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Der Junge und sein Hund

Originaltitel: A Boy And His Dog__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1975__Regie: L.Q. Jones__Darsteller: Don Johnson, Susanne Benton, Jason Robards, Alvy Moore, Helene Winston, Charles McGraw, Hal Baylor, Ron Feinberg, Michael Rupert, Don Carter, Michael Hershman, L.Q. Jones, Dickie Jones, Maggie Smith, Tiger u.a.

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Cover

Das Cover der britischen 101-Films-Blu-ray von „Der Junge und sein Hund“ unter dem Originaltitel „A Boy And His Dog“.

Gott erschuf die Erde in nur sechs Tagen. Ein Zeugnis von makelloser Effizienz. Welch herausragende Kreation ihm da in kürzester Zeit gelungen war, vor allem, was den Menschen anging. So viel Potenzial. Und der Mensch sollte sein Potenzial tatsächlich abrufen. Es war das Jahr 2007, als der Schöpfer von seiner eigenen Schöpfung übertroffen wurde. Was einst in sechs Tagen geschaffen wurde, war in nur fünf Tagen wieder dem Erdboden gleichgemacht. Der Vierte Weltkrieg, nukleare Waffen und dann das Nichts. Wahrlich das Meisterwerk menschlichen Schaffens.

Inzwischen haben wir 2024 erreicht. Nicht nur im wahren Leben. Auch Harlan Ellisons Kurzgeschichtenzyklus „Der Junge und sein Hund“ von 1969 und die zugehörige 1975er-Verfilmung von L.Q. Jones sind in diesem Jahr angesiedelt. In ihrer Version einer Realität, die seit dem JFK-Attentat eine andere Abzweigung nahm als die uns bekannte, sind wir zum Staub zurückgekehrt, aus dem wir gekrochen kamen. Und der Fokus verlagert sich vom interkontinentalen Ameisennest zurück auf die Psychologie des Individuums. Oder, wenn die zum Überleben nicht ausreicht, zumindest auf die kleinste Einheit der Soziologie; die dyadische Verbindung.

Junge und Hund gegen den Rest der Welt. Da muss selbige nicht gleich untergehen, damit dieses Modell Historiker, Psychologen, Soziologen und Kommunikationswissenschaftler in ihren Bann zieht. Eingebettet in ein postapokalyptisches Szenario jedoch scheint ein solches Band zwischen den Spezies noch einmal heller zu strahlen. Wenn die Eckpfeiler der Zivilisation weggebrochen sind und jegliches Regelwerk einer unkontrollierten Wildnis gewichen ist, dann, so möchte man meinen, komplementiert der Hund den Menschen in einem Umfang, der nicht länger bloß der psychischen und körperlichen Gesundheit dienlich ist, sondern ganz konkret das Überleben sichern kann. Die eigenen unausgereiften Instinkte werden auf den vierbeinigen Begleiter verlagert, der wiederum von den evolutionären Vorteilen des Zweibeiners profitiert – ein Geben und Nehmen, das auf die Anfänge der Beziehung zwischen Mensch und Hund vor tausenden von Jahren verweist.

Die Literatur ist seit jeher gefüllt mit ausführlichen Betrachtungen dieser besonderen Konstellation, und auch der Filmgeschichte ist sie nicht fremd: So verbrachte schon Vincent Price in „The Last Man on Earth“ (1964) einen Abschnitt seiner Ewigkeit in der Ödnis mit einem Hund, ein Aspekt, der mit der Neuverfilmung „I Am Legend“ (2007) sogar ins Zentrum geschoben werden sollte. „Der Junge und sein Hund“ dürfte aber wohl nicht nur wegen seines sachlichen Kinderbuchtitels die Blaupause gebildet haben für spätere Filme derselben Gattung, bis hin zu jüngeren Science-Fiction-Vertretern wie „Blade Runner 2049“ (2017) und „Finch“ (2021). Überhaupt hat er ganz allgemein die Schablone geschaffen für zukünftige Endzeit-Abenteuer um Einzelgänger, die sich durch eine feindselige Welt der Anarchie schlagen. Mid-Budget-Filmen („Six-String Samurai“, 1998) und ambitionierten Blockbustern („Waterworld“, 1995) dient er gleichermaßen als Basis. Spuren, die man sogar ganz konkret in dem hier gezeichneten Ödland entdecken kann, sind die der Plünderer und Zivilisationsrelikte aus „Mad Max“, der wenige Jahre später das Licht der Leinwand erblickte.

Während George Miller mit dem ersten Teil seiner einflussreichen Saga jedoch einen eher fließenden Übergang in die neue Welt suchte, in dem die Regeln von früher zunächst teilweise noch intakt sind, ist das 2024 aus „Der Junge und sein Hund“ zum Zeitpunkt der Verfilmung eben noch ein halbes Jahrhundert und zwei Weltkriege entfernt. Demgemäß heißt es also ganz radikal: Weg mit dem alten Krempel. Dem mit 400,000 Dollar recht niedrigen Produktionsbudget kommt der Ansatz entgegen, denn hier gibt es viel Kann, aber kein Muss für teure Bauten oder Effekte. Grundsätzlich entpuppen sich nur drei Parameter als unverzichtbar: 1. Die Wüste. 2. Der Junge. 3. Der Hund.

Schaut in den Trailer zu „Der Junge und sein Hund“

Mit diesen Eckpfeilern beginnt die Geschichte nicht nur, sie wird auch ihr Fundament bilden. Anstatt eines visuell aufwändigen World Buildings ist es die einleuchtende Einfachheit dieser Junge-Hund-Konstellation, mit der sich Jones die Aufmerksamkeit seines Publikums sichert. Der gut dressierte Bearded Collie mit dem verfilzten Fell, der selbst die wüstesten Schimpftiraden seines Begleiters (ein noch blutjunger, aber bereits ziemlich hitzköpfiger Don Johnson), ungerührt über sich ergehen lässt, lässt schnell vergessen, dass im Hintergrund keine zerfallenen Ruinen zu sehen sind und auch keine hässlichen Mutanten oder Rieseninsekten die Fauna bilden, sondern lediglich Sand, Bunker und ein paar vermummte Piraten zur Ausstattung gehören.

Die Erzählung kann sich somit voll und ganz auf die Kommunikation zwischen Vic und Blood konzentrieren. Dass sich die Beiden per Telepathie verständigen, ist repräsentativ dafür, weshalb sich der Kern der Ellison-Vorlage auch mit geringem Budget so problemlos adaptieren lässt. Was nämlich auf dem Papier noch als recht abgefahrenes SciFi-Element durchgeht, lässt sich in der Verfilmung mit uralten Filmtechniken ohne größeren Aufwand lösen. Fortan steht also ein beißend zynischer Off-Kommentar des Schauspielers Tim McIntire im Rampenlicht, der hier übrigens nicht nur den Hund zum Sprechen bringt, sondern zugleich den Soundtrack beisteuert. Das Geschichtenerzählen wird somit ein Stück weit aus dem Bild gezogen und auf die Tonspur verlagert. Mitunter könnte man glauben, den Großvater des Bundy-Familienhunds Buck aus „Eine schrecklich nette Familie“ grummeln zu hören; die misanthropische Grundhaltung und pragmatische Herangehensweise an Problemstellungen teilen sie sich jedenfalls ebenso wie die verlotterte äußere Erscheinung, die sie jeweils ihrem unmittelbaren Umfeld zu verdanken haben.

Natürlich lässt sich die telepathische Kommunikation zwischen den beiden ungleichen Individuen aus anthropozentrischer Sicht auch recht problemlos als Metapher umdeuten, indem man sie als Fenster in die Psychologie eines animalischen Heranwachsenden versteht, für den die Welt tatsächlich nichts weiter ist als eine Landkarte voller Optionen. Vic ist im Grunde eine wandelnde Maslowsche Bedürfnispyramide, die ohne regulierende Erziehung ihr Verlangen fortlaufend und ungezügelt zu stillen versucht. Die Betonung des Sexualtriebs, der neben dem Hunger den Hauptantrieb der Handlung bildet, brachte dem Stoff bereits den Vorwurf der Misogynie ein, zumal auch die Verfilmung nicht lange fackelt, Frauen wie willenlose Stoffpuppen als Lootboxen in der Landschaft zu verteilen, nicht anders als Konversendosen mit Nahrung oder andere Schätze der Apokalypse. Und das Jagen und Plündern läuft solange weiter, bis Susanne Benton als Quilla June ins Spiel kommt.

Mit ihrem Einstieg wendet sich Jones nun von der philosophischen Selbstreflexion des menschlichen Daseins im endzeitlichen Vakuum ab und konzentriert sich auf handfeste Story-Elemente, als der Protagonist, zwischenzeitlich ohne seinen pelzigen Begleiter, auf eine unterirdisch hausende Gesellschaftsordnung stößt, die sich wie ein Pickel unter der von WWIV gereinigten Haut der Erde vergrößert und droht, erneut an der Oberfläche aufzuplatzen. Wiederum macht es sich die Adaption einfach, diese wahnwitzige Allegorie auf die historische Entwicklung des aufgeklärten amerikanischen Bürgertums mit einem einfachen Parkgelände bei nachtschwarzem Himmel nachzubilden, als wäre es das Normalste auf der Welt. Nachdem zuvor bereits die Jauler und andere grässliche Bewohner der Oberwelt auf der Leinwand ausgespart wurden, ist weiterhin Dreistigkeit geboten, denn gleich als nächster Spezialeffekt wird einfach ein hässlich grinsender, mit weit ausgebreiteten Armen laufender Holzfäller geboten, der nicht ganz ohne Parallelen zum gerade erst erschienen „Westworld“ (1973) einen Roboter darstellen soll.

Derweil bildet sich durch das Treiben der grell geschminkten Unterweltbewohner eine recht plumpe, allerdings auch effektive Parabel auf das alte Amerika der Gründerväter, mit der das Überleben um des Überlebens willen in Frage gestellt wird. Nachhall erzeugt aber vor allem der Epilog zurück an der Oberfläche, der die Poesie der Vorlage in der Mundart des Hundes in ätzenden Zynismus verwandelt und einen kontroversen letzten Punch landet, während die Credits einrollen.

„Der Junge und sein Hund“ ist streckenweise regelrecht unverschämt in der Wahl seiner Mittel, die letztlich aber doch schlicht und effektiv ihren Zweck heiligen. Ob man nun über die Dialoge, die visuellen Effekte oder die Erzählstruktur spricht, praktisch alles könnte hier mehr Feinschliff vertragen. Andererseits; warum weiter ausarbeiten, was seine Energie in der einfachen Rohform besonders ungezügelt zum Zuge kommen lässt. Offenbar reicht ja ein Stück Wüste, ein aufmüpfiger Halbstarker und ein schmutziger Collie aus, um die apokalyptische Science Fiction anschließend neu zu denken.

7 von 10

„Der Junge und sein Hund“ wurde in Deutschland mehrere Male über Epix auf DVD ausgewertet. Die letzte Veröffentlichung stammt aus dem Jahr 2014 unter dem Originaltitel „A Boy and His Dog“, damals wahlweise auch als Blu-ray. Inzwischen scheint die komplette Auflage aber restlos vergriffen. Zumindest könnt ihr den deutsch synchronisierten Film streamen. Wer auf den deutschen Ton verzichten kann, wird aber zumindest im Ausland noch fündig. Die meisten Editionen sind vergleichbar ausgestattet. Diese Rezension basiert auf der britischen Blu-ray von 101 Films, die neben dem Hauptfilm mit englischem Originalton (Linear PCM 2.0) und optionalen englischen Untertiteln für Hörgeschädigte einen Audiokommentar Mit L.Q. Jones, John Arthur Morrill und Charles Champlin zu bieten hat, sowie außerdem ein äußerst interessantes Gespräch zwischen dem Regisseur des Films und dem Autor der Buchvorlage mit einer Gesamtlänge von 51 Minuten.

Sascha Ganser (Vince)

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Copyright aller Filmbilder/Label: 101 Films__FSK Freigabe: BBFC15 (UK-Release) / FSK16 (deutscher Release)__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Ja / Ja

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