Wir zelebrieren Actionfilme, die rocken!

Die Nacht hat tausend Augen

Originaltitel: Night Has a Thousand Eyes__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1948__Regie: John Farrow__Darsteller: Edward G. Robinson, Gail Russell, John Lund, Virginia Bruce, William Demarest, Richard Webb, Jerome Cowan, Onslow Stevens, John Alexander, Roman Bohnen, Luis Van Rooten, Henry Guttman, Mary Adams, Douglas Spencer, Dorothy Abbott, Harry Allen, Wong Artarne u.a.

Banner

Cover

Das Cover der britischen Blu-ray-Ausgabe von Powerhouse/Indicator.

Ein tiefschwarzer Himmel, aus dem zahllose weiße Sterne leuchten. So kommt die Cornell-Woolrich-Romanadaption „Die Nacht hat tausend Augen“ nicht nur zu ihrem lyrischen Titel, sondern wird der dahinter verborgene Mysteryfilm auch mit langen Schatten in ein kontrastreiches Wechselspiel aus Hell und Dunkel getaucht. Es sind Schatten, mit denen der Übergang zwischen Horror und Krimi verwischt wird. Die Ausleuchtung nimmt die Ästhetik jener Gruselfilme an, in denen üblicherweise Akteure wie Boris Karloff (“Die Mumie“) oder Lon Chaney Jr. (“Die Schreckenskammer des Dr. Thosti“) auftraten, doch stattdessen sehen wir in der Hauptrolle Edward G. Robinson, der gerade erst an der Seite von Humphrey Bogart in „Gangster in Key Largo“ zu sehen war… und prompt denken wir an zwielichtige Gestalten in gemauerten Seitengassen, deren Silhouetten durch den surrealen Schattenwurf ins Unendliche gezogen werden.

Dass der Himmel so bedrückend schwarz erscheint, als verkörpere er das gnadenlose Nichts, verleiht nicht nur der exquisit gefilmten Auftaktsequenz um einen verhinderten Selbstmord an einem nächtlichen Bahnhof eine schauerlich-jenseitige Kulisse. In dieser reinen Form eignet sich die Schwärze auch hervorragend, um das Leitthema der Weissagung zu reflektieren. Die Zukunft wird schließlich seit jeher mit einem Blick in den Himmel befragt, und wenn dieser nichts als lachende Augen in der Dunkelheit erwidert, dann wird deutlich, warum man diesen Stoff zur Zeit seiner Entstehung auch mit psychologischem Horror in Griffnähe zu Hitchcocks „Ich kämpfe um dich“ (1945) verband… oder mit dem Suspense einer sich selbst erfüllenden Befürchtung, wie in „Cocktail für eine Leiche“ (1948).

Im Mittelpunkt der Ereignisse steht der Hellseher John Triton (Robinson), der – nicht viel anders als beispielsweise 52 Jahre später der Protagonist aus „Final Destination“ (2000) – am Kassandra-Effekt leidet, das Unheil kommen zu sehen und beim Versuch, es zu verhindern, gegen die Windmühlen Ungläubiger zu kämpfen hat. Als Bühnenkünstler, der vor großem Publikum alte Tricks aus der Zauberkiste aufführt, genießt er nicht unbedingt mehr Glaubwürdigkeit als ein Schüler, der in einem Flugzeug aufgrund einer Vision eine Panikattacke bekommt. Beide hadern mit dem Gefühl der Machtlosigkeit im Angesicht einer sich anbahnenden Kette von Katastrophen, bei denen der unsichtbare Tod in Gestalt des vorbestimmten Schicksals Regie führt.

Der Aufbau der Handlung, der nach dem Prolog durch Rückblenden verdichtet wird, macht sich relativ schnell verdächtig, erzählerische Standards bequem abzuhaken, um wenig raffinierte Hausmannskost anzurühren und allzu tiefen Subtexten aus dem Weg zu gehen. Der Show-Kontext, mit dem Triton beruflich eingeordnet wird, scheint auch auf die Handlung abzufärben, der bereits einige der zeitgenössischen Kritiken vorgeworfen haben, Augenwischerei zwecks primitiver Unterhaltung zu betreiben und die tiefgründigere Vorlage Woolrichs damit zu verwässern.

Die Nacht hat tausend Augen

Edward G. Robinson hat viel zu erklären.

Tatsächlich schreckt das Drehbuch nicht davor zurück, generische Zutaten zu nutzen, sofern sie zweckdienlich erscheinen. Dazu gehört die Verknüpfung der Figuren miteinander durch persönliche Verbindungen, dazu gehört aber auch ein Darsteller wie John Lund, der dank Billy Wilders „Eine auswärtige Affäre“ (1948) gerade in aller Munde war und der das Klischee des naiven Beschützers ohne siebten Sinn für die übersinnliche Komponente der Handlung erfüllt. Ebenso Gail Russell, deren Augen wie riesige Fenster auf der Leinwand wirken, und nicht zuletzt Robinson selbst, der vom Studio durchaus mit Kalkül auf eine Rolle besetzt wurde, die im ersten Moment untypisch für ihn wirkt, die aber rückwirkend durchaus einem Muster folgt. Schließlich wird hier die tragische Komponente seiner Standardrollen aus dem Gangsterfilm aus einer anderen Perspektive weiterentwickelt, denn hier wie dort geht eine gewisse Form von Macht mit Kontrollverlust einher.

John Farrow, der kurz zuvor mit Russell „Kalkutta“ (1946) gedreht hatte, weiß das vom Studio bereitgestellte Schema F jedoch durch eine flotte Regie mit vielen Wendungen geschickt aufzubrechen. Immer der fliehenden Zeit nachlaufend, befindet sich der Hauptdarsteller in einem Dauerzustand der Rastlosigkeit. Erklärungen müssen gefunden und Hindernisse überwunden werden, bevor das nächste Desaster eintrifft, und je öfter der Prophet zu spät zur Erfüllung seiner Prophezeiung kommt, desto mehr wird er von seinem Umfeld gebremst. Bei all dem bleibt nur die Nacht eine Konstante, die auch beim Finale wieder zugegen ist, das aus allen vorherigen Hinweisen nach Maß geschneidert wurde, dabei aber für einen packenden Klimax sorgt, der dank verräterischer Schlüsselbilder viel gemein hat mit den nebelverhangenen Sherlock-Holmes-Adaptionen der eher unheimlichen Sorte. Unter dem unverrückbaren Sternenhimmel wird darüber hinaus die Kulissenhaftigkeit des Sets betont, was eine künstlerische Komponente in den Vordergrund stellt – visuell liegt das alles schon eine Nummer über der durchschnittlichen „Murder Mystery of the Month“.

Pistolen, die im Moment der Wahrheit den Dienst versagen, ominöse Löwenpfoten oder Telefonate, bei denen das Timing nicht stimmt, wirken immer ein wenig wie Gimmicks, um die Handlung mysteriös erscheinen zu lassen, was ein weiterer Grund dafür sein könnte, weshalb es Farrow nicht gelingt, von der Oberfläche abzutauchen, um noch tiefer in die Psychologie seiner Figuren einzudringen. Auch Edward G. Robinson soll seine Rolle in erster Linie wegen des Gehaltsschecks angenommen haben und nicht, weil er von der Rolle rundum überzeugt gewesen wäre. Und doch besticht „Die Nacht hat tausend Augen“ mit seinem hohen Tempo, seinem lustvoll verdrehten Spiel mit dem Thema Vorbestimmung des Schicksals und seinem charismatischen Cast. Besonders hell leuchtet er aber, wann immer die Sterne am Fundament Schattenspiele erzeugen und die Substanz von Woolrichs Vorlage erahnen lassen.

6 von 10

Schaut in den Trailer von “Die Nacht hat tausend Augen”

„Die Nacht hat tausend Augen“ erschien bei uns 2015 über Koch Media als 21. Teil der „Film Noir Collection“, einer DVD-Sammlerreihe, die in schwarzen Slim-Mediabooks veröffentlicht wurde. Inzwischen ist die Edition allerdings ausverkauft. Wer kein Problem mit Import-Discs ohne deutschen Ton hat, kann neuerdings auch zur Indicator-Blu-ray unter dem Originaltitel „Night Has A Thousand Eyes“ greifen. Das britische Boutiquelabel veröffentlichte den Mystery-Krimi im Juli 2023 als Limited Edition mit 40-seitigem Booklet. Mit dabei sind auch ein Audiokommentar von Glenn Kenny und Farran Smith, eine Featurette mit Tony Rayns, zwei Radiosendungen aus der Entstehungszeit sowie Trailer und Bildergalerie.

Sascha Ganser (Vince)

Was hältst du von dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love

Copyright aller Filmbilder/Label: Koch Media / Powerhouse / Indicator__FSK Freigabe: FSK16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Ja (Ausland) / Ja

Tagged as: , , , , , , , , , , , ,

Wie Viele Actionnerds gibt es?

  • Keine Sorge, du bist mit deiner Vorliebe nicht allein! Uns besuchten bereits 16853099 andere Actionnerds