagt, dass man auch für die Schwachen und die Verschrobenen der Gesellschaft eintreten muss, steht für den liberalen Geist der beginnenden 1960er, Kent für die paranoide McCarthy-Ära.
Wer also am Ende der Mann an Annies Seite sein wird, ist bald klar, so wie man auch manche andere Storyvolte früh erahnen kann. Schade auch, dass man wenig über die Hintergründe des Giganten erfährt – erst der später veröffentlichte Director’s Cut auf der Signature Edition deutet an, dass er eine von vielen außerirdischen Kampfmaschinen ist, die im ewigen Krieg die eigene Heimat zerstört haben (eine Parallele zum Universum der „Transformers“-Filme, die ab 2007 mehr kommerziellen Erfolg hatten). Leider wird das Gefahrenpotential der Killermaschine etwas übergebügelt, denn immerhin unterdrückt in erster Linie eine Beule im Metallschädel des Giganten dessen mörderische Impulse, aber so lange man ihn nicht angreift ist in der Logik des Films alles okay. Und wenn der Gigant mit einer Arschbombe die halbe Gegend flutet oder versehentlich eine Bahnstrecke zerstört, dann wird das nie als Gefahr dargestellt: Bei ersterem wird lediglich Dean etwas nass, bei zweiterem repariert der Gigant die Strecke ja und ein Zugcrash fordert keine Toten. Das mögen hohe Ansprüche an einen Familienfilm sein, aber „Der Gigant aus dem All“ ignoriert derartige Probleme doch etwas zu schnell.
Doch insgesamt überzeugt die warmherzige Geschichte, die Kindern lobenswert die Vorzüge des Pazifismus näherbringt und sich erfreulich differenziert bei seinen Figuren zeigt: Bei den Militärs gibt es nicht nur kriegsgeile Falken, sondern überlegte Köpfe, während selbst Mansley als Negativcharakter noch ein paar lobenswerte Eigenschaften hat (die zum Finale allerdings alle den Bach hinuntergehen). Außerdem ist bewundernswert wie Bird Sympathien für den klobigen Eisenfresser aufbaut, der zu Beginn Hogarth (und Teile des kindlichen Zielpublikums eventuell auch) noch verschreckt, der kein riesiges Kuscheltier ist und dessen Schicksal am Ende dann doch ähnlich nahegeht wie jenes von E.T.
Für erwachsene Zuschauer sind natürlich die Verweise auf die 1950er ein besonderes Schmankerl: Neben der zeitgenössischen Animation sind dies unter anderem ein Science-Fiction-Horrorfilm, den Hogarth im Fernsehen schaut, welcher sich an den B-Pictures jener Ära orientiert und die Paranioa-Stimmung gegenüber Aliens und Forschung einfängt. Außerdem gibt es einen jener behämmerten „Duck and Cover“-Lehrfilme, mit denen man die Kinder damals auf den drohenden Atomkrieg vorbereiten wollte, mit geradezu lachhaften Vorsichtsmaßnahmen. So zieht Bird dem Film auch noch eine Ebene ein, die auch erwachsene Zuschauer anspricht – eine Doppelcodierung, die er und seine Kollegen bei Pixar später perfektionieren sollten.
Dazu kommt noch ein Voice-Cast, bei dem der spätere Actionstar Vin Diesel („xXx 3 – Die Rückkehr des Xander Cage“) dem titelgebenden Giganten seine tiefe, markige Stimme leiht, diesen aber nur rudimentäre Satzfragmente sprechen lässt (eine Eigenschaft, die in der Rückschau wie eine Vorübung für seine Sprechertätigkeit als Groot in den „Guardians of the Galaxy“-Filmen aussieht). Als damals bekanntestes Castmitglied beweist Jennifer Aniston („Der Kautions-Cop“), dass sie mehr kann als nur die „Friends“-Rachel, während Christopher McDonald („Die Wall Street Verschwörung“) als Mansley, Harry Connick Jr. („Independence Day“) als Dean und John Mahoney („Say Anything“) als General in weiteren wichtigen Sprecherrollen ebenfalls keinen Anlass zur Klage bieten.
„Der Gigant aus dem All“ ist ein warmherziges Animationsmärchen, das zwar nach altbekannten Mustern abläuft und (zumindest aus Erwachsenensicht) nicht immer ganz zu Ende gedacht ist, aber Mut beweist Brad Birds Film Filmdebüt schon: Er wendet sich gegen klassische Niedlichkeitsschema, behandelt das Klima der 1950er ohne große Verharmlosung und ist mit seiner schon 1999 altmodischen Animation kein Werk, das Trends hinter hechelte. Ob man deswegen nun dermaßen laut Hosianna singen muss, das kann man freilich debattieren.
Knappe:
DVD und Blu-Ray des Films kommen von Warner. Die zum damaligen Videostart erschienene DVD enthält die Kinofassung und bietet als Bonusmaterial den Trailer, ein Making Of und ein Musikvideo. Die 2016 erschienene Blu-Ray ist die Signature Edition, welche zusätzlich den um zwei Szenen längeren Director’s Cut enthält – eine davon ist eine Traumsequenz des Giganten, in der man mehr über seine Hintergründe erfährt. Außerdem bietet das üppige Bonusmaterial neben den Extras der DVD noch Audiokommentare zu beiden Filmversionen, nicht verwendete Szenen, weitere Featurettes und Making Ofs.
© Nils Bothmann (McClane)
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