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Gangs of London (Season 1) – inklusive Videokritik

Originaltitel: Gangs of London__Herstellungsland: Großbritannien__Erscheinungsjahr: 2020__Regie: Gareth Evans, Corin Hardy, Xavier Gens__Darsteller: Joe Cole, Sope Dirisu, Lucian Msamati, Michelle Fairley, Mark Lewis Jones, Valene Kane, Colm Meaney, Asif Raza Mir, Scott James, Ray Panthaki, Parth Thakerar, Aksel Ustun u.a.

In unserer Videokritik stellen wir euch die neue Action-Hammerserie „Gangs of London“ vor. Ein überdeutlicher Fokus liegt dabei auf den Actionszenen, die vom „The Raid“-Mastermind Gareth Evans sowohl als Regisseur als auch als Actionregisseur in Szene gesetzt wurden.

Jetzt Reinschauen: Die Videokritik zu Staffel 1 von „Gangs of London“ von Gareth Evans

Videokritik zu "Gangs of London"

Für die Videokritik zu “Gangs of London” das Bild klicken.

Gareth Evans TV-Meilenstein

Gareth Evans "Gangs of London" DVD Cover

Gareth Evans “Gangs of London” kommen endlich nach Deutschland.

London steht Kopf. Zumindest für den Zuschauer und einen Mann, der mit einem um sein Bein geschlungenen Seil von einem im Bau befindlichen gewaltigen Wolkenkratzer hängt. Der Mann bittet um Gnade. Winselt. Weint. Der Adressat seines Flehens steht über ihm. Er reagiert nicht auf die Äußerungen, blickt nur mit eiskalten Augen zu dem Mann herunter.

Plötzlich greift er zu einem neben sich stehenden Benzinkanister und leert ihn über dem Mann aus. Dann entzündet er ein Feuerzeug, beugt sich zu dem ebenfalls mit Benzin getränktem Seil und entzündet es. Das Feuer bahnt sich seinen Weg zu dem kopfüber von dem Hochhaus hängenden, vor Benzin triefenden Mann. Schreiend hängt er alsbald wie eine lebendige Fackel am Hochhaus. Erst als das Seil wegen des Feuers durchbrennt, fällt der Mann in Slow Motion zur Erde.

Ein knallharter, ein urst brutaler Einstieg in das neueste Meisterwerk vom „The Raid“-Mastermind Gareth Evans, das er gemeinsam mit seinem Stammkameramann Matt Flannery für Sky und Cinemax entwickelt hat. „Gangs of London“ heißt das brillant und superspannend erzählte, in Staffel eins neun Folgen lange Serienepos, das ganz nebenbei die Grenzen in Sachen Gewaltdarstellung im TV heftigst verschiebt.

Darum geht es in „Gangs of London“

Finn Wallace ist tot. Ihm war es gelungen, alle Verbrecherbanden Londons zu einen und auf gemeinsame Ziele einzuschwören. Zwar versucht Ed, die besonnene rechte Hand Finns, die Einigkeit unter den verschiedenen Gruppierungen aufrecht zu erhalten, doch Finns Sohn Sean grätscht ihm hart dazwischen. Er verhängt ein Embargo auf alle kriminellen Aktivitäten, bis der Mörder seines Vaters gefasst ist. Das würde die anderen Verbrecher Millionen, nein Milliarden kosten und so droht die Vereinigung auseinander zu brechen.

Ed glaubt zwar, Sean unter Kontrolle halten zu können, er kann aber dennoch nicht verhindern, dass alte Rivalitäten und Feindschaften unter den Bündnisgruppen erneut befeuert werden und munter grassieren. Zudem macht Elliot, ein Emporkömmling in der Organisation, bei den Ermittlungen um Seans Vater Riesenschritte. Dabei wird schnell klar, dass der Mord an Finn kein gewöhnlicher Mord unter Rivalen war, sondern dass die Gründe hierfür nach ganz weit „oben“ reichen.

Schaut in den Serienhammer von Gareth Evans hinein

Episodenführer zur ersten Staffel von „Gangs of London“

Im Original sind die Serien interessanterweise nur mit Episode 1 bis 9 betitelt. Was den von Evans und Co. gewünschten Eindruck eines gewaltigen, neunstündigen Filmes trefflich unterstreicht. In Deutschland entschied man sich für folgende Titel:

01. Machtwechsel
02. Blutbad
03. Drogendiebstahl
04. Nagelprobe
05. Belagerung
06. Abgetaucht
07. Abrechnung
08. Gejagt
09. Panama

Gareth Evans neuer Brecher

Gareth Evans entwickelte die Show nicht nur, er schrieb auch an den Drehbüchern mit und führte bei den Folgen eins und fünf Regie. Wie nicht anders zu erwarten, sind ebenjene auch die Highlights der neuen Show. In „Machtwechsel“ erzählt Evans ruhig und konzentriert. Er etabliert gekonnt die Grundsituation, führt mithilfe der Trauerfeier um Finn alle wichtigen Figuren trefflich ein und lässt bereits erste Bündnisse genüsslich auseinanderbrechen.

Mithilfe toller Dialoge, megastarker Darsteller und einer großartigen Optik inszeniert Evans eine Folge, die dank knapp 90 Minuten Laufzeit den Begriff Pilotfilm mehr als nur verdient hat. Und was Evans in Folge eins etabliert, setzt sich durch die gesamte Serie hinweg fort. Der Look bleibt immer kinoreif und die Schauplätze pendeln großartig zwischen mondänen Settings (Schlösser, herrschaftliche Anwesen) und extrem abgerissenen Hinterhof-Settings hin und her. Ausgesucht feine Musikstücke untermalen die Bilder. In Folge sechs etwa, der fiesen Folterepisode „Abgetaucht“, lernt man „Only You“ von „The Platters“ richtig hassen. Und in Folge acht untermalt ein Opernstück ein wahrhaft apokalyptisches Ereignis mit gänsehauterregender Präzision.

Joe Cole in "Gangs of London"

Anfangs seltsam blass, legt Joe Cole im Verlauf der Spannung immer mehr zu!

Und während Evans in seinem Pilotfilm noch eher kleinere Brötchen bäckt und storytechnisch immer auf Ebene der Gangs aus London bleibt, wird die Serie alsbald immer komplexer und weitschweifiger, rast durch die internationalen Schauplätze und webt ein Netz aus Intrigen, dem irgendwann sogar Hochhäuser zum Opfer fallen. Interessant ist auch, wie beinahe normal die Kriminellen in ihrer Umwelt integriert sind. Wie sie sich als Bauherren und Investoren von gewaltigen Immobilien im Herzen der Stadt gerieren, wie sie für den Bürgermeisterposten kandidieren und ganz normale Leben leben.

Die Action in „Gangs of London“

Ganz nebenher feiert Evans in seinem Pilotfilm zwei Actioneskalationen ab, die es in sich haben. Die erste führt zu diesem großartigen Dialog:

Sean: Du bist doch der, der im Pub aufgeräumt hat?
Elliot: Ja.
Sean: Das müssen sechs Mann gewesen sein…
Elliot: Es waren acht, aber ich hatte einen Dartpfeil!

Eine wirklich großartige Szene, ganz im Stile der „The Raid“-Actioneinlagen, die Gareth Evans berühmt gemacht haben. Da werden Körper auf ungesundeste Art und Weise verbogen, Biergläser in Gesichter gerammt, Knochen genüsslich gebrochen und am Ende rammt Elliot einen Dartpfeil in jeden erdenklichen Körperteil. Augen und Ohren freilich inbegriffen. Im Zusammenspiel mit der deftigen Eröffnungsszene ist klar: Evans ist bei seinem TV-Debüt nicht angetreten, um Gefangene zu machen.

Das unterstreicht er mit der letzten Actionszene seines Pilotfilmes, bei dem Elliot gegen einen riesigen Muskelberg, der mit einem Fleischermesser bewaffnet ist, ran muss. Bei den fiesen Wunden, die hier zugefügt werden, zieht man irgendwann unweigerlich Luft durch die Zähne. Vom splattrigen Finish ganz zu schweigen.

Auf diese derben Einlagen weiß „Gangs of New York immer noch einen draufzulegen. Bei einem Campingplatzmassaker in Folge zwei werden Menschen förmlich zersiebt von automatischen Waffen. Explosionen schleudern die Opfer unkontrolliert durch die Gegend. Häufiger fangen sie sich bei ihrer Landung weitere blaue Bohnen ein. Und in Folge drei gibt es ein Duell zwischen Elliot und einem Killer mit Feuerwehraxt.

Colm Meaney in Gareth Evans TV-Serie

Immer gern gesehener Gast: Colm Meaney ist in einer kleinen Rolle dabei.

Auch diese Actioneinlagen tragen immer die Handschrift von Evans, was nicht verwundert, da er auch die Actionregie für die Folgen zwei und drei übernahm. Folge vier eskaliert dann in seinen letzten 15 Minuten derbst durch. In einer vom Drehteam als „Arcadeszene“ beschriebenen Abräumsequenz lässt ein Scharfschütze mit Großkaliber Köpfe zerplatzen. Das mündet dann auch noch in eine One-Shot-Sequenz, die so komplex ist, dass einem schier schwindlig wird. Und als wäre all das nicht genug zum Schwärmen, schaltet Evans höchstselbst mit Folge fünf noch einen Gang höher.

Episode 5 („Belagerung“) hebt Serienaction auf ein neues Level

Dabei entsteht das Schmuckstück der ersten Staffel. Gleichsam ein Meisterwerk innerhalb der modernen TV-Geschichte. Eine großartige Folge. Alleine schon wert, immer und immer wieder angesehen zu werden. Zum einen gefällt, dass Evans die Folge durchweg in Englands rauer Natur ansiedelt. Wir sind beim Überlebenskampf eines Überlebenden des Campingplatzmassakers dabei. Ein harter Survivaltrip, bei dem sich der Angeschlagene schonmal Regenwürmer aus seiner tiefen Wunde ziehen muss. Gleichzeitig spielt Evans mit der Erzählzeit und führt ganz nebenbei eine weitere Gruppierung ein, die noch sehr wichtig für die Serie werden wird.

Der Mann, dem wir folgen, will zu seinem Sohn vordringen, der bei einer Verbündeten des Mannes untergebracht wurde. Just in dem Moment, in dem er endlich das Haus der Frau erreicht, kommen sowohl Verbündete der Frau als auch fiese Söldner an dem Haus an. Und jetzt startet Evans die große Eskalation. 20 Minuten lang brennt nun der Bildschirm und wird das Haus komplett zerlegt. In seinen Innereien wird derweil blutigst verreckt. Im John-Woo-Stil (nur ohne die Zeitlupe) werden Körper mit Blei vollgepumpt. Teils aus Entfernungen von gerade einmal 10-20 Zentimetern werden ganze Magazine auf Gegner abgefeuert. Die Bloodpacks platzen, die Wände färben sich rot und die Körper tanzen eigentümliche Todestänze, bevor sie zerfetzt zu Boden sacken.

Eine Wahnsinnssequenz mit einem Härtegrad, der sich in einer Explosionsszene in unvorstellbare Sphären schraubt, wenn ein Körper in Ultra-Zeitlupe vor dem Auge des Zuschauers Stück für Stück zerplatzt, während Umstehende von der Druckwelle hinweggefegt werden. Nach dieser Sequenz ist man wie erschlagen. Geschafft. Auch dank des extrem spannenden und kompromisslosen Endes, bei dem Evans zeigt, wie leicht es ihm fällt, ganze Storystränge blutigst zu kappen – ohne dass das große Ganze darunter leidet.

Xavier Gens haut die Bremse rein

Doch die Serie selbst schaltet nun, was die Action angeht, einen Gang zurück. Ab sofort übernimmt der französische Spezialist für harte Unterhaltung, Xavier Gens („The Divide“), das Regie-Ruder. Er lässt die Action nun eher sehr punktuell eskalieren. Setzt eher auf kleinere, intimere Momente. Das bedeutet nicht, dass diese nicht ebenfalls beinhart wären. Mitnichten. Fingernägel und Zähne werden gezogen, Macheten schwingende nigerianische Killer hacken Hände im Akkord ab und mit Pumpguns wird aus unmittelbarer Nähe in Gesichter geschossen. „Gangs of London“ bleibt beinhart, dreht ab sofort allerdings eher auf Storyebene durch.

Sope Dirisu in "Gangs of London"

Sope Dirisu in einer der brechend harten Actionszenen.

Die Allianzen werden immer brüchiger, immer mehr scheinbar wichtige Figuren werden knallhart aus dem Spiel genommen und vor allem Sean Wallace wird immer mehr an die Wand gedrängt. Das führt zu einem terroristischen Akt irren Ausmaßes und lässt irgendwann jedwede Serienbeschränkungen hinter sich. In „Gangs of London“ ist sprichwörtlich ALLES möglich. Das gerät vor allem gegen Ende beinahe grotesk übergroß, bleibt aber immer irre unterhaltsam und vor allem spannend.

Von Joe Cole bis Lucian Msamati: Die Darsteller

Was auch an den tollen Darstellern liegt. Joe Cole („Green Room“) wirkt vor allem zu Beginn als Sean irre blass und wie neben sich stehend. Es wundert kaum, dass Ed immer wieder meint, ihn beherrschen zu können. Doch bald merkt man, dass Sean es faustdick hinter den Ohren hat. Und Cole verdeutlicht das mit einem immer präziser werdenden Spiel, das auf den Punkt sitzt.

Als seine rechte Hand Elliot wird Sope Dirisu (TV-Serie „Humans“) ganz behutsam aufgebaut. Ich werde es nicht spoilern, aber um seine Figur wird in der ersten Folge ein Geheimnis gezündet, das einen zunächst die Augen rollen lässt, weil es klischeehaft anmutet. Aber im Verlauf der gesamten Staffel muss es beziehungsweise die Figur nie für die dahingehend bekannten Klischees herhalten. Dirisu ist als Elliot so ziemlich die einzige halbwegs sympathisch rüberkommende Figur in einem irren Gewirr aus brutalen Verbrechern.

Sope Dirisu in Gangs of London

Sope Dirisu gerät häufiger in Bedrängnis und kämpft sich heraus.

Als Seans Mutter agiert die aus „Game of Thrones“ bekannte Michelle Fairley („Montana“), die wie ihr Sohn zunächst seltsam nichtssagend aufgestellt ist, dann aber mit einem Furor in den Vordergund drängt, dass es einem kalt den Rücken runterläuft. Vor allem in Folge sechs zeigt die Schauspielerin was sie auf dem Kasten hat. Mit Jing Lusi („Crazy Rich Asians“) und Narges Rashidi („Under the Shadow“) hat die Serie zwei weitere Darstellerinnen gefunden, die unglaublich starke, präsente und komplexe Frauenrollen spielen dürfen.

Der absolute Hammer ist Lucian Msamati („His Dark Materials“) als besonnen erscheinender Ed, der alle Fäden zusammenhält und das mit einem Charisma und einer Ausdruckskraft macht, dass er jede seiner Szenen heftigst an sich reißt und glaubwürdig zum Dreh-und Angelpunkt der ganzen Chose mutiert. Da kann nicht mal Colm Meaney („Alarmstufe Rot“) als Finn mithalten.

„Gangs of London“ rockt brutal gut

Zunächst einmal möchte ich Episode fünf aus der Betrachtung insofern herausnehmen, dass ich sie getrennt vom Rest bewerten will. Einfach weil sie meine Vorstellungen davon, wie Action für eine TV-Serie inszeniert sein kann, vollkommen aus den Angeln gehoben hat. „Belagerung“ ist nicht mehr und nicht weniger als ein Meisterwerk. Wenn anhand dieser Episode nicht endlich erkannt wird, dass Gareth Evans das Potential hat, die Inszenierung von Action auf ein vollkommen neues Level zu heben, dann weiß ich auch nicht mehr weiter. Und das, wo er genau dieses Potential spätestens nach „The Raid 2“ überhaupt nicht mehr beweisen musste.

Doch auch den restlichen Episoden drückt Evans seinen unverkennbaren Stempel auf. Sei es als Drehbuchautor, als Produzent oder Regisseur verschiedener Actionszenen. „Gangs of London“ definiert den Begriff beinharter Serienunterhaltung komplett neu. Zum Glück ruht sich die Serie auf diesem Umstand nicht aus, sondern präsentiert eine Story, die der furiosen Action mindestens ebenbürtig ist, sie zum Ende hin sogar zu überragen versteht. Tolle Darsteller reißen trotz der verachtenswerten Gesinnungen ihrer Figuren in die Serienwelt hinein und die technische Umsetzung macht „Gangs of London“ zu einem neunstündigen, absolut kinotauglichen Spielfilm.

Warum es dann nicht auch 10/10 für den Rest der Serie gibt? Weil die neun Stunden Laufzeit tempomäßig nicht immer passen und hier einige Figuren zu viel durch die Straßen Londons treiben, zumal der Serie und den Drehbüchern nicht viel zu ihnen einfällt. Hinzu kommt, dass man, aufgeputscht durch Folge fünf, freilich schon merkt, dass die Action plötzlich seltsam zurückgenommen wirkt und die Serie es verpasst, einen fetten Showdown zu kredenzen. Dementsprechend ist für Folge-Staffeln noch Luft nach oben. Die zweite ist bereits abgedreht und bei Sky gelaufen…

8 von 10

Diese Review basiert auf der englischen Ausgabe von dem Studio Dazzler Media. Die bringen die Serie uncut auf DVD und Blu-ray und haben einige Featurettes als Extras dazugepackt. Die sind leider sehr werblich ausgefallen, präsentieren aber zumindest Gareth Evans in einem T-Shirt mit „Hardboiled“-Chow-Yun-Fat-Motiv. Da sieht man, wovon er sich inspirieren ließ. In Deutschland kommt die Serie nach ihrem Run bei Sky nun endlich auch auf DVD und Blu-ray. Das Label Polyband hat sich der Serie angenommen und wird demnächst auch Staffel 2 bringen. Staffel 1 erscheint am 25. August 2023, hat eine hoch verdiente FSK 18 Kennzeichnung und ist ungeschnitten.

In diesem Sinne:
freeman

Was meint ihr zu der Serie?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love

Copyright aller Filmbilder/Label: Polyband__Freigabe: ab 18__Geschnitten: Nein__ Blu-ray/DVD: Ja/Ja

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