Originaltitel: Radio Flyer__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1992__Regie: Richard Donner__Darsteller: Lorraine Bracco, John Heard, Adam Baldwin, Elijah Wood, Joseph Mazzello, Tom Hanks, Ben Johnson, Sean Baca, Robert Munic, Garette Ratliff Henson, Thomas Ian Nicholas, Noah Verduzco, Steve Kahan, Elden Henson u.a. |
David Mickey Evans‘ Script zu „Radio Flyer“ löste einen Bieterwettstreit aus und sollte ursprünglich von dem Autor selbst auf die Leinwand gebracht werden, ehe man ihn nach wenigen Drehtagen feuerte und durch Richard Donner („Maverick“) ersetzte. Der verfilmte eine abgeänderte Version des Scripts, weswegen Evans ihm später die Schuld am kommerziellen Scheitern des Films gab, dem das Studio nach Einstieg des blockbustererprobten Donner ein höheres Budget verpasste.
Nun hatte Donner ja bereits mit „Die Goonies“ einen Klassiker des Jugendfilms erschaffen, „Radio Flyer“ ist vom Stil her aber eher an den ernsteren „Stand By Me“ angelehnt und wird auch hier von einer Erwachsenenperspektive gerahmt. In diesem Falle ist es Mike (Tom Hanks), der seinen Kindern von der eigenen Jugend erzählen möchte und vom Leben in der Vorstadt, in der ein Junge legendär war, der mit seinem Fahrrad einen Hügel runterdonnerte, vom Dach eines unten stehenden Gebäudes absprang und mit diesem beschleunigten Sprung dem Fliegen reichlich nahe kam.
In besagte Vorstadt ziehen der junge Mike (Elijah Wood), sein kleiner Bruder Bobby (Joseph Mazello) und ihre Mutter Mary (Lorraine Bracco) nämlich einige Jahre später hin, nachdem der Vater die Familie verlassen hat und Mary nach kurzem Obdach bei der Oma einen neuen Mann (Adam Baldwin) kennenlernt – einen, der am liebsten der King genannt wird. Mit verschiedenen Inszenierungsstrategien nimmt Donner schon früh den Blickwinkel der Kinder ein, was sich auch daran zeigt wie der King in Szene gesetzt wird. Dessen Gesicht sieht man nur selten, sein wahrer Name, Jack, wird nur kurz erwähnt, sodass er zu einer kaum fassbaren Gestalt wird, wie er auch den Kindern erscheint.
Dass der King durch diese Inszenierung etwas Monströses bekommt, liegt in der Natur der Sache, denn schon bald erweist er sich als Alkoholiker, der Bobby öfter verprügelt. Da er und Mike das neu gefundene Glück ihrer Mutter nicht gefährden wollen, verschweigen die Jungs das Ganze und ziehen lieber mit ihrem Bollerwagen der Marke Radio Flyer durch die Gegend um dem King aus dem Weg zu gehen…
httpv://www.youtube.com/watch?v=PP6-G0t7LFU
Mit Plot über Kindesmissbrauch und Alkoholismus nimmt sich „Radio Flyer“ noch düsterere Themen als „Stand By Me“ zur Brust und unterstreicht sein nobles Anliegen noch dadurch, dass im Abspann die Nummer einer Hotline eingeblendet wird, die Zuschauer anrufen können, wenn sie von ähnlichen Vorfällen in ihrer Umgebung erfahren. Und tatsächlich kann der Film die gedrückte, ja regelrecht unterdrückende Stimmung in dem Elternhaus vermitteln, auch wenn es wohl dem Drehbuch geschuldet ist, dass die Kinder so lang angesichts der Misshandlungen selbst der ahnungslosen Mutter gegenüber schweigen. Im Gegensatz zum ursprünglichen Script reduziert Donner die Momente des magischen Realismus, gerade was Traumsequenzen angeht – lediglich der nächtliche Besuch eines Riesenbüffels, der Mike berät, ist ein offen phantastisches Element.
Das ist vielleicht auch das Problem des Endes, das sich auf zwei Weisen verstehen lässt. Die eine Auslegung ist eine abenteuerlastige, glückliche und eben eher phantasische, die allerdings wenig in der sonst eher realistischen Grundierung des Films verwurzelt ist; eine Auslegung, die noch dazu unschön kitschig daherkommt – und die man nach Donners Aussagen vielleicht sogar bevorzugen solle. Dem gegenüber steht eine zweite Interpretation, die eigentlich viel wahrscheinlicher ist, sich gegen irgendwelchen Zuckerbäckerkitsch wendet und für die ein Zitat aus der letzten Szene der Rahmenhandlung (es geht um Erzählerpositionen) spricht. Auf diese (Sicht-)Weise wird ein wesentlich stärkeres Drama aus dem Film, der sein düsteres Thema in eine Coming-of-Age-Geschichte verpackt.
Aber genau da liegt das Problem: Regie und Script arbeiten sich dem erwachseneren Part ihres Films ab, aber scheinen nicht genau zu wissen wie sie die Kindheit bzw. das Kindsein der jugendlichen Hauptfiguren ansprechend vermitteln können. Man rauft sich mal mit anderen Jungs, erlebt kleine Abenteuer mit dem Schäferhund und einer gefundenen Schildkröte und hat schließlich Träume vom Fliegen, auf die der Filmtitel in gewisser Hinsicht hinweist. Nur: Nichts davon wirkt lebendig, nichts weckt nostalgische Gefühle oder Abenteuerlust beim Zuschauer. Dabei klingt vieles vom Ansatz her nicht schlecht, etwa wenn die Kinder phantasiebeflügelt einen Anti-Monstertrank brauen um den King fernzuhalten, doch es scheint für den Film eher Pflichtübung zu sein, kurze Momente in dem Drama um den prügelnden Adoptivvater. Das verwundert, gerade angesichts der formalen Kniffe, mit denen Donner die kindliche Perspektive in Szene setzt. Doch andere seiner Filme sind wesentlich lebendiger, auch wenn der Mann auf ein paar Trademarks setzt: Wie bei den „Lethal Weapon“-Filmen laufen die Stooges im Fernsehen, während im Kino einer seiner eigenen Filme gezeigt wird, nämlich das Frühwerk „X-15“.
Auch mit Steven Kahan setzt Richard Donner einen alten Bekannten ein: Kahan ist Donners Cousin, vor allem als Captain aus den „Lethal Weapon“-Filmen bekannt und spielt hier den Restaurantbesitzer, der Marys Chef ist. Seine Rolle ist aber die eines besseren Cameos, ähnlich wie jene von Tom Hanks („Fegefeuer der Eitelkeiten“) und von John Heard („Last Rampage“) als Polizeichef. Die Hauptlast des Films liegt auf den Schultern der Kinderdarsteller Elijah Wood („Pawnshop Chronicles“) und Joseph Mazello („G.I. Joe – Die Abrechnung“), die dies Aufgabe aber recht wacker bewältigen. Richtig eindrucksvoll ist Adam Baldwin („The Last Ship“) in der Widerlingsrolle, die er wahrhaft hassenswert verkörpert – so gut, dass er im Nachhinein sagte, dass er nie wieder eine Rolle wie den King spielen würde. Lorraine Bracco („Der Mann im Hintergrund“) als gestresste Mutter ist auch recht gut, doch Baldwin bleibt das finstere Zentrum des Films, neben dem der Rest leider etwas blass aussieht.
So bleibt ein ambitionierter, aber vollkommen unebener Film, dessen Coming-of-Age-Part nur selten vermittelt, dass Kindheit und Jugend etwas meist Freudiges sind, dass die Jungs hier Träume, Spaß und Wünsche haben, da alles dem gut gemeinten Ansatz um das häusliche Drama untergeordnet wird. Das ist wirklich erschütternd, ein Schlag in die Magengrube, aber es allein trägt den Film trotz seiner guten Ansätze und seiner guten Besetzung nicht.
Sony hat den Film hierzulande auf DVD veröffentlicht, freigegeben ab 12 Jahren und ohne Bonusmaterial auf der Scheibe.
© Nils Bothmann (McClane)
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