Originaltitel: Immigration Game__Herstellungsland: Deutschland__Erscheinungsjahr: 2016__Regie: Krystof Zlatnik__Darsteller: Mathis Landwehr, Denise Ankel, Katharina Sporrer, Simson Bubbel, Eskindir Tesfay, Horst-Günter Marx, Robert Maaser, Ahmed Chear, Volkram Zschiesche u.a. |
Europa hat die Grenzen dicht gemacht und lässt keine Flüchtlinge mehr passieren. Nur Deutschland nimmt noch Flüchtlinge auf. Allerdings unter einer Bedingung:
Wer eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland möchte, muss am “Immigration Game” teilnehmen. Einer Reality Show, in deren Verlauf die Flüchtlinge, spielintern als Runner bezeichnet, vom Rande Berlins quer durch die Hauptstadt bis zum Fernsehturm gelangen müssen.
Ihnen immer auf den Fersen: Die Hunter. Sie dürfen die Flüchtlinge jagen und sogar straffrei umbringen. Einzige Bedingung: Schusswaffen sind nicht erlaubt. “Immigration Game” generiert mit diesem zynischen Konzept blendende Einschaltquoten. Doch längst nicht alle Deutsche finden die „Show“ gut. Doch wer helfen will, wird vogelfrei und darf von den Huntern ebenfalls attackiert werden.
Johannes, der von allen nur Joe genannt wird, kommt eines Abends in genau eine solche Situation. Ein Runner läuft ihm mehr oder weniger ins Auto und bittet Joe, ihm zu helfen. Der Mann ist bereits schwer verletzt. Joe packt ihn in sein Auto und fährt ihn nah an den Fernsehturm heran. Doch der Flüchtling ist kaum noch in der Lage, selbst zu laufen und beansprucht Joes Aufmerksamkeit immer weiter. Da tauchen auch schon ein paar Hunter auf.
Sie attackieren den Flüchtling. Joe kann und will das nicht zulassen. Er mischt sich ein. Als versierter Kampfsportler landet er einen brutalen Treffer, der einen Hunter unglücklich stürzen lässt. Er verstirbt noch direkt vor Ort. Da tauchen sogenannte Guards, die auf die Einhaltung aller Regeln der Show achten, auf und kassieren Joe ein. Nun wird er unmissverständlich vor die Wahl gestellt: Entweder er nimmt am “Immigration Game” als Runner teil oder er landet wegen der Ermordung des Hunters für 20 Jahren hinter Gittern.
Joe ergibt sich in sein Schicksal. Kurze Zeit später findet er sich mit einer Handvoll anderer Flüchtlinge auf einer großen Wiese am Rande von Berlin wieder. Die Hunter warten schon und beginnen ein blutiges Gemetzel…
Schaut in “Immigration Game” mit Mathis Landwehr hinein
httpv://www.youtube.com/watch?v=1lpR8pZVmXs
“Immigration Game” nutzt die Idee einer zynischen Spielshow als interessante Metapher auf die noch immer extrem aktuelle, im Entstehungsjahr aber noch deutlich mehr drängende Flüchtlingssituation. Dabei überträgt das Drehbuch von Regisseur und Drehbuchautor Krystof Zlatnik den Überlebenskampf der Flüchtlinge etwa auf dem Mittelmeer unmittelbar in unsere Vorgärten.
Daraus resultiert ein Menschenjagdfilm der Marke „Das Millionenspiel“, „Running Man“ oder „Hard Target“, aufgrund der anarchistischen Regeln des Spiels blitzt immer auch ein wenig „The Purge“ mit durch.
Mithilfe der Figur des „Gutmenschen“ Joe katapultiert uns der Regisseur mitten in die Hölle des urbanen Überlebenskampfes hinein: Die sich selbst mit mal knalligen, mal uniformen Klamotten in Szene setzenden, vornehmlich in Gangs agierenden und unbarmherzig vorgehenden Hunter scheinen allgegenwärtig zu sein. Hilfe von „Außenstehenden“ gibt es so gut wie nie – Nicht einmal Joe, ein guter Deutscher, kann Hilfe erwarten. Das sitzt. Sorgt für Beklemmung. Fördert eine beachtliche Spannungskurve zutage und zieht mitten in den Film hinein.
Was neben der starken Ausgangssituation auch dem einnehmenden Spiel von Mathis Landwehr zu verdanken ist. Obschon als kampfsportversiert eingeführt, mutiert sein Joe nie zum Helden. Braucht immer seine Zeit, um seine Lage zu begreifen und zu verarbeiten. Zögert. Hadert. Bleibt immer menschlich und nahbar. Will nicht kämpfen. Und will auf keinen Fall Teil der Show sein. Diesem Charakter folgt man gerne durch “Immigration Game” und drückt ihm alle Daumen, das zynische Spiel zu überstehen.
Doch auch die Nebendarsteller überzeugen. Wirken angenehm authentisch. Nicht aufgesetzt. Einen großen Verdienst daran hat ganz sicher die Herangehensweise der Macher, vornehmlich auf Improvisation zu setzen. Die Darsteller gar nicht so sehr in Figuren-Korsetts zu pressen und ihnen so ihre Spontaneität zu lassen, beziehungsweise gezielt darauf zu vertrauen.
In einem Interview zum Film erklärte uns Mathis Landwehr, dass die Macher und Darsteller am frühen Morgen teils gar nicht wirklich wussten, was sie im Laufe des Tages erwarten würde. Die Folge waren Guerilla-Drehs und unvorhersehbare Schwierigkeiten. Gepaart mit dem knappen Drehplan (zwei Wochen Drehzeit standen gerade mal zur Verfügung) und dem noch knapperen Budget ergibt sich so eine Unmittelbarkeit und Ungeschliffenheit, die “Immigration Game” fantastisch steht:
Düstere und abgerissene Drehorte lassen Berlin wie eine urbane Vorhölle wirken. Die wirklich nervöse Kameraarbeit mit vielen Zooms und der grobkörnige Filmlook geben “Immigration Game” eine irre gritty Anmutung. Zudem hält Krystof Zlatnik sein Langfilmdebüt – auch dank des fantastisch treibenden, elektronischen Scores von Karol Obara – immer in Bewegung, versucht, diverse Klischees zu umschiffen und unvorhersehbar zu bleiben. So packt sein Film freilich immer noch fester zu.
Apropos feste zupacken: Aufgrund des Mitwirkens von Mathis Landwehr und der Art seiner Einführung erwartet man als Actionfan freilich schon ein paar spektakuläre Martial-Arts-Einlagen. Schnell merkt man aber, dass diese gar nicht zum grundlegend realistischen Ton von “Immigration Game” passen würden. Entsprechend langen Mathis Landwehr und seine Gegner (unter anderem sein „Kampfansage“-Partner Volkram Zschiesche) sehr geerdet und auf Effizienz bedacht hin. Es gibt keine großen Kabinettstückchen. Eher dominieren kurze, harte Fights, die keiner großen Choreografie folgen. Die Ursache auch hier: Viel wurde vor Ort improvisiert, immer wieder umgeworfen, mehr auf Realismus getrimmt.
Zum Genuss von “Immigration Game” ist es also von Vorteil, die Erwartungen in Sachen Action ein wenig zu zügeln. Da man allerdings schnell in den Film und seine grundlegende Ausrichtung hineinfindet, wird dieses Problem schnell obsolet. Da sind manche Story-Entwicklungen schon schwieriger. Schon im eigentlichen Verlauf hat das Drehbuch zum Film den einen oder anderen Aussetzer. Erklärt beispielsweise zu wenig. Doch hier kann der Film noch mit massiven Tempo über manche Schwäche hinwegwalzen.
Schade ist, dass der mediale Aspekt nicht so wirklich Eingang in den Film findet. Denn in einer Stadt wie Berlin, mit Kameras an allen Ecken und Enden und den allgegenwärtigen Smartphones der Leute und dergleichen mehr, hätte man die Hatz auf Joe und Co. noch deutlich mehr dynamisieren können. Hätte die Allgegenwärtigkeit der Hunter klarer untermauern und vermutlich auch noch viel ausweglosere Situationen generieren können. Schade ist auch, dass im Grunde keine wirkliche Spielshow (mit Showmaster, Publikum, Bühne usw.) rund um das “Immigration Game” besteht. Man also auch ein wenig ausklammert, wie die Zuschauer eigentlich auf die Show reagieren.
In Richtung Finale wird es dann leider richtig schwierig. Dabei geht selbiges richtig gut los: So ist die Enthüllung um einen der Haupt-Hunter per se eine starke Idee. Auch das alptraumhafte Szenario und die fiebrige Inszenierung des „Showdowns“ am Fernsehturm ist fast schon zu gut geworden. Doch danach geht es leider steil bergab. So wird der Coup um den Haupt-Hunter grundlos gedoppelt. Zudem passen damit verbundene Entscheidungen null zu den Charakteren der betroffenen und dem Zuschauer ans Herz gewachsenen Figuren. Hier klingt “Immigration Game” dann grundlos etwas zu zynisch und in seiner Pointe zu simpel aus.
Doch trotz dieses misslungenen Rausschmeißers und weiterer erzählerischer Probleme hat “Immigration Game” eine gewaltige Kraft. Viel davon zieht der Film aus dem beklemmenden, wirklich finsteren, sehr kontroversen Szenario, das aktueller und näher kaum sein könnte und die Hirnzellen ordentlich kitzelt. Dagegen haut der ungeschliffene, rohe, raue, atmosphärisch stimmige und brutale Überlebenskampf der sympathischen Hauptfiguren sowohl wegen den einnehmenden Performances der Darsteller als auch dank der technischen Limitierungen und dem damit verbundenen Look und Feel richtig derbe in die Magengrube. Die Folge: Überzeugendes, ambitioniertes, schnörkelloses und wuchtiges Low-Budget-Genrekino aus deutschen Landen.
“Immigration Game” erscheint am 9. März 2018 auf DVD und Blu-ray von dem Label Universum Film. Die Datenträger sind mit einer FSK 16 Freigabe uncut und haben leider außer einem kurzen Blick auf die Entwicklung der Kampfszenen nichts Weiterführendes zum Film und dessen Entstehung zu bieten.
In diesem Sinne:
freeman
Was meint ihr zu dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
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