Originaltitel: Dai-nihonjin__Herstellungsland: Japan__Erscheinungsjahr: 2007__Regie: Hitoshi Matsumoto__Darsteller: Hitoshi Matsumoto, Riki Takeuchi, UA, Ryûnosuke Kamiki, Haruka Unabara, Tomoji Hasegawa, Itsuji Itao, Hiroyuki Miyasako, Takayuki Haranishi, Daisuke Miyagawa, Takuya Hashimoto, Taichi Yazaki, Shion Machida, Atsuko Nakamura, Daisuke Nagakura, Motohiro Toriki, Keidai Yano u.a. |
Im Fernsehen macht Masaru Daisatō (Hitoshi Matsumoto) einen eher unbeholfenen Eindruck. Lethargischer Blick, passive Gestik, wortkarges Auftreten, merkwürdige Langhaarfrisur. Die Kamera ignoriert er so konsequent, als würde sie sich dadurch in Luft auflösen. Das hartnäckige, bisweilen sogar unverschämte Verhalten des Interviewers macht ihm sichtlich zu schaffen. Fragen über seinen Lebensalltag beantwortet er stets ebenso höflich wie geduldig, doch an seinen Augen liest man ihm ab, dass er seinen Gesprächspartner als eine lästige Mücke betrachtet, die den lieben langen Tag durch seine Komfortzone summt. Masaru ist also nicht gerade der geborene Entertainer. Aber es gibt einen Grund, warum das Fernsehen sich für diesen seltsamen Kauz interessiert. Schließlich verfügt er über die ungewöhnliche Fähigkeit, sich unter elektrischer Hochspannung auf eine Größe von stattlichen 30 Metern aufzublasen.
In „Dainipponjin“, wörtlich übersetzt „Der Große Japaner“, sind es nicht die schuppigen Schwänze fremdartiger Reptilien, die durch die Hochhausschluchten von Tokio peitschen, sondern fleischige rosa Berge, die als humanoide Karikaturen in den Himmel ragen. Anders als „Godzilla“, „Gamera“ oder „Daimajin“, an deren Filmgattung hier überdeutlich angeknüpft wird, haben diese Kreaturen nichts Imposantes an sich, nichts Göttliches, keine Aura, vor der man in Ehrfurcht erstarren müsste. Ganz im Gegenteil: Den ungelenken Kolossen bei der Interaktion zuzuschauen, das… also das ist… tja, so muss sich wohl eine Bettwanze fühlen, die sich aus Versehen auf das Schlachtfeld aus nassen Laken verirrt hat, das soeben bei einem menschlichen Kopulationsvorgang als Unterlage genutzt wird.
Wer 2001 bei einem der größten CGI-Fails in der Geschichte dabei war, dem Versuch nämlich, das Gesicht von Dwayne „The Rock“ Johnson für das Finale von „Die Mumie kehrt zurück“ auf einen überdimensionalen Skorpion zu pressen, der hat einen guten Referenzwert für die hier gebotene Animationsqualität, mit welcher der doch recht nüchterne Mockumentary-Stil der Rahmenhandlung regelmäßig harsch aufgebrochen wird. Was aber für die Effektspezialisten des Hollywood-Streifens ein unfreiwilliges Desaster und echter Grund zum Schämen war, das spielt hier wiederum dem satirischen Ton des Regisseurs und Hauptdarstellers voll in die Karten. Masaru, dessen Erscheinung als tätowierter Sumo mit hochstehenden Haaren sich alleine schon für einen Platz im Kader eines ausgeflippten Beat-em-Up-Prügelspiels qualifizieren würde, ist noch das Normalste, was einem da auf 100 Fuß Höhe geboten wird.
Kaum betritt etwa Haruka Unabara als „Schlingenmonster“ die Bühne, ist der (Anti-)Held in seinen albernen Unterhosen schon fast vergessen. Was für ein bizarrer Anblick sich da bietet, als jedes einzelne Haar des bekloppten Klappscheitels dieser Kreatur wie ein elektrischer Aal in der Luft zappelt, während das fotorealistische, aber tot wirkende Gesicht des Darstellers auf dem abstrakten Körpergestell dynamisch zurückschwingt. Jaja, das Haar, die Nemesis der Computeranimation! Weiter nach unten sollte man gar nicht erst blicken, denn das Schlingenmonster trägt seinen Namen nicht umsonst. Anstatt zweier Arme baumelt da ein Reifen, der mit Vorliebe um Hochhäuser geworfen wird und sich dann zuzieht, um das Gebäude zu entwurzeln. Mitschwingende metaphorische Untertöne beabsichtigt. Das Riesenhafte, das wie selbstverständlich in die Landschaft gepflanzt wird, hat hier nichts Poetisches wie noch beim drei Jahre zuvor entstandenen Familiendrama „The Taste of Tea“ von Katsuhito Ishii, es ist vielmehr dazu bestimmt, würdelos auf einer gigantischen Bananenschale auszurutschen.
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Und das Schlingenmonster ist wahrlich nur die Spitze des Eisbergs. Mit enzyklopädischer Sorgfalt zieht der Off-Kommentator ein Nippon nach dem anderen aus der Packung, und die nüchternen Beschreibungen werden dem wahrhaftigen Anblick der Gestalten in Aktion immer weniger gerecht. Der Animationsstil bleibt stets derselbe, das Gesicht eines Schauspielers wird dazu immer digital gescannt und schließlich als Wachsmaske in eine rosa Digitalmasse geknetet, wobei die Deformationen der Monster immer absurdere Wege finden, um nicht nur auf menschliche Anatomie, sondern auch auf menschliche Psychologie zu verweisen. Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass sich „Dainipponjin“ seinen Titel dadurch verdient, dass er Monster präsentiert, die in dieser Form zweifelsfrei ausschließlich das geistige Produkt von Japanern sein können, weil sie durchweg japanische Eigenarten symbolisieren.
Man fühlt sich teilweise sogar an die schaurigen Creature Designs etwa aus der Videospielreihe „Silent Hill“ erinnert, die ebenso auffällig mit körperlichen Deformationen experimentierten, um unterdrückte Ängste zu bebildern. Oft kann man aus westlicher Perspektive nur mutmaßen, welche kulturellen Verzweigungen hinter den hüpfenden Gliedmaßen verborgen sind, die da zwischen Tokyo Station und Tokyo Tower ein- und ausgehen, doch vieles dürfte mit individuellen Versagensängsten gegenüber der Gesellschaft, Unsicherheit im Umgang mit sozialer Nähe, Traditionsbewusstsein, Bedeutungsverlust der eigenen Identität und unterdrückter Sexualität zusammenhängen. Zwischenzeitlich wird es dahingehend auch mal etwas konkreter, wenn der „Große Japaner“ auf einmal wider Willen zur Anstandsdame wird, als ein penisförmiges Etwas (gespielt vom männlichen Darsteller Takayuki Haranishi) einen wenig subtilen Balztanz aufführt für ein weibliches Stinkmonster in Form einer ungeschälten Tentakel-Mandarine, unter deren Schale bereits sichtbar die Geschlechtsmerkmale baumeln (gespielt vom ebenfalls männlichen Darsteller Itsuji Itao). Längst jenseits aller Kriterien für Absurdes findet sich derweil das Kindermonster (Ryūnosuke Kamiki), dessen hilflose Erscheinung etwas wahrlich Bemitleidenswertes an sich hat, so als habe die Natur als solche ihren Dienst versagt.
All diese und weitere der wirklich unbeschreiblich merkwürdigen CGI-Sequenzen breiten sich episodenweise wie massive Blöcke von Fremdkörpern in einem Film aus, der ansonsten auf natürliche Lichtsetzung, bescheidene Einstellungen und unscheinbare Dialoge setzt – ein Kontrast, der durchaus mit Bedacht gewählt ist, zumal gerade Monsterfilme solche Kontraste benötigen, um das Monumentale, oder wie hier das Abnorme, zu betonen. Der Mörtel, der den Film in dieser Phase beisammen hält, ist der überaus schräge schwarze Humor Matsumotos, der durchaus auch und vor allem im Kleinen zum Tragen kommt. Die Dialoge strotzen vor Skurrilität, während die dargestellten Situationen immer offen für das Unerwartete bleiben. Da werden auch mal Schreckmomente eingebaut, die letztlich niemanden überraschen außer den Zuschauer, wobei es am Ende des Tages ohnehin die trockene Art der Hauptfigur im Umgang mit dem zynischen Interviewpartner ist, die praktisch im Alleingang das Interesse bewahrt. Wenn Masaru erklärt, warum er immer einen Regenschirm dabei hat oder warum er gerne Algen isst, schüttelt man gerne mal den Kopf vor Ungläubigkeit über die grenzenlose Profanität des tragisch angehauchten Humors, der in seiner banalen Verpackung aber fast schon etwas Brillantes an sich hat.
Die dramaturgischen Probleme lassen sich mit all dem Irrsinn natürlich nicht vollständig übertünchen. Rückblenden sollen gelegentlich den repetitiven Wechsel von Interview- und Monsterszenen unterbrechen und dem Protagonisten mehr Tiefe verleihen, an seinem monotonen Alltag als ausgebeuteter Superheld ändert das jedoch nichts. Gerade der Mittelteil neigt dazu, sich ein wenig zu ziehen, wenn man nicht gerade komplett hypnotisiert ist von der Unvorstellbarkeit des hier Dargestellten.
Eine große Pointe gibt es dann aber doch noch, als sich Matsumoto für seinen Schlussakt der Ästhetik der „Ultraman“-TV-Serie annimmt, indem er Statisten in bunten Ganzkörperanzügen über alberne Miniaturkulissen trampeln lässt. Die zuvor präsentierten CGI-Szenen, stellvertretend für das Kino, werden dadurch zu einer neuen Form von Realismus erklärt, wohingegen der Schlussakt die Fernsehunterhaltung und damit das abbildende Theater repräsentiert, das schließlich wiederum als sitcom-eske Reality Show entlarvt wird. Da tun sich auf den letzten Metern noch einmal mehrere doppelte Böden auf, die viel über das Selbstverständnis der japanischen Gesellschaft verraten, die bis dahin lediglich als mürrische Masse aufgefallen ist, die mit dem ganzen Größenwahnsinn eigentlich nichts zu tun haben will – inklusive ihres Protagonisten.
„Dainipponjin“ ist Alltagsbeobachtung, Tragikomödie und Kaiju-Blockbuster zugleich, er mischt Dokumentarisches mit Fiktion und misst das Überdimensionale mit einem handelsüblichen Lineal aus dem Schreibwarenladen. Ein nicht untypischer Zug für einen japanischen Komiker, dem erstmals die Gelegenheit geboten wird, über einen Spielfilm jene Formate zu parodieren, die er bis dahin bereits ausgiebig in seiner TV-Show beackert hatte. Die große Leinwand, wie sich herausstellt, haftet der Komödie kraft ihrer Dimensionen etwas Tragisches an. Je größer der Fleischberg, desto tiefer der Abgrund.
Informationen zur Veröffentlichung von “Der Grosse Japaner – Dainipponjin”
„Der Grosse Japaner – Dainipponjin“ wurde in Deutschland bereits in mehreren Auflagen über Rapid Eye Movies auf DVD veröffentlicht. Eine deutsche Blu-ray existiert bis dato nicht, allerdings weiß auch die DVD mit sehr guter Bildqualität aufzuwarten. Eine deutsche Synchronisation ist neben dem japanischen Originalton vorhanden (beides in Dolby Digital 5.1), ferner befindet sich auf der Disc noch ein Audiokommentar von Jörg Buttgereit und Alexander Zahlten. Auch deutsche Untertitel sind enthalten. Weitere Extras bestehen in einem Making Of mit einer Laufzeit von 65 Minuten, dem Kinotrailer sowie zwei Minuten an entfernten Szenen. Insofern eine sehr gelungene Veröffentlichung, die momentan auch für kleines Geld zu haben ist, sofern man über die fehlende HD-Auflösung einer Blu-ray hinwegsehen kann.
Sascha Ganser (Vince)
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