Originaltitel: Siberia__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2018__Regie: Matthew Ross__Darsteller: Keanu Reeves, Molly Ringwald, Ana Ularu, Aleks Paunovic, Pasha D. Lychnikoff, Veronica Ferres, Eugene Lipinski, Dmitry Chepovetsky, James Gracie, Rafael Petardi, Ashley St. George, Cory Chetyrbok u.a. |
Nicht viele B-Produktionen tragen den Ostblock stolz im Namen (und obendrein als deutsche Tagline den Titel eines weniger beachteten Bruce-Willis-Streifens der 90er). Normalerweise sollen die günstigen Drehorte auf der Osthalbkugel die teuren Locations im Westen doublen und werden folglich eher versteckt. Wie ironisch, dass es nun die Gebirge und Wälder des kanadischen Manitoba sind, die als Double für das russische Sibirien eingesetzt werden…
Dabei ist die Landschaft sogar das Beste an „Siberia“, der sich etwas überraschend als seichtes Romantik-Drama im Schmuggler-Milieu entpuppt. Nicht gerade der Schlag Film, den das Marketing mit dem Fahrtwind der John-Wick-Franchise suggeriert. Hauptdarsteller Keanu Reeves scheint auf die Marschrichtung des Drehbuchs ähnlich unvorbereitet zu sein wie der Zuschauer, äußert er doch zu Beginn der Handlung, er habe „bloß für St. Petersburg gepackt“.
Dabei beginnt alles wie ein klassischer Action-Thriller. Der wortkarge, hüftsteife Protagonist wird in kühlen Designer-Apartments und Hotellobbys für seinen Job instruiert und anschließend ins ferne Sibirien geschickt, dorthin, wo fröhliche Russen den Kasatschok tanzen und man sich auf den Parkplätzen vor Wodka-Kneipen ohne gefütterten Mantel den Arsch abfriert. Wir kennen es von unzähligen Stippvisiten der Amerikaner in fremden Ländern: Reeves gibt ganz und gar den stereotypen US-Abgesandten mit Lizenz zum Auslandsaufenthalt. Er nimmt in Unkenntnis der lokalen Bräuche jedes Fettnäpfchen mit und wird von den Einheimischen stets mit den Worten „Ihr Amerikaner…“ begrüßt. Man erwartet infolge dessen, dass die überheblichen Russen ihr Maul einmal zu weit aufreißen und es vom gar nicht so hilflosen Amerikaner gestopft bekommen. Niemand würde wohl davon ausgehen, dass die Handkantenschläge und Kugelhagel an die brettsteife Lässigkeit von Mr. Wick heranreichen würden, man würde aber zu diesem Zeipunkt kaum daran zweifeln, dass es zu gewissen Parallelverläufen kommen würde.
Schaut in den Trailer zu “Siberia”
httpv://www.youtube.com/watch?v=7HmSBCDtmTg
Aber denkste. Die altmodische, seitens der US-Regierung längst nicht mehr vorgelebte „World Police“-Attitüde befördert den aufrechten Cowboy mit der dubiosen Berufswahl direkt in die Arme einer hübschen Sibirierin, die als toughe Café-Besitzerin zwar sichtbar keinen Mann braucht, um in der Wildnis zu überleben, aber doch irgendwie recht einsam ausschaut in ihrem geräumigen Blockhaus. Es passt zum Klischee, dass es letztlich sie ist, die den Ausländer vor dem Erfrierungstod rettet, nachdem er versucht, sie vor ein paar Trunkenbolden zu schützen. Der auf seine Art doch recht gewiefte Diamantendealer verdient sich mit dieser Masche im Laufe des Films insgesamt drei Bettszenen. Matthew Ross wird sie wohl gedreht haben, um das Band zwischen den Liebenden zu stärken und aus einem losen One-Night-Stand etwas Festes zu konstruieren. Zu diesem Zweck baut er sogar eine Choreografie ein: Ana Ularu zeigt in jeder dieser Szenen etwas mehr Haut. Fraglich allerdings, ob die anschließenden Schmuseszenen in Bett und Badewanne tatsächlich den gewünschten Effekt erreichen.
Die Erkenntnis, dass dies kein Actionfilm und im Grunde auch kein echter Thriller ist, kommt etwa zur Filmmitte und wäre natürlich per se noch kein Grund zum Abschalten, sondern soweit lediglich potenzieller Etikettenschwindel. Es könnte sich ja immerhin trotz aller Vorzeichen noch ein emotional dichtes Liebesdrama entwickeln…
Andererseits… bei den vorliegenden Konditionen wohl eher nicht. Alles rund um den eigentlichen Auftrag transpiriert nämlich den Dunst althergebrachter Ostblockfilmerei. Alleine die Klischeevisage von Hauptgegner Pasha Lychnikoff, der schon in „Tokarev“ Nicolas Cage als Katalog-Russe in Schach hielt, verrät viel darüber, mit welchen Mitteln die im Eis erblühte Liebe auf die Probe gestellt werden soll. Mit irritierenden Verbrüderungsritualen begünstigt er die Vermischung von Persönlichem und Geschäftlichen und provoziert so immerhin eine finale Eskalation mit einem Sniper-Shootout im Holzfällerstil. Das befriedigt aber weder den Adrenalinpegel noch erweist es sich als ein fruchtbares Biotop für die Irrungen und Wirrungen zwischenmenschlicher Gefühle, deren Fluss ständig mit schlecht abgehangenen Dialogzeilen gestört wird, vor allem aber mit extra-langatmigen Abschnitten, in denen ein Riesenaufwand betrieben wird, um Charakterzeichnung zu betreiben – mit dem Resultat, dass Keanu Reeves am Ende des Films irgendwie immer noch der Fremde aus Amerika ist und Ana Ularu die exotische Versuchung aus dem Feindesland.
Ein gutes Drehbuch mit intelligenten Dialogen hätte vielleicht schon gereicht, um aus „Siberia“ einen wesentlich besseren Film zu machen – egal ob Action, Thriller oder Liebesfilm. Die Kameraarbeit von Eric Koretz erweist sich nämlich als ausgesprochen stilsicher und gewinnt den Drehorten in der Natur sehr schöne, wenn auch dezent in Szene gesetzte Bilder ab, die auch dem Anspruch einer A-Produktion genügt hätten. So nimmt jedoch den Platz der steifen Brise ein laues Lüftchen ein. Stories über Diamantenschmuggler sind ja an sich mittlerweile schon so uninteressant wie tägliches Daily-Soap-Material; gemischt mit allen Vorurteilen über den Amerikaner weit weg von zu Hause wird aber erst recht das Desinteresse gekitzelt. Keanu Reeves ist: „Der stille Amerikaner“, nur eben in sacköde und käsebleich.
Noch:
Informationen zur Veröffentlichung von “Siberia”
“Siberia” ist bereits über Amazon Prime abrufbar. Seit dem 7. Februar gibt es außerdem eine DVD und Blu-ray mit Making-Of und Trailer von Concorde.
Sascha Ganser (Vince)
Bildergalerie von “Siberia”
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