Originaltitel: El Conde Drácula__Herstellungsland: Deutschland / Großbritannien / Italien / Spanien__Erscheinungsjahr: 1970__Regie: Jess Franco__Darsteller: Christopher Lee, Herbert Lom, Klaus Kinski, Fred Williams, Maria Rohm, Soledad Miranda, Paul Muller, Jack Taylor, Teresa Gimpera u.a. |
Unzählige Permutationen hat die literarische Gestalt des Grafen Dracula in die Filmgeschichte ausgesandt, verkörpert von immer neuen Wiedergängern. Während des Eroberungszuges, der bis zum heutigen Tage andauert, stieg entsprechend die Wahrscheinlichkeit wild wuchernder Abweichungen von der Ursprungsquelle, dem Roman Bram Stokers. Gleichwohl kann man nicht behaupten, dass es jemals einen kausalen Zusammenhang gegeben hätte zwischen dem Alter der Verfilmung und seinem Grad an Vorlagentreue. Schließlich begann die Erfolgsgeschichte der Dracula-Adaptionen ja bekanntlich sogar recht frei mit Murnaus unautorisierter Schauermär „Nosferatu“, bevor der Ungar Bela Lugosi 1931 seinen Umhang für die erste klassische Verfilmung der Universal Studios öffnete, die von der Visualität ihres Mediums vergleichsweise wenig Gebrauch machte. Als Quasi-Bühnenstück verweilte sie zumindest formell sehr nah an der staubigen Oberfläche papierner Seiten.
Der Weg führte schließlich zu Christopher Lee, dessen rasch aufeinander folgende Dracula-Auftritte für die Hammer Studios ab Ende der 50er Jahre in schrill-bunter, effekthascherischer Manier die Popkultur eroberten – zu dem Preis allerdings, besonders in den Fortsetzungen kaum mehr etwas mit der Essenz des Romans zu tun zu haben. Im Jahr 1970 war die Reihe gleich doppelt um ihren fünften und sechsten Teil erweitert worden und der stolze Lee, dessen Verkörperung des Grafen sich zu jenem Zeitpunkt längst unauslöschlich in die kollektive Netzhaut eingebrannt hatte, war zum ominösen Stichwortgeber in Cameo-Auftritten verkommen, über die On- und Offscreen-Grenzen hüpfend wie ein Schausteller in einer Geisterbahn, der das durchfahrende Publikum mit seinen Markenzeichen für wenige Sekunden erheitern sollte.
Noch im gleichen Jahr, in dem er die beiden Hammer-Streifen abdrehte, trat Lee tatsächlich noch zwei weitere Male in seiner Paraderolle auf. Einmal nämlich für einen Kurzauftritt in der Jerry-Lewis-Komödie „Die Pechvögel“, was man wohl als einen frühen Schritt Richtung Mel-Brooks-Postmodernismus verstehen kann und damit als neuerliche Entfernung vom Ausgangsmaterial. Dann aber trat er eben noch als Hauptdarsteller von „Nachts, wenn Dracula erwacht“ auf, einer vermeintlich hieb- und stichfesten, unverschnittenen, fast hundertprozentig werkgetreuen Romanadaption, und das ausgerechnet unter der Regie von niemand anderem als Jess Franco.
Alleine diese Konstellation aus Franco und Lee, dazu auch noch veredelt mit Klaus Kinski und Herbert Lom (der wiederum eigentlich nur dritte Wahl nach Vincent und Dennis Price war), gehört zu jenen erstaunlichen Fügungen, wie sie aus heutiger Sicht fast unvorstellbar erscheinen, damals aber gar nicht so unwahrscheinlich waren. Regisseur und Hauptdarsteller hatten ja alleine in jenem umtriebigen Jahr auch gemeinsam an „Die Jungfrau und die Peitsche“ sowie „Der Hexentöter von Blackmoor“ gearbeitet und auch zuvor in den Fu-Manchu-Filmen miteinander zu tun gehabt. Alles in allem eine ziemlich hohe Schussfrequenz, die eben auch mehr Freiraum für Experimente bedeutete. Für einen Querschläger wie Jess Franco könnten Experimente wiederum bedeutet haben, dass er sich anstelle der gewohnt feucht-fröhlichen Literaturzitate-Potpourris diesmal auf etwas Konventionelles, fast Bürgerliches einlassen könnte, wie etwa den Versuch einer werkgetreuen Verfilmung von „Dracula“, die zweifelsohne auch ein unerfülltes Begehr Lees war.
Nun also zu sehen, wie die Kutsche im Wald tatsächlich anrollt und Jonathan Harker aufliest, wie Dracula mit einem Kerzenhalter voller Spinnweben die Tore öffnet und seinen Gast begrüßt, wie Originalzitate aus dem Roman vor dem brennenden Kamin vorgetragen werden, wie sich all die historischen Vorgaben als Omen erfüllen, wo man eigentlich eigentlich erwarten würde, einen ungeduldigen Dirigenten seinen Stab zusammenhanglos durch die Luft wirbeln zu sehen, in Gedanken immer schon beim nächsten Takt, das hat in all seiner Berechenbarkeit schon etwas Surreales an sich. Auf den ersten Blick scheint es keine größeren Bemühungen zu geben, aus der Vorlage auszubrechen, sie zu spiegeln, sie zweckzuentfremden oder auf der Außenspur zu überholen. Im Gegenteil; die Originalgeschichte und ihr Tempo scheint Franco in dieser Phase genügt zu haben, sie scheint sein eigentliches Anliegen gewesen zu sein, so dass er entschied, sich ihren Regeln zu unterwerfen; wenigstens, was den übergeordneten Ablauf angeht.
Natürlich ist „Nachts, wenn Dracula erwacht“ unter dem Deckmantel der Werkstreue trotzdem unverkennbar das individuelle Werk des Jess Franco. Man benötigt keine entblößten Frauenkörper im Kerzenschein, um sich dessen gewiss zu sein. Francos Signatur kommt durch die Verknüpfung von Eigenschaften zustande, die mal mehr, mal weniger greifbar sind und in einem gewissen Maße sicher auch durch die Produktionsumstände entstehen. Sie gehen zurück auf die nicht immer authentische, aber stets charakteristische Wahl der Drehorte, die speziellen Betonungen in der Erzählung, die Improvisation, nicht zuletzt auf das seltsam zerrissene Mischverhältnis von Phantastik und sprödem Realismus, zwei Welten, die sich in Francos Arbeiten stets leicht überschneiden. So kommt schon in den schmuddeligen Aufnahmen der katalanischen Burg aus dem Vorspann, dem offenbar die Farben wie durch die Eckzähne eines Vampirs ausgesaugt wurden, eine Art psychedelisches Flackern zugute, das sich in den späteren Waldaufnahmen bei der Kutschfahrt noch verstärkt. Was man da an schnoddrigen Naturaufnahmen vorgesetzt bekommt, ist bereits ziemlich weit entfernt von der artifiziellen Kulisse der ausstaffierten Hammer-Werke. Wer sich das Cover des (ebenfalls 1970 veröffentlichten) Debütalbums der Heavy-Metal-Ikonen Black Sabbath immer mal in bewegten Bildern vorstellen wollte, muss sich im Grunde nur an die Fersen der Kutsche heften, die sich unter dem tosenden Gebrüll einer von Nachtschwärmern* erfüllten Dunkelheit zur Behausung des Grafen aufmacht.
Im ersten Drittel erzeugt Franco mit diesen atmosphärischen Zutaten eine seltsam hypnotischen Zwang zur subjektiven Erfahrung, die auf die von Stoker entliehene situative Unmittelbarkeit der Beschreibung zurückzuführen ist. Er hat sein Publikum in dieser Phase mit einfachen Mitteln vollends im Griff, sofern es empfänglich ist für kalte Steingemäuer, für Spinnen, die sich in den Rillen des Bettpfostens verstecken und fliegende Nager, deren Schatten aufgeregt vor dem Turmfenster flattern. Durchbrochen wird die Illusion der reinen Literaturadaption aber schon früh, als die Verweise auf frühere Verfilmungen sichtbar werden; beim Abendmahl an einem viel zu großen Tisch beispielsweise, der wie die wiedererweckte Kulisse zu der Szene anmutet, mit der Bela Lugosi zum Star wurde. Oder eben bei Christopher Lee selbst, der zwar weniger animalisch spielt als in seiner eigentlichen Paraderolle, dessen aufgeklebter Schnauzbart aber nicht die von blutunterlaufenen Kontaktlinsen in ihrer Eindringlichkeit noch verstärkten Augen dahinter verbergen kann, mit denen der Mime schon ein Jahrzehnt zuvor Löcher in die Leinwand zu bohren wusste. Hier erweist sich der Regisseur erneut als Schwamm für alles Kunstfertige der Vergangenheit, das er in der ihm eigenen Art zu einer eigenen Variante fusioniert.
Wo sich bei Stoker der Handlungsrahmen der Geschichte schließlich vergrößerte und Dracula selbst in den Hintergrund verbannt wurde, da erlischt dann auch in „Nachts, wenn Dracula erwacht“ die Konzentration auf das Wesentliche. Die Regie wird zielloser, ihr Klammergriff wird gelockert, ihr Fokus weitet sich. Ausgerechnet mit Kinski in der Rolle des irren Dieners Renfield weiß Franco nicht viel über die autonome Einstellung hinaus anzufangen, seine Szenen wirken nicht nur wegen der weiß gepolsterten Hintergründe der Gummizelle wie vom Restgeschehen isoliert, beinahe so, als wollten sie ihre eigene Geschichte erzählen. Auch Herbert Lom wandelt wie ein Geist umher, beschränken sich seine Auftritte doch auf wenige, nicht allzu prägnante Gelegenheiten, zumal sich seine Wege zu keiner Zeit mit denen Christopher Lees kreuzen – trotz einer gemeinsamen Szene, die in Schnitt und Gegenschnitt einfach und billig aufgelöst wird. Das Augenmerk des Regisseurs klammert sich weiterhin lieber an Originalzitate und bemüht die Nachstellung bestimmter Sequenzen, unter denen immer mal wieder eine entsteht, die Gänsehaut zu verursachen weiß; etwa jene, in der Soledad Miranda als verwandelte Lucy im schwarzen Gewand des Todes ein argloses Kind in ihre Arme lockt.
Zugleich wird aber auch viel in Ohrensesseln herumgerutscht und lamentiert, während Dracula ungestört seine Checkliste abhakt. Die selbsternannte Vampirjäger-Garde um Van Helsing und seine Mitstreiter muss sich mit einer Scharade aus falschen Bedrohungen herumplagen, unter denen das befremdlich inszenierte Puppentheater mit ausgestopften Tieren des Waldes wohl die würdeloseste Einlage des gesamten Films darstellt. In dieser Phase hat man das Gefühl, das sich verändernde Make-Up Christopher Lees, dessen graue Mähne sich langsam wieder schwarz färbt, ist die einzig organische Entwicklung, mit der es dem Plot überhaupt erlaubt ist, voranzuschreiten.
Ist „Nachts, wenn Dracula erwacht“ nun die kolportierte stilechte Literaturadaption oder doch eher ein weiterer abstrakter Klecks auf der Leinwand eines Schnellschusskünstlers? Da Franco der Weltliteratur schon immer angetan war, ist wohl davon auszugehen, dass er sich weniger biegen musste, um nah am Original zu bleiben, als sich wiederum das Original für Francos klamme Vision voller Kompromisse biegen musste. Richtet man den Blick nicht auf das „Was“, sondern auf das „Wie“, so besteht eigentlich kaum ein Zweifel daran, dass Christopher Lee, Klaus Kinski und Herbert Lom in erster Linie nicht dem Vermächtnis Bram Stokers dienten, sondern jenem eines spanischen Vielfilmers, der grundsätzlich stets alle Freiheiten wahrnahm, die sich ihm boten – und dessen fadenscheiniges Bedürfnis nach Werksnähe somit Teil der eigenen Selbstbestimmung des Moments gewesen sein muss.
*Welch typische Franco-Wendung, dass sich die schrecklich heulenden Wölfe letztlich als gewöhnliche Schäferhunde entpuppen, die man sich von der örtlichen Polizei geborgt hatte.
Informationen zur Veröffentlichung von “Nachts, wenn Dracula erwacht”
Limited Collector’s Edition #48
Hundert Jahre alt wäre Christopher Lee in diesem Mai geworden. Sein Vermächtnis für die Filmgeschichte ist in Worten eigentlich kaum auszudrücken. An „Nachts, wenn Dracula kommt“ dürfte er nur wenige Wochen gearbeitet haben, viele wichtigere Werke sind mit ihm entstanden und größere Rollen hat er gespielt. Dass ein Film wie dieser dennoch auch mehr als fünfzig Jahre nach seiner Entstehung nicht vergessen werden kann, dass er unter all den Filmen mit Lee oder von Franco in gewisser Weise trotzdem heraussticht, spricht für ihn. Und die Sonderbehandlung, die dieser Dracula-Adaption nun durch Wicked Vision widerfahren ist, spricht dafür, dass es nach wie vor sehr viel über ihn zu sagen gibt.
Einmal nachdrucken, bitte: Cover D
„Nachts, wenn Dracula erwacht“ erschien nämlich bereits im September 2021 in drei verschiedenen Cover-Varianten in einer pompösen 4-Disc-Edition, die vor lauter Inhalte zu platzen drohte. Die Gesamtauflage von 999 Stück war diesmal wohl ein wenig knapp angesetzt, denn in kürzester Zeit waren alle Cover-Varianten ausverkauft. Also legte man im März diesen Jahres nach und brachte eine um gewisse Bonus-Elemente entschlackte 2-Disc-Edition im Scanavo Case als reguläre Standardausgabe, ferner jedoch als zweite Chance für Sammler, die zu spät waren, eine weitere Mediabook-Auflage mit einem vierten Motiv, das wie alle bisherigen Motive auf 333 Stück limitiert ist und alle vier Discs an Bord hat. Diese Cover-D-Edition ist Gegenstand der vorliegenden Besprechung.
Die Verpackung
Das D-Motiv scheint eine Variation des italienischen Kinoplakats zu sein, zumindest Christopher Lees Pose entstammt diesem eindeutig. Im unteren linken Vordergrund ist mit Klaus Kinski noch der zweitbekannteste Darsteller des Films abgebildet, oben links thront unter verhangenem Wasserfarbenhimmel das Schloss. Der Titel in seiner bekannten Typografie ist recht zentral und breit abgebildet. Insgesamt steht das Artwork den drei Vorläufern in rein gar nichts nach, es gehört womöglich sogar zu den schöneren Motiven. Wer eine der drei Varianten aus der Erstauflage erworben hat, dürfte es sogar wiedererkennen, denn damals zierte es die Front des 24-seitigen Booklets. Hier wurde übrigens gut mitgedacht, denn für die Neuauflage hat man das Booklet-Cover nun gegen das damalige Cover C von Timo Wuerz ausgetauscht (mit nachträglich hinzugefügten Posterfalten), damit man beim Aufklappen nicht gleich wieder dasselbe Motiv serviert bekommt, das bereits auf der Front zu sehen ist. Auf der Rückseite des Booklets blickt Kinski traurig durch die Gitterstäbe. Die vier Discs sind in der für ein Mediabook wohl bestmöglichen Aufbewahrungsform untergebracht, nämlich jeweils zu zweit auf einem Tray mit zwei mittigen Aufsteckern. Möge man auch in Zukunft diesbezüglich hoffentlich keine Experimente wagen, denn bei anderen Labels sind solche zumeist in die Hose gegangen. Das Design der Discs und der Tray-Untergründe ist im klassisch-schlichten Wicked-Vision-Beige gehalten; nimmt man die Discs heraus, findet man dahinter jeweils noch ein kleines Schaukastenmotiv.
Das Booklet
Christoph N. Kellerbach ist der Autor des Booklet-Texts, und üblicherweise bedeutet das, dass sich die Bilder gefälligst zurückzuziehen haben, denn der Mann hat viel zu sagen! In der Tat ist auch sein Essay „Nachts, wenn Dracula erwacht – Die Entstehung von Jess Francos ambitionierter Bram-Stoker-Umsetzung“ wieder so papierhungrig, dass es daneben gerade mal für ein halbseitiges Foto von Fred Williams, ein weiteres von Klaus Kinski und dann noch einen schmalen Streifen für Christopher Lees Augenpartie gereicht hat. Der Rest ist Schwarz auf Beige mit roten Kapitelüberschriften. Aber das sind nicht einfach nur Wörter, da ist massig Inhalt drin! Der Autor kennt sich ganz offensichtlich extrem gut nicht nur mit dem Werk von Jess Franco aus, sondern auch mit jenem von Christopher Lee, mit der Geschichte der Dracula-Verfilmungen und nicht zuletzt mit dem Roman von Bram Stoker. Diese Bestandteile werden im Verlauf des Textes zunehmend miteinander in Beziehung gesetzt und durch Fakten abgesichert, deren Quellen leider nicht mit aufgeführt sind – zu gerne hätte man gewusst, woher die vielen Details und Informationen stammen, mit denen er den Protagonisten in der Entstehung der Produktion folgt. In jedem Fall hilft das Booklet nicht nur, den Hauptfilm zu verstehen, es verweist darüber hinaus auf eine Vielzahl anderer interessanter Werke aus dem gleichen Kosmos.
Bei den Discs konzentrieren wir uns zunächst auf die linke Innenseite und finden dort die Haupt-Blu-ray und eine inhaltsgleiche DVD untergebracht. Nachdem wir die Rechtehinweise (mitsamt einer Warnung vor einem Pflock im Arsch bei Nichtbeachtung) hinter uns gebracht haben, steigen wir in das atmosphärische Hauptmenü ein, dessen Gestalter das Cover-B-Artwork als Grundlage verwendet hat. Unter grünem Nebelschleier laufen zur Filmmusik Ausschnitte aus dem Film. Da will man doch gleich auf „Film starten“ drücken.
Bild und Ton
„Nachts, wenn Dracula erwacht“ dürfte in Sachen Materiallage wohl ein ziemlich problematischer Fall gewesen sein. Zwar haben Kinowelt in Deutschland mit einer DVD von 2010 und Severin in den USA mit einer Blu-ray 2015 bereits vorgelegt, dennoch gab es vor der deutschen HD-Premiere noch so einige Baustellen abzuschließen, was über eine Planungsphase von rund drei Jahren nach und nach inkrementell geschah. Gleich die ersten Minuten erwiesen sich als erstes Problemkind, da für verschiedene Länder unterschiedliche Vorspanne erstellt wurden. Mal passte darin die Bildqualität nicht, mal wich die Musik ab. Geworden ist es letztlich eine restaurierte Variante des deutschen Abspanns. Besonders an den fast vollständig ausgewaschenen Farben darin kann man immer noch deutliche Unterschiede zum restlichen Film ausmachen, allerdings wird die sehr eigentümliche Atmosphäre des Streifens schon hier gut wiedergegeben. Nicht, dass das restliche Material dann allzu homogen ausfallen würde; je nachdem, wo und wann gedreht wurde, sind massive Schwankungen in den Bildeigenschaften auszumachen. Es ist schon ein Unterschied, ob man sich gerade die Kutschfahrt durch den Wald mit Nachtfiltern anschaut, ob man Dracula und Harker vor dem Kamin beobachtet, durch dunkle Gruften stolpert oder in detailreich ausgestatteten, hell erleuchteten Interieurs Gesprächen lauscht. Dass es sich um eine auf 35MM gedrehte Billigproduktion handelt, ist allerdings jederzeit an der mäßigen Auflösung und der hohen Körnung zu spüren. Der Stimmung sind diese Charakteristika allerdings zuträglich, ohne sie würde es sich letztlich um einen anderen Film handeln.
Beim Ton fällt auf, dass die deutsche Spur deutlich leiser abgemischt ist als die englische. Dialoge und Musik sind in beiden Fassungen die antreibenden Kräfte, Umgebungsgeräusche weniger, wobei zu sagen ist, dass die deutsche Spur an einigen Stellen durchaus mal eine Dialogzeile hinzuerfindet oder Musik einspielt, wo im Original Stille herrscht. Abgemischt sind beide Spuren in DTS-HD-Master Audio als Zweikanalton. Auf Wunsch können auch deutsche oder englische Untertitel dazugeschaltet werden.
Audiokommentare, Romanvorlesung und alternative Filmfassung
Tatsächlich tummeln sich neben Haupt- und Synchronfassung aber noch vier (!) weitere Tonspuren auf der Disc. Besonders reizvoll erscheint jene mit Christopher Lee, denn der Brite mit der charismatischen Stimme liest rund 80 Minuten lang aus Bram Stokers „Dracula“ vor und legt sich dabei so ins Zeug, dass man eigentlich kaum anders kann als komplett mitgerissen zu werden. Hierbei handelt es sich um ein erstes Feature, das auch auf der Severin-Disc enthalten war. Diese hatte außerdem einen Audiokommentar mit Filmhistoriker David DelValle und der 2018 gestorbenen Schauspielerin Maria Rohm zu bieten, die im Film die Rolle der Mina spielte. Auch dieser Kommentar kann nun über die Wicked-Vision-Disc gehört werden, anders als die Lee-Vorlesung auf Wunsch auch mit deutschen Untertiteln. Wer sich für Einblicke in die Produktion aus der Perspektive einer Beteiligten interessiert, ist hier sehr gut aufgehoben, denn Rohm erinnert sich an einige interessante Dinge, und DelValle ist ein sehr redegewandter, gut informierter Moderator, der das Gespräch immer wieder geschickt in Gang setzt und selbst mit spannenden Details schmückt.
Rohm ist aber nicht die einzige am Dreh Beteiligte, die in einem Kommentar zur Sprache kommt, denn der deutsche Schauspieler Fred Williams (Jonathan Harker) nahm, vermutlich für die Kinowelt-DVD, einen Audiokommentar mit den Moderatoren Peter Blumenstock und Frank Stein auf. Williams, der den Film seither nur einmal über eine von einem Freund aufgenommene TV-Aufzeichnung gesehen hatte, zeigt einen eher pragmatischen Blick auf die Dreharbeiten, dementsprechend ist in Bezug auf Inhalt, Interpretation und Wirkung des Werks nicht viel Meinung von seiner Seite zu erwarten, unerwartet schüttelt er dann aber doch immer wieder hörenswerte Anekdoten aus dem Ärmel.
Für das Alleinstellungsmerkmal wird dann noch mit dem neuen Kommentar von Dr. Rolf Giesen und Dr. Gerd Naumann gesorgt. Es beginnt wie immer: Giesen schwelgt in Erinnerungen an die wilden Kinojahre, Naumann hält dagegen mit frischeren Eindrücken sowie dem Eingeständnis, dass er dem Film einiges abgewinnen kann. Das verspricht eine spannende Diskussion, denn im Umkehrschluss verrät Giesen, dass er den Film damals nicht mochte, sich aber jetzt auf eine Neusichtung nach fast 50 Jahren sehr freue. Und da freut man sich als Zuhörer natürlich mit und genießt anschließend die gewohnte Expertise, mit der Franco und Lee nach allen Regeln der Kunst seziert werden.
Exklusiv auf der Blu-ray und nicht auf der sonst identischen DVD enthalten ist außerdem noch die rund fünf Minuten kürzere Kinoversion mit deutschem Ton für Nostalgiker. Besonders gut eignet sich diese Fassung vor allem dazu, die Restaurationsarbeit an der Hauptfassung noch einmal besonders wertschätzen zu können, denn die technischen Qualitätsunterschiede sind eklatant.
Die Featurettes der Haupt-Disc
Soweit zu allem, was um den Hauptfilm herum aufgebaut ist. Widmen wir uns also nun der unglaublichen Menge an Featurettes und sonstigem Material, das auf dieser Edition zusammengetragen wurde. Schon auf der Haupt-Disc ist genug Material, dass es eine Collector’s Edition rechtfertigt hätte. Abgesehen nämlich von den vier Bonus-Tonspuren und dem deutschen Kinotrailer finden wir hier bereits drei Featurettes. „Stake Holders“ ist mit sieben Minuten Laufzeit die kürzeste davon, hat aber mit Christophe Gans, seines Zeichens Regisseur von „Crying Freeman“, „Pakt der Wölfe“ und „Silent Hill“, eine tolle Insiderperspektive zu bieten. Gans, der anscheinend weitaus schneller sprechen kann als er Filme dreht, kommt am Ende mit seinen fünf Filmen in 30 Jahren nicht um die Bewunderung für einen Jess Franco herum, der in einem einzigen Jahr mehr Filme gedreht hat als Gans überhaupt in seiner gesamten Karriere. Darüber hinaus diskutiert er über das, was einen Christopher Lee als Schauspieler angetrieben haben mag sowie die Frage, ob Klaus Kinski tatsächlich verheimlicht wurde, dass er in einem Vampirfilm mitspielt.
In „Handsome Harker“ (26 Min.) tritt Fred Williams nach dem Audiokommentar ein zweites Mal in Erscheinung, diesmal auch in Bildform. Nach einer englischsprachigen Einleitung spricht er auf Deutsch über seine Kollegen am Set von „Nachts, wenn Dracula erwacht“ und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Produzent Harry Alan Towers nennt er beispielsweise einen halben Gangster, Herbert Lom steif und auch für Christopher Lees stolze Art scheint er nicht unbedingt die größte Bewunderung zu hegen. An Regisseur Jess Franco schien er vor allem das „Dolce Vita“ abseits der Filmsets geschätzt zu haben, das Essen und die angenehmen Gespräche über Gott und die Welt. Kurz, Williams präsentiert sich als Laissez-Faire-Schauspieler, der dem lockeren Arbeitsethos eher zugeneigt war als dem methodischen Schauspiel.
Gleich darauf landen wir im zehnminütigen „Gespräch mit Jack Taylor“. Der Darsteller des Quincey Morris beginnt ähnlich wie Williams mit Erinnerungen an seine Kollegen aus „Nachts, wenn Dracula erwacht“, allerdings war seine Karriere unter dem Strich wesentlich länger und auch abwechslungsreicher als die von Williams, so dass er bald auf Titel und Regisseure zu sprechen kommt, die der Allgemeinheit wohl vertrauter sein dürften als die späteren Erotik-Eskapaden Francos. Er schließt ab mit einer Bermerkung, die typisch ist für Schauspieler, die meistens die Villains verkörpern: Böse sein macht einfach mehr Spaß.
Das wäre dann alles, was auf der ersten (Blu-ray) bzw. zweiten (DVD) Disc zu finden ist. Aber da sind ja noch zwei weitere im Paket. Die dritte Disc ist wieder eine DVD und kommt mit weiteren zweieinhalb Stunden Extras um die Ecke. Dann mal rein ins Vergnügen…
Das Zusatzmaterial der Bonus-Disc
Den Auftakt macht das brandneue Feature „Unfaithful Count?“ (20 Min.), in dem Lars Dreyer-Winkelmann, seines Zeichens Regisseur, Autor und Produzent der RRR Audiovisuelle Medien, Francos Film auf Vorlagentreue abklopft. Er steigt ein der Vorlesung einer Kritik, die es nicht allzu gut mit Franco meint und den allseits berüchtigten Trash-Filmer Ed Wood im direkten Vergleich zu einem Meister erklärt. Dreyer-Winkelmann entfährt dabei bereits ein leichtes Schmunzeln, das darauf hinweist, dass man in der nachfolgenden Analyse weitaus reflektierter bedient werden wird als in dem zitierten Text. Und in der Tat erweist sich der Beitrag als wertvolle Hilfsstellung, um die Parallelen und Unterschiede zur Buchvorlage besser verstehen zu können und schätzen zu können, was Franco da genau gemacht hat.
Das Jess-Franco-Interview „Beloved Count“ trägt einen Abspann von Severin aus dem Jahr 2015 und wurde daher wohl über die US-Disc lizensiert, war aber eigentlich schon auf der deutschen DVD und zuvor auch auf einer amerikanischen DVD von Dark Sky Films zu finden. Auffälligerweise beginnt und beendet Franco seine Worte mit Anekdoten über Christopher Lee (nun, eigentlich endet das Feature, als er sich irgendwo zwischen Zufriedenheit und Erschöpfung eine Zigarette anzündet), mit dem er offenbar eine sehr spezielle Bindung teilte, die durch Lees kalte Fassade anfangs einer harten Prüfung ausgesetzt war. Zwischendurch erinnert er sich auch an Soledad Miranda und Klaus Kinski, während er sich fast beiläufig psychologisch analysiert. Bei Kinski kommt eine der witzigsten Anekdoten der gesamten Edition zum Vorschein; so soll der Schauspieler den Regisseur gefragt haben, warum die Gummizellen-Szene in einer Kulisse gespielt werden solle und ob es denn keine echten Irrenhäuser in der Umgebung gebe, worauf der Regisseur antwortete: Die gebe es schon, nur habe er Sorge, dass sie ihn gleich einbehalten würden.
Jack Taylor hatte sich ja bereits auf der Haupt-Disc vorgestellt, dennoch gibt es auf der Bonus-DVD mit „Mein Name ist Jack“ (15 Min.) ein erneutes Wiedersehen. Dieses entstand offenbar um 2005 oder 2006, da Taylor zwischenzeitlich angibt, gerade in den Dreharbeiten zu „A2Z“ zu stecken, zumal dessen Regisseur Daryush Shokof im Abspann gedankt wird. Das Interview streift viele Themen rund um die Schauspielkarriere des Amerikaners, der in seiner aktiven Zeit offenbar viel um die Welt gereist ist und viele Bekanntschaften geschlossen hat. Er fasst sich in seinen Antworten recht kurz und kommentiert zum Abschluss meistens die Chemie, die zwischen ihm und einem anderen Darsteller oder die allgemein am Set geherrscht hat.
Im fliegenden Wechsel ist nun wieder Jess Franco an der Reihe, den Gerd Naumann 2004 zu einem Telefoninterview (23 Min.) bat, wie Naumann im Audiokommentar auch erwähnt. Da die Stimme durch den typischen Telefonklang stark verfremdet ist, muss man schon gut aufpassen, um alles mitzubekommen, oder man schaltet einfach die Untertitel ein, die erfreulicherweise wie bei fast allen anderen nicht-deutschsprachigen Extras zur Verfügung stehen. Ein weiterer toller Service: Die Themen, über die Franco spricht (seine Beziehung zum Film, Kinski, die Einschränkungen unter dem Franco-Regime, unterschiedliche Filmfassungen usw.), werden jeweils im Bild (das ansonsten aus einem Foto des Regisseurs besteht) eingeblendet.
Schließlich kommen wir zu einer „musikunterlegten Bildergalerie“; so wird sie zumindest im Menü mit reichlich Understatement genannt. Tatsächlich sind die rot eingefärbten Bilder mit Titeleinblendungen nicht Hauptzweck des Features, sondern nur Begleiter des 42-minütigen Soundtracks von Bruno Nicolai. Wie gerne hätte man diesen am liebsten auf einer separaten CD mitgenommen, aber da die Edition ja ohnehin bereits vier Scheiben enthält, wäre das wohl eine Übertreibung zu viel gewesen. Schön, dass er dennoch zumindest in dieser Form enthalten ist.
Zusätzlich zu den beiden Filmfassungen auf der Film-Disc bekommt der Nostalgiker weiterhin die rund halbstündige Super-8-Fassung mit deutschem Monoton und rötlich wirkendem Schmuddelbild, inklusive Einblendungen zum Rollenwechsel – eine durchaus interessante Schnittfassung, die aufgrund ihrer Kürze natürlich dazu gezwungen ist, essenzielle Szenen unter den Tisch fallen zu lassen, wobei die Auswahl hier und da ein wenig überrascht.
Damit man sich ein Bild machen kann, vor welchem Problem das Label bei der Auswahl des Vorspanns stand, sind der französische, italienische, spanische und auch der letztendlich genutzte deutsche Vorspann noch einmal zum Abschluss separat enthalten. Die Qualität dieser Aufnahmen entscheidet sich immens, so wirkt gerade die italienische Version so dunkel und verschwommen, dass man kaum etwas im Hintergrund erkennt, während die spanische Version schärfer, aber ebenfalls recht dunkel ausfällt und statt des Scores von Bruno Nicolai ein Orgelthema verwendet.
Disc 4: Von Wurmfortsätzen und Barcelona
Damit wäre dann alles zu Disc 3 gesagt. Im Verborgenen lauert jedoch noch eine ominöse vierte Disc mit dem schlichten Aufdruck „Cuadecuc“. Kenner wissen, dass „Cuadecuc“ das katalanische Wort für „Wurmfortsatz“ ist und hier im Sinne des Endes einer Filmspule mit dem Geschwisterwerk „Cuadecuc, Vampir“ von Pere Portabella verknüpft ist. Lange hat man bei Wicked Vision darum gekämpft, diesen einzigartigen Experimentalfilm auf die Edition packen zu können. Tatsächlich ist sie filmhistorisch betrachtet sogar von höherer Relevanz als der Hauptfilm. Dem wollen wir auf diesen Seiten auch entsprechend Rechnung tragen, deswegen wird in Kürze eine separate Kritik zu Portabellas Film bei uns zu lesen sein.
Und „Cuadecuc, Vampir“ kommt nicht etwa alleine, sondern hat auch noch „Drácula Barcelona“ aus dem Jahr 2017 als Bonusmaterial im Gepäck, ein weiterer Inhalt, der zunächst auf der Kippe stand und nun doch Teil der Veröffentlichung sein durfte. Im Wesentlichen beschäftigt sich die spielfilmlange Dokumentation aus dem Jahr 2017 mit den Wechselwirkungen zwischen den Dreharbeiten von „Nachts, wenn Dracula erwacht“ und der Stadt Barcelona, in der ein Großteil des Films gedreht wurde. Ausdrücklich mit in die Betrachtung eingeschlossen ist der zeitgleich entstandene „Cuadecuc, Vampir“. Der Fokus liegt also in der Zwischenwelt von kommerziellem Kino und experimentellem Kunstfilm innerhalb der spanischen Filmlandschaft. Von der Stadt und den Dreharbeiten bekommt man nicht allzu viele direkte Einblicke geboten, vielmehr erschließen sie sich aus den zahlreichen Interviews mit Schlüsselfiguren und Begleitern, von Teresa Gimpera, die eine kleine Nebenrolle im Film spielte, bis hin zu Christopher Lee, vom Barcelona-stämmigen Regisseur Jordi Costa bis hin zu Jess Franco persönlich. Man hätte sich vielleicht gewünscht, dass die katalanische Filmlandschaft während des Franco-Regimes noch stärker ausgeleuchtet werden würde, da der Fokus doch sehr auf den eigentlichen Film und auf die Eigenschaften der beteiligten Künstler verhaftet bleibt. Es bildet sich aber nach und nach ein Verständnis dafür, wie diese ungewöhnliche Kombination aus Genre-Handwerk und Avantgarde zustande kommen konnte.
Unter dem Strich dürfte es sich bei „Nachts, wenn Dracula erwacht“ wohl um eine der am besten ausgestatteten Collector’s Editionen überhaupt im Bestand von Wicked Vision handeln. Selbst ohne die Audiokommentare, Alternativfassungen, Buchlesungen und Bonusfilme kommt man schon auf vier Stunden; alles in allem sind es stolze 14 (!) Stunden, mit denen man sich über die reine Filmsichtung hinaus weiterbeschäftigen kann. Mehr geht nun wirklich nicht.
Sascha Ganser (Vince)
Bildergalerie
Sascha Ganser (Vince)
Was hältst du von dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
Copyright aller Filmbilder/Label: Wicked Vision__Freigabe: FSK16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Ja/Ja |