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Pearl

Originaltitel: Pearl__ Herstellungsland: USA-Kanada-Neuseeland__ Erscheinungsjahr: 2022__ Regie: Ti West__ Darsteller: Mia Goth, Tandi Wright, David Corenswet, Matthew Sunderland, Emma Jenkins-Purro, Alistair Sewell, Amelia Reid, …
Pearl

“Pearl”… eine X-traordinary Origin Story

Zum deutschen Trailer geht´s hier!

Als sich Regisseur und Skriptautor Ti West im Vorfeld der Dreharbeiten zu seinem 2022er Werk “X” – seines Zeichens ein sich Ende der 1970er entfaltender “Retro-Slasher”, der eine eigentlich recht konventionelle, altbekannte, schlichte Geschichte sowohl auf eine sorgfältig konzipierte Weise zu erzählen als auch inszenatorisch inspiriert darzubieten vermochte – mit seiner Hauptdarstellerin Mia Goth über die Backstorys der zwei von ihr in dem Film verkörperten Figuren austauschte, erkeimte daraus irgendwann der Gedanke, eine der beiden zu einem eigenständigen Projekt hin auszubauen. Den Verantwortlichen bei “A24” gefiel die Idee – worauf West und Goth u.a. die jedem nach Neuseeland Einreisenden auferlegte 14-tägige Quarantäne-Zeit (als Schutzmaßnahme vor der überall damals schwer wütenden Covid-19-Pandemie) eifrig dazu nutzten, via Text-Nachrichten, Telefonaten und Video-Calls eine entsprechende Vorlage auszugestalten. Mit jeweils einer Million Dollar Budget wurden die Streifen schließlich hintereinanderweg realisiert – ohne dass allzu viele Leute davon wussten. Letzteres galt ebenfalls dafür, dass Goth in “X” eine Doppelrolle spielte: Neben dem “Final Girl” Maxine nämlich auch (unter einer Menge Make-up verborgen) die fast 80-jährige Mörderin Pearl – welche in dem hier nun zur Rezension vorliegenden, nach ihr benannten sowie 1918 angesiedelten Prequel im prominenten Fokus der Geschehnisse steht…

Mit ihrem Ehemann Howard (Alistair Sewell) länger schon übersee in Europa – als Soldat im Weltkrieg kämpfend – sowie mit der “Spanischen Grippe” allerorts Angst, Unsicherheit und Tod verbreitend, lebt Pearl zusammen mit ihrer religiösen wie strengen Mutter Ruth (Tandi Wright) und ihrem seit einem erlittenen Schlaganfall stark pflegebedürftigen Vater (Matthew Sutherland) zurückgezogen auf einer kleinen Farm in Texas. Bloß selten wird das Grundstück verlassen – was auf Ruth´s “Wurzeln” (da sie in Deutschland geboren wurde) sowie die grassierende Infektions-Krankheit zurückzuführen ist – und wenn doch, dann nur von Pearl, um im nächstgelegenen Städtchen (Stoff-Gesichtsmaske tragend) Medizin oder sonstiges Notwendiges einzukaufen. Wie nicht gerade wenige in ihrem Alter, träumt sie sehnsüchtig davon, berühmt zu werden – als Tänzerin auf einer Bühne und/oder der “großen Leinwand”. Außer Sicht ihrer diesbezüglich unverständnisvollen, der Tugend “traditionelle harte Arbeit” verschriebenen Mutter, übt sie heimlich in der Scheune oder ihrem Zimmer verschiedene Schritte und Posen – während zugleich in ihr aber auch bestimmte “düstere Neigungen und Dränge” schlummern, die immer mal wieder an die Oberfläche dringen und sie in jenen Momenten bspw. dazu bewegen, Tiere zu töten: Eine mit ihrer Heugabel aufgespießte sowie an ein Krokodil im See nahebei verfütterte Gans bildet da ihr erstes (im Verlauf gezeigtes) Opfer…

Als Pearl eines Tages losgeschickt wird, um neues Morphin für ihren Vater aus der Apotheke zu holen, sieht sie, dass ein Film nach ihren Vorlieben im Kino läuft, welchen sie sich kurzerhand begeistert anschaut. Es ist dort, dass sie den charmant-attraktiven Projectionist (David Corenswet) kennenlernt, der mit ihr flirtet und sie zu einer Besichtigung der Vorführkabine einlädt. Eingangs geht sie nicht darauf ein – fühlt sich aber geschmeichelt und ist definitiv nicht uninteressiert. Daheim muss sie sich dem Zorn ihrer Mutter stellen, da jene natürlich bemerkt, dass etwas von dem Wechselgeld fehlt. Sie habe sich davon Bonbons gekauft, sagt sie dazu. Nicht lange danach nimmt Pearl das Angebot des Projectionists aber doch an – wobei sie ihm von ihren Ambitionen berichtet, seine Bestärkung erhält sowie einen der frühsten Sex-Flicks überhaupt zu sehen bekommt. Eine unverhoffte Chance eröffnet sich ihr, als ihre Schwägerin Mitzy (Emma Jenkins-Purro) ihr von einer Tanz-Audition in der örtlichen Kirche erzählt. Wer ausgewählt wird, nimmt sogar an einer überregionalen Tour teil! Als sie das ihrer Mutter gegenüber erwähnt, entfacht das (erwartungsgemäß) einen bitteren, emotionalen Streit, der ausartet sowie eine verhängnisvolle Ereigniskette in Gang setzt. Für Pearl scheint es kein Zurück mehr zu geben: Die Farm hinter sich lassen, ein Star werden und die Welt mit ihrem Talent erfreuen – entweder mit Hilfe des Projectionists oder per Erfolg beim Casting…

Auch “Pearl” beginnt mit einem durchs Scheunentor preisgegebenen Blick auf den Bauernhof – nur dass der dieses Mal in kräftigen Farben erstrahlt sowie niemand im Vorfeld auf dem Gelände ermordet wurde. Die grainy, tendenziell ausgeblichene “Texas Chainsaw Massacre”-eske Optik von “X” ist einem bunten, gesättigten “Technicolor-Look” gewichen, der (in Kombination mit weiteren Elementen, wie z.B. Fonts und Szenen-Übergänge) an bestimmte Hollywood-Studio-Produktionen “vergangener Zeiten” erinnert. Eigentlich war West ursprünglich auf klassisches Schwarzweiß aus gewesen – allerdings hatte “A24” dagegen ein Veto eingelegt: Eine gute Entscheidung, meines Erachtens – denn dieses “märchenhafte Gewand” passt wunderbar zum Setting sowie dem schwärmerischen Zukunftsglauben Pearls. Rasch wird man jedoch darauf aufmerksam, dass “das Sonnige” sozusagen nicht allzu weit unter diese “Oberfläche” vordringt: Pearl ist unglücklich und lässt “seelische Abgründe” erkennen, ihr Vater kann selbständig kaum mehr als atmen, die Augen bewegen sowie schlucken und ihre Mutter bemüht sich determiniert-strikt darum, die Familie “auf geordneten Bahnen” durchzubringen, während Krieg und Pandemie viele tausende Menschenleben fordern. Inhaltlich wie stilistisch hebt sich diese Coming-of-Age-Origin-Story klar von ihrem Vorgänger ab – was unterschiedliche Reaktionen hervorrufen dürfte; alles in allem aber genau die richtige Herangehensweise war…

Goth und West haben hier wahrlich eine Menge mit eingebunden – u.a. schwarzen Humor, Tanz-Beigaben, brutale Gewaltspitzen, Eigenschaften von Douglas-Sirk-Melodramen, Gegenwarts-Bezüge sowie für Cineasten zu entdeckende Referenzen. Punktuell sieht man Dinge, wie Pearl sie sich in ihrem Kopf ausmalt – á la ein nach Hause kehrender Howard, der in der Einfahrt plötzlich in Stücke gerissen wird, so als wäre er nur wenige Meter vor seinem Ziel auf eine Mine getreten – oder vermischt sich die Realität mit Fantasie – wie bei ihrer Revue-Aufführung, als sie vor einer sich im Bühnen-Background entfaltenden WWI-Schlacht performt. Und dann wäre da noch das Freisetzen und Auskosten ihrer aufgestauten sexuellen Gelüste mit einer Vogelscheuche inmitten eines Feldes – einer mehrerer “Winks” in Richtung “the Wizzard of Oz” – schließlich gilt das so ja nicht als Untreue. Es ist nämlich der Projectionist, der sie dazu animiert; sie in Versuchung führt. Losgelöst des ungewissen Schicksals Howards ermuntert er sie dazu, aktiver als bislang eine Karriere im Showbusiness anzustreben sowie gemeinsam mit ihm im Lande weiterzuziehen. Er könnte ihr “Ticket raus aus diesem Kaff” sein. Sie gesteht ihm sogar, sich bisweilen den Tod ihrer Eltern zu wünschen. Im Besitz einer der ersten amerikanischen Pornos überhaupt – “A free Ride”, 1915 – verheimlicht er ihr wiederum nicht, entsprechende Gedanken in Bezug auf sie zu hegen. Die Frage ist nur: Wozu ist sie alles bereit?

Wie wir aus “X” wissen, ist Pearl´s sexuelles Verlangen ein sehr ausgeprägtes – und schon im Vorliegenden – in diesem jungen Alter; ihrer “Blütezeit” – fehlt es den in ihr brodelnden Hormonen und Empfindungen – ihrer wehmütigen Sehnsucht nach physischer Intimität – an einem “Auslass”. Wie eine kindliche Figur in einem idyllischen Film spricht sie mit den Tieren auf der Farm, als wären sie ihre Freunde – doch hat sie keinerlei Probleme damit, einzelne von ihnen zu töten, wenn ihr danach ist. Ihrer Mutter bleibt das nicht unverborgen: “Malevolence is festering inside you!”, begründet sie ihre (bekanntlich nicht unberechtigte) Sorge und Strenge an einer Stelle. Pearl macht das wütend – schließlich will sie durchaus ein harmonisches Dasein mit denen um sich herum führen – also mit ihrer Familie; inklusive Howard und Mitzy – doch es ist dieser intensive “Drang” in ihr, unbedingt berühmt werden zu wollen, der sie vorantreibt – denn dort in der Provinz ist das schlichtweg nicht möglich. “I´m special. One day the whole world´s gonna know my name.” Eines Abends eskaliert ein Streit zu diesem Thema zwischen ihnen, im Zuge dessen Pearl´s Mutter die Hoffnungen ihrer Tochter mit ungeschönten Worten “in der Luft zerreißt” sowie zugleich über ihre eigenen Enttäuschungen und Bürden klagt – bspw. hinsichtlich des belastenden Gesundheitszustands ihres Mannes. Es ist nach diesem kraftvollen, großartigen Centerpiece, dass Pearl unweigerlich zum Handeln gezwungen ist…

Tandi Wright (“Love and Monsters“) ist hervorragend als schwer arbeitende, sich um alles so ordentlich es geht kümmernde Immigrantin, die etwa aus Stolz ein ihr von Howard´s vermögenden Eltern geschenktes Spanferkel nicht annimmt – es draußen auf der Veranda einfach unbeachtet belässt, wodurch es im Folgenden geschwind von zig wimmelnd-fressenden Maden “übernommen” wird. Wright gehörte übrigens als “Intimacy Coordinator” mit zur Crew von “X“, als West auf sie aufmerksam wurde und ihr den Part offerierte – welchen sie dankend annahm und dafür stracks mit dem Deutsch-Lernen begann. Generell überzeugen die gecasteten Akteure – unter ihnen Matthew Sutherland (“the Lost City of Z“) als Pearl´s “in seinem Körper gefangener” Vater, David Corenswet (“Look both Ways”) als becircender Projectionist, Alistair Sewell (“the Power of the Dog”) als Howard sowie Emma Jenkins-Purro (“Bygones”) als dessen nette, Pearl wohlgesinnte Schwester Mitzy. Auch mit ihr gibt es ein bedeutsames, sich ebenfalls als ein starkes Highlight entpuppendes Gespräch, in welchem Mitzy es für kathartisch-förderlich ansieht, wenn Pearl spontan mal “all das rauslässt”, was sie Howard gern mitteilen würde. Das Ergebnis ist ein fast acht-minütiger emotionaler Monolog – reich an schmerzhaften, mitunter schrecklichen Preisgaben – bei dem die letzte Einstellung rund fünfeinhalb ununterbrochene Minuten umfasst: Eine schauspielerische Glanzleistung Goths…

Mit Howard im Krieg, der “isolierenden” Pandemie sowie ihrer Mutter der Verwirklichung ihrer Ambitionen im Wege, gelangen Pearl´s “dunkle Seiten” zunehmend zum Vorschein. Trotz dessen – sowie unseres Vorwissens – vermag sie Empathie in einem heraufzubeschwören – in gewisser Weise ähnlich Stephen King´s “Carrie” und Todd Phillips’ “Joker“. Mit ihrem Akzent sowie von ihrer kompletten Art her verleiht Mia Goth (“Infinity Pool“) ihr eine perfekte Kombination aus naiver Unschuld und eiskalter Skrupellosigkeit. Man fiebert geradezu mit bei ihrem Vortanzen – und spürt die ganze Tragik ihrer “einstürzenden Welt”, als die Juroren ihr Urteil verkünden. Anders als Maxine in “X” wird ihr nicht bescheinigt, über den begehrenswerten X-Factor zu verfügen: Ohne aus der Masse herauszuragen, ist sie nichts weiter als eines der unzähligen Mädels, deren Karriere-Ziele bloß Wünsche, Illusionen, Überschätzungen sind bzw. aufgrund irgendwelcher Umstände unerfüllt verbleiben. Nur für wenige wird “der amerikanische Traum” wahr – wofür Erfolg in der “XXX-Industrie” natürlich nicht mustergültig ist. Sich an sie selbst früher erinnernd, beneidet Pearl – die eigentliche Farmer´s Daughter – in “X” die Ausstrahlung, Schönheit und Sexualität Maxines; ihre “Freiheit” und Chancen. Beide wuchsen unter einer sehr “konservativen Fuchtel” auf – aber ihre Leben verliefen unterschiedlich. Mit derartigen neuen Erkenntnissen Vorangegangenes um zusätzliche Facetten zu bereichern: Auch das zeichnet ein gutes Prequel aus…

Wiederum markiert der Bauernhof die zentrale Location – nur halt dieses Mal frischer gestrichen sowie mit gepflegterem Gelände – worüber hinaus sich bspw. noch eine traditionelle “Main Street” (wie aus einem Bilderbuch) absolut sehen lassen kann. Generell ist die Ausstattung super – Kleidung, Möbel, Oldtimer etc. – weiß die Kamera-Arbeit Eliot Rocketts (“the Innkeepers”) zu gefallen, haben Tim Williams (“Diablo“) und Tyler Bates (“John Wick“) einen feinen “Golden-Age-of-Hollywood-vintage-Sound”-Score geschaffen sowie West und Goth genüsslich “Campiness” und Ernst, Melodrama und Horror zu einem zugleich farbkräftigen wie düsteren Psychogramm miteinander vermengt, bei dem die Kills – von denen es nicht gerade viele gibt – nahezu ausschließlich mit Gefühlsausbrüchen verbunden sind sowie am helllichten Tage geschehen. Und dann wäre da noch der finale Blick auf eine breit lächelnde Pearl (in Großaufnahme), der ungeplant zustande kam, da West in dem Moment einfach nicht “Cut!” rufen wollte: Während Goth die akzentuierte Pose mit allem Willen hält – immer länger, angespannter und unbehaglicher – fangen u.a. ihre Gesichtsmuskeln zu zucken an, tränen ihr die Augen und setzen die Credits ein. Ein “Hilferuf” – im doppelten Sinne – so fantastisch wie die gesamte Performance Goths. Alles in allem mag “X” vom klassischen “Genre-Entertainment-Grad” her ein Stück weit unterhaltsamer sein als “Pearl” – der an sich bessere Film ist jedoch diese X-traordinary Origin Story

knappe7 von 10

Nachdem “Pearl” bereits bei den “Fantasy Filmfest Nights 2023” in mehreren deutschen Städten zu sehen war, kommt der Film am 01. Juni auch regulär hierzulande in die Kinos…

Stefan SeidlPearl

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Pearl

 

Copyright der “Pearl” Postermotive und Screenshots/Pics: A24 / Bron Creative / Little Lamb / Universal Pictures International (D)__ Infos zur dt. VÖ: Freigabe: FSK-16__ DVD/BluRay: noch nicht_ Kinostart ist der 01.06.2023

 

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Categorised in: Horror, the Horror Pit

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