Originaltitel: Inherent Vice__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2014__Regie: Paul Thomas Anderson__Darsteller: Joaquin Phoenix, Josh Brolin, Reese Witherspoon, Sasha Pieterse, Jena Malone, Benicio Del Toro, Owen Wilson, Eric Roberts, Michael K. Williams, Maya Rudolph, Wilson Bethel, Martin Short, Katherine Waterston, Joanna Newsom, Serena Scott Thomas u.a. |
Ausgerechnet der schrille „Buckaroo Banzai“ benutzte einige Namen aus den Werken Thomas Pynchons, später entstand in Deutschland „Prüfstand 7“ nach Motiven von „Gravity’s Rainbow“, doch erst 2014 drehte Paul Thomas Anderson („Boogie Nights“) die erste offizielle Pynchon-Verfilmung: „Inherent Vice“.
Hauptfigur ist der Privatdetektiv Larry Sportello (Joaquin Phoenix), genannt Doc, der allerdings nicht unbedingt die verlässlichste Figur ist: Doc ist nämlich auch Hippie und Drogen in jeder Form zugetan, die er immer mal wieder konsumiert. Ein Voice-Over wie mancher klassischer Film Noir besitzt auch Andersons Krimi-Groteske, doch es stammt nicht von dem Detektiv, sondern von Sortilège (Joanna Newson), einer Freundin Docs, deren Auftritte ist aus dem Roman in der Verfilmung zum Teil unter den Tisch fallen, sie dafür aber als Off-Erzählerin viele Buchzitate aus den Passagen, in denen nicht die Figuren reden, unterbringt.
Den obligatorischen Fall, der hier alles zum Rollen bringt, übernimmt Doc von seiner Ex-Freundin, Shasta Fay Hepworth (Katherine Waterston). Diese ist mittlerweile mit dem Immobilienhai Mickey Wolfmann (Eric Roberts) zusammen, der sie aushält. Dessen Frau Sloane (Serena Scott Thomas) und ihr Lover haben allerdings vor an Mickeys Geld zu kommen, haben auch Shasta um Hilfe gebeten, doch diese fühlt sich Mickey gegenüber verpflichtet und will, dass Doc hilft die Pläne Sloanes zu verteilten – vielleicht über die Staatsanwältin Penny Kimball (Reese Witherspoon), mit der Doc mittlerweile ein Verhältnis hat. Meist kommt im Film Noir ein zweiter Fall dazu, hier sind es aber gleich mehrere.
Zum einen soll Doc für den schwarzen Ex-Häftling Tariq Khalil (Michael K. Williams) dessen Knastbekanntschaft Glenn Charlock (Christopher Allen Nelson) kontaktieren, der Mitglied der Aryan Brotherhood und Bodyguards Wolfmanns ist. Zum anderen beauftragt Hope Harlingen (Jena Malone) ihn ihren tot geglaubten Mann, den Saxophonspieler Coy (Owen Wilson), zu finden. All diese und weitere Fälle scheinen miteinander verknüpft zu sein…
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Schon bei der Vorlage aus Thomas Pynchons Feder ist es so, dass nicht alles aufgeklärt wird, man sich manchmal auch nicht sicher sein kann, was wahr und was imaginiert ist, wenn der ständig Drogen konsumierende Detektiv zig Aufträge bekommt, um Gefallen gebeten wird oder sowohl für den Cop Christian ‘Bigfoot‘ Bjornsen (Josh Brolin) und das FBI als verdeckter Ermittler dienen soll. Immer sind Mickey, Coy und der ominöse Golden Fang Konstanten, wobei sich verschiedene Charaktere nicht einig sind, ob der Golden Fang ein Drogenkartell, eine Zahnarztgruppe oder Name eines Segelschiffs sein soll – oder alle drei Sachen in einem, entsprechende Querverbindungen inklusive. Dementsprechend entfaltet sich auch Andersons Verfilmung nicht als klassischer Detektivfilm, denn nicht alle Handlungsstränge und Motivationen der Figuren lassen sich so einfach erklären.
Das gibt Anderson mehr Freiraum, gerade im Vergleich zu seinen auf wenige Charaktere zentrierten Vorgängerfilmen „There Will Be Blood“ und „The Master“: Andauernd tauchen mehr oder minder durchgeknallte Exzentriker auf und wieder ab, mit Doc als jener Konstante, die dieses Panoptikum an Figuren zusammenhält. Dabei dampft das von Anderson geschriebene und vom Vorlagenautor angeblich abgesegnete Script den umfangreichen Roman auf einen immer noch rund zweieinhalb Stunden langen Film ein und lässt dabei einige Figuren und Handlungsfäden (etwa Docs Trip nach Las Vegas) unter den Tisch fallen. Da, wo Pynchon sich freudig an dem Wahnsinn weidet, da ist Andersons Film meist auf die handlungsrelevanten Elemente fixiert, etwa wenn Doc als Reporter verkleidet eine Party der Band The Boards besucht und dort ein Gespräch mit Coy führt, während der Roman hier wesentlich mehr ins Detail geht, was dort noch alles passiert, welche Pseudointerviews Doc führt etc.
Das ist eine durchaus sinnvolle Art des Kürzens der Vorlage, die über zwei Drittel des Films auch gut funktioniert. Danach scheitert sie jedoch an ein wenig an Andersons Interpretation des Romans, den er einem Interview zufolge als Liebesgeschichte zwischen Doc und Shasta versteht. Eine diskussionswürdige, aber eventuell valide Idee, die in der filmischen Umsetzung daran krankt, dass Doc zwar ein von Gefühlen an vergangenes Glück Getriebener ist, Shasta jedoch ein Enigma bleibt. So gerät eine Szene zwischen den beiden zur Geduldsprobe, da sie den Zuschauer aufgrund der mangelnden Zugänglichkeit der Figuren emotional draußen lässt, den Plot nicht vorantreibt und einzig und allein der Präsentation des Könnens von Regie und Darstellern zu dienen scheint: Eine der Einstellungen in dieser Szene dauert schnittlose fünf Minuten, was aufwändig für Anderson, Phoenix und Waterston gewesen sein muss, aber eben auch nicht mehr als eine Leistungsschau zu sein scheint.
Dagegen wirken manche Ereignisse im letzten Drittel dann etwas übers Knie gebrochen, regelrecht gehetzt, wenn hier ein Strang des Krimiplots, oder besser gesagt: der vielen, miteinander verworrenen Krimiplots, noch einmal Bedeutung gewinnt, Neues über die Verschwörung, in der quasi alle Beteiligten versponnen zu sein scheinen, zutage fördert. Doch nach der Unterbrechung findet „Inherent Vice“ hier nicht so recht zu seinem Rhythmus zurück, bietet zwar pflichtschuldig eine Art Klimax und Abschluss, aber so hundertprozentig elegant ist er dabei nicht. Dabei erinnert der Film stilistisch an 1970er-Neo-Noirs wie „Chinatown“ und „The Long Goodbye“, an die sich Anderson in seiner Inszenierung anlehnt; nur deren Aufklärungsgestus verweigert er sich der Romanvorlage gemäß, was aber den Spaß an „Inherent Vice“ nicht schmälert, im Gegensatz zu der Art, in welcher Anderson sein letztes Drittel runter rattert.
Gleichzeitig ist der Film, wie schon seine Vorlage, eine amüsante Groteske und hat dabei wunderbare Gags zu bieten, die trotz aller Schrille nie ins Klamaukige abdriften. Slapstick mit Understatement wird geboten, wenn Doc nach dem Ausknocken noch ein paar Schritte weiterläuft, bei einem unschönen Kinderfoto panisch aufschreit oder von Polizisten rumgeschubst wird, wenn die Ausraster Bigfoots detailliert festgehalten werden, egal ob er Doc in Zeitlupe verprügelt oder mit aufbrausender Stimme Pfannkuchen auf Japanisch bestellt. Derartige Späße machen klar, wie wenig wichtig hier eine genaue Nachvollziehbarkeit des Plots ist: Das Ganze ist in erster Linie ein großer Spaß – „groovy“ oder „far out“, wie Doc sagen würde – in dem eine Figur wie Bigfoot mal als Nemesis Docs und mal trotz seines Hippiehasses als Seelenverwandter des Protagonisten erscheinen mag, in dem Platz für visuelle Gags wie die Nachstellung des letzten Abendmahls beim Pizzamampfen ist.
Dass eine derartige Posse, trotz der erwähnten Längen im Schlussdrittel, funktioniert, liegt auch an den Darstellern, allen voran Joaquin Phoenix („Gladiator“) als Hippie-Kiffer-Detektiv, der sowohl brillantes Comedy-Timing als auch genug Tiefe für den Schnüffler mitbringt, der zwar bauernschlau ist, andrerseits aber stets Gefahr läuft ausgenutzt zu werden und der traurig auch die Schattenseiten des Daseins in L.A. mitbekommt. Ebenfalls großartig ist Josh Brolin als Cop-Choleriker (quasi eine Verkehrung seiner „Gangster Squad“-Rolle ins Groteske), während Martin Short („Captain Ron“) einen grandiosen Auftritt als Schmierlappen-Zahnarzt hat. Owen Wilson („Hawaii Crime Story“) liefert Gutes, aber nicht Herausragendes, ähnlich wie Katherine Waterston („The Factory“), Joanna Newson, Jena Malone („The Hunger Games: Catching Fire“) und Maya Rudolph („MacGruber“) von der Damenfraktion. Michael K. Williams („The Purge: Anarchy“) hat leider nur eine Szene, ähnlich wie Eric Roberts („Hunt to Kill“), der zwischen zig B-Filmen Zeit für diese Rolle fand, dieser einen Szene (sonst ist er nur in Fotos präsent) aber angenehm viel Gravitas zu verleihen weiß. Benicio del Toro („Sin City“) blüht in einer Nebenrolle als Anwalt auf und Schauspielnachwuchs Sasha Pieterse („X-Men: First Class“) kann famos als durchgedrehte Tochter aus reichem Hause punkten, ebenso Reese Witherspoon („Walk the Line“) als Staatsanwältin zwischen ihrem Beruf und Interesse an Hippie Doc.
Für reine Plotfetischisten mag „Inherent Vice“ nichts sein und im letzten Drittel strauchelt Paul Thomas Anderson in seiner Dramaturgie, die den (eher behaupteten als zu sehenden) Gefühlen Docs und Shastas mehr Raum gibt als seiner Krimihandlung – auch wenn diese nie komplett aufgelöst wird, bei der Beinahe-Aufklärung einer Art Weltverschwörung dennoch fast schon egal ist. Doch der trockene Humor, die famose Besetzung und die gediegene Inszenierung wissen den Film zu tragen, auch wenn Andersons Groteske selten wirklich mit nahbaren Figuren und nachvollziehbaren Handlungen kokettiert.
„Inherent Vice“ läuft ab dem 12. Februar 2015 in den deutschen Kinos.
© Nils Bothmann (McClane)
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Copyright aller Filmbilder/Label: Warner__FSK Freigabe: ab 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein, ab 12.2.2015 in den deutschen Kinos |