Es begab sich, da unterhielten sich Mark Millar und Matthew Vaughn am Set von „Kick-Ass“ über den Neustart des James Bond Franchises mit „Casino Royale“. Schnell kam man in der Ansicht überein, dass man einen Film reizvoller gefunden hätte, der gezeigt hätte, wie Bond wirklich zu Bond wird. Welche Ausbildung er durchlaufen hat, aus welcher Schicht er kam, wie er sich anpassen musste…
Vom Loser zum Superagenten
Die Idee für die Comic-Mini-Reihe „Secret Service“ war geboren. Diese beginnt rotzfrech im typischen Millar („Nemesis“) Stil irgendwo in den Alpen. Ein paar Fieslinge haben den „Star Wars“ Darsteller Mark Hamill gekidnappt und halten ihn in einer Blockhütte fest. Doch sie kommen gar nicht richtig dazu, mit ihm über die neuen „Star Wars“-Filme rund um Jar Jar Binks zu sinnieren, weil ihnen von einem Angreifer das Lebenslicht ausgepustet wird. Dieser verfrachtet Hamill auf ein Schneemobil und rast mit ihm vor zig Verfolgern auf Skiern davon. Bondiger könnte ein Agentenabenteuer kaum starten. Doch Mark Millar wäre nicht Mark Millar, würde er diese Szene gewöhnlich enden lassen. Nein. Einen sich nicht öffnenden Fallschirm später hat die Welt einen Superagenten weniger und wir lernen Gary kennen.
Der stammt aus der Arbeiterklasse Londons und hat ein natürliches Talent dafür, sich beständig in Probleme zu bringen. Am Ende des Abends, an dem wir ihn kennenlernen, sitzt er wegen einer Verfolgungsjagd mit ein paar Cops ein. Da taucht sein Onkel Jack auf und holt ihn mit einer „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte aus dem Bau. Doch anstelle von Dank bekommt Jack einen Einlauf von Garys Mutter. Er kümmere sich zu wenig um seine Familie und lasse sie richtiggehend hängen. Worte, die bei Jack nachhallen. Weshalb er seine Beziehungen spielen lässt. Denn Jack ist ein Geheimagent. Er gehört zu den Kingsman, eine Geheimorganisation mit Bond-Gadgets und immer zur Stelle, wenn es für die Einwohner Englands brenzlig wird. Er bietet Gary an, Teil dieser Organisation zu werden. Und der Junge ist sofort Feuer und Flamme für diese Idee. Ein knallhartes Training steht ihm bevor und er hat sich vorgenommen, einmal im Leben nicht zu versagen.
Derweil gehen die Entführungen prominenter Persönlichkeiten weiter. Ein junger Milliardär scheint der Drahtzieher zu sein, aber warum er macht, was er da macht, das kann sich niemand erklären. Bis er einen gewaltigen Fehler begeht und Gary und die anderen Geheimagentenanwärter gegen sich aufbringt…
Schnell! Laufen Sie zum Schneemobil!
Wo ist es?
Immer den Leichen nach.
Agentenabenteuer und Parodie aufs Genre in einem
„Secret Service“ hangelt sich exakt an der Idee entlang, die Vaughn und Millar am Set von „Kick-Ass“ entwickelt hatten. Wir sehen zu, wie ein junger Kerl aus seinem Umfeld gerissen wird und ganz allmählich zu einem Superagenten geformt wird. Mit allem, was dazu gehört: Momente, in denen Gary mit seiner Bauernschläue glänzen darf und Momente, in denen er alles andere als souverän rüber kommt. Beides geht Millar gut von der Hand und er entwirft mit Gary einen seiner plastischsten Charaktere überhaupt. Schon sein Motiv, ein Kingsman zu werden, ist erstaunlich menschlich und lässt den Heißsporn sehr sympathisch wirken. Zudem findet Millar bei Gary einen tollen Mittelweg zwischen Großkotzigkeit und Demut, was es dem Leser leicht macht, sich auf Garys Seite zu schlagen.
Freilich schafft es Millar auch, immer wieder seinen rotzigen Humor unterzumischen. So sind die ersten Seiten um Mark Hamills Entführung eine großartige Parodie auf die klassischen Bondabenteuer, nur eben mit einem fiesen Twist. Überall scheint hier Bond durch – und überall setzt es liebevolle Seitenhiebe. Seien es die Bond-Gadgets, die lüsternen Bond-Girls oder der Oberbösewicht, der sich freilich niemals mit einem kleinen Bankraub oder dergleichen zufrieden geben würde. Vor allem bei ihm geht Millar durchaus innovative Wege, indem er ihn als Nerd zeichnet, der keine Gewalt sehen kann, getrost als sozial total inkompetent bezeichnet werden kann und letzten Endes eigentlich nur Gutes tun möchte. Eigentlich…
Für die stilvollen und detaillierten (mal abgesehen von den etwas kargen Hintergründen) Zeichnungen der Comicreihe – „Secret Service“ erschien in Form von sechs Comicheften – zeichnet Dave Gibbons verantwortlich. In der Szene ist er vor allem wegen seinen Zusammenarbeiten mit Alan Moore bekannt. Gemeinsam setzten sie beispielsweise die bahnbrechende Graphic Novel „Watchmen“ in Szene, die bis in unsere heutige Zeit nachhallt (auch dank der starken Verfilmung durch Zack Snyder, deren visuellen Stil Gibbons ebenfalls entscheidend mitprägte). Mit klarer Linienführung, vielen Details und kräftiger Farbpalette erweckt er fliegende Autos, riesige Explosionen und herzhafte Splatter-Einlagen zum Leben.
Die Unterschiede zwischen „Secret Service“ und „Kingsman“
Bei der Entstehungsgeschichte von „Secret Service“ verwundert es wenig, dass auch diese Comicreihe eine filmische Umsetzung erfahren musste. Und freilich nahm sich Matthew Vaughn selbiger an. Was nur logisch erscheint, da er ja die Idee mitentwickelte und er mit „Kick-Ass“ bewiesen hatte, dass er in der Lage war, Millars Humor und seine Ideen adäquat auf die Leinwand zu übertragen.
Das Ergebnis heißt „Kingsman“ und transportiert den Geist der Vorlage gekonnt und vor allem megaunterhaltsam auf das Medium Film. Vor allem die Actionszenen bersten in Vaughns Version förmlich vor Dynamik. Ein 1:1 Abbild ist „Kingsman“ allerdings nicht geworden. Denn Vaughn erlaubt sich diverse Freiheiten. So verändert er die Beziehung zwischen Gary und Jack grundlegend. Im Comic sind die beiden direkt verwandt, im Film nimmt sich Jack Garys an, weil Garys Vater ihm einst das Leben rettete. Zudem wird Jack in Harry umbenannt. Aus welchem Grund auch immer. Auch der Grund, warum Gary den Kingsman beitreten möchte, variiert stark. Im Comic will er sich und seine Familie aus dem Unterschichten-Milieu herausholen. Im Film macht er eher mit, weil es cool ist. Im Film wird zudem die starke familiäre Komponente des Comics extrem heruntergefahren.
Der lange Abschnitt der Ausbildung weist auch viele Unterschiede auf. So wird in „Kingsman“ häufiger angedeutet, dass die Rekruten im Falle ihres Scheiterns umgebracht werden. Im Comic ist man da weitaus humaner unterwegs. Die Art der Ausbildung unterscheidet sich ebenfalls stark. Hier findet man zwischen Comic und Verfilmung kaum Gemeinsamkeiten. Der grundlegende Ton ist allerdings derselbe.
Heftige Abweichungen gibt es bei dem Bösewicht. Ist er im Comic ein junger, weißer Nerd Ende 30, wird er im Film von Samuel L. Jackson mit einem schrecklichen Lispeln und schief sitzendem Basecap gegeben. Weiter können Figuren eigentlich kaum noch auseinanderliegen. Allgemein wurde an den Figuren einiges verändert. Hier nur einmal ein paar Stichpunkte: Die im Film wundervoll sympathische Ausbilderfigur Merlin ist im Comic ein maulfauler Verräter. Die rechte Hand des Bösewichtes ist im Comic ein gewaltiger Kerl, im Film eine filigrane junge Dame. Garys kleiner Bruder aus dem Comic wird im Film zum Mädchen im Babyalter. Und Mark Hamill, Teil des „Secret Service“ Einstiegsgags, spielt in „Kingsman“ tatsächlich mit! Allerdings spielt er nicht Mark Hamill! Verwirrt?
Zudem errichtet Matthew Vaughn in seinem Film eine deutlich umfangreichere Mythologie um die Kingsman. Millar war das sichtlich nicht wichtig. Für ihn standen die Kingsman stellvertretend für all die Geheimdienste dieser Welt. Vaughn erklärt sie und ihre Ziele deutlich mehr und findet auch hier einige absurde Humor-Momente. Auch in den Actionszenen findet man diverse Unterschiede. Werden im Comic ganze Hochzeitsgesellschaften weggemetzelt, darf Harry im Film mal eben eine ganze Kirchengemeinde niedermähen. Zeigefreudig sind beide Medien. Hier nehmen sich Millar und Vaugh nicht viel in Sachen kranker Ideen.
Es finden sich also viele Variationen zwischen Comic und Verfilmung, der Ton allerdings, der ist absolut der gleiche. Die Verfilmung trifft immer beinahe punktgenau Millars Vorgaben und Ideenwelten. Das Schöne daran: Wer den Film im Kino toll fand, der sollte definitiv mal zum Comic greifen und vergleichen. Das macht in diesem Fall wirklich Spaß! Und Kenner der Comicvorlage können ebenfalls ohne Bedenken ins Kino gehen, denn sie erwarten bei der Verfilmung ebenfalls viele (positive) Überraschungen.
Die Verfilmung schlägt die Comicvorlage
Wir werden dir beibringen, wie man vernünftig schießt, Flugzeuge fliegt, mit jedem Auto Stunts hinkriegt und eine Frau JEDES MAL zum Orgasmus bringt.
Ich möchte in meinem Fazit sogar soweit gehen, dass ich dem Film im direkten Vergleich den Vorzug gebe! Denn was Vaughn aus Millars Vorlage gemacht hat, ist großartige und hoch unterhaltsame Filmkost, die in ihrer Verschmelzung aus milder Agentenfilmparodie und Agentenabenteuer mit abgefahrenem Witz und rotzencooler Action noch ein wenig mehr knallt als die Comicvorlage. Diese bietet ebenfalls rasante, freche, anspielungsreiche, mit vielen popkulturellen Zitaten arbeitende und großartig gezeichnete Agentenaction, hat im Oeuvre Millars aber definitiv die harmloseste Story abbekommen. Dieser fehlt, sieht man vom Superbösewicht und seinen Plänen ab, nämlich das Rotzige und Trotzige anderer Millar-Storys. Man spürt auf jeder Seite, dass Millar die Idee hinter „Secret Service“ liebt und auch das grundlegende Genre verehrt. Aber vielleicht führte genau diese Liebe dazu, dass er mit ein bisschen zu viel Respekt an das Projekt heranging?
Alle Informationen zu „Secret Service“
Secret Service
von Mark Millar (Autor), Dave Gibbons (Zeichner)
Broschiert: 164 Seiten
Verlag: Panini (18. November 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3862017386
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In diesem Sinne:
freeman