Originaltitel: Justice Ninja Style__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1985__Regie: Parvin Tramel__Sprecher: Brent Bell, Ron D. White, Jim L. Coomer, James Flippo, Linda Garrison, William R. Johnson, John Leach, Victoria Mann, Nick Nixon, Guy D. Ross, Rick Rykart u.a. |
Justice Ninja Style
Stell dir vor, es ist 1985 und du lebst in De Soto, Missouri. Es gibt nichts zu tun, außer sich mit einem Klappstuhl und einem Bier auf den Hügel vor dem Ortseingangsschild zu setzen und zu warten, dass der „Population“-Zähler die 6.000 voll macht. Ach, was würdest du für ein wenig Action geben. „Karate Kid“ ist gerade der heißeste Scheiß im Kino. Überall im Land sprießen die Dojos aus dem Erdboden. Nur ihr müsst euch mit der Kirche und der örtlichen Bibliothek abgeben. Und dann kommt da auf einmal dieser Kerl mit der Kamera. Einen Film möchte er drehen, sagt er. Über einen Ninja. In deiner Stadt! Wenn man ihn denn lässt. Na, was sagt man dazu. Jemand hat deine Gebete erhört. Was soll man darauf schon erwidern?
Über „Justice Ninja Style“ zu sprechen, ohne von den Einwohnern De Sotos zu erzählen, ist möglich, aber sinnlos. Dieser direkt auf Videoband gedrehte Billigheimer, gefüllt mit lauter Menschen, von denen es viele wahrscheinlich ein Leben lang nicht weiter als bis St. Louis geschafft haben, ist nämlich die Geschichte eines spontan mobilisierten Kaffs, das voller Elan alle Hebel in Bewegung setzte, um Gastfreundschaft neu zu definieren.
Wenn der Bürgermeister einem Fremden von außerhalb die goldenen Schlüssel zur Stadt in die Hand drückt, liegt darin nicht nur romantische Western-Motivik, sondern auch die Sehnsucht einer bedeutungslosen Ortschaft, Teil von etwas Größerem zu sein. Wie hätte man auch ahnen können, dass Parvin Tramel nicht der nächste Steven Spielberg werden würde, sondern wie seine komplette Belegschaft nicht einmal über diesen einen imdb-Credit hinauskommen würde? Und doch, hier sitzen wir 40 Jahre später und reden immer noch über De Soto und seine grenzenlose Hilfsbereitschaft, wie man sie sich im heutigen Klima kaum mehr vorzustellen vermag. In Erinnerung bleibt, wie die örtliche Polizei ihre Polizeiwagen und Gefängniszellen völlig ohne Auflagen zur Verfügung stellte, obwohl sie selbst in der Filmhandlung nicht gerade gut wegkommt. Wie sich die Einwohner in der Bürgerhalle versammelten, um sich mal für eine Minute wie in Hollywood zu fühlen. Wie der Bauer seine Scheune öffnete, damit sie als Set für den Showdown genutzt werden konnte. Und selbstverständlich, wie die freiwillige Feuerwehr ihre Löschfahrzeuge in den Einsatz schickte, um ein wenig, nun, Feuer in die Handlung zu bringen. Wäre der Rauch, der in einer Szene zu sehen ist, nicht aus dermaßen unvorteilhafter Perspektive gefilmt, könnte man meinen, selbst das Feuer sei eigens für den Film gelegt worden.
“God, I hate it when he does that.”
Massig Aufregung für ganz De Soto also, und massig Produktionswerte für einen Film, dessen Budget zu null Prozent aus Geld, zu hundert Prozent aus reiner Motivation bestand. Eingefangen im quadratischen Röhrenformat für den Couchkonsum, mit matschigem Bild voller Störstreifen und Bildflimmern, inzwischen immerhin digitalisiert und für die Ewigkeit konserviert. Schon dem Establishing Shot mit einer Luftaufnahme des Stadtkerns strömt der Western aus jeder Pore, und das, wo Sekunden zuvor noch ein Lauftext als dreiste Kopie von „Star Wars“ über die Mattscheibe geflimmert war. Zwischen Cowboy-Ninja-Spielen und Sternenkriegen, hier hat jemand Ambitionen, so viel steht mal fest.
Natürlich ist „Justice Ninja Style“ mit seiner VHS-Optik, seinen On-Location-Eindrücken aus tiefsten amerikanischen Eingeweiden, seinem bei diversen Actionkrachern jener Zeit zusammengeklauten Plot und seiner DIY-Machart ein klarer Fall für die Trash-Polizei. Die Bildhintergründe gilt es genau zu beobachten, denn dort, weit hinter der Filmfassade, da spielt sich immer noch das wahre Leben De Sotos ab. Man kann sich an dem blöden Hund erfreuen, der in der Eröffnungsszene unsinnig in der Landschaft steht, und wenn man nur gut genug hinschaut, kann man erkennen, wie sich der Ninja mehrmals heimlich aus dem Frame stiehlt (ja, das kann man wirklich). Man spürt deutlich die Postproduktion, wenn ein Dialog zwischen zwei Frauen über eine Panoramaperspektive gelegt wird, die daraufhin viel deutlicher zu hören als zu sehen sind. Man darf sogar in die komplizierte Gedankenwelt einer Frau eintauchen, die mit einer Autopanne auf den Abschleppdienst wartet (hätte Mel Gibson „Justice Ninja Style“ geguckt, bevor er „Was Frauen wollen“ drehte, wäre vielleicht alles anders gekommen). Es gibt Anschlussfehler en masse, spontane Richtungswechsel, merkwürdiges Worttennis, absurde Regieentscheidungen und als Kirsche auf der Sahne ein Willie-Nelson-Lookalike, das so nah an seinem Vorbild dran ist, dass man glauben könnte, es wäre Willie Nelson höchstpersönlich, wären wir hier nicht in De Soto und drehten gerade „Justice Ninja Style“.
Was diese No-Budget-Produktion von anderen Amateurproduktionen der gleichen Budgetklasse mit den gleichen Unzulänglichkeiten unterscheidet? Wir haben es hier eben nicht mit einer dieser bocklangweiligen Filmtapeten zu tun, die sich allenfalls als Meditationshilfe eignen. Geboten wird vielmehr massiver Unterhaltungswert für den bierseligen Filmabend, der sich aus dem Enthusiasmus der gesamten Crew und einem gesunden Schlag Selbstvertrauen ergibt. Das beginnt schon bei dem Soundtrack von einem Kerl namens Frank Runge, der sprichwörtlich die Scheiße aus seinem Casio-Keyboard prügelt. Von der ersten Minute an fühlt man sich wie an einen Videospielautomaten genagelt und wird mit unerwartet kreativen Beats in Wallung versetzt, die von „eerie“ bis „groovy“ das ganze Sortiment im Programm haben. Mr. Oizo würde die Hüften kreisen lassen. Mitunter sind die Kompositionen aufgrund ihrer abwechslungsreichen Variationen so dominant, dass sie die eigentliche Szene überstrahlen, was in diesem Fall durchaus für den Soundtrack spricht; denn das Treiben auf dem Bildschirm ist auch so bereits bekloppt genug. Mit der musikalischen Begleitung wird es regelrecht ungezügelt.
“Dan, my witness is a Ninja!”
Doch worum geht’s eigentlich? Da ist also diese Frau, die auf den Abschleppdienst wartet, als zwei Cops bei ihr halten, und einer fängt an, sie zu bedrängen, bis die Situation eskaliert und er sie mit seinem Knüppel schlägt. Da wir uns in dem konstruierten Trashkosmos eines nicht sehr begabten, aber einfallsreichen Autoren befinden, der nur radikale Lösungen für simple Drehbuch-Abzweigungen kennt, geht die Frau durch den Schlag drauf. Das Malheur wird einem Jogger mit Faible für japanische Kampfkunst in die Schuhe geschoben, der von der Regie wie auf Kommando in die Szene gescheucht wird und mal eben den Knüppel anfassen soll, den er natürlich gleich durch die Luft zwirbelt wie Donnatello. Und zack, haben wir auch schon unseren Hauptdarsteller und unsere klassische Van-Damme-Formel gefunden: Ein Mann gegen das Gesetz und für die Gerechtigkeit.
Brent Bell, definitiv nicht zu verwechseln mit dem Regisseur William Brent Bell, hat dank seines knautschigen Matt-Damon-Gesichts und seiner James-Marshall-Rebellenattitüde immer wieder die Lacher auf seiner Seite. Die ungelenke Knüppel-Artistik ist nur der Auftakt für eine ganze Revue von wilden Entgleisungen, die gesteigert werden mit Atemtechnik-Übungen in der Gefängniszelle und diversen zitierwürdigen Onelinern, ebenso unschuldig abgefeuert wie brutal im Einschlag. Auch Rick Rykart darf als schmieriger Chief Officer ein paar herrlich bescheuerte Auftritte hinlegen, in denen er das Böse so unwiderstehlich selbstverständlich wirken lässt, als wäre es durch Gesetz und Ordnung legitimiert. Die ganz große Schau ist aber natürlich Sho Kosugis heimlicher Schatten Ron D. White als komplett vermummter Ninja im schwarzen Ganzkörperanzug, aus dem lediglich die Augenpaare starren wie einst die Stielaugen von Arnold Schwarzenegger in der Eröffnungsszene aus „Eraser“. White, der ursprünglich Boxer war, sich bei der Army jedoch von einem Kameraden für Karate begeistern ließ, hält den 10. Dan und hat damit tatsächlich Erfahrung in der japanischen Kampfkunst zu verbuchen, die er auch als Expertise in die Produktion einbrachte. Vermutlich ist es ihm zu verdanken, dass hier mit Shuriken geworfen wird und nicht mit Frisbees. Zumindest soll er das Drehbuch noch einmal intensiv überarbeitet haben. Linkisch wirken seine Sprünge über Häuserdächer und Kampfchoreografien trotzdem, was vermutlich mit der mangelnden Planung und Vorbereitung der Sequenzen zu tun hat.
“He’s around. He’ll always be around.”
Die Absurdität, die ein Ninja in De Soto von Natur aus mit sich führt, verarbeitet Parvin Tramel nun ganz bewusst in eine Parade aus Absurditäten, die den amerikanischen Kleinstadtalltag in kleinen Dosen auf den Kopf stellen. Mit schrulligen Ego-Perspektiven in einer Kampfschule, verstohlenen Überschulter-Einstellungen aus der Baumkrone und dynamischem Schnitt bei der Flucht über offenes Feld wird das potenziell monotone Treiben mit einem permanent hohen Tempo versehen. Oft mutieren auch alltäglich erscheinende Situationen in etwas Absurdes, durch einen einfachen Kameraschwenk etwa, als ein untersetzter, kleiner, unauffälliger Mann die Polizeistation verlässt und das Szenenbild auf einmal einen fetten gelben Sportwagen enthüllt, der offenbar diesem Mann gehört. Die Ablenkungsmanöver des Ninja durch Rauchbomben und ähnliche Späße tun ihr Übriges, um den Pegel auf Anschlag zu halten. Ein Highlight ist sicherlich ein Kampf mit einem Reallife-Wrestler im Holzfällerhemd, bei dem Lebendgewichte von 90 bzw. 150 Kilogramm mal eben in der Luft die Plätze tauschen. Abseits solcher physischer Einlagen wird der Ninja jedoch eher wie eine geisterhafte Eminenz inszeniert, die im Namen des Gleichgewichts immer wieder mal wieder aus den Büschen stürmt und die Probleme der Hauptfigur löst und dann wieder wortlos verschwindet, damit die Story weiterlaufen kann; beinahe wie ein knorriger alter Mechaniker, der mal kurz am Laufband einer defekten Maschine rüttelt, bis sie wieder läuft und sein Job getan ist. Die Beziehung, die der Ninja zum Hauptdarsteller pflegt, erinnert doch sehr an den kurze Zeit später auf dem Gipfel des US-Karate gestarteten „Karate Tiger“, in dem Bruce Lee dem aufstrebenden Kampfsportfanatiker Jason wertvolle Ratschläge im Kampf gegen das hundsgemeine Seattle Karate erteilte. Was hätte Lee wohl zu den Cops aus De Soto gesagt?
Heute ist „Justice Ninja Style“ in erster Linie ein nettes Andenken für die Bürger der kleinen Stadt südwestlich von St. Louis, fast so wie die alte Videokassette aus Papas Recorder mit Aufnahmen vom ersten Schultag. Nur dass man in diesem Fall nicht selbst dabei gewesen sein muss, um in Erinnerungen zu schwelgen. Schließlich handelt es sich hier um ein wunderbar authentisches Zeitdokument, das den damals aufkeimenden US-Kult um Ninjutsu und Karate in einem Mikrokosmos konserviert wie in einer Schneekugel. Und Parvin Tramel mag kein Spielberg gewesen sein, aber verdammt, er wusste, wie man eine Schneekugel zu schütteln hatte.
Informationen zur Veröffentlichung von “Justice Ninja Style”
So absurd es klingt, aber im Mai 2023 erschien „Justice Ninja Style“ über ein kleines amerikanisches Label namens „VHShitfest“ als Disc-Weltpremiere… und das auch noch auf Blu-ray! Auf Blu-ray!? Natürlich klärt ein Disclaimer gleich über den Umstand auf, dass dieser Film in den 80ern auf Tape gedreht wurde, um Erwartungen an eine HD-Restauration zu dämpfen – wenn das Originalmaterial nur Videoqualität hergibt, wird man nun nicht erwarten können, jede Pore in den Darstellergesichtern zählen zu können. Gemessen an den Umständen bekommt man aber zumindest ordentliche Videoqualität geboten. Die alten Terminator-Kassetten von damals würden heute vermutlich auch nicht mehr besser aussehen. Die Erstauflage mit einer Limitierung von 2.000 Stück kommt als Doppel-Disc-Set im Pappschuber mit partiellem Glanzlack. Auf der ersten Disc befindet sich neben dem 70-minütigen Hauptfilm (inklusive optionalem Audiokommentar mit einem Filmexperten und einem Einwohner De Sotos) eine alternative Fassung unter dem Titel „Ninja – The Ultimate Warrior“, die dank zusätzlicher Szenen rund 16 Minuten länger läuft, sowie ferner ein knapp einstündiges Interview mit dem Ninja-Darsteller Ron D. White, der zunächst über seine Kampfsportkarriere und anschließend über den Film spricht. In einem weiteren Feature von 10 Minuten Länge führt er außerdem durch die Kulissen von damals, die für den Dreh genutzt wurden. Auf der zweiten Disc sind noch weitere Extras enthalten, darunter eine Einführung von White in die Welt der Kampfkunst, eine Eröffnung eines Ninja-Rollercoasters und Rohmaterial der erweiterten Filmfassung sowie Nachrichtenausschnitte zum Film und eine ausführliche Bildergalerie. Insgesamt kommt man so selbst ohne den Audiokommentar oder die Bonus-Fassung auf rund 4 Stunden Extra-Ausstattung. Die Discs sind codefree und können somit auch auf deutschen Playern abgespielt werden. Eine deutsche Veröffentlichung erscheint derweil arg unwahrscheinlich; ein Wunder, dass sich überhaupt jemand dieses längst vergessenen Kleinods angenommen hat.
Sascha Ganser (Vince)
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