Originaltitel: Stockholm__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2018__Regie: Robert Budreau__Darsteller: Noomi Rapace, Mark Strong, Ethan Hawke, Christopher Heyerdahl, Thorbjørn Harr, Bea Santos, Mark Rendall, John Ralston, Ian Matthews, Gustaf Hammarsten u.a. |
Lederhose. Lederjacke mit riesiger Texas-Flagge. Ein die wilde Mähne bändigender Cowboyhut. Sonnenbrille. Pornobalken unter der Nase. Es ist schon eine schräge Gestalt, die da 1973 die Zentralpapierbank in Stockholm betritt. Mit weiten Schritten durchmisst sie die Eingangshalle und läuft direkt auf einen der Schalter zu. Hier taucht sie unvermittelt ab, stellt ihre große Tasche auf den Boden, entnimmt ihr ein Kofferradio und stellt es auf die Fläche vor dem Schalter. Dann taucht der Kerl erneut ab. Als er wieder auftaucht, hält er eine Maschinenpistole in den Händen und ballert in die Luft.
Minuten später hat der seltsame Bankräuber alle Bankkunden laufen lassen und nur die Bediensteten der Bank als Geiseln genommen. Als die Polizei anrückt, fällt dem Mann eher zufällig ein, dass er ja Geld verlangen könnte. Achja, und ein Mann namens Gunnar Sorensson solle gefälligst aus dem Gefängnis entlassen werden. Stockholm hat damit sein erstes derart eskalierendes Geiseldrama. Und das Medieninteresse vor dem Gebäude ist dementsprechend groß.
Derweil dilettiert der Bankräuber von der traurigen Gestalt in der Bank munter vor sich hin. Und erschleicht sich so indirekt das Vertrauen seiner drei Geiseln. Vor allem die Bankangestellte Bianca Lind fühlt sich dem Hallodri mehr und mehr verbunden. In einem Telefonat mit dem schwedischen Premierminister nimmt sie ihren Geiselnehmer sogar in Schutz. Diese Zuneigung der Geiseln zu ihrem Geiselnehmer schlägt hohe Wellen und wird von Experten als Gehirnwäsche durch den vermeintlichen Bankräuber interpretiert. Derweil wird die Lage in der Bank aufgrund des harten Vorgehens des schwedischen Staatsapparates immer auswegloser.
Schaut in die Dramödie mit Ethan Hawke hinein
httpv://www.youtube.com/watch?v=DkR6czhAHVI
Vier Tage nach der hier nachgezeichneten Geiselnahme wurde Kristin Enmark, tatsächliches Vorbild für Bianca im Film, von Psychologen zu ihrer Leidenszeit befragt. Die erste Frage der Psychologen lautete: „Sind Sie verliebt in Clark Olofsson?“ Olofsson fungierte als Vorbild für Ethan Hawkes Figur des Bankräubers. Später wird das Verhalten der Geiseln als Stockholm Syndrom bezeichnet werden. „Die Stockholm Story“ ist nun also der Film zum psychologischen Phänomen. Der sich in keinster Weise selbst ernst nimmt. Und damit den Zuschauer gekonnt zu seiner Geisel macht. So ein Lump von einem Film.
Dabei gibt er gar nicht erst vor, historisch absolut korrekt sein zu wollen. In den Details passt kaum etwas mit dem Vorbild zusammen. Beispielsweise wurden alle Namen geändert und die Zahl der Geiseln ist unterschiedlich. Doch in den groben Abläufen bleibt „Die Stockholm Story – Geliebte Geisel“ nah an den tatsächlichen Ereignissen.
Und bedient sich dabei eines grundlegend lockeren, witzigen Tons. Dazu trägt der von Ethan Hawke („24 Hours to Live“) grandios flapsig gegebene Bankräuber einen gewaltigen Teil bei. Mal hyperaktiv, mal total überfordert, mal todernst, mal total behämmert, Hawke hat sichtlich großen Spaß an seiner Rolle und er wird von einem enorm spielfreudigen Cast unterstützt.
Vor allem Noomi Rapace („What happened to Monday?“) als Bianca spielt sehr stark auf. Transportiert sowohl ihre Angst vor der Situation als auch die zunehmende Anziehung zu Hawkes Charakter auf den Punkt. Und darf von der grauen Maus, die hinter einer viel zu großen Brille beinahe zu verschwinden scheint, zur selbstbewusster auftretenden Kampfmaus mutieren. Die immer tolle Charakterglatze Mark Strong („Der Spion und sein Bruder“) trägt eine genial schräge Langhaarperrücke auf und bestreitet als Buddy von Hawke ein paar nette Szenen. Als Antipode gibt Christopher Heyerdahl („Sicario 2“) dem schwedischen Staatsapparat, der in der Geiselnahme einen reichlich unversöhnlichen Kurs zu fahren gedenkt, ein fieses Gesicht, ohne zum eindimensionalen Schurken zu verkommen.
In technischer Hinsicht ist der eigentlich von zahlreichen Produzenten auf den Weg gebrachte Film ein typischer Blumhouse-Film. Denn viele Maßgaben Jason Blums, der tatsächlich als Produzent mitwirkte, finden sich hier: Ein Schauplatz, wenige Darsteller, eine Story, die auch niedrig budgetiert umgesetzt werden kann, und das alles so effektiv wie möglich bebildert. Das ist dann auch einer der Kritikpunkt an der Dramödie: Sie wirkt optisch niemals so gewitzt, locker und fluffig, wie sie es storytechnisch ist. Hier hätte man sich schon ein paar Kameramätzchen und -spielereien erwartet.
Auch die Musik, die von zahlreichen tollen Bob Dylan Songs geadelt wird, mutet hier und da ein wenig zu schwermütig für den Film an. Achja, und wer sich von einem Bankraubfilm Action erwartet, sollte diesen Anspruch beim Einlegen dieses etwas anderen Heist-Movies direkt zurückschrauben. Darauf ist „Die Stockholm Story“ zu keiner Sekunde ausgelegt.
“Die Stockholm Story – Geliebte Geisel” ist eine lustige Lehrstunde
Wer schon immer einmal wissen wollte, wo der „Stockholm Syndrom“-Begriff herstammt, welcher zuletzt in „Die Geiselnahme“ mit unter anderem Christopher Lambert besonders eindrücklich bebildert wurde, der sitzt bei dem unterhaltsamen, witzigen, in Teilen sogar spannenden „Die Stockholm Story“ genau richtig. Dem hätte ein wenig mehr Zuspitzung, ein wenig mehr Drama und ein wenig mehr Spannung vor allem gegen Ende sicherlich nicht schlecht zu Gesicht gestanden. So bleibt der Film leider seine gesamte Laufzeit hinweg ein wenig zu harmlos und oberflächlich. Doch der starke, von Ethan Hawke komplett überstrahlte Cast rettet den Film mühelos über die Ziellinie.
Die deutsche DVD / Blu-ray zum Film erscheint am 5. Dezember 2019 von Koch Media und ist mit einer Freigabe ab 12 ungeschnitten. Extras zum Film findet man auf den Datenträgern leider keine.
In diesem Sinne:
freeman
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