Originaltitel: Bisang seoneon__Herstellungsland: Südkorea__Erscheinungsjahr: 2021__Regie: Han Jae-rim__Darsteller: Song Kang-ho, Lee Byung-hun, Jeon Do-yeon, Kim Nam-gil, Im Si-wan, Kim So-jin, Park Hae-joon, Seo Hye-yoon, Ahn Jeong-ho, Park Yoon-hee u.a. |
Der Flughafen von Incheon. Ein junger Mann stellt an einem Schalter für Flugtickets ungewöhnliche Fragen. Am meisten interessiert ihn, welcher bald abgehende Flug die meisten Passagiere habe. Die Verkäuferin darf diese Fragen freilich nicht beantworten und lächelt sogar daraufhin folgende Beleidigungen des jungen Mannes stoisch weg. Sie wäre jedoch besser beraten gewesen, den Sonderling zu melden.
Der flaniert weiter durch den Flughafen und gerät alsbald mit einem Vater-Tochter-Gespann aneinander. Es kommt zum offenen Streit. Als der Mann im Zuge dessen erfährt, dass seine beiden Gegenüber nach Hawaii wollen, kauft auch er ein Ticket gen Honolulu. An Bord des Flugzeuges schneidet er sich auf der Flugzeugtoilette eine Ampulle aus der Achselhöhle, bringt sie in einen Asthma-Inhalator ein und versprüht den Inhalt ausgiebig in der Toilette.
Als er fertig ist, verlässt er die Kabine und begegnet ausgerechnet dem Mädchen, mit dessen Vater er zuvor aneinander geraten war. Dem flüstert er eiskalt ins Ohr, dass sämtliche Passagiere des Fluges alsbald sterben würden. Wenig später beginnt ein Mann unvermutet aus der Nase zu bluten, sein Auge zerplatzt und er bricht tot im Gang des Flugzeuges zusammen. Für die restlichen Passagiere hat der Überlebenskampf längst begonnen.
Sattes Spannungskino aus Südkorea
Die ersten 60 Minuten von „Emergency Declaration“ sind ein Lehrstück in Sachen Spannungsaufbau und Eskalation derselben. Kurz und prägnant werden die wichtigsten Figuren etabliert. Neben den Passagieren an Bord wird noch ein Polizist auf dem Boden der Tatsachen eingeführt. Der wird auf ein Video eines Mannes aufmerksam, der erklärt, einen Anschlag auf ein Flugzeug zu planen.
Seine Aufgabe im Film besteht nun darin, die Motivation des jungen Mannes aufzudecken und aufzuklären, womit er die Menschen an Bord des Flugzeuges infiziert hat. Der Polizist hat auch einen privaten Antrieb für sein Tun, denn seine Ehefrau ist an Bord des Fliegers.
Innerhalb kurzer Zeit ist das freigesetzte Virus dann bereits am Wirken. Das Flugzeug stürzt in einer inszenatorisch grandiosen und mit weitgehend praktischen Effekten arbeitenden Szene beinahe ab und mehr und mehr Passagiere infizieren sich. Die Zeit verfliegt förmlich und man ist mittendrin in dem Überlebenskampf.
Doch nach diesem Einstieg sackt der Film leider in sich zusammen. „Emergency Declaration“ baut nun um. Denn das Drehbuch von Han Jae-rim, der auch die Regie übernahm, will eigentlich auf etwas Anderes hinaus. Nun muss die große Politik ins Spiel gebracht werden. Neue Protagonisten erscheinen auf der Spielfläche. Das Schicksal der Flugzeuginsassen wird gefühlt etwas egal. Doch das Drehbuch kriegt nach diesem (notwendigen?) Spannungsloch wieder die Kurve. Zum Glück. Und aus dem Spannungsbringer wird nun ein reinrassiges Drama mit großen moralischen Fragen.
Denn warum sollte irgendein Land das Flugzeug landen lassen, wenn keiner weiß, an welchem Virus die Insassen leiden? Corona hat gezeigt, wie gnadenlos chaotisch die Lage unter derartigen Voraussetzungen sehr schnell werden kann. Diese Realitätsnähe macht in der letzten Stunde des Streifens richtiggehend beklommen. Wie würde man selbst reagieren? Würde man ein Flugzeug voller Menschen opfern, um nicht noch mehr Menschen zu gefährden?
Und Han Jae-rim setzt zusätzlich auf weitere Spannungseinschübe. Wichtiges Flugpersonal an Bord stirbt, die Passagiere beginnen sich gegeneinander zu wenden, ausländische Regierungen geben sich vermeintlich herzlos und unser Polizist muss zunehmend ohnmächtiger zusehen, wie über das Schicksal seiner Frau entschieden wird. Zumindest er unternimmt einen mutigen Schritt, um dem Palaver der Minister Aktionismus entgegenzusetzen. Mit unabsehbaren Folgen.
Das Finale gerät so erneut mörderspannend, hat sehr emotionale Einschübe und verwehrt sich auch nicht den gewohnten Klischees des Desaster-Filmes rund um Flugzeuge. Denn natürlich wird kein Pilot der Airline das Flugzeug landen, sondern ein Passagier. All das funktioniert aber einfach prächtig und lässt einem mit Einsetzen des Abspannes ordentlich tief durchatmen.
Diese Intensität und Wirksamkeit verdankt der Film freilich auch seinen starken Darstellern. Mit Lee Byung-hun („Ashfall“) als Vater des Vater-Tochter-Gespanns und Song Kang-ho („Snowpiercer“) als Polizist haben wir zwei absolute Superstars des südkoreanischen Kinos an Bord, die sich vollumfänglich in den Dienste des Drehbuchs stellen und beide perfekt abliefern.
Witzigerweise sind die Vorzeichen ein wenig verdreht, denn der sonst auf Action abonnierte Lee Byung-hun gibt hier den besonnenen, sehr zurückhaltenden Part, während sich der sonst eher dramatisch geschulte Song Kang-ho mit vollem Körpereinsatz in seine Szenerien werfen darf. Auch die restlichen Darsteller funktionieren prächtig und abgesehen von ein oder zwei Figuren kommt es auch nicht zu Overacting-Ausfällen. Unbedingt hervorheben muss man noch den mit Verve aufspielenden Si-wan Yim als irren Biowaffen-Terroristen.
Inszenatorisch gibt sich der mit aufwändigen Szenerien aufwartende Film keine Blöße. Es dominiert ein interessanter Look aus gedeckten, in „kränkliche“ Richtungen korrigierten Farben und beständig überstrahlenden Flächen, aus denen viele Unschärfen resultieren, in denen man förmlich meint, den Virus herumfliegen zu sehen. Viele Lense-Flare-Effekte fallen zusätzlich auf. Die Effekte rund um das Flugzeug sind stark in Szene gesetzt. Begegnungen mit Kampfjets haben Wumms. Großartig: der beständig dräuende Score, der in Verbindung mit toll ausgewählten Songs die Spannung immer weiter pusht.
„Emergency Declaration“ ist zu offensichtlich zweigeteilt
Noch einmal:Die ersten 60 Minuten des südkoreanischen „Emergency Declaration“ sind ein absolutes Meisterwerk in Sachen Spannungsaufbau. Dank großartiger Darsteller und einer ungemein verdichteten Handlung ist man auch aufgrund einer tadellosen und extrem aufwändigen Inszenierung richtig im Überlebenskampf der Passagiere drin und hat keinerlei Ahnung, wie diese Situation jemals aufgelöst werden soll.
Dann nimmt Regisseur Han Jae-rim eine krasse Richtungskorrektur in Richtung eines Planspieles vor. War man bis dato bei jedem Todesopfer sozusagen live Zeuge des Ablebens, erfährt man nun maximal über berichtende Medien am Boden, wie viele Passagiere inzwischen verschieden sein sollen. Der eigentliche Todeskampf, er wirkt auf einmal seltsam egal. Zahlreiche neue Figuren müssen nebenbei etabliert werden. Weil es nun um große moralische Fragen gehen soll. Dieser Umschwung ist tadellos inszeniert, aber er packt nicht sofort zu.
Genau in diesem Mittelteil kann es passieren, dass der Thriller sein Publikum verliert. Schafft man es jedoch, dran zu bleiben, erlebt man ein Finish, das nicht ganz an den großartigen Einstieg heranreicht, aber auf seine Weise zunehmend famoser funktioniert.
„Emergency Declaration“ ist ein südkoreanischer Film, der von Plaion sogar mal mit einem Kinorun bedacht wurde. Am 23. März 2023 erscheint der Film nun – tadellos synchronisiert – auf DVD, Blu-ray und 4K UHD. Die Datenträger sind freigegeben ab 16 und haben leider keinerlei Extras an Bord. Man kann den Film auch auf verschiedenen VoD-Plattformen streamen.
In diesem Sinne:
freeman
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