Es gibt Filme, die kommen vollkommen ohne sie aus. Andere wiederum bestehen fast nur aus ihr und setzen gar auf Darsteller, die ihre Texte singen. Die Rede ist von Musik. Sie kann, wenn sie richtig eingesetzt wird, Emotionen verstärken, die Spannung erhöhen, das Tempo forcieren und tollen Actionszenen (etwa bei Kampfszenen) den Takt vorgeben. Ein Komponist, der all diese Vorzüge von guter Filmmusik trefflich zu bedienen vermag, heißt Tan Dun. Der 1957 geborene Komponist und Dirigent hat drei Meisterwerken des Wuxiagenres ein unvergessliches Klanggesicht verliehen: „Tiger and Dragon“, „Hero“ und „The Banquet“. Mit den besten Themen aus diesen Filmen ging Tan Dun auf eine Konzertreise, die auf den Titel „Martial Arts Trilogy“ hört. Diese habe ich mir am Samstag, den 4. Mai 2013, angeschaut und war live dabei, wie Tan Dun mit dem MDR Sinfonieorchester in der Leipziger Red Bull Arena das Wuxia Genre für ein interessiertes Publikum zum Leben erweckte …
Martial Arts Trilogy
Obwohl mit Leib und Seele ein echter Leipziger Jung, habe ich es noch nie in die Red Bull Arena geschafft. Alle Konzerte, die mich interessierten, stiegen immer an anderen Orten. Doch endlich sollte es soweit sein. Ich würde die Red Bull Arena von innen sehen…
Der Besuch des Tan Dun Konzerts war ein Geburtstagsgeschenk von mir an meine Mutter, die genau wie ich die überbordende Fantasie, die Themen, das Spiel mit den Farben und die Kampfkunst in den Wuxia-Filmen neuerer Prägung sehr mag. Nachdem wir uns in Leipzig eine schöne Zeit gemacht hatten, brachen wir eine Stunde vor Konzertbeginn gen Arena auf. Dort angekommen erlebten wir eine tolle Überraschung: Unsere Tickets wurden vor Ort upgegradet. Von einem Sitz in den Rängen wurden wir direkt in Reihe drei vor die Bühne verfrachtet. Warum und weshalb haben wir nicht erfahren, zumindest ich wusste aber, dass diese Tickets eigentlich noch einmal 50 Prozent teurer waren, als die von mir erworbenen. Näher dran konnte man eigentlich kaum sitzen. Perfekt!
Erstaunlicherweise waren wir so ziemlich die ersten vor Ort und erst 20 Minuten nach unserem Eintreffen begann sich die Halle zu füllen. Die Bühne entsprach dem typischen Bühnenbild eines klassischen Orchesters. Also viele Stühle mit Notenständern, mehr nicht. Dahinter thronte eine große Leinwand. Wir hörten, wie sich die Musiker hinter der Bühne einspielten und sahen zu, wie sich die leeren Plätze des Zuschauerraumes füllten. 20 Uhr dann kamen alle Musiker und betraten unter dem Applaus des Publikums von zwei Seiten die Bühne. Wenige Augenblicke später kam Tan Dun herein. Ruhigen Schrittes ging er ohne große Gesten, zum Dirigentenpult und der Abend begann …
„Hero“, „Tiger and Dragon“ und „The Banquet“ standen auf dem musikalischen Programm
„Hero“ stand zunächst auf dem Programm. Der wuchtige, bläserlastige Score ließ die Halle förmlich erbeben und hinter dem Orchester liefen auf der Leinwand die zu den jeweiligen Themen passenden Szenen in einem neuen, leicht umgeschnittenen Arrangement. Tan Dun führte bei der Auswahl der besten Themen aus „Hero“ chronologisch durch den Film, was er im weiteren Verlauf beibehalten sollte. So bekam man in knapp 40 Minuten eine Art Langzusammenfassung des Filmes zu sehen und hatte ob der starken Themen diverse Gänsehautmomente zu verzeichnen. Highlight dieses Abschnittes bildeten die Violinensoli der wunderschönen Eldbjørg Hemsing, die vor allem die melancholischen Leitthemen des Martial Arts Streifens mit Jet Li und Co. bestritt.
Als Tan Dun für die nächsten 40 Minuten den Cellisten Amedeo Cicchese auf die Bühne bat, war mir klar, dass nun „Tiger and Dragon“ folgen würde. Wenige Minuten später waren Chow Yun Fat, Michelle Yeoh und Zhang Ziyi auf der Leinwand zu sehen und Amedeo entlockte seinem Violoncello eine ganze Wand aus melancholischen, großartigen Tönen, die einen direkt in die Welt der hockenden Tiger und versteckten Drachen entführten. Vor allem bei den wundervoll entrückten Klängen zu dem Kampf im Bambuswald lief mir ein Schauer nach dem anderen über den Rücken und bei dem wunderschönen Ende des Filmes, dessen Musikthema für mich das Highlight in dem mir bekannten Schaffen Tan Duns bildet, hatte ich beinahe Tränen in den Augen.
Eine 20 minütige Pause später startete Tan Dun in die zweite Hälfte des Konzertes und stellte eine junge Klavierspielerin namens Jiayi Sun vor, die durch „The Banquet“ führte und wie die beiden Solisten vor ihr absolut zu überzeugen wusste. Persönlich empfand ich diesen Abschnitt als zwiespältigsten, da die präsentierten musikalischen Themen eine Wucht für sich waren, die zugehörigen Bilder aber arg abstrakt wirkten und man von der eigentlichen Handlung des Filmes nicht wirklich viel mitbekam.
Wagner und Wuxia? Geht das zusammen?
Wider Erwarten war nach „The Banquet“ der Abend noch nicht beendet. Tan Dun, der sich als bekennender Wagner Fan outete (Während in Deutschland große Politpublikationen fragen, ob man Wagner aufgrund der Vereinnahmung durch die Nazis mögen darf, sagen erstaunlicherweise so gut wie alle Künstler schlicht und ergreifend: Ja!), präsentierte eine Komposition, die Elemente aus Wagners „Der Ring des Nibelungen“ mit den Themen aus „Tiger and Dragon“, „Hero“ und „The Banquet“ kreuzte und um Rhythmus- und Soundelemente erweiterte, die dadurch entstehen, wenn man mit der flachen Hand auf die Wasseroberfläche schlägt! Was in der Beschreibung einfach nur megaabstrakt wirkt, hatte ein begeisterndes, 20minütiges Musikstück zur Folge, das am Ende in purem Bombast endete und den begeistertsten Applaus des Abends zur Folge hatte. Ein mehr als geglücktes Experiment.
Für und Wider der Martial Arts Trilogy
Die schönste Erkenntnis des Abends bestand für mich darin, dass der von mir nicht so sehr geschätzte Score zu „Hero“ extrem gewachsen war. Mir war die Arbeit Tan Duns an dem mit Jet Li, Zhang Ziyi und Tony Leung Chiu-Wai hervorragend besetzten Streifen immer zu ähnlich zu seinem „Tiger and Dragon“ Meisterwerk. Erst an dem Abend fiel mir so richtig auf, wie groß die Unterschiede dann doch sind – am augenöffnendsten war dabei der Moment, als für „Tiger and Dragon“ das bei „Hero“ noch extrem geforderte Bläserensemble geschlossen den Saal verließ.
Noch viel interessanter war die Tatsache, dass vor allem die Kampfszenen, reduziert auf Bilder und Musik, noch viel mehr wie Tänze wirkten als ohnehin schon und es war erstaunlich, wie nah die Musik an den Bewegungen entlang arrangiert war.
Doch zu meckern gibt es auch etwas. Das liegt aber eher an dem Drumherum und weniger an der Veranstaltung selbst. Die Red Bull Arena wird sonst für sportliche Events und natürlich Konzerte genutzt. Entsprechend sah auch das Catering aus. Und es wirkte einfach megabefremdlich, an einem doch eher stilvoll gedachten Abend Zuschauer neben sich sitzen zu haben, die aus Plastebechern ihr Bier soffen – in rauen Mengen. Auch die Pressefritzen vor Ort nervten extrem. Nicht nur dass sie einem ab und an im Bild rumturnten, nein, sie unterhielten sich teils auch lautstark über das nächste zu schießende Motiv. Schlussendlich muss ich noch anmerken, dass durch die relativ helle Beleuchtung der Bühne (absolut nachvollziehbar, immerhin müssen die Noten ja zu lesen sein), die dahinterschwebende Leinwand ebenfalls immer viel zu hell angestrahlt wurde und so kein richtiges Kinofeeling aufkam. Das Bild war in der Folge kontrastarm und blass und bei Nachtszenen war dann gleich gar nichts mehr zu erkennen.
Ein tolles Spektakel für Martial Arts und Filmmusik-Fans
Trotz kleiner Mängel war der Abend schlicht und ergreifend megagelungen. Tan Duns Kompositionen setzen sich sofort im Ohr fest und bleiben da auch weit über den Abend hinaus verhaften. Die Idee, die Musik mit den Bildern aus den zugehörigen Filmen zu untermalen, war großartig und dürfte auch so manchem Klassikmuffel sehr gefallen haben, wurde so doch einiges an Ablenkung geboten. Und machen wir uns nichts vor: Es gibt schlimmeres, als zwei Stunden lang vor allem der bezaubernden Zhang Ziyi (die neben Tan Duns Musik das verbindende Element aller drei Filme darstellte) zusehen zu müssen. Großartig war im Übrigen auch die Idee, eine Art Ambilight nachzuahmen, indem man die Bühnenbeleuchtung an die die Leinwand dominierenden Farben anpasste. So tauchte man noch mehr in die Klang- und Bildwelten ein. Die Mitglieder des MDR Sinfonieorchesters spielten großartig auf, die drei Solisten waren eine Welt für sich und Tan Dun erwies sich als Mann, der seine Musik förmlich lebt und sich mit begeisternden kleinen Schmunzlern und Gesten immer wieder schon während des Konzertes bei besonders gelungenen Einsätzen „seiner“ Spieler bedankte. Am großartigsten fand ich, als wie wenig eitel er sich erwies, als er fast schon demütig vor dem Wagnerexperiment vorwegschickte, dass er sich nicht sicher sei, wie das Stück in der Heimat Wagners ankommen würde … Ein toller Künstler.
In diesem Sinne:
freeman