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Morbius

Originaltitel: Morbius__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: Daniel Espinosa__Darsteller: Jared Leto, Matt Smith, Adria Arjona, Jared Harris, Tyrese Gibson, Al Madrigal, Michael Keaton, Zaris-Angel Hator, Joe Ferrara, Charlie Shotwell, Joseph Esson, Jason Rennie, Aryan Moaven u.a.
Morbius

“Morbius” soll nach “Venom” den nächsten Antihelden des “Spider-Man”-Universum etablieren

Sony besitzt nur eine Marvel-Lizenz, nämlich jene für Spider-Man plus angeschlossene Figuren, aber die wird reichlich gemolken. Nachdem „Venom“ zum Erfolg wurde, sollte mit „Morbius“ der nächste Schurke seine Origin Story bekommen.

Erstmal sieht man den genialen Wissenschaftler Dr. Michael Morbius (Jared Leto) eine Höhle voller Vampirfledermäuse im Dschungel Costa Ricas aufsuchen, damit für ein schickes Auftaktbild und einen frühen Auftritt des Stars gesorgt wird, danach geht es 25 Jahre in die Vergangenheit. Klein-Michael leidet unter einer seltenen Blutkrankheit, wird in einem Spital in Griechenland behandelt und lernt dort Milo kennen, der Opfer der gleichen Krankheit ist. Beide brauchen oft Bluttransfusionen, um am Leben zu bleiben. Michael ist jedoch ein brillanter Kopf und geht auf ein Internat für Hochbegabte, Milo bleibt in der Obhut von Dr. Emil Nicholas (Jared Harris) zurück. Man erkennt bereits eine rachsüchtig-wütende Ader in Milo, womit „Morbius“ die Charakterisierung seiner Hauptfiguren dann auch für quasi abgeschlossen hält.

In der Gegenwart ist Michael also ein Top-Wissenschaftler, der einen künstlichen Blutersatz erfunden hat, aber nur als Nebenprodukt der Forschung für eine Heilung seiner eigenen Krankheit. Unterstützt wird er von Dr. Martine Bancroft (Adria Arjona), während sich Milo zum Finanzier der ganzen Kiste inklusive zwielichtiger Halbweltverbindungen aufgeschwungen hat. Nicht dass Milos Hintergrund näher beleuchtet würde oder eine Rolle spielen sollte, aber das Drehbuch-Duo aus Matt Sazama („Gods of Egypt“) und Burk Sharpless („The Last Witch Hunter“) will wohl ganz unsubtil darauf hinweisen, dass Milo ein schlimmer Finger sein könnte. Michael dagegen erringt einen Durchbruch mit den Genen der Vampirfledermäuse, führt den Selbstversuch mit dem Heilmittel in internationalen Gewässern durch, was das Gewissen in dem gar nicht mal so verrückten Mad Scientist durchscheinen lässt.

Die Heilung wirkt, macht aus Michael aber einen Vampir, der erstmal die mitgenommene Söldnermannschaft weghäckselt. Mit dem Konsum von künstlichem Blut kann er den Durst danach im Zaum halten, muss aber nach einem Gegenmittel suchen, da er das Biest in sicher immer schwerer kontrollieren kann…

Schaut euch den Trailer zu „Morbius“ an

Soweit die Grundsituation und wer jetzt noch nicht ahnt, dass Milo das Wundermittel ebenfalls zu sich nimmt und weniger moralische Skrupel bezüglich der Blutbeschaffung hat, der hat wahrscheinlich sehr wenige Filme in seinem Leben gesehen. Insofern sind alle Versuche das Publikum aufs Glatteis zu führen schon zum Scheitern verdammt, wenn eine ausgesaugte Krankenschwester gefunden wird und Michael spekuliert, ob er da nicht vielleicht höchstselbst Happa-Happa gemacht haben könnte. Dabei ist das noch der interessanteste Aspekt an „Morbius“: Der Antiheld muss mit seinem Willen zu töten kämpfen, versucht das Richtige zu tun und muss am Ende doch scheitern, da ihm im „Spider-Man“-Kosmos ja eine Schurkenrolle zugedacht ist. Tatsächlich bekommt „Morbius“ das sogar halbwegs hin, kann erklären, wie Michael vom Wohl- zum Übeltäter wird, was ihn letzten Endes bricht.

Was „Morbius“ dagegen nicht hinbekommt: So gut wie alles andere. Das fängt schon bei der hasenfüßigen Anlage des Films an, der einerseits einen Schurken etablieren soll, andrerseits Sympathien für die Hauptfigur schaffen möchte, was schon die „Venom“-Filme reichlich schizophren wirken ließ. Der hölzerne Kniff ist hier die Etablierung von Milo als bösem Bösen, während Michael als guter Böser ja eigentlich das Richtige tun will. Noch nicht einmal die „Venom“-Ambivalenz, dass Michael seine Gelüste vielleicht an Schwerverbrechern auslassen könnte, wird dem Vampir hier zugestanden. Drollig ist auch wie klein die Rolle des Söldnermassakers bei der ganzen Kiste ist: Da macht sich Michael vor Angst in die Buchsen, dass er getötet und die Krankenschwester auf dem Gewissen haben könnte, aber dass er schon vorher acht Menschen verknurpst hat, scheint schon vergessen zu sein. Waren ja nur Söldner.

Halbherzig (und da ist die nächste „Venom“-Parallele“) ist dann auch das PG-13-Rating, sodass das alles vergleichsweise zahm abläuft. Doch nicht nur das fehlende Blut, sondern auch die Art der Inszenierung nimmt den Vampirattacken und -zweikämpfen so gut wie jeden Biss. Meist schwirren die Vampire wie Flummis mit Nachzieheffekten durch die Gegend, dazu noch Wackelkamera, Stakkatoschnitt und CGI-Overkill zum Übersichtsverlust obendrauf. Ein paar Zeitlupeneinlagen helfen da als Ausgleich auch nicht mehr, sodass vor allem der Final Fight eine inszenatorische Bankrotterklärung ist. Allenfalls die besagte Szene, in der Morbius die Söldner killt, kann noch ein Minimum an Schauwerten aufbieten.

Ansonsten verbringt der Film seine erste Hälfte damit, dass sich die Figuren in lauter Zweier- und Dreiergesprächen den eh schon nicht sonderlich komplexen Plot erklären. Michaels Freundschaft zu Milo, trotz dessen Fehlern, kann man ganz gut nachvollziehen, die Liebesgeschichte zwischen Michael und Martine kommt dagegen vollkommen unmotiviert und bemüht daher. Dr. Nicholas übernimmt derweil immer noch die medizinische Versorgung von Milo. Das hat natürlich dramaturgische Gründe: Der Mentor ist zum Auf-jeden-Fall-Gemeucheltwerden da, die große Liebe Martine dagegen zum Vielleicht-Gemeucheltwerden, damit man noch ein bisschen was an behaupteter Tragik und versuchter Spannung in den Film bekommt, aber die Schlüsselworte in diesem Satz sind dann leider behauptet und versucht. Noch dazu ist Michael eine gnadenlos schwache Hauptfigur, da sie sich allein über ihre Krankheit definiert: Der Beruf, der Mentor, der beste Kumpel, das Love Interest, quasi alles ist mit der Suche nach dem Heilmittel verbunden, sodass der Protagonist letztendlich reichlich profillos daherkommt.

Dem gegenüber steht Milo als null ambivalenter Arschkrampen, dessen Schurkenperformance eh nur die Standards abdeckt. Ein selbstsüchtiges Kind im Manne mit Minderwertigkeitskomplexen, Neidgebaren und Rachsucht an der Welt, plus das Bedürfnis andauernd Tanzschritte in seine Bewegungen einzubauen, das pure Klischee eines Schurken. Und dann am Ende kommt noch ein Cameo von Adrian Toomes (Michael Keaton), der aus dem MCU (Marvel Cinematic Universe) ins SSU (Sony’s Spider-Man Universe) gebeamt wird, wobei für den Normalzuschauer nie verständlich ist, dass es a) überhaupt zwei Universen gab und b) welche Spider-Man-Figur sich wann in welchem Universum befand. Wenn schon Multiverse, dann bitte doch mit etwas mehr Mühe.

„Morbius“ ist außerdem ein Film, dem man sein Budget nicht ansieht – im negativen Sinne. Mit einem Budget von 75 bis 83 Millionen Dollar für einen Superheldenfilm zwar fast schon günstig, aber wenn man sich Daniel Espinosas vorige Hollywoodarbeiten, etwa den ungefähr gleich teuren „Safe House“ oder den günstigeren „Life“, anschaut, dann zieht „Morbius“ optisch und inszenatorisch eindeutig den Kürzeren. Nett ist höchstens die Visualisierung der Echo-Wahrnehmung des Antihelden – ähnliches hatte „Daredevil“ allerdings rund 20 Jahre zuvor auch schon im Angebot. Auch das Vampiranlitz der Titelfigur, das bisweilen an einen Black-Metal-Sänger auf Abwegen erinnert, geht designtechnisch in Ordnung. Ansonsten ist „Morbius“ optisch meist genauso trist wie seine Geschichte und genauso unentschlossen, denn das Ganze ist der knallig comicbunt noch so düster wie beispielsweise die „Batman“-Filme, sondern einfach grau und pseudo-düster.

Jared Leto legte hiermit gleich die zweite Bauchlandung mit eingezogenem Fahrwerk im Comicverfilmungsbereich nach „Suicide Squad“ hin; hier gibt es allerdings nicht dem Affen Zucker, sondern watschelt mit Schöner-leiden-Miene durch den Film, egal nun als abgemagerter Michael oder Mucki-Mann Morbius. Matt Smith („Last Night in Soho“) hampelt als Klischeeschurke durch den Film, Jared Harris („Dummy“) versucht seine 08/15-Rolle mit begrenzter Screentime noch ansatzweise memorabel ins Ziel zu bringen und Adria Arjona („6 Underground“) ist auch kaum mehr als bessere Staffage. Weniger als Staffage sind dagegen Tyrese Gibson („Fast & Furious 10“) und Al Madrigal („Lies & Illusions“) als Agenten einer Ermittlungsbehörde, deren Hauptaufgabe darin besteht die Leichen aufzusammeln, die im Laufe der Geschichte entstehen, Verdächtigungen auszusprechen und das Offensichtliche noch einmal wiederzukauen.

Einen neuen „Blade“ hatte man von „Morbius“ ja vielleicht nicht gleich erwartet, aber doch mehr als diesen flügellahmen, schmucklos inszenierten und in den Actionszenen meist komplett versaubeutelten Action-Horror-Comic-Kladderadatsch, der talentierte Mimen reichlich verschenkt. Erzählerisch ist das auch nichts Halbes und nichts Ganzes, da helfen die ansatzweise nachvollziehbare Entwicklung der Titelfigur zum Bösewicht und zwei, drei lichte Momente dann auch nicht mehr wirklich.

Sony hat „Morbius“ in Deutschland auf Blu-Ray und DVD veröffentlicht, ungekürzt ab 12 Jahren freigegeben. In Sachen Bonusmaterial gibt es Featurettes.

© Nils Bothmann (McClane)

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