Mit „Furiosa“ erhält die zweite Hauptfigur von „Mad Max: Fury Road“ ihren eigenen Film. In dem Prequel erzählt „Mad Max“-Mastermind George Miller die Vorgeschichte der Endzeitkriegerin, die im Erwachsenenalter von Anya Taylor-Joy gespielt wird. Chris Hemsworth gibt den durchgeknallten Antagonisten, während „Fury Road“-Darsteller wie Nathan Jones und Richard Norton in bekannten Rollen wiederkehren.
Originaltitel: Furiosa: A Mad Max Saga__Herstellungsland: Australien__Erscheinungsjahr: 2024__Regie: George Miller__Darsteller: Anya Taylor-Joy, Chris Hemsworth, Alyla Browne, Tom Burke, Lachy Hulme, Nathan Jones, George Shevtsov, John Howard, Angus Sampson, Charlee Fraser, Elsa Pataky, Richard Norton, Josh Helman u.a. |
Anno 2015 fabrizierte George Miller mit „Mad Max: Fury Road“ ein Powerhouse von einem späten Sequel, mit dem kaum jemand gerechnet hatte: Zehn Oscar-Nominierungen, sechs Auszeichnungen mit dem Goldjungen und begeisterte Kritiken. Dennoch sollte es neun Jahre dauern, bis die zweite Hauptfigur des Films mit „Furiosa“ ihr eigenes, schon früh angekündigtes Prequel bekommen sollte.
Zu Beginn erlebt man die kindliche Furiosa (Alyla Browne) als Teil der Vuvalini-Gemeinschaft, zu der sie in „Fury Road“ zurückkehren möchte. Doch als sie und ihre Schwester beim Pfirsichesammeln auf ein paar Banditen treffen, steht dem Mädchen der Exodus aus dem Paradies bevor: Sie wird entführt. Ihre Mutter nimmt die Verfolgung auf und schon hier unterscheidet sich die Inszenierung von gängigen Standards. Die Jagd zieht sich auf Handlungsebene über mehrere Stunden hin, bei der beide Seiten taktieren: Schaltet Mary einen Banditen mit einem Scharfschützengewehr aus, so erzeugen die anderen Schurken Sandwolken, um keine einfachen Ziele mehr zu sein. Wird ein Bandit getötet, so wird schnell überlegt, welche Ausrüstung und Beute man besser nicht zurücklässt. Mary wiederum kann schnell ein Banditenbike fit machen, um die Verfolgung fortzusetzen, mit geübten Handgriffen, wie es in der Postapokalypse zum Alltag gehört. Gerade durch solche Details weiß bereits diese mehrere Minuten lange Verfolgungsjagd für sich einzunehmen.
Am Ende können Furiosa und Mary zwar verhindern, dass irgendeiner der Banditen noch vom Standort der Vuvalini erzählen kann, doch Furiosa bleibt in Gefangenschaft des schurkischen Anführers Dementus (Chris Hemsworth), während ihre Mutter beim Befreiungsversuch stirbt. Auch hier kann Miller durch kleine Details ein unheimlich stimmiges Bild der postapokalyptischen Höllenwelt zeichnen, in der Mitgefühl tödliche Folgen haben kann. Mary wird bei der Befreiung entdeckt, weil sie eine Banditin verschont. Furiosa gelingt die Flucht deshalb nicht, weil sie sich nicht an die Anweisungen ihrer Mutter hält, sondern dieser beistehen will.
So wächst Furiosa als Sklavin und Ersatztochter von Dementus heran, der mit seiner Horde irgendwann auf die Zitadelle von Immortan Joe (Lachy Hulme) stößt. Nachdem er die Festung nicht so einfach einnehmen kann, erzwingt Dementus mit List ein Bündnis mit dem Gewaltherrscher, der Furiosa als Unterpfand fordert…
Schaut euch den Trailer zu „Furiosa: A Mad Max Saga“ an
Sicher kann man „Furiosa“ auch ohne Kenntnis von „Fury Road“ anschauen, zum besseren Verständnis ist eine Kenntnis des Films von 2015 auf jeden Fall empfehlenswert. Und doch kopiert Miller nicht einfach dessen Rezept, sondern geht seinen eigenen Weg. „Furiosa“ verhält sich zu „Fury Road“ wie „The Raid 2“ zu „The Raid“: War der Vorgänger noch ein auf Wesentliche konzentrierter Film, der in seiner Reduktion fast wie ein Metakommentar auf sein eigenes Genre wirkte, so ist der Nachfolger ein ausladenderes Epos in der gleichen Welt, hier eben als Prequel erzählt. Beschränkte sich die Handlung von „Fury Road“ auf wenige Tage, so erzählt „Furiosa“ die Geschichte seiner Hauptfigur über Jahre hinweg, von der Entführung als kleines Mädchen bis zu jenem Punkt, an dem „Fury Road“ einsetzt. Da macht Miller auch keine Kompromisse: Mit Anya Taylor-Joy („The Northman“) ist zwar eine der aktuell angesagtesten Schauspielerinnen in der Hauptrolle besetzt, doch sie löst Alyla Browne („Kinder des Zorns“) erst mehr als einem Drittel des Films ab.
„Furiosa“ ist eingeteilt in fünf Kapitel, die von verschiedenen Lebensphasen der Protagonistin erzählen: Vom entführten Mädchen zur Aspirantin in Immortan Joes Harem, nach der Flucht von dort als Warboy getarnt, später Fahrerin des War Rig, wie der schwerbewaffnete Tanklaster genannt wird, den Praetorian Jack (Tom Burke) im Auftrag Joes befehligt. Durch ihre Erfahrungen wird Furiosa hart gemacht, muss immer wieder ihren Einfallsreichtum und ihre Stärke beweisen, um schließlich zu jener abgebrühten, mit allen Wassern gewaschenen Person zu werden, die das Publikum aus „Fury Road“ kennt. Mit dessen Erwartungen spielt Miller auch: Immer wieder gibt es Situationen, von denen man denkt, dass dies nun der Moment ist, in dem Furiosa ihren Arm verliert, nur um dann doch in einem Stück herauszukommen.
Stilistisch geht Miller dieses Mal farbenfroher zu Werke, setzt auf kräftigere Farben, allerdings auch auf etwas mehr und etwas deutlichere CGI-Unterstützung als in „Fury Road“, was jedoch nur selten störend auffällt. Damit gelingen ihm eindrucksvolle Bilder (etwa Panorama-Shots von Dementus‘ riesiger Horde oder ein aufwändiger Überfall, der in einer einzigen Einstellung im Hintergrund stattfindet), untermalt von einem dynamischen Soundtrack von Tom Holkenborg alias Junkie XL („Godzilla x Kong“). Besonders beeindruckend ist aber das Wordbuilding, das Miller fast nebenbei betreibt, jedoch durch kleine, unaufdringliche Details und großen Ideenreichtum unglaublich einprägsam gestaltet. Da gibt es den History Man (George Shevtsov), ein Sklave, der als eine Mischung aus Chronist und lebendem Wörterbuch fungiert und von Kopf bis Fuß mit Schriften tätowiert ist. Da gibt es eine alte Frau unter den ausgehungerten Sklaven Immortan Joes, die Leichenteile sammelt und darauf fette Maden züchtet, die wiederum als Nahrung dienen. Da gibt es Kranhaken in den Verteidigungsanlagen der Zitadelle, mit deren Hilfe die Warboys Angreifern einfach die Motorräder klauen können. All das wird gepaart mit Erfindungen aus dem Vorgänger, etwa die Partnerstädte Gas Town und Bullet Farm, mit denen die Zitadelle die wichtigsten Handelsgüter der Postapokalypse (Benzin, Munition, Nahrung) im Zirkel tauscht.
Vor allem aber tritt Millers Kreativität erneut in den einfallsreichen Actionszenen zutage, an denen phantasievoll gestaltete Vehikel teilnehmen. Dementus beispielsweise fährt erst einen Streitwagen, der anstelle von Pferden von drei Motorrädern gezogen wird, später einen geländegängigen dreiachsigen Monster Truck. „Furiosa“ startet erst mit ein paar kleineren Actionszenen, darunter die anfängliche Verfolgungsjagd, der vergebliche Erstürmungsversuch der Zitadelle oder ein Überfall auf einen Tanklaster. In der Filmmitte kommt das erste exzessive Set Piece, welches große Teile des dritten Kapitels einnimmt: Mit Motorrädern, Autos und Fluggeräten attackiert eine Banditenhorde das War Rig, das wiederum über vielfältige Verteidigungsanlagen verfügt. Mit immer neuen Strategien und Taktiken werden beide Parteien in voller Fahrt mehr und mehr dezimiert, mit Schießereien, Explosionen und Nahkämpfen. Letztere wurden – wie schon jene in „Fury Road“ – von B-Actionstar und Miller-Landsmann Richard Norton („Soul of the Avenger“) choreographiert. Bald darauf folgt das zweite exzessive Set Piece in einem Steinbruch, in dem neben dem War Rig und den üblichen Trucks und Bikes auf Baumaschinen zum Einsatz kommen. Zudem beweist Miller dabei große Meisterschaft der Rauminszenierung und Übersichtlichkeit der Action, wenn mehrere Parteien an mehreren Stellen agieren: War Rig und gegnerische Fahrzeug kämpfen an einer Stelle, von einem Turm nehmen Angreifer den Kriegslaster mit einem Raketenwerfer unter Beschuss und von einer erhöhten Position wiederum greift Furiosa via Scharfschützengewehr ein.
Danach kann man nicht anders, als ein furioses Finale zu erwarten. Und genau das verstolpert „Furiosa“ dermaßen, dass man nur mutmaßen kann, ob Miller am Ende vielleicht das Budget ausging oder sie zu weit im Zeitplan zurückhingen. Denn der Showdown kommt reichlich abrupt und dramaturgisch total holprig und ist noch dazu enttäuschend klein skaliert. Als Furiosa Dementus aufspürt, hat dieser aus nicht erklärten Gründen nur noch fünf Hansel anstelle seiner gewohnten Heerscharen um sich, außerdem streicht das Schurkenpersonal enttäuschend schnell die Segel. Das ist sehr antiklimaktisch und wird auch noch unerwartet dialoglastig, wenn Miller, der vorher vor allem über Bilder und Aktionen erzählt hat, das Verhältnis von Furiosa und Dementus nochmal mit eher bemühten Dialogen auf eine andere Ebene hieven will. Das meiste davon hat er schon vorher mit kleinen Details (Teddybär) klar gemacht, sodass dies keine neue Tiefe erreicht. Ebenfalls etwas bemüht ist der Gastauftritt von Mad Max und seinem treuen V8 Interceptor in einer Einstellung zur vor dem Finale.
Anya Taylor-Joy mag der große Star sein, aber wenn man über die Hauptfigur von „Furiosa“ spricht, muss man eigentlich zwei Leistungen würdigen. Alyla Browne erweist sich als talentierte Nachwuchsdarstellerin als junge Protagonistin, die sich mit Einfallsreichtum und begrenzten Ressourcen in der Postapokalypse durchschlägt. Taylor-Joy darf ihr Charisma dann als ältere, zunehmend mit allen Wassern gewaschene Furiosa einbringen. Sie spielt die Endzeitkriegerin als Überlebenskünstlerin, die einerseits tough und abgeklärt ist, andrerseits immer noch Hoffnung auf die Rückkehr ins Paradies in sich trägt. Chris Hemsworth („Tyler Rake: Extraction 2“) legt seinen Schurken geringfügig karikatur- und cartoonhaftiger als seine Vorgänger an, doch das macht seine Bedrohlichkeit aus: Dementus ist ein Wahnsinniger, der sich selbst als Sonnengott sieht, aus Launen heraus handelt und dem alles zuzutrauen ist. Weitere Akzente setzt Tom Burke („Only God Forgives“) als rechtschaffener Endzeitkrieger unter lauter Halsabschneidern. Viele Darsteller spielen ihre Rollen aus „Fury Road“ erneut, etwa Nathan Jones („Der Spinnenkopf“) als Rictus Erectus. Lachy Hulme („Killer Elite“) ersetzt den 2020 verstorbenen Hugh Keays-Byrne als Immortan Joe. Und nachdem Chris Hemsworth einen Gastauftritt im Netflix-Vehikel „Interceptor“ für seine Ehefrau Elsa Pataky hatte, hat diese nun einen Cameo als Mitglied von Furiosas Stamm.
„Furiosa“ greift viele Qualitäten von „Fury Road“ auf, darunter die wahnsinnig kreativen Actionszenen mit den einfallsreichen Vehikeln und den spektakulären Stunts sowie das geschickte Wordbuilding. Dem simplen Plot des Vorgängers setzt er hier eine ausladende Charakterwerdungsgeschichte entgegen, die zwar durch mehr CGI-Einsatz etwas künstlicher wirkt, sich aber über lange Zeit quasi auf Augenhöhe mit „Fury Road“ bewegt. Doch indem Miller das Finale verstolpert bleibt am Ende „nur“ ein guter Endzeit-Actionfilm. Es hätte allerdings ein brillanter sein können.
© Nils Bothmann (McClane)
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Gerade. Kurve. Gerade. Ziel. Der Weg allen Lebens. Einfach, schnörkellos, formvollendet und voller einleuchtender Wahrheit. „Fury Road“ war 2015 nicht einfach nur eine audiovisuell betörende Kohlenwasserstoffexplosion vor der orange-blauen Kulisse australischer Wüstenlandschaften, sondern in all seiner Schlichtheit ein Symbol für den inneren Antrieb einer jeden von der Natur ausgespuckten Kreatur, in feindseliger Umgebung zu überleben.
„Furiosa: A Mad Max Story“, 2024. Diesmal als Einstieg zentral im Bild platziert ist nicht etwa der Blick vom Canyon auf staubige Ödnis, sondern ein saftiger Pfirsich. Noch ein Symbol also, diesmal aber eines, das dem Überlebenskampf einen Lohn in Aussicht stellt. Er leuchtet entsprechend verführerisch, wie er in der Krone eines Baumes ruht, auf einer Anhöhe inmitten einer Oase, die wiederum im Herzen derselben australischen Wüste liegt, in der Max gerade irgendwo ein Lagerfeuer entfacht und sich eine Eidechse röstet.
Der Weg ist nicht länger schnörkellos, er schlägt diesmal ziemlich viele Haken. Es geht von der Baumkrone in die Vertikale, Schleichwege durchs Gestrüpp werden genommen, es entsteht ein Überraschungsmoment, gefolgt von Chaos, dieses wiederum mündend in eine Flucht, die eine Verfolgung zur Konsequenz hat, in welcher auf einmal die Machtverhältnisse wechseln. Die Moral von der Geschicht’: Zwei Entführer fliehen am Ende des ersten Akts mit einem Kind aus dem Grün hinaus ins Orangene, und die Mutter folgt ihnen. Die Jagd verläuft nicht linear wie in jenem großen Epos, in dessen Schatten hier eine Vorgeschichte entsteht, sondern ähnelt im Ablauf eher den Bewegungen einer Seitenwinder-Klapperschlange.
Die Symbolik des Überlebens ist erhalten geblieben, doch diesmal ist es eher die Mechanik des Überlebens, die George Miller in den Vordergrund rückt. Im Affekt der Verfolgungsjagd werden im Sekundentakt Automatismen gezündet, deren Funktionsweisen nicht extra erklärt werden müssen, denn sie erklären sich im intuitiven Fluss der Einstellungswechsel irgendwann von selbst. Man sieht da diese seltsamen Wüstengestalten, die selbst unter akuter Lebensgefahr Erstaunliches zu leisten imstande sind, ohne viele Ressourcen zur Verfügung zu haben. Innerhalb weniger Augenblicke werden Motorräder wie mobile Ersatzteillager auseinandergenommen und andere wieder mit den Teilen zusammengesetzt, und niemand ist während dieser Aktionen dumm genug, sich wie ein Greenhorn auf den Kamm der Düne zu stellen, um sich wie ein Handlanger in einem James-Bond-Streifen aus der Ferne abknallen zu lassen. Man bekommt da Vertreter einer degenerierten Weltordnung zu sehen, die aber ihre besonderen Fähigkeiten an die Umweltbedingungen angepasst und mit der Zeit perfektioniert haben. So wie es die Evolutionsbiologie mit sämtlichen erfolgreichen Spezies tat. Fachidiotie in Vollendung.
Eine Welt mit solchen unausgesprochenen Details anzureichen und auf diese Weise schlüssig wirken zu lassen, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Kernkompetenz der gesamten Franchise, die sich Miller auch im neuesten Ableger bewahrt hat. Es gelingt ihm nach wie vor, eine Geschichte vorrangig durch Bewegung und Ablauf zu erzählen, über die primären stilistischen Mittel eines Actionfilms also, der bei „Fury Road“ als Genre sogar durch die Academy endlich mal wieder erzählerisch anerkannt und nicht als Stunt-Show abgewunken wurde. Diese Stärke teilen sich „Fury Road“ und „Furiosa“. Eine Gabelung erreichen sie dann aber doch und nehmen getrennte Wege, als sich auf einmal die Welt öffnet, die bis dahin nur angedeutet wurde. Ab diesem Punkt ist das eine kein Klon mehr vom anderen.
Als Miller uns einen kurzen Blick auf das Dorf gewährt, aus dem Furiosa stammt, kommen daher auch kurz Donnerkuppel-Gefühle auf, die sich im Getöse der Motoren aber schnell wieder verflüchtigen. Von der Völkeresoterik des dritten Teils hält sich der Regisseur diesmal wohlweislich fern. Vielmehr lässt er durch die neu gewonnene Weite eine ähnliche Wirkung entstehen, wie sie das „Mad Max“-Videospiel von 2015 erzeugte, um den zugehörigen Kinofilm mit seiner Open World zu erweitern. Strukturen etwa zwischen der Zitadelle, Gas Town und kleinen Siedlungen werden klarer ausgearbeitet, Kulissen von ihrer Autonomie befreit und die Weiten des Wastelands zu Verbindungsstraßen erklärt. Ähnliches geschah zwar schon im Vorgänger, jedoch nicht mit einem derart prüfenden Blick für jedes einzelne Rädchen, das sich im Hintergrund dreht. Die Denkweise eines Immortan Joe zum Beispiel, damals noch kryptischer Hauptantagonist, wird diesmal trotz Degradierung zur Nebenfigur raffiniert offengelegt, ohne ihn ganz zu entmystifizieren. Hauptsächlich beobachtet er, seine Entscheidungen äußern sich dann implizit im Handeln seiner Untergebenen, dem People Eater (John Howard) vor allem oder auch Rictus Erectus (Nathan Jones).
Diesen ungewöhnlichen Kniff, wichtige Figuren und ihren Einfluss auf die Handlung eher im Hintergrund aufzubauen, wendet Miller nicht zuletzt auch auf seine Titelfigur an. Es wäre ein Leichtes gewesen, den mit Shootingstar Anya Taylor-Joy neu besetzten Charakter Furiosa wortwörtlich in den Sand zu setzen, wäre man dem Leitfaden des neuen feministischen Hollywood-Kinos gefolgt. Eine Darstellerin, die sich ohnehin gerade auf einem Peak ihrer steilen Karriere befindet, mit all ihrem Glamour zum Fixpunkt des Films aufzubauen, das wäre wohl die bequemste Methode gewesen, eine fatale Entscheidung aber noch dazu, die vermutlich den gesamten Film ruiniert hätte. Miller jedoch weiß, wie man feministisches Kino richtig anpackt, das hatten zuletzt noch „Three Thousand Years of Longing“ (2022) oder eben der erste Auftritt Furiosas 2015 bewiesen.
Taylor-Joy ist dabei zunächst kein Thema, denn Alyla Browne spielt fürs Erste die jüngere Ausgabe Furiosas, und das tut sie so überzeugend, dass die Staffelübergabe an die Hauptdarstellerin – ein Moment, der in vergleichbaren Filmen oft mit einem harten Cut und einem Zeitsprung eingeläutet wird – beinahe schon so etwas wie einen Morphing-Effekt erzeugt. Browne wird genug Zeit eingeräumt, der Figur alle Grundlagen mitzugeben, und Taylor-Joy muss einfach nur zugreifen. Diese wiederum denkt gar nicht daran, den Film vollends an sich zu reißen, sondern lässt ihn atmen und gewinnt dafür in zweiter Reihe unheimlich an Stärke, womit sie sich der Unterstützung eines Großteils des Publikums sicher sein dürfte, selbst desjenigen Teils, der aufgrund des Wechsels von Theron zu Taylor-Joy skeptisch war. Dass klammheimlich auch der Darsteller von Immortan Joe ausgetauscht wurde (Lachy Hulme für den zwischenzeitlich verstorbenen Hugh Keays-Byrne), sieht man dem Ergebnis in Bewegung in keinem Moment an, und was Tom Burke angeht, der als eine Art Ersatz-Max die Karawane ein gutes Stück begleitet, könnte man in manchen Einstellungen sogar glauben, er sei mit der 70er-Jahre-Version eines Stacy Keach verschmolzen. So mühelos schmiegen sich die Darsteller in ihre Stiefel, unterlaufen von zahllosen War Boys in Kalkweiß und Silber.
Und dann ist da eben noch Chris Hemsworth, ein durchaus streitbarer, zweifellos aber charismatischer neuer Gegenspieler, dem man im ersten Moment vorwerfen könnte, selbst im Rahmen dieser durchgeknallten Welt voller Irrsinn und Verblendung zu „drüber“ zu sein, der unter seiner falschen Hakennase und seinen falschen Hasenzähnen aber im Grunde eine relativ besonnene, fast schon sanfte Performance abliefert, die seine Tyrannei im Kontrast umso grausamer erscheinen lässt. Irgendwo zwischen der Exzentrik eines Motorradgangleaders, der politischen Karikatur eines Julius Cäsar und der mythologischen Verzerrung griechischer Götter wie Apollo und Dionysus hat auch Hemsworth durchaus mehr zu bieten als seine üblichen Fisimatenten aus der Thor-Schule, gerinnt er doch zu einer eher bizarren als belustigenden Comicfigur, der durchaus etwas Tragisches anhaftet, was sich nicht zuletzt aus dem Umstand ergibt, dass er ein Schlüsselspieler in einer epischen Tragödie ist.
Um die nötigen Netze für dieses post-bürgerliche Trauerspiel zu spinnen und nebenbei auch den – so viel zur Epik – nach Stunts geifernden Zuschauer zu befriedigen, wird es natürlich auch regelmäßig spektakulär auf der Leinwand. In den Höhepunkten erreicht „Furiosa“ dabei sogar wieder die Intensität der Schlagloch-Stellen auf der „Fury Road“. Wenn sich die Piraten von ihren Fahrzeugen entkoppeln und von Erde über Luft bis Feuer und Benzin alle Elemente nutzen, um den perfekten Angriffspunkt auf einen Gemüselaster zu finden, der als Teil eines Deals unter Bandenführern über offenes Gelände eilt, dann brennt die Lunte lichterloh. Regie, Kamera und Schnitt wissen das seit „Mad Max 2“ altbekannte, aus zahlreichen Western stammende Motiv variantenreich zu alternieren und immer mal wieder mit ungewöhnlichen Perspektiven oder Kamerafahrten zu verblüffen. Das Tempo bleibt hoch, die Übersicht gewahrt und der Score ist unentwegt damit beschäftigt, einfach nur die Luft anzuhalten, bis endlich die Entladung ansteht. Unter dem Strich wirkt die Action dann aber doch etwas fahriger als in „Fury Road“, dessen unbegreifliche, nicht enden wollende Abfolgen von Ursache und Wirkung man fast wie durch die Egoperspektive mitten aus dem Auge eines Sturms erlebte. Auch an den visuellen Filtern wurde wohl noch etwas gedreht, so dass einige Passagen inzwischen doch überzüchtet wirken, was in der Gesamtkomposition zu einer gewissen Inhomogenität führt, zumal sich die Computereffekte nicht mehr ganz so nahtlos mit der On-Set-Effektarbeit verbinden wollen. Dazu macht sich die Überlänge schließlich bemerkbar, als im letzten Drittel eine gewisse Ermattung einkehrt ob der grellen Kontraste in Kombination mit waghalsigen Manövern… vielleicht hat „Fury Road“ mit seinen runden 120 Minuten da einfach die bessere Balance erwischt.
Eine Steigerung oder auch nur ein ebenbürtiges Follow-Up war ohnehin nicht zu erwarten. Im Grunde ist „Furiosa“ aber genau das geworden, was man von einem George Miller hatte erwarten können: Weder liefert er aus Bequemlichkeit eine Kopie seines inzwischen legendären Comebacks, noch folgt er den Standards, die für das Prequel einer populären Marke dieser Preiskategorie in Hollywood gelten. Vielmehr widmet er sich der Multiperspektivität des Erzählens, einem Thema, dem er seit „Three Thousand Years of Longing“ auf der Spur zu sein scheint, und wendet es ausgerechnet auf das wortkarge Mad-Max-Universum an. Das mag in Wort und Bild nicht immer ganz rund wirken; insbesondere die für das mehrdeutige Finale so abrupt abgewürgte Action, die bis dahin noch frei atmen konnte, dürfte manches Stirnrunzeln verursachen. Gerade aufgrund der enthaltenen Abweichungen zu gängigen Blockbustern wird aber immer noch eine gewisse Bedeutsamkeit erzeugt, die davor schützen dürfte, im Meer der belanglosen Big-Budget-Bespaßung zu versinken. Und in der richtigen zeitlichen Reihenfolge genossen, liefert Miller hiermit die Sprungschanze für ein im wahrsten Sinne des Wortes episches Double Feature.
© Sascha Ganser (Vince)
Warner bringt „Furiosa“ am 23. Mai 2024 in die deutschen Kinos, ungekürzt ab 16 Jahren freigegeben.
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Copyright aller Filmbilder/Label: Warner__FSK Freigabe: ab 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein, ab 23.5.2024 in deutschen Kinos |