Produzent Guillermo del Toro und Regisseur André Øvredal bringen mit „Scary Stories to Tell in the Dark“ einen Horrorfilm für ein jüngeres Publikum heraus. Ein Teenager-Quartett nimmt aus einem Spukhaus das Geschichtenbuch eines rachsüchtigen Geistes mit und muss feststellen, dass dieser nicht nur stetig neue Geschichten in dieses Buch schreibt, sondern diese noch dazu real werden.
Originaltitel: Scary Stories to Tell in the Dark__Herstellungsland: USA/Kanada/China__Erscheinungsjahr: 2019__Regie: André Øvredal__Darsteller: Zoe Margaret Colletti, Michael Garza, Gabriel Rush, Dean Norris, Gil Bellows, Lorraine Toussaint, Austin Zajur, Natalie Ganzhorn, Austin Abrams, Kathleen Pollard, Javier Botet u.a. |
„Stranger Things“, „Es“, „Summer of ‘84“ – junge Protagonisten in Horror- bzw. horroraffinen Stoffen sind derzeit gefragt, weshalb „Scary Stories to Tell in the Dark“ voll im Trend liegt. Dem Ganzen liegt eine Young-Adult-Buchtrilogie von Alvin Schwartz zugrunde, deren Bände 1981, 1984 und 1991 erschienen.
Produzent Guillermo del Toro („Pacific Rim“) und Regisseur André Øvredal („The Autopsy of Jane Doe“) orientieren sich aber nicht an der Eighties-Nostalgie der erwähnten Trendsetter, sondern siedeln ihren Film im Jahr 1968 an. In der Kleinstadt Mill Valley in Pennsylvania steht Halloween an, woran auch das Außenseiter-Freundestrio aus Horrorfan Stella Nichols (Zoe Margaret Colletti), Rich Kid Auggie Hilderbrandt (Gabriel Rush) und Plappermaul Chuck Steinberg (Austin Zajur) teilnimmt. Sie sehen dem Ende der Schulzeit entgegen, viele Abgänger werden für den Vietnamkrieg eingezogen. Damit hat „Scary Stories to Tell in the Dark“ auch ein Retro-Feeling, aber eines, das harscher als jenes der Eighties-Nostalgie-Filme ist: Hier bricht das Böse nicht in eine vermeintlich idyllischere Zeit ein, sondern hier ist die Lage insgesamt wenig rosig.
So sind die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung nur teilweise zu spüren, etwa wenn Sheriff Turner (Gil Bellows) dem jungen mexikanischen Wanderarbeiter Ramón (Michael Garza) zu verstehen gibt, dass er sich besser nicht zu lange in Mill Valley aufhält. Dazu kommen die privaten Katastrophen: Stella wohnt allein mit ihrem Vater Roy (Dean Norris), nachdem die Mutter die Familie verließ, die Außenseiter leiden unter Bullys, die von Tommy (Austin Abrams) angeführt werden. Als sie sich in der Halloween-Nacht an ihren Peinigern rächen, müssen sie fliehen, landen erst in Ramóns Auto, danach gemeinsam mit ihm im längst verlassenen Haus der Familie Bellows. Dort soll die Tochter Sarah früher Kinder in den Tod gelockt haben, indem sie ihnen Geschichten vorlas. Stella findet das Geschichtenbuch der mysteriösen Mörderin und nimmt es mit, was so semi-nachvollziehbar ist. Denn als Horrorfan sollte Stella ja wissen, dass man solche Gegenstände nicht mitnimmt, andrerseits ist sie von dem Genre fasziniert – ihr mit Filmpostern und anderen Horrormemorabilien ausgestattetes Zimmer erinnert an das berühmte, ähnlich ausgestattete Eigenheim von Produzent del Toro.
Dummerweise hat der Diebstahl Konsequenzen: Vor den Augen Stellas entstehen neue Geschichten im Buch, die wahr werden. Nachdem ihr dies bewusst wird, suchen sie und ihre Freunde nach einer Lösung, um dem Fluch zu entkommen, ehe auch sie als Geschichten in Sarahs Buch enden…
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Obwohl es sich bei dem Ausgangsmaterial um Kurzgeschichten-Sammlungen handelte, entschieden sich Øvredal, del Toro und die Drehbuchautoren Dan Hageman („The LEGO Movie“) und Kevin Hageman („Hotel Transsilvanien“) gegen eine Anthologie. Stattdessen betten sie die einzelnen Horrorgeschichten in die große Story um den rastlosen Geist der Sarah Bellows ein, die gleichzeitig noch überdeutlich eine Fortsetzung anteasert. Aber bei drei Büchern mit insgesamt mehr als 80 Kurzgeschichten ist ja auch noch reichlich Material zum Verfilmen da. Und die Hauptfiguren sind immerhin gutes Franchise-Material: „Scary Stories to Tell in the Dark“ arbeitet seine Protagonisten ordentlich aus, macht aus ihnen sympathische Identifikationsfiguren mit Profil. Stella ist die zentrale Figur, die mit ihrer schwierigen Familiensituation zurechtkommen muss, die sich durch ihr Horror-Fandom auszeichnet, die ihre eigenen schriftstellerischen Ambitionen noch verschämt im stillen Kämmerlein auslebt und die ein Interesse an Ramón entwickelt. Denn Coming of Age und erste Liebe gehören zusammen, in den Young-Adult-Verfilmungen ebenso wie in den Horrorfilmen um kindliche Protagonisten, also bedient „Scary Stories to Tell in the Dark“ seine Zielgruppe. Das aber durchaus mit Feinsinn und Gespür, ohne große Gesten: Aus Stella und Ramón wird nicht direkt ein Liebespaar, es gibt auch nicht das Young-Adult-typische Liebesdreieck mit Auggie, der eigentlich auch ein Auge auf Stella geworfen hat.
Das ist alles nicht revolutionär neu, aber gut umgesetzt – eine Umschreibung, die man auch weitestgehend auf den Film insgesamt anwenden kann. So gewinnt die Story um einen mörderischen Geist, der an einen Gegenstand gebunden ist, wahrlich keinen Blumentopf für Innovation, die Reihenfolge der heimgesuchten Figuren bietet nur gelegentliche Überraschungen, ebenso wie der restliche Handlungsverlauf: Stella und die Jungs suchen in der Vergangenheit der Bellows-Familie herum, stoßen auf düstere Familiengeheimnisse und Gründe für das Ausagieren des Geistes, wofür mal wieder überlebende Zeugen befragt und Dokumente gewälzt werden müssen. Das ist solide gescriptet, legt ein paar nette falsche Fährten aus und besitzt keine allzu großen Längen, läuft aber insgesamt in erwartbaren Bahnen ab, inklusive Gesetzeshütern, die eher Hindernis als Hilfe sind und schon gar nicht an böse Geister oder verfluchte Bücher glauben wollen.
Den Plot schmückt „Scary Stories to Tell in the Dark” mit den titelgebenden Gruselgeschichten aus, die auf bekannte Horrormotive zurückgreifen: Die lebende Vogelscheuche im Feld, das Essen mit den menschlichen Zutaten, der Pickel mit besonders ekelhaftem Inhalt usw. Leider ist nicht alles davon so wirklich gruselig, etwa wenn eine Figur durch rot erleuchtete Flure von einem Wesen gehetzt wird, das wie ein langsam watschelndes Crossover aus Wasserleiche und Teletubby aussieht. Zum Glück haben machen die anderen Kreaturen mehr her: Die Vogelscheuche, eine wandelnde Leiche (natürlich mal wieder von Javier Botet verkörpert) und vor allem der Jangly Man, den man sich für die Schlussetappe aufhebt. Das ist größtenteils noch mit handgemachten Effekten und Make-Up-Tricks umgesetzt, was „Scary Stories to Tell in the Dark“ ein angenehmes Old-School-Flair verschafft. Doch mit Blick auf die Zielgruppe und das PG-13-Rating ist das Ganze etwas zahm, nutzt viele der wunderbaren Voraussetzungen nur bedingt aus, auch wenn Øvredal immerhin ein paar nette Erschreckszenen gelingen. Die besten Parts können hier zwar als Young-Adult-Varianten von Passagen aus Werken wie „Crimson Peak“, „Pumpkinhead“, „Kinder des Zorns“ oder „Trick ‘R Treat“ durchgehen, die unter anderem Pate für dieses Horrormotiv-Best-of standen, aber eben nicht ganz an diese heranreichen, trotz allem Charme.
Charmant ist auch das Casting des Films: Mit Zoe Margaret Colletti („Wildlife“), Michael Garza („Wayward Pines“), Gabriel Rush („Moonrise Kingdom“) und Austin Zajur („Fist Fight“) sind vier frische, unverbrauchte und sehr überzeugende Nachwuchsdarsteller in den Hauptrollen zu sehen, die den „Stranger Things“-Stars und dem „Es“-Cast fast das Wasser reichen können. Die jugendlichen Reihen werden durch Natalie Ganzhorn („Wet Bum“) als Chucks teilweise zickige, aber doch gutherzige Schwester Ruth und Austin Abrams („Gangster Squad“) als Bully-Chef verstärkt: Ganzhorn ist überzeugend, Abrams bestenfalls solide, wenn er seine Klischeefigur klischeehaft verkörpert. Unter den Erwachsenendarstellern stechen vor allem zwei heraus. Dean Norris („Death Wish“) nimmt die Rolle des verzweifelten Roy dankbar an: Der will ein guter Vater sein, aber er vegetiert in Trauer vor dem Fernseher herum, wenn er nicht gerade eine seiner zahlreichen Schichten schiebt, um die Familie durchzubringen. Diesen Facettenreichtum spielt Norris sehr stark. Ansonsten ist da noch Gil Bellows („Hunt to Kill“), dessen rauer Sheriff eine Genrefigur ist, die weniger Schauspieltalent fordert, aber Bellows verkörpert den Gesetzeshüter durchaus charismatisch.
Auf eine innovative Geschichte oder nachhaltigen Grusel hofft man bei „Scary Stories to Tell in the Dark“ besser nicht, auch wenn die Namen del Toro und Øvredal die Erwartungen höher legen als der Film reichen kann. Doch der Young-Adult-Horror überzeugt mit einem tollen Cast, gut ausgearbeiteten Figuren, schöner Ausstattung und einer Liebe zum Detail, wenn er ein Potpourri bekannter Genremotive anrichtet. Eine nette Sache, aber durchaus ausbaufähig – eventuell in der überdeutlich angeteaserten Fortsetzung.
eOne bringt „Scary Stories to Tell in the Dark” passend zu Halloween am 31. Oktober 2019 in die deutschen Kinos, freigegeben ab 16 Jahren.
© Nils Bothmann (McClane)
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Copyright aller Filmbilder/Label: eOne__FSK Freigabe: ab 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein, ab 31.10.2019 in den deutschen Kinos |