Originaltitel: Horsehead__Herstellungsland: Frankreich__Erscheinungsjahr: 2014__ Regie: Romain Basset__Darsteller: Lilly-Fleur Pointeaux, Catriona MacColl, Murray Head, Gala Besson, Fu’ad Aït Aattou, Vernon Dobtcheff, Philippe Nahon, Joe Sheridan, Emmanuel Bonami, Shane Woodward u.a. |
Die letzte Szene von „Horsehead“ ist gleichzeitig seine schönste: Eine Kirche. Darin eine junge Dame, auf dem Boden liegend und nur spärlich mit einer Art Umhang bedeckt. Ein pulsierendes elektronisches Musikstück beginnt seine Bässe in das Heimkino zu pumpen. Die Frau beginnt sich aufzurichten. Mal umschmeichelt die Kamera die Frau, mal zeigt sie sie in der Totalen. Die Musik steigert sich. Die Frau richtet sich immer weiter auf. Der Schnitt wird stakkatoartiger und präsentiert uns das Gesicht der Frau aus immer neuen, nur leicht variierten Perspektiven. Dann streckt sich die Frau durch, reckt den Kopf empor, blickt direkt in die Kamera und ein subtiler, grandios ausgekosteter Special Effect schickt den Zuschauer in den Abspann…
Mit ähnlich grandiosen Konglomeraten aus düster pumpendem Score und fantastischen Bildkompositionen gibt der junge Franzose Romain Bassett in seinem Film „Horsehead“ eine Kostprobe seines Könnens in Sachen hypnotisch schöne Bilder, eindrücklich dichter Atmosphäre und manchmal sehr kryptischer Erzählweise. Dabei funktioniert sein „Horsehead“ wie das, womit er sich intensiv beschäftigt: Träume und deren Deutung.
Studentin Jessica wird eines Tages von ihrer Mutter gebeten, in das familiäre Anwesen zurückzukehren. Ihre Oma sei gestorben und man wolle die letzte Totenwache in Anwesenheit der Enkelin durchführen. Eher widerwillig reist Jessica heim, denn ihr Verhältnis zu ihrer Mutter ist mit eisig noch schmeichelhaft umschrieben. Was der Zuschauer jetzt bereits weiß, ist, dass Jessica an höchst verstörenden Träumen leidet, in denen unter anderem eine hünenhafte Gestalt mit Pferdekopf eine wichtige Rolle spielt. Diese Träume sind der Grund, warum sie Traumdeutung und die psychologische Wirkung von Träumen studiert.
Schon in der ersten Nacht im Hause ihrer Familie hat Jessica einen unheimlichen Traum, der sich um ihre verstorbene Großmutter dreht. Der Traum beschäftigt Jessica derart, dass sie beschließt, eine Technik anzuwenden, die sie im Rahmen ihres Studiums kennengelernt hat: Sie möchte bewusst träumen. Dazu betäubt sie sich selbst mit Äther und hält dabei einen Gegenstand ihrer Oma fest umschlungen. Tatsächlich träumt sie sofort von ihrer Großmutter. Die schickt sie auf eine Queste: Jessica solle einen Schlüssel finden. Den Weg werde ihr ein Wolf weisen, der sie auch vor dem riesigen Horsehead beschützen werde. Nun ist Jessica angefixt. Wieder und wieder begibt sie sich in ihre immer verrückter werdenden Traumwelten. Während ihre Mutter nur noch dabei zusehen kann, wie ihre Tochter dem Ätherwahn immer mehr verfällt und gesundheitlich extrem abbaut, kommt Jessica in der Traumwelt einem finsteren Geheimnis ihrer Familie auf die Spur.
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„Horsehead“ ist ein Film, der seine Zuschauer fordert. Immer wieder wechselt er die Erzählebene, wechselt von der realen Welt in die Traumwelt, lässt beide Bewusstseinsebenen ineinander übergehen und die eine die andere beeinflussen. Seine konzentrierten Zuschauer belohnt der Film mit ausreichend Hinweisen, so dass er nicht aus der Story aussteigt und trotz so manch unerklärlicher Vorgänge dennoch zur Genüge versteht, was hier gerade auf der Leinwand warum passiert. Dieses „Belohnungssystem“ hat mich persönlich sehr angesprochen. Dramaturgisch funktioniert die Schnitzeljagd ziemlich gut. Die Spannungskurve bleibt auch nach der großen Enthüllung noch auf einem ordentlichen Niveau und die grundlegende Story um Schuld und Sühne gleich mehrerer Generationen einer Familie hat durchaus ihren Reiz. Einzig die Tatsache, dass „Horsehead“ eine Weile braucht, um richtig anzurollen, würde ich dem Drehbuch ankreiden wollen.
Doch diese Tempoprobleme zu Beginn des Filmes gleicht der Film mit seiner virtuosen Optik mehr als aus. In der realen Welt kennzeichnen warme, güldene Farben die Optik von „Horsehead“. Wechselt die bezaubernde Jessica in die Traumwelt, dominieren die Komplementärfarben Blau, Grün, Gelb und Rot. Die Bildkompositionen sind in beiden Welten eine Wucht und reichen von grandios arrangierten Totalen zu absolut intimen Close-Ups. Gerade mittels letzterem Stilmittel schafft der Regisseur häufiger fast schon sinnliche Bilder, die einen in ihrer Schönheit einfach nur sprachlos machen. Für die notwendige Verunsicherung unter den schönen Bildern sorgt ein mal pumpender, mal treibender und mal in Richtung Terror kippender Elektronikscore, der in Momenten wie der grandiosen Final-Szene fast schon geniale Züge trägt.
Der Horror nährt sich bei „Horsehead“ von der dichten Atmosphäre. Jump Scares setzt der Film mit Bedacht und absolut selten ein. Es ist auch kein Terrorgefühl, das sich einstellt – dazu agiert der Horsehead auch ein wenig zu phlegmatisch. Es ist eher eine unterschwellige Bedrohung, die sich in manch unvermittelten Momenten auch mal so richtig Bahn brechen darf. Das führt auch zu durchaus blutigen Bildern, wirklich brutal wird „Horsehead“ aber nie. Der Horsehead wurde mittels Man in a Suit-Effekten umgesetzt und das Design der Kreaturen-Maske ist herrlich creepy. Leider – ich deutete es ja bereits an – darf die Kreatur nie so wirklich loslegen. Dafür hat sie aber für die Lösung des großen Ganzen eine wesentliche Rolle inne. Das versöhnt dann zu einem gewissen Teil mit dem harmlosen Auftreten der Kreatur.
Eine Wucht ist die so sanft und zart wirkende Hauptdarstellerin Lilly-Fleur Pointeaux, die sowohl verletzlich als auch angenehm selbstbestimmt agieren darf und ihre eigentlich eher schwach gezeichnete Figur äußerst sympathisch und nachhaltig mit Leben erfüllt. Dass die junge Dame auch noch europäisch unverklemmt daherkommt, erfreut den männlichen Genrefreund sehr. Sie schultert im Grunde genommen auch den gesamten Film, weshalb alle anderen Darsteller weitgehend unter ferner liefen zu verorten sind. Wenngleich die eiskalte Performance von „Ein Zombie hing am Glockenseil“-Star Catriona MacColl den Zuschauer wahrlich frösteln lässt und Murray Head als neuer Lebensgefährte von Jessicas Mutter einen sehr sympathischen Gegenpol zu der verbiesterten Mutterrolle darstellt. Frankreichs Genre-Star Philippe Nahon („High Tension“) hat als Pastor eine eher unbedeutende Nebenrolle.
„Horsehead“ ist ein Regiedebüt, das mal eine deutliche, sichtlich vom frühen Dario Argento beeinflusste Duftmarke im Genre hinterlässt und dabei trotz überdeutlicher Fokussierung auf eine dichte Atmosphäre und fantastische Bild-Musik-Kombinationen auch die Story nicht vollkommen außer Acht lässt. Dank einer sympathischen, sehr stark gespielten Hauptfigur zieht der Film in seine Story hinein und flüchtet sich nie in unerklärliche oder gar sperrige Gefilde. Hier und da hätte man sich mehr spannende Momente gewünscht und vor allem der titelgebende „Horsehead“ wird ab und an doch ziemlich verschenkt. Szenen wie jene, die ich zu Beginn der Kritik beschrieben habe, oder die ungemein feinfühligen Momente zwischen Jessica und ihrem beschützenden Wolf machen derartige Unebenheiten sofort wieder vergessen. Letzten Endes ist „Horsehead“ ganz sicher keine leichte Kost. Dafür gehört er zu der Sorte Film, die man nach dem Genuss nicht so schnell wieder vergisst… Mindfuck wie er sein muss…
Die deutsche DVD / Blu-ray des Filmes kommt von Donau Film, ist mit einer FSK 18 Freigabe ungeschnitten und hat zumindest eine kleine Featurette zur Entstehung des Horsehead im Gepäck. Bild- und Tontechnisch ist die Blu-ray eine Wucht. Leider wirkt die deutsche Synchronisation in einigen Momenten etwas leblos. Viel Dialog hat und braucht „Horsehead“ aber glücklicherweise eh nicht.
In diesem Sinne:
freeman
Genießt „Horsehead“ auf der großen Leinwand
Am 6. Juni 2015 könnt ihr im CINEDOM Köln „Horsehead“ auf der großen Leinwand erleben. Stargäste vor Ort sind der Regisseur Romain Basset & Darstellerin Catriona MacColl („Ein Zombie hing am Glockenseil“), die für eine Frage- und Antwort-Runde und eine kostenlose Autogrammstunde zur Verfügung stehen werden. Die Karten könnt ihr ab sofort online oder an der Kasse des Cinedom in Köln bestellen. Aber Achtung: Es ist nur ein begrenztes Kontingent von Karten verfügbar. Es heißt also, schnell sein! Mehr Informationen.
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