Originaltitel: Sobibor__Herstellungsland: Russland__Erscheinungsjahr: 2017__Regie: Konstantin Khabenskiy__Darsteller: Konstantin Khabenskiy, Christopher Lambert, Mariya Kozhevnikova, Michalina Olszanska, Philippe Reinhardt, Maximilian Dirr, Mindaugas Papinigis, Wolfgang Cerny, Sergey Godin u.a. |
Schwerfällig und langsam rollt die dampfbetriebene Eisenbahn in den provisorisch wirkenden Bahnhof ein. Eine improvisierte Kapelle beginnt ihre Weise zu spielen. Der Zug stoppt. Aus seinen Waggons strömen verunsicherte Passagiere mit dem Davidstern auf ihrer Kleidung. Das erste, was sie hören, ist: „Herzlich willkommen in Sobibor“. Deutsche Soldaten bellen Befehle. Familien und Paare werden getrennt. Arbeitstüchtige Männer und Frauen aussortiert. Die verbliebenen Passagiere müssten zum Duschen, erklären die deutschen Soldaten. Um einer Typhus-Epidemie vorzubeugen. Doch aus den Duschen strömt kein Wasser. Durch ein winziges Dachfenster beobachtet Sobibor-Lagerkommandant Karl Frenzel den Todeskampf einiger jüdischer Frauen…
Herzlich willkommen in eurem neuen Leben!
Derartige Szenen spielen sich in Sobibor mit unheimlicher Regelmäßigkeit ab. Denn Sobibor ist ein deutsches Vernichtungslager. Doch mit dem oben erwähnten Zug kommt auch ein Soldat der Roten Armee in dem Vernichtungslager an. Allerdings ist die Ankunft von Alexander Petschjorsky nicht zwingend mit Hoffnung verknüpft, denn so manch Inhaftierter fürchtet um die „Ruhe“ im Lager. Befürchtet weitere Repressalien, wenn die Deutschen erst erfahren, wer dieser Alexander ist. Doch mit der Zeit wendet sich das Blatt.
Denn Petschjorsky plant tatsächlich einen Ausbruch. Doch nicht irgendeinen. Petschjorsky will, dass das gesamte Lager die Möglichkeit zur Flucht erhält. Aber die Zeit drängt. Ein benachbartes Lager, welches von den Russen befreit zu werden drohte, wurde von den Faschisten komplett ausradiert. Ein Schicksal, das auch den Sobibor-Insassen droht.
Schaut in “Sobibor” mit Christopher Lambert hinein
httpv://www.youtube.com/watch?v=6p4yQb5liRU
Die Ereignisse um das 1942 von den Deutschen in Polen errichtete Vernichtungslager Sobibor im Oktober 1943 gelten als einzige verbriefte Massenflucht jüdischer Gefangener aus einem solchen Lager. Der TV-Film „Sobibor“ aka „Flucht aus Sobibor“ mit Rutger Hauer in der Rolle des Anführers des Aufstandes arbeitete die Ereignisse im Jahre 1987 erstmals auf. In unserer Kritik zu diesem Film erfahrt ihr mehr über die historischen Hintergründe.
Wie die alte Aufarbeitung wartet auch die neue Herangehensweise aus Russland mit einer Actionikone in einer wichtigen Rolle auf. Christopher Lambert („The Hunted“) gibt dem Lagerkommandanten Karl Frenzel ein beunruhigend eiskaltes Gesicht und beängstigend psychotische Züge. Allgemein findet der Film eindrückliche Momente, um den Alltag in dem Vernichtungslager zu dämonisieren. Da ist das altbekannte Bild um ewig rauchende Hochofen-Schornsteine. Drakonische Strafen für die kleinsten Fehler geschehen so erschreckend beiläufig, dass es einem den Magen zuzieht. Und allgemein wird ganz schnell ganz klar: Das Leben der jüdischen Insassen ist in diesem Lager wirklich gar keinen Pfifferling wert.
In einem Moment erreicht der Film in der Bebilderung des „Lebens“ in Sobibor einen Wahnsinn, der einfach nur ohnmächtig macht. In einer eigenen, pervertierten Form von römischen Wagenrennen feiern und saufen sich die Bewacher des Lagers vollkommen um den Verstand. Aus der jeweiligen Laune heraus werden Juden erschossen, ausgepeitscht und zu Tode gehetzt. Am Ende dieser „Geburtstagsfeier“ des Lagerkommandanten erschließt sich dann eine irre Szenerie: Ein Platz, übersät von Leichen. Dazwischen herumhuschend: Überlebende Juden auf der Suche nach Verletzten.
In Momenten wie diesem zieht „Sobibor“ extrem in seine Geschichte hinein. Macht beklommen, sprachlos und betroffen. Zudem verzichtet der Film bei der Bebilderung des Lageralltages weitgehend auf inszenatorische Mätzchen. Auch der großräumige Verzicht auf Filmmusik lässt den Film immer mal wieder beinahe dokumentarisch anmuten. Die mit langen Einstellungen arbeitende Bebilderung unterstreicht das nur. Mit der Geburtstagsfeier ändert sich das. Denn diese inszeniert Regisseur Konstantin Khabenskiy, der zudem Alexander Petschjorsky spielt, genauso wahnhaft, wie sie sich anfühlt. Mit schnellen Schnitten und hektischer Kamera, die auch zu unübersichtlichen, desorientierenden Momenten führt. Und mit passiger Musik.
Diese Szene ist dann auch der Startschuss für den großen Aufstand. Auch der hebt sich in seiner Inszenierung von dem Beginn ab. Setzt auf pathetische Bilder in Zeitlupe und dazu passende Musik. Und er arbeitet mit einigen enorm brutalen, mithin extrem intensiven Szenen, in denen die Juden die Lageroffiziere ausschalten. Ob es so schlau war, diese Szenen mit einem „Die Deutschen haben uns gelehrt, wie man Menschen tötet“ zu untermalen, sei dahingestellt, es trifft aber den Bauch des Zuschauers in diesem Moment ziemlich punktgenau.
Sprich: Man ist schon extrem drin in der Geschichte. Allerdings nur aufgrund der eher manipulativen Machart. Die gekonnt am Unrechtsempfinden des Zuschauers kitzelt. Über die Figuren jedoch ist man nicht im Film. Die bleiben einem sogar weitgehend fremd. In ihrer Motivation, in ihren Hintergründen, in allem. Selbst über die Hauptfigur Alexander Petschjorsky will „Sobibor“ nichts verraten. Ergeht sich in Andeutungen. Aber greifbar macht er den Menschen nicht. Was auch deshalb schade ist, weil, wie der Film selbst erklärt, jahrzehntelang nicht anerkannt wurde, was Petschjorsky in Sobibor geleistet hat.
Und Konstantin Khabenskiy („Wächter der Nacht“) spielt die Figur auch nicht kernig genug, um irgendwie in Erinnerung zu bleiben. In der Folge ist die faszinierendste Figur des Filmes Lamberts Lagerkommandant. Einfach weil man ihn nie einzuschätzen weiß. Manchmal wirkt er fast, als sei ihm gar nicht geheuer, was um ihn herum passiert. Wenig später ist er ein formvollendeter Psychopath. Andere Male wirkt er, als stünde er komplett neben sich. All das transportiert Christopher Lambert extrem stark.
Die restlichen Darsteller des im Original deutsch-, russisch- und jiddischsprachigen Filmes (wobei Lambert in der Originalfassung deutsch synchronisiert wurde!) spielen zweckmäßig, ohne irgendwie aus der Masse herausstechen zu können. Einzig ein paar der deutschen Darsteller wissen auf Seiten der Lagerbewacher punktuell kleine Highlights zu setzen. Erstaunlich schwach bis teilweise gar naiv sind derweil alle Frauen im Film gezeichnet. Dementsprechend überflüssig wirken sie dann auch.
“Sobibor” ist eine Reise ins Herz der Finsternis
Letzten Endes sind sich „Sobibor“ (2017) und „Flucht aus Sobibor“ (1987) erstaunlich ähnlich. Nicht nur aus dem naheliegenden Grund, dass sie ein und dasselbe Ereignis nacherzählen, sondern auch, weil sie Stärken und Schwächen beinahe 1:1 teilen. Beide haben ihre stärksten Momente, wenn sie den Lageralltag in Sobibor bebildern. Ein irrealer Alltag, mal scheinbar „normal“, mal einfach nur unvorstellbar brutal. Und beide haben ihre größten Schwächen in der Zeichnung ihrer Figuren, über die man in beiden Filmen wirklich gar nichts erfährt. Ein direkter Vergleich fällt aber dennoch schwer, denn „Flucht aus Sobibor“ ist in der Wahl seiner Mittel sehr auf sein Medium (TV) ausgerichtet, sowohl technisch als auch dramaturgisch. In vielen Punkten würde der Film von 1987 deshalb der Neuauflage unterliegen, ist aber trotzdem in seiner Gesamtwirkung der stimmigere Film. Alleine schon, weil Rutger Hauer dem Helden eine Gravitas mitgeben kann, die Konstantin Khabenskiy wirklich vollkommen abgeht.
Für sich betrachtet ist „Sobibor“ in seinen besten Momenten eine irre beklemmende Reise ins Herz der Finsternis – dem Christopher Lambert ein beängstigend maskenhaftes, unberechenbares Antlitz verleiht. In vielen anderen Szenen ist „Sobibor“ einfach nur intensiv und ein Schlag in die Magengrube. Der irre Höhepunkt des Filmes ist die wahnsinnige Geburtstagsfeier, die lange nach dem Film nachhallt und sich nicht so leicht abschütteln lässt. Doch mit seinem eigentlichen Finale verdirbt es sich „Sobibor“. Die Mischung aus deftigen Mordtaten (inklusive einer derben Gore-Szene) und in Zeitlupe gereichtem Pathos mit viel Schmalzmusik trifft nicht wirklich ins Denkzentrum.
Meiner Meinung nach wäre Regisseur Konstantin Khabenskiy viel besser beraten gewesen, zu bebildern, was den Geflüchteten im Nachgang widerfahren ist. Damit hätte er sich auch von „Flucht aus Sobibor“ abheben können. Von den Flüchtlingen hat nämlich so gut wie keiner wirklich die Freiheit erlangt. Was in der jetzigen Fassung durchaus wie ein Leuchtfeuer der Hoffnung wirkt, wurde genauso konsequent zum Erlöschen gebracht. Das wäre kein Happy End gewesen, aber es hätte zu dem nihilistischen, dem starken Teil des Filmes gepasst.
Die deutsche DVD / Blu-ray zum Film erschien am 25. April 2019 von KSM. Der Film ist mit einer FSK 16 Freigabe ungeschnitten. Neben Trailern und einer Bildergalerie werden im Bonusmaterial leider keinerlei Infos zum Film oder den geschichtlichen Ereignissen transportiert.
In diesem Sinne:
freeman
Was meint ihr zu dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
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