Originaltitel: Kandahar__Herstellungsland: USA/Saudi-Arabien__Erscheinungsjahr: 2023__Regie: Ric Roman Waugh__Darsteller: Gerard Butler, Navid Negahban, Travis Fimmel, Ali Fazal, Mark Arnold, Nina Toussaint-White, Bahador Foladi, Rebecca Calder, Olivia-Mai Barrett, Ray Haratian, Vassilis Koukalani, Hakeem Jomah, Tom Rhys Harries u.a. |
Ric Roman Waugh ist inzwischen zu einer Art Hausregisseur für den stetigen Nachschub an Mid-Budget-Genreware mit Gerard Butler geworden und setzt den Actionstar nach „Angel Has Fallen“ und „Greenland“ nun in „Kandahar“ in Szene.
Tom Harris (Gerard Butler) ist Black-Ops-Spezialist in den Diensten der CIA. Mit einem Kollegen gibt er sich als Techniker aus, die vordergründig für besseren Wi-Fi-Empfang im iranischen Hinterland sorgen sollen. Tatsächlich verschaffen sie der Zentrale Zugriff auf das System, damit diese die Reaktoren einer nahegelegenen, geheimen Nuklearanlage überhitzen und in die Luft jagen können. Die Operation gelingt, trotz Verdachtsmomente der Wachen, sodass die Szene mehr auf Spannung denn auf den finalen Knalleffekt getrimmt ist. Es passt auch in das Profil des Stars, dessen letzte Rollen zunehmend bodenständiger waren, ihn weniger als reinen Action-Mann im Dauerfeuermodus zeigten. Mit Mitte 50 macht sich Butler offensichtlich über ein Altern in Würde im Genre Gedanken.
Auch sonst ist Tom eine typische Gerard-Butler-Figur: Mal wieder liegt die Ehe in Trümmern, wobei der CIA-Mann noch retten möchte, was zu retten ist und wenigstens zum Abschlussball der Tochter daheim sein will. Er bricht extrafrüh auf, doch sein Kumpan und Auftraggeber Roman Chalmers (Travis Fimmel) ködert ihn mit einer Kurzmission, deren fürstliche Entlohnung die Studiengebühren von Toms Tochter zahlen würde. Da Roman seinen Flieger eh aufgehalten hat, stimmt Tom zu und macht sich auf den Weg ins afghanische Grenzgebiet, wo er mit dem Übersetzer Mohammad ‘Mo‘ Dou (Navid Negahban) zusammentrifft, der ihn unterstützen soll.
Dummerweise nehmen die iranischen Revolutionsgarden zu genau jener Zeit eine Journalistin hoch, die von einem Whistleblower Informationen über Toms letzte Operation erhalten hatte. Die Iraner enttarnen Tom übers Fernsehen, worauf er den neuen Auftrag abbricht. Doch er und Mo müssen aus Afghanistan entkommen, während verschiedene Parteien nach ihnen suchen…
Schaut euch den Trailer zu „Kandahar“ an
Gerade die Gestaltung der vielfältigen Interessensgruppen macht „Kandahar“, zumindest für einen auf Unterhaltung gezirkelten Actionthriller, relativ komplex. So sind unter anderem der pakistanische Geheimdienst, die iranischen Revolutionsgarden und die Taliban hinter Tom her, jedoch mit unterschiedlichen Motiven. Während die Iraner Vergeltung für das CIA-Attentat suchen, will der pakistanische Geheimdienst den CIA-Mann nach Gefangennahme an den Meistbietenden verkaufen. Hinzu kommen private Begehren: Vielen Taliban-Warlords geht es mehr um Geld, Macht und Einfluss als um die Sache, während der pakistanische Geheimagent Kahil Nasir (Ali Fazal) vor allem auf eine Beförderung ins europäische Ausland schielt. Der hat nämlich Gefallen am westlichen Lebensstil mit teuren Klamotten und Dating-Apps gefunden. Außerdem weist der pakistanische Geheimdienst die verbündeten Taliban an in Zukunft doch Exekutionen von Lehrern und die Unterdrückung von Frauen sein zu lassen, da dies nur schlechte Presse bringe, was nicht überall gut aufgenommen wird. Gleichzeitig stehen auch die Amerikaner nicht als strahlende Helden dar, sondern sind ebenfalls von wirtschaftlichen und politischen Interessen getrieben, wofür sie semi-offizielle Helfer wie Tom einspannen. Damit versucht „Kandahar“ die Gemengelage in der Region möglichst wertfrei darzustellen, ohne für ein Land direkt Partei zu ergreifen.
Natürlich bleibt Tom als desillusionierter wie todbringender Malocher die Fokalisierungsinstanz des Ganzen. Ein abgeklärter, hemdsärmeliger Macher, der nur noch so halb an die Sache glaubt, aber trotzdem weitermacht, weil er es gar nicht anders kennt. Mo hingegen ist der Region vor Jahren entflohen, hat lange Zeit im Westen gelebt, hofft jedoch, dass er den Wandel voranbringen kann. Außerdem hat er noch einen privaten Handlungsstrang, der aufgegriffen, aber nicht fortgeführt wird und eher plump als Stoff für eine mögliche Fortsetzung im Raum steht. Von dieser eher unnötigen Seitengeschichte aber hat das Zusammenspiel zwischen CIA-Mann und Übersetzer seinen Reiz, beleuchten die Protagonisten aufgrund ihrer unterschiedlichen Hintergründe und Herangehensweisen doch viele Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Außerdem gibt ihre Zweckgemeinschaft Raum für Charakterentwicklung, um eine persönlichere Note in den Film zu bringen und das Publikum mehr um sie bangen zu lassen. Nur eine Nebenfigur, aber ebenfalls interessant ist Roman. Der CIA-Handler ist zum Islam konvertiert, lebt eine Mischung aus westlichen und östlichen Lebensstilen, ist fest in der Region verankert, erhält aber gleichzeitig eine Fassade aufrecht, da er ein Geheimdienstler ist und viele Leute in seinem Umfeld ausnutzt und/oder betrügt.
Aber natürlich will „Kandahar“ weniger ein politisches Traktat, sondern vor allem Genreunterhaltung sein, die letzten Endes doch nach sehr klassischen Bahnen funktioniert. Die Mission in Afghanistan ist nur der Plotaufhänger und schon vergessen, sobald Tom enttarnt wird. Danach wird „Kandahar“ zu einer reinen Odyssee im Feindesland, die in erster Linie Spannungs- und Actionszenen aneinanderreiht, wenn das Protagonistenduo auf Feinde, Verbündete und alle möglichen Personen dazwischen trifft – oft ist gar nicht genau abzusehen, wer zu welcher Gruppe gehört. Spannung kommt dann vor allem in Einzelszenen auf, etwa wenn Mo auf unerwartete Weise mit den Gräuel der eigenen Vergangenheit konfrontiert wird und unklar ist, wie er sich verhalten wird. Vieles ist aber nur flott umgesetzter, aber altbekannter Genrestandard. Dass Toms milchgesichtiger Partner nach dem Auffliegen der Tarnung direkt von den Iranern eingeknastet oder umgebracht werden wird, ist beispielsweise früh abzusehen. Nur an einigen Stellen wird geringfügig mit Erwartungen gespielt, während manche Entwicklung eher der Dramaturgie als der inneren Logik geschuldet ist. So wird stets betont, dass der Geheimdienst nicht eingreifen darf, damit Tom auch ja auf sich allein gestellt ist und die Gefechte eine größere Fallhöhe besitzen, aber für einen Deus-ex-machina-Moment wird das mit halbgarer Erklärung an einer Stelle über Bord geworfen.
In Sachen Action macht „Kandahar“ dann ein weniger großes Fass auf als beispielsweise „Olympus Has Fallen“, ist aber wieder krawallorientierter als die letzten Butler-Vehikel. Eine Autojagd durch einen kleinen Ort und die angrenzende Wüste sorgt für Blechschäden und eine in die Luft gejagtes Karre, eine Schießerei der Flüchtenden gegen einen Helikopter steht ebenso auf dem Plan wie eine Belagerung und natürlich das große Finale. Jenes ist etwas exzessiver als der Rest, bietet Unmengen heranstürmender Feinde und eine große Explosion, aber auch ein fast Western-artiges Duell zwischen Tom und seinem Finalgegner, wenn auch mit halbautomatischen Pistolen anstelle von Revolvern und einem Motorrad anstelle eines Pferdes. Dabei profitiert „Kandahar“ vom sauberen Handwerk seines Regisseurs, der die Stunts, Verfolgungsjagden und Schusswechsel gemeinsam mit seinem Stunt Coordinator Dian Hristov („Dungeons & Dragons – Ehre unter Dieben“) übersichtlich und mit einem Sinn für Rauminszenierung auf die Leinwand bringt. Größere Finessen in Sachen Kameraarbeit oder sonstigem Einfallsreichtum gehen „Kandahar“ zwar ab, aber gutes Handwerk ist die Action durch und durch.
Im Gegensatz zu seinen vorigen Rollen in Werken wie „Plane“ oder „Chase“ gibt sich Butler hier wieder mehr als klassischer Actionheld, aber mit den erwähnten Altersnuancen. Er ist glaubwürdig als alter Krieger, der sich vor allem durch seine Professionalität auszeichnet. Navid Neghaban, durch Rollen in Werken „American Assassin“, „12 Strong“ und der Serie „Homeland“ quasi auf das Nahost-Thema abonniert, gibt Butlers ruhigeren Gegenpol als Gelehrter, der größeres Verständnis für viele Sensibilitäten, aber die nicht den Killerinstinkt seines Kollegen besitzt. Starke Akzente setzen Travis Fimmel („The Baytown Outlaws“) als widersprüchlicher CIA-Mann, Ali Fazal („Tod auf dem Nil“) als pakistanischer Geheimdienstmann und Ray Haratian („A Girl Walks Home Alone at Night“) als Warlord, während der Rest der Besetzung einen durchweg gelungenen Job macht.
„Kandahar“ mag auf der Erzählebene konventionelle Kost sein, gelegentlich etwas vorhersehbar, reichert die Prämisse vom Überlebenskampf im Feindesland aber mit einer guten Besetzungen, handgemachter, solide inszenierter Action und ausgewogenen Kommentaren zur Lage in der Region an. Neben „Olympus Has Fallen“ und „Den of Thieves“ das wohl gelungenste Butler-Action-Vehikel seiner Post-„300“-Schaffensphase.
Knappe:
Leonine bringt „Kandahar“ am 17. August 2023 in die deutschen Kinos, ungekürzt ab 16 Jahren freigegeben.
© Nils Bothmann (McClane)
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Copyright aller Filmbilder/Label: Leonine__FSK Freigabe: ab 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein, ab 17.8.2023 in den deutschen Kinos |