Originaltitel: Once Upon A Time In Hollywood__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2019__Regie: Quentin Tarantino__Darsteller: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Al Pacino, Timothy Olyphant, Kurt Russell, Michael Madsen, Tim Roth, Dakota Fanning, Luke Perry, Margaret Qualley, Martin Kove, Damian Lewis, Emile Hirsch, Sydney Sweeney, Lorenza Izzo, Zoë Bell, Bruce Dern, Clifton Collins Jr., Nicholas Hammond, Harley Quinn Smith, Rumer Willis, Mikey Madison, Julia Butters, Austin Butler, Mike Moh, Damon Herriman, Lena Dunham, Maya Hawke, Danielle Harris, Clu Gulager, Rebecca Gayheart, James Remar, Lew Temple, … |
Wie war das noch gleich vor exakt 50 Jahren? Ach ja; Mondlandung. Nixon. Hippies. Vietnam. Die Manson-Familie und Sharon Tate. Aber auch: Butch Cassidy & Sundance Kid. Easy Rider. Midnight Cowboy. Bonanza, Batman und Rauchende Colts. Erinnerung funktioniert selektiv. Sie entscheidet bei jedem Einzelnen selbst darüber, was für eine bestimmte Periode prägend war und in Fettdruck hervorgehoben gehört. Bei einem cineastischen Querkopf wie Quentin Tarantino bedeutet das eben, dass der Nabel der Welt im Jahr 1969 in Hollywood liegt, dort, wo schon immer Märchen geschrieben und realisiert wurden. Eine ganze Epoche in Zelluloid gerahmt, bunt wie ein Themenpark, der sich des Films und des Fernsehens vergangener Zeiten angenommen hat. Willkommen in Tarantinoland!
„Once Upon A Time In Hollywood“ ist wenig überraschend ein Spickzettel prall gefüllt mit großen Klassikern und kleinen Geheimtipps, mit echten Namen aus der Branche und fiktiven Spinnereien aus dem Drehbuch, mit mächtigen Stars und unsichtbaren Hilfskräften. Es ist kein Zufall, dass sich Leonardo DiCaprio („Departed“) als Filmstar und Brad Pitt („World War Z“) als sein Stuntman brüderlich die Screentime teilen, so dass man kaum sagen könnte, wer von den Beiden die eigentliche Hauptfigur ist. Gleichgestellt sind sie bereits im Vorspann. Pitt auf der linken Seite am Steuer eines Cadillac Coupe de Ville, DiCaprio rechts auf dem Beifahrersitz, erscheint die Einblendung der Schauspielernamen in proportional umgekehrter Reihenfolge; eine Spitzfindigkeit, die darauf anspielt, dass auf Filmpostern aus vertraglichen Gründen die Namen oftmals über den falschen Darstellerköpfen stehen. In der Wahrnehmung des Regisseurs jedoch ist der Kerl, der für den anderen Kerl sein Leben riskiert, ebenso wichtig wie der Kerl, der im Gegenzug sein Gesicht in die Kamera hält. Tarantinos Kino der Details ist eben auch ein Kino der Wertschätzung für jedes einzelne Rädchen im Getriebe, weshalb er immer wieder Unscheinbares registriert, für das kaum ein anderer Regisseur jemals ein Auge bewiesen hätte.
Obwohl sein neunter Film rein stilistisch ganz im Zeichen seines Spätwerks ab „Kill Bill“ steht – starke Genre-Fokussierung, comichafte Überzeichnung und alternative Geschichtsschreibung inbegriffen – so knüpft das Character Writing endlich wieder an die Menschlichkeit seines Meisterstücks „Jackie Brown“ an. Man würde erwarten, dass die soziale Ungleichheit zwischen den beiden Hauptfiguren zum Brennpunkt aufkochen und den Verlauf der Geschichte womöglich verkomplizieren würde, doch nichts dergleichen geschieht. Die Quintessenz des unvollkommenen Kusses, mit dem Robert Forster und Pam Grier vor 22 Jahren Kinogeschichte schrieben, überträgt sich unisono auf die hier beschriebene Männerfreundschaft, deren Stabilität im Grunde gegen alle Gesetze des Filmgeschäfts verstößt… und doch gerade deshalb pure Kinomagie verströmt.
Und so ist das hier gezeichnete Hollywood der späten 60er eine zutiefst subjektive Mixtur aus verblichenen Erinnerungen, ausgeschmückten Vorlieben und überzeichneten Wunschvorstellungen, die ihr Zentrum auf einem Parkplatz vor einem riesigen Plakat am Cielo Drive markiert. Wenn sich das dort über Nacht geparkte Auto am frühen Morgen wieder in Bewegung setzt, ist zumeist ein Filmset das Ziel. Die Kamera schwelgt dann in den Kulissen und erfreut sich auch daran, wenn sie einfach bloß den Techniker mit der Kabelrolle am Rande aufnehmen kann oder wenn der Star in seinem Trailer einen Wutanfall bekommt.
Immer wieder versinkt der Meta-Film aber auch träumend im Set und wird selbst zum Film; in diesen Momenten entsteht Tarantinos dritter Western in Folge und minutenlang schert er sich nicht um die Belange der Realität. Dann wird Rick Dalton zum skrupellosen Western-Fiesling mit gigantischem Schnauzbart. Er sitzt da im Saloon und liefert die beste Leistung seiner Karriere, ein Meta-Kommentar vielleicht auch auf die Anstrengungen im Zuge der oscar-prämierten Darstellungen DiCaprios in „The Revenant“, die Augen ganz rot von den Tränen der Erlösung. Die Illusion wird nur gestört, wenn der Schauspieler mal wieder seinen Text vergisst; es ist der Fehler in der Matrix, der die gesamte Szene als Illusion entlarvt. Der Western als Genre wird derweil endgültig zum Ursprung aller amerikanischen Kultur erklärt, weit über die Grenzen von Film und Fernsehen hinaus; denn noch während man den Film auch als eine Ausstellung der schönsten Klassiker der Automobilkunst begreifen könnte mit all den wilden Fahrten bei offenem Verdeck (und den tollen Soundtracks, die aus dem Autoradio in die Stratosphäre entweichen), so reiten mindestens ebenso viele Pferde mit unterschiedlichster Fellfärbung durch die Prärie, in der unter anderem die Manson-Familie ihre Zelte aufgeschlagen hat.
Schaut in “Once Upon A Time In… Hollywood” hinein
httpv://www.youtube.com/watch?v=ArPF3D_1C8Q
Zurück an den Sets erprobt Tarantino einmal mehr sein reichhaltiges Wissen über die Mechaniken des Filmgeschäfts, wobei er sich hauptsächlich auf den Italo-Western und amerikanisches Trash-Fernsehen der Marke „Batman“ fokussiert, beides Auffangbecken für ehemalige Filmstars auf dem absteigenden Ast. Filmplakate erzählen Legenden in Fußnoten aus dem Hintergrund; auch Bildformat und Drehmaterial verändern mehrfach ihre Gestalt, um ein Gefühl für die Vielfalt der Filmgeschichte zu vermitteln.
Manchmal wird diese auch ganz direkt umgeschrieben, wenn etwa ein Ausschnitt aus „Gesprengte Ketten“ plötzlich DiCaprio zeigt, der anstelle von Steve McQueen den Aufstand erprobt. Im Zuge dessen wittert Tarantino auch die Gelegenheit, seine „Gang“ in kleinen Nebenrollen unterzubringen: Kurt Russell („The Hateful Eight“) sieht man kurz, Michael Madsen („Megalodon“) hockt in einer Einstellung auf dem Pferd und Zoë Bell („Raze – Fight or Die“) bekommt einen Wutanfall. Wunderbar, dass selbst der aus dem Film geschnittene Tim Roth noch Erwähnung im Abspann findet. Generell ist der Cast ein faszinierender Almanach aus Schauspielernamen, die in Klein- und Kleinstrollen dazu beitragen, dass man selbst winzige Szenen des immerhin fast dreistündigen Films nicht so schnell vergessen wird; von Bruce Dern („Masked and Anonymous“) über Damian Lewis („The Crime“), vom unlängst verstorbenen Luke Perry („Supernova“) über Clifton Collins, Jr. („Man Down“), Dakota Fanning („Brimstone“), Danielle Harris („Skin Collector“) oder Lorenza Izzo („Knock Knock“).
Abgesehen vom festen Band der „Bromance“ zwischen DiCaprio und Pitt klingt das vielleicht alles nach Stückwerk, doch tatsächlich unterliegt „Once Upon A Time In Hollywood“ einer sehr fein strukturierten Narrative. Der Polanski-Subplot, der sich passend zur gewählten filmischen Perspektive in der Nachbarschaft Rick Daltons entwickelt, sorgt für einen schwelenden Spannungsaufbau, während sich die Ereignisse auf eine finale Eskalation auszurichten beginnen. Das Drehbuch spielt mit dem Wissen des Publikums um die realen historischen Begebenheiten und beschwört im Zuge dessen immer wieder Suspense, wann immer ein Hippie am Straßenrand trampt oder Sharon Tate (herrlich naiv gespielt von Margot Robbie) ausgelassen ihr Leben genießt. Als Cliff Booth die Ranch der Mansons besucht, wird der Suspense sogar derart handfest, dass man ihn wieder als Genre-Referenz betrachten kann. Vermeintlich autonome Sequenzen wie jene um Tates Kinobesuch ihres eigenen Film verknüpfen die Bezüge zur Geschichte Daltons und Booths virtuos; es ist herrlich mit anzusehen, wie sie euphorisch im Kino sitzt und strahlt wie ein Sonnenschein, als die anderen Zuschauer bei ihren Szenen lachen und applaudieren; aber auch, dass sie als angehender Star unerkannt bei Tageslicht in ihren eigenen Film spazieren kann und nicht einmal vom Kinopersonal erkannt wird, während der eigentlich im Hintergrund agierende Veteran Booth immer wieder von seiner Umgebung erkannt wird.
Was am Ende geschieht, entspricht dem, was Tarantino seit „Inglourious Basterds“ immer wieder in verschiedenen Variationen gemacht hat. Insofern ist „Once Upon A Time In Hollywood“ sicherlich eher Remix als Neuland, eine Bestandsaufnahme eben, die von Titel wegen nicht umsonst auf Sergio Leones Abgesang von 1984 referiert. Und doch rastet hier jedes Rädchen auf Kommando ins Getriebe. Einmal mit den Fingern geschnippt und die sorgfältig über viele Szenen hinweg aufgebauten Bezüge finden zu ihrer Bestimmung. Was dabei jedoch so mühelos aussieht, ist immer noch meisterhafte Handwerkskunst, der das Gleiche gelingt wie vor 25 Jahren: Altes kombinieren, um Neues zu erschaffen.
Sascha Ganser (Vince)
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Quentin Tarantinos Werke sind fast immer Filme über Filme und Popkultur, die im Dialog referenziert, über andere Zitate eingewoben oder via Plakat angekündigt wird. Doch tatsächlich geht der Nerd-Regisseur erst mit seinem offiziell neunten Film, „Once Upon a Time… in Hollywood“, den entscheidenden Schritt: Er lässt ihn tatsächlich während der Dreharbeiten zu Filmen spielen.
Dabei geht es sehr um jenes Genre, dem Tarantino mit „Django Unchained“ und „The Hateful 8“ direkt, mit „Inglourious Basterds“ verklausuliert Tribut gezollt hatte: Den Western. Schauspieler Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) ist ein Westernstar, der seine Karriere bei der (fiktiven) Western-TV-Serie „Bounty Law“ begann, ehe er zum Kinohelden in zupackenden Rollen wurde. Das hat klare Anklänge in Richtung der Karriereanfänge von Clint Eastwood und vor allem Burt Reynolds. Der Legende nach wurde der kleine Quentin Tarantino dereinst von seiner Mutter nach der Reynolds-Rolle aus der Serie „Gunsmoke“, Quint, benannt. Außerdem wurde Reynolds‘ Leben von seiner Freundschaft zu seinem Stuntman und späteren Regisseur Hal Needham geprägt – diesen Part übernimmt hier Daltons Stuntdouble Cliff Booth (Brad Pitt), der gleichzeitig dessen Chauffeur, Mädchen für alles und offenes Ohr zum Ausheulen ist.
Man schreibt das Jahr 1969, die Manson-Morde stehen kurz bevor, womit Tarantino gleich das Crime- und Gewalt-Sujet, das für ihn typisch ist, in der Luft liegen lässt. Jedoch: Charles Manson (Damon Herriman) taucht nur in einer Szene auf, seine Jünger sind eher sporadisch zu sehen, ebenso wie Roman Polanski (Rafael Zawierucha). Mehr gibt es von Sharon Tate (Margot Robbie) zu berichten, dem prominentesten Opfer der Manson-Sekte, doch Tarantino geht es nach eigener Aussage darum, wie sie gelebt hat, nicht wie sie gestorben ist. Polanski und der aufsteigende Star Tate bewohnen das Anwesen neben jenem von Dalton, doch auch sie bleiben Nebenfiguren, selbst Tate: Ein Kinobesuch ihres eigenen Films „The Wrecking Crew“ ist das Herzstück ihrer Szenen.
Während das Unheil am Horizont aufzieht, hat Dalton mit dem eigenen Unglück zu kämpfen: Die Filmkarriere liegt am Boden, in Westernserien spielt er nur noch den Schurken, der wöchentlich von aufstrebenden Nachwuchshelden umgelegt wird, und nach Italien gehen und dort Western drehen will er nicht. Noch ahnen weder er noch Cliff, das ihnen bewegte Zeiten bevorstehen…
Man könnte manchmal meinen, dass Manson und die Tate-Morde ein wenig pflichtschuldiger Aufhänger für Tarantino sind, da dies nur am Rande eine Rolle spielt, in einer Szene aber zur meisterhaften Spannungserzeugung genutzt wird: Cliff fährt das Hippiemädchen Pussycat (Margaret Qualley) nach Hause – zu einer Ranch, auf der er früher drehte und auf der nun die Manson-Sekte wohnt. Ein geschicktes Spiel mit dem Vorwissen der Zuschauer. Auch wenn natürlich zu ahnen ist, dass Tarantino die Geschichte umschreiben wird: Nicht nur der Titel „Once Upon a Time… in Hollywood“ weist auf den (Kino-)Märchencharakter des Films hin, auch ein früher Ausschnitt aus einem fiktiven Rick-Dalton-Reißer erinnert an das Finale von „Inglourious Basterds“, in dem Tarantino die Geschichte schon einmal (und noch wesentlich krasser) umschrieb. An jenes Finale mag der Showdown von „Once Upon a Time… in Hollywood“ nicht anknüpfen: Es gibt die erwartete derbe Gewaltorgie (die aber nur eine von drei brutaleren Szenen in dem Drei-Stunden-Film bleibt), aber die ist weniger souverän inszeniert als manch anderes Tarantino-Finale.
Sowieso ist der Regie-Maestro gelegentlich in einem Modus unterwegs, der an das Abhaken von Checklisten erinnert: Im Radio ein Soundtrack aus Evergreens und persönlichen Highlights, die üblichen Einstellungen nackter Frauenfüße, die Red-Apple-Zigaretten, denen im Abspann ein eigener Werbespot gewidmet wird usw. Doch glücklicherweise geht Tarantino über die reine Pflichterfüllung hinaus, hat mit den Bezügen auf sein eigenes Werk auch etwas zu sagen. Nicht nur, dass Regulars wie Michael Madsen („Thelma & Louise“) dabei sind (der ganz kurz in „Bounty Law“-Ausschnitten zu sehen ist), sondern es gibt weitere clevere Verweise: Der Reminder in Sachen „Inglourious Basterds“-Finale ist in mehrerlei Hinsicht bedeutend, Maya Hawke („Stranger Things“), die Tochter von Ethan Hawke und Tarantinos Muse Uma Thurman, hat eine Gastrolle, in einer anderen Szene besteht der Meta-Gag darin, dass ausgerechnet die „Death Proof“-Konkurrenten (und Tarantino-Spezis) Kurt Russell („Bone Tomahawk“) und Zoe Bell („Camino“) als Ehepaar auftreten. Oder wenn Italoregisseur Antonio Margheriti erwähnt wird: Unter diesem Decknamen trat Brad Pitt als Aldo Raine in der Kinoszene von „Inglourious Basterds“ auf.
Ebenso funktionieren viele der Verweise auf Kino und Fernsehen der 1960er. Wenn Cliff Booth an einer Stelle mit Audie Murphy verglichen wird, dann weiß der Kenner, dass beide Kriegsheimkehrer sind, die zu Genregrößen wurden: Murphy als Schauspieler, Booth als Stuntman. An einer anderen Stelle unterhält sich Dalton mit der fleißigen Kinderdarstellerin Trudi (Julia Butters): Hier prallen altes Hollywood und das aufkeimende New Hollywood aufeinander, eine Kreatur des Starsystems trifft auf eine Jüngerin des Method Acting – was dadurch noch lustiger wird, dass DiCaprio eigentlich selbst ein Method Actor ist. In kleinen Szenen treten reale Hollywoodgrößen der Zeit wie Bruce Lee (Mike Moh) und Steve McQueen (Damian Lewis) auf, die für das Genrekino jener Tage stehen, so wie der fiktive Rich Dalton. An einer anderen Stelle wird ein Screentest Daltons für „Gesprengte Ketten“ erwähnt, wofür man Steve McQueen heraus- und DiCaprio in die entsprechenden Szenen hineinretuschierte. Dies ist nicht die einzige Szene, in der Tarantino mit Bildformaten und der Materialität des Films experimentiert, hier also auch formal seine Leidenschaft für das Geschichtenerzählen jeder Art – egal ob Film, Fernsehen oder Roman – ins Bild setzt.
Quentin Tarantinos Figuren lieben dieses Geschichtenerzählen. Tarantino liebt das Geschichtenerzählen und seine Figuren. So gibt es immer wieder Momente der besonderen introspektiven Zärtlichkeit, wenn sich Sharon Tate selbst auf der Leinwand sieht oder Rick und Cliff eine Folge „FBI“ im Fernsehen schauen, in der ersterer den Heavy der Woche gibt. Und darin liegt auch der Zauber von „Once Upon a Time… in Hollywood“: Tarantinos Film hat wenig äußerliche Handlung, aber er zieht das Publikum schnell in den Bann, versetzt es so in ein früheres Hollywood, dass man die Begeisterung des Regisseurs dafür sofort teilen kann, dass man diesen Charakteren gerne folgt und Zeit mit ihnen verbringt, sich sogar ernsthaft um sie sorgt, wenn die Manson-Morde näher rücken – die eingeblendeten Zeitangaben wirken bedrohlicher als Bomben-Timer in vielen Actionfilmen.
Dabei bleibt Rick Dalton das Herz des Films. Cliff Booth ist eine gleichberechtigte Figur, ein wichtiger Spielpartner, aber auch die eindimensional coolere Rolle: Der wahre Tough Guy, der auch mal mit Bruce Lee kämpft, seinen nackten, muskulösen Oberkörper bei Reparaturarbeiten präsentiert und Leute niederschlägt, die ihm querkommen. Rick hingen ist facettenreicher: Einerseits ein eitler Geck, der zu viel säuft, sich in Selbstmitleid ergeht und weinerlich am Ruhm früherer Tage hängt. Der es als Angang empfindet, wenn ein Regisseur nicht will, dass man ihn (bzw. seine Starpersona) auf der Mattscheibe erkennt und seine Rolle dann auch noch an einen Hippie erinnern soll. Der aber andrerseits ein tieftrauriger Typ ist, dessen Angst niemand mehr zu sein nachvollziehbar ist. Der enorme Professionalität an den Tag legt, seine Dialogzeilen akribisch lernt und dem es ernsthaft peinlich ist, wenn er seinen Text vergisst, weil er das Saufgelage vom Vortag nicht gut weggesteckt hat.
Leonardo DiCaprio („Schneller als der Tod“) spielt diesen Typen mit Inbrunst, wechselt mühelos zwischen den einzelnen Facetten her, manchmal sogar innerhalb einer Szene: Wenn Trudi zu Dalton sagt „This was the best acting I’ve ever seen“, dann will man ihr glatt zustimmen. Aber Brad Pitt („Herz aus Stahl“) ist ähnlich stark als einfacher Typ, der ebenfalls nach neuen Jobs im Filmgeschäft giert, nur eben auf kleinerer Ebene, der seine Unsicherheiten nur besser überspielen kann. Margot Robbie („Slaughterhouse Rulez“) bleibt eine Randerscheinung, legt Sharon Tate aber analog zum Filmtitel als fast entrückte Märchenprinzessin im Wunderland an. Timothy Olyphant („Stirb langsam 4.0“) spielt den jungen Star einer Westernserie – noch so ein Metagag, denn Olyphants Karriere startete ja mit der Westernserie „Deadwood“ durch. In Einzelszenen bekommen Al Pacino („Donnie Brasco“) und Bruce Dern („Wild Bill“) große Auftritte, hinzu kommen Unmengen bekannter Gesichter von Lena Dunham („Immer Ärger mit 40“) und Scoot McNairy („Vendetta – Alles, was ihm blieb, war Rache“) über Dakota Fanning („Night Moves“) und Danielle Harris („Last Boy Scout“) bis hin zu James Remar („Quiet Cool“), Clifton Collins Jr. („Westworld“), Clu Gulager („Nightmare 2 – Die Rache“) und Martin Kove („Karate Kid“) – besser man blinzelt bei diesem Film nicht zu sehr.
In mancherlei Hinsicht mag „Once Upon a Time… in Hollywood” ein bisschen das Tarantino-Best-Of sein, das weniger wagt als etwa „Inglourious Basterds“ oder „The Hateful 8“, manchmal in den Selbstzitat-Modus schaltet. Aber trotz kleinerer Patzer ist „Once Upon a Time… in Hollywood“ absolut souverän inszeniertes Kino mit Begeisterung fürs Geschichtenerzählen in jeder Form, das trotz wenig äußerer Handlung über drei Stunden fesselt und die Hauptfiguren zu facettenreichem Leben erweckt. Geschichts-, Popkultur- und Tarantino-Wissen verstärkt den Spaß am Film natürlich.
Starke:
© Nils Bothmann (McClane)
“Once Upon A Time In… Hollywood” läuft seit dem 15. August 2019 in den deutschen Kinos. Verschiedene Varianten für das Heimkino sind für den 17. Januar 2020 angekündigt, darunter die DVD, die Standard-Blu-ray, das Blu-ray-Steelbook und die UHD.
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