Originaltitel: Pet Sematary: Bloodlines__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2023__Regie: Lindsay Anderson Beer__Darsteller: Henry Thomas, Samantha Mathis, Natalie Alyn Lind, David Duchovny, Pam Grier, Jack Mulhern, Jackson White, Forrest Goodluck, Victoria Paige Watkins, Glen Gould, Isabella LaBlanc, Vincent Leclerc, Mabel Tyler, Auden Larratt, Rachel Osborne, Karl Graboshas, John W. Lawson u.a. |
„Liebt sie den Kater?“
„Ja, aber…“
Juds Stimme, leise und irgendwie logisch: „Und Sie lieben sie?“
„Natürlich liebe ich sie. Schließlich ist sie meine…“
„Dann kommen Sie mit.“
Wenn der alte Jud Crandall in Stephen Kings „Friedhof der Kuscheltiere“ auftauchte, schwebte immer eine schwarze Wolke der Traurigkeit über seinem Kopf, die seine Gesichtszüge verdüsterte. Ein nicht unwesentlicher Teil der Spannung des Romans rührte daher, dass man unbedingt hinter die Wolke und letztlich hinter Juds steinerne Fassade blicken wollte, um mit eigenen Augen zu sehen, was Juds Augen vor langer Zeit gesehen hatten. Aber manchmal, ja, manchmal ist es besser, unwissend zu bleiben. Oder, um es in Kings Worte zu fassen: Sometimes dead is better.
Den Filmstudios ist diese Weisheit mit Sicherheit auch hier und da mal zu Ohren gekommen, aber als Wirtschaftsunternehmen können und wollen sie nun mal nicht gegen ihre eigene Natur handeln. So gab Paramount also grünes Licht für ein Prequel zum „Friedhof der Kuscheltiere“-Remake, welches zwar 2019 mehr Himbeeren als Lorbeeren bei den Kritikern erntete, an den Kinokassen allerdings dicke schwarze Zahlen schrieb. Da wird es irrelevant, dass aus künstlerischer Sicht keinerlei Notwendigkeit besteht, eine Vorgeschichte zu den Ereignissen um das Böse von einem alten Indianerfriedhof in Ludlow, Maine, zu erzählen… solange es nur angemessen scheint, den hauseigenen Streaming Service mit etablierten und gut laufenden Marken zu füttern. Also hinauf den Pfad mit der Leiche, schnell ein Loch ausgehoben, in die unheilige Erde damit und abwarten, welche Saat im Morgengrauen sprießt…
Lindsay Anderson Beer darf mit ebenjenem Prequel, getauft unter dem stromlinienförmigen Titel „Friedhof der Kuscheltiere: Bloodlines“, ihr eigenes Drehbuch verfilmen, bewahrt also zumindest auf dem Papier ein recht hohes Maß an künstlerischer Kontrolle. Das ist schon eher ungewöhnlich, ist sie doch bisher ein nahezu unbeschriebenes Blatt im Filmgeschäft. Zuvor hatte sie lediglich eine eher unbekannte Netflix-Komödie geschrieben und war an der Konzeption einer Fantasy-Serie basierend auf einem Comic beteiligt; Regie führt sie nun sogar zum ersten Mal überhaupt. Ihre King-Adaption jedenfalls verlegt sie ins Jahr 1969, also 50 Jahre vor die Ereignisse der ersten Neuverfilmung, und kürt wenig überraschend den jungen Jud Crandall (Jackson White) zum neuen Protagonisten. Wo Crandall im Originalstoff wie ein Veteran anmutet, der schreckliche Dinge im Krieg gesehen hat, findet er sich hier ironischerweise in der Rolle eines jungen Kerls wieder, der einem bevorstehenden Krieg in weiser Vorahnung aus dem Weg gehen und die Flucht ergreifen möchte.
Über Flashbacks, die an den „Club der Verlierer“ aus Stephen Kings „ES“ gemahnen, wird dann ein Band zu Timmy (Jack Mulhern) geknüpft, einem Jugendfreund Juds, der gerade aus dem Krieg zurückgekehrt ist und der sich seitdem seltsam verhält. Zu einem Wiedersehen der beiden Freunde von früher hätte es eigentlich gar nicht mehr kommen sollen, doch bevor Jud den von ihm verhassten Ort mit seiner Freundin Norma (Natalie Alyn Lind) verlassen kann, wird sie von Timmys aggressivem Hund gebissen. Ludlow hat Jud und Norma wieder in seinen Fängen…
Wenn es um den Aufbau von Suspense geht, der für die Franchise traditionell enorm wichtig ist, gerät letztlich Timmy zur Schlüsselfigur. Wo Jud der typische King’sche Ich-Erzähler bleibt, der lediglich beobachtet und beschreibt, hängt die komplette Dramaturgie an dem Verhalten des Kriegsheimkehrers, der von Jack Mulhern zombie-ähnlich, kahlgeschoren und leichenblass wie unter Trance gespielt wird. Der Fokus auf das merkwürdige Gebaren Timmys zwecks Spannungssteigerung ist so auffällig, dass man behaupten könnte, der von Beer gefahrene Kurs orientiert sich weniger an der Kuscheltiere-Adaption von 2019 als vielmehr an Bob Clarks Horror-Psychodrama „Deathdream“ (1974). Auch hier nämlich kehrt ein junger Soldat aus dem Vietnamkrieg zurück und entpuppt sich schließlich als eine Art Untoter, der seine Seele offenbar irgendwo auf dem Schlachtfeld zurückgelassen hat. Wie es um Timmy bestellt ist, weiß der Zuschauer in Kenntnis von Kings Vorlage und den bisherigen Verfilmungen natürlich nur zu gut, und so wartet man auf die unvermeidliche Eskalation… und wartet… und wartet…
Während Bob Clark in „Deathdream“ eine beklemmende Mischung aus schwermütigem Heimkehrerdrama, intensivem Psychothriller und krudem B-Horror anrührte, die mit reduzierten Mitteln zu einer steilen Spannungskurve mitsamt drastischem Klimax führte, er also eine Rezeptur anwandte, die für einen Film wie „Friedhof der Kuscheltiere: Bloodlines“ ausgesprochen reizvoll erscheinen muss, würgt Beer die Spannungskurve im Aufbau begriffen immer wieder ab. David Duchovny darf im Prolog noch die Gothic-Geister beschwören, als er in der Rolle von Timmys Vater des Nachts mit dem Ausheben von Gräbern beschäftigt ist, danach häufen sich Anzeichen um Anzeichen an, ohne dass es dem Plot gelingen würde, sich jemals aus der selbst geschaufelten Grube freizustrampeln, um endlich seine Entwicklung voranzutreiben. Immer wieder nur Timmy, der ominöse Dinge tut, schließlich dann andere Figuren, die sich so verhalten wie Timmy. Und bald beginnt man zu verstehen, dass sich dieser Film aus eigener Kraft wohl nicht mehr aus der Was-geht-hier-vor-Spirale zu befreien weiß.
Wenig hilfreich sind dabei auch die Verpflichtungen gegenüber der Adaption von 2019. Möchte „Bloodlines“ als dessen vollwertiges Prequel verstanden werden, muss es eben auch die von Kevin Kölsch und Dennis Widmyer damals etablierte Ästhetik übernehmen. Also werden wieder Tiermasken im Bild drapiert, das Color Grading wird auf Blau-Grün geeicht und die Optik mit Hochglanzlack versiegelt, damit auch ja kein Staubkorn eindringen kann. Der einmalig nihilistischen Atmosphäre von Mary Lamberts 89er-Erstverfilmung ist auf diese Weise natürlich längst nicht mehr beizukommen, doch selbst die Vision von Kölsch und Widmyer war ungleich verstörender als die unbeholfenen Zuckungen, die diese Vorgeschichte nun auszulösen vermag.
Da hilft es nicht einmal, dass etwa die Krankenhauskulisse leichte Schwingungen von „Hellraiser II“ verströmt, denn es fehlt schlichtweg das Haptische; Eindrücke von verdreckter Haut, verfilztem Fell und prothetischen Effekten. Ohnehin spielen Tiere, beziehungsweise die urtümlichen Bezüge der Franchise zum Tierhorror-Genre, kaum mehr eine Rolle. Stattdessen gibt es halbherzige Zombie-Anleihen und computergenerierte Wunden, die sich wie digitale Pflaster über Körperteile legen und denen die Simulation von Horror kaum besser gelingt als einer x-beliebigen Filter-App.
Die Besetzung mit Ikonen aus alten Zeiten, wie eben Duchovny, oder auch Pam Grier (immerhin in einer ironisch anmutenden Rolle als Postbotin, die sich in einer Szene mit einem Hund anlegt), muss da zutiefst anachronistisch wirken. Beide werden in ihren Nebenrollen leider gnadenlos verschenkt. Henry Thomas (“Das Spiel“) bringt als Juds Vater wenigstens ein bisschen King-Flair ein, das ansonsten fast völlig fehlt.
Und so dümpelt die Kleinstadtanekdote ziellos vor sich hin, nicht länger als 90 Minuten, wenigstens das nicht, aber ohne in dieser Zeit den Wurzeln des Bösen jemals auch nur nahe zu kommen. Pläne werden angeblich bereits geschmiedet für weitere Einträge ins Kuscheltier-Universum, was beinahe wie ein Eingeständnis gelesen werden kann, dass der Rückblick auf Juds Jugendjahre eigentlich von Anfang an den eigenen Ansprüchen nicht genügte. Es wäre natürlich nicht allzu verwunderlich, wenn Lindsay Beer genau das vom Studio als wichtigste Vorgabe bekommen hätte: einen unvollständigen Film zu drehen, einen Teaser für Ausstehendes, der am Ende bloß nicht zu rund wirken darf. Schließlich möchte der Tierkadaver weiter gemolken werden. Den Symbolwert hat Beer allerdings heimlich in ihrer Arbeit versteckt, entpuppt sich „Friedhof der Kuscheltiere: Bloodlines“ doch im Andenken an die literarische Vorlage als aufgewärmte Leiche, die man besser hätte ruhen lassen.
„Friedhof der Kuscheltiere: Bloodlines“ ist eine Direct-to-Streaming-Produktion und kann seit dem 7. Oktober 2023 exklusiv über Paramount+ abgerufen oder über andere VoD-Anbieter als Digital Download erworben werden. Eine physische Veröffentlichung ist derzeit nicht geplant.
Sascha Ganser (Vince)
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