Originaltitel: Shock and Awe__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2017__Regie: Rob Reiner__Darsteller: Milla Jovovich, James Marsden, Jessica Biel, Woody Harrelson, Tommy Lee Jones, Rob Reiner, Richard Schiff, Terence Rosemore, Al Sapienza, Stephanie Honoré u.a. |
Wer sich ein wenig damit beschäftigt, wie die Produktion von Nachrichten heutzutage funktioniert, der weiß, dass meist irgendein Blatt oder irgendeine Seite der Vorreiter ist und eine neue Nachricht unter die Leute bringt. Andere Redaktionen nehmen davon Notiz und haben nun zwei Möglichkeiten: Sie schreiben die grundlegende Nachricht mit Verweis auf die Originalquelle neu oder sie warten einfach darauf, dass eine Presseagentur wie die dpa (Deutsche Presse-Agentur) die Nachricht aufnimmt und frisch aufbereitet zur Veröffentlichung anbietet. Dann muss die Redaktion maximal die Überschrift ändern und das gute Stück ganz flott live schieben.
Und schon haben alle den gleichen Nachrichtenstand. Es geht damit im aktuellen Nachrichtengeschehen mehr um Schnelligkeit als um Exklusivität. Eine Entwicklung, die durch das Internet extrem befeuert wird. „Shock and Awe“ wirft einen Blick hinter eine solche Presseagentur – zu einer Zeit, als Journalismus noch investigativ war und Nachrichten mehr als Meinungsmache bei Facebook oder Instagram.
11. September 2001. Die ganze Welt ist schockiert von den ins World Trade Center krachenden Flugzeugen. Den Mitarbeitern der Presseagentur „Knight Ridder“, die in den USA ein Konsortium aus zahlreichen Tageszeitungen mit Artikeln beliefert, geht es nicht anders. Noch mehr schockiert sie jedoch, was danach in den USA passiert: Alle Leitmedien des Landes stimmen in den Kanon der US-Regierung ein, die unbedingt einen Zusammenhang zwischen Bin Laden und dem Irak konstruieren möchte.
Manipuliert durch ihre Quellen helfen diese Zeitungen und Nachrichtensender dabei, einen Grund zu erfinden, um die USA in einen neuerlichen Krieg zu verwickeln. Jonathan Landay und Warren Strobel stellen bei ihren Nachforschungen für „Knight Ridder“ aber schnell fest, dass an der Geschichte etwas grundlegend faul ist. Und sie wagen etwas Besonderes. Sie gehen in der Quellenwahl einen Schritt zurück. Sie sprechen nicht mit Primärquellen, sondern mit deren Zuarbeitern und Untergebenen. Und die zeichnen ein ganz anderes Bild…
„Wie soll man ein Land ins Mittelalter zurück bomben, das sich noch mitten im Mittelalter befindet?“ (Eine Quelle über den „Reiz“, nur in Afghanistan einzumarschieren.)
Als selbst die Zeitungen, die immer mit „Knight Ridder“ zusammengearbeitet haben, die Rechercheergebnisse von Landay und Strobel rund um vermeintliche irakische Massenvernichtungswaffen nicht mehr drucken wollen und die Regierung auf keinen ihrer Artikel reagiert, wissen die beiden, dass sie Recht haben. Doch was ist, wenn die Wahrheit keinen interessiert?
Schaut in “Shock and Awe – Krieg der Lügen” mit Milla Jovovich hinein
httpv://www.youtube.com/watch?v=sS3_KCWHYKg
„Shock and Awe – Krieg der Lügen“ ist ein Plädoyer für den freien, den unabhängigen, den investigativen Journalismus. Und ein Plädoyer für die Wahrheit. Ein Plädoyer das aufzeigt, dass Fake News schon immer Konjunktur hatten und es dafür nicht erst einen seltsam frisierten US-Präsidenten brauchte. Offen prangerten Landay, Strobel und ihre Mitstreiter Joe Galloway und John Walcott an, dass im Umfeld der Ereignisse um 9/11 gelogen wurde, dass sich die Balken bogen.
Dabei geht es natürlich vor allem um die Massenvernichtungswaffen, die der Irak besessen haben soll und die zum Auslöser der amerikanischen Invasion im Irak wurden. Die Geschichte lehrte uns alle, dass die Journalisten Recht hatten, im Irak nicht eine Massenvernichtungswaffe gefunden wurde und sich sogar einige Leitmedien (etwa die Times) irgendwann für ihre falschen Artikel bei den Lesern entschuldigten.
„Shock and Awe“ geriert sich dabei durch und durch wie ähnliche Werke um aufrechte Journalisten im Kampf gegen das System – „State and Play“, „Spotlight“ oder „Die Unbestechlichen“ seien stellvertretend genannt. Es geht um Geheimniskrämerei, um das Auffinden und Ausfragen von Quellen, um den Kampf um die Wahrheit und um das Vermögen und die Kraft, hinter seinen Auffassungen zu stehen – egal wie heftig der Gegenwind auch sein mag.
Und diese Formel geht auch hier wieder auf. Dabei präsentiert sich „Shock and Awe“ weitgehend eher sachlich und bezieht seine Spannung hauptsächlich rein aus der Thematik und weniger aus Action- oder Thriller-Elementen. Der dialoglastige Film ist unspektakulär bebildert und absolut zurückhaltend in Form und Stil. Interessant ist die häufige Einbindung von Originalbildmaterial von damals, was für erhöhte Authentizität sorgt. Das größte Pfund von „Shock and Awe“ sind jedoch seine Darsteller.
Woody Harrelson („Planet der Affen: Survival“) als Landay und James Marsden („X-Men“) als Strobel funktionieren dabei prächtig. Beiden nimmt man die Suche nach der Wahrheit immer ab, sie haben eine tolle Chemie miteinander und Regisseur Rob Reiner („Misery“) installiert für sie auf Grundlage des Drehbuchs von Joey Hartstone immer wieder auch humorige Dialoge, die für unterhaltsame Momente sorgen. Rob Reiner selbst ist als Chef der Presseagentur „Knight Ridder“ ebenfalls großartig und pendelt gekonnt zwischen antreibendem Chef, verständnisvollem Vorgesetzten und mentorartigem Vorbild. Etwas zu kurz kommt Tommy Lee Jones („Alarmstufe: Rot“) als Joe Galloway. Dabei hatte der Autor der Buchvorlage zum Mel-Gibson-Hit „We were Soldiers“ (was im Film auch thematisiert wird) nicht unerheblichen Anteil an den Rechercheergebnisse.
Im Vergleich zu den starken männlichen Darstellern kommen die Darstellerinnen nicht so gut weg. Milla Jovovich („Future World“) wird als Frau von Landay ein wenig zu extrem gezwungen, eine seltsame und aus dem Nichts kommende Paranoia vor eventueller Verfolgung zu entwickeln. Und Jessica Biel („Total Recall“) schaut zwar wie gewohnt hinreißend aus, ihre Rolle als Love Interest von Strobel ist allerdings vollkommen entbehrlich und bringt dem Film kaum mehr als einige Minuten Laufzeit.
“Shock and Awe” – Kleiner Film mit großer Aussage
Die Szenen um die Frauen sind es dann auch, die am wenigsten auf „Shock and Awe“ passen wollen. Die denken lassen, dass Rob Reiner gut beraten gewesen wäre, seinen ohnehin sehr kurz und knapp gehaltenen Streifen noch griffiger zu gestalten und auf diese Subplots, die entweder ineffektiv sind oder mit der Handlung gar nichts zu tun haben, zu verzichten. Des Weiteren hat man immer mal wieder das Gefühl, dass Rob Reiner den einen oder anderen Spannungsbringer verschenkt. „Shock and Awe“ fühlt sich darum immer mal wieder ein wenig zu nüchtern an und involviert den Zuschauer nicht so stark, wie es bereits genannte Genre-Meisterwerke konnten.
Die grundlegenden Botschaften des Filmes rund um Wahrheit und unabhängigen Journalismus verfangen dafür vollkommen und sind allgemeingültig. Das macht „Shock and Awe“ irgendwo auch zum Pflichtprogramm für Nachrichtenmacher in Deutschland, die aktuell allesamt ihre Linie verloren zu haben scheinen. Es sollte nicht nur um schnelle Klicks gehen. Storys müssen auch mal reifen. Und nein, die Leute wollen nicht nur Oberflächenreize. Sie wollen Hintergründe, um sich ihre Meinung zu bilden. Also zumindest jene Menschen, die Facebook nicht als ihren „Nachrichtenkanal“ betrachten. Leider schließen Nachrichtenmacher diese Menschen in ihrer Arroganz gerne aus. „Das liest sowieso keiner!“, heißt es da immer wieder. Fragt sich nur, warum solche Leute Nachrichten machen – und wer Wahrheiten aufdecken soll, wenn nicht sie?
Die deutsche DVD / Blu-ray zum Film kommt von Eurovideo und ist mit einer FSK Freigabe ab 12 ungeschnitten.
In diesem Sinne:
freeman
Was meint ihr zu dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
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