Originaltitel: Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2023__Regie: Jeff Rowe, Kyler Spears__Sprecher: Brady Noon, Giancarlo Esposito, Hannibal Buress, Ice Cube, Jackie Chan, John Cena, Maya Rudolph, Michael Badalucco, Natasia Demetriou, Paul Rudd, Post Malone, Rose Byrne, Seth Rogen u.a. |
Ob jung, ob alt, wir sind alle längst bestens vertraut mit der Geschichte der vier Schildkröten, die in der Kanalisation von einer Ratte zu Ninjas ausgebildet wurden. Wohl nur Batmans Eltern und Spider-Mans Onkel sind öfter gestorben als die Turtles im grün leuchtenden Ooze geboren. Auch „Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“ kommt nicht umhin, die Ursprünge erneut aufzuwärmen und dabei das Bedürfnis der Teenager, unmaskiert unter den Menschen zu wandeln, zum wiederholten Male aufzuarbeiten.
Das mag auch den Versäumnissen der jüngsten Adaptionen geschuldet sein. Sicherlich steckt seitens Paramount ein Revisionsgedanke hinter dem Reboot, haben sich die letzten beiden Realverfilmungen unter der Schirmherrschaft Michael Bays doch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Vermutlich ist aber auch die kindliche Macht im neuen Produzenten Seth Rogen ein Faktor dafür, dass zum wiederholten Mal auf die Origin-Karte gesetzt wird. Als eine der treibenden Kräfte hinter dem Projekt lenkt er das Ruder ohne Umschweife in seine persönliche Komfortzone, die für den 41-Jährigen wohl nach wie vor in der Schulzeit liegt. Das Motto lautet: Back to the Teenage Years, dorthin, wo man hemmungslos die Sau rauslassen kann, ohne dass man sich um die Konsequenzen scheren müsste.
Und so zieht sich der innere Zwiespalt der im Schatten agierenden Brüder zwischen familiärer Loyalität und persönlicher Freiheit als roter Faden durch den Plot. Die Grünlinge lassen keine Gelegenheit aus, sich zum Fandom zu bekennen, indem sie angesagte Stars wie Drake anhimmeln, sie frönen dem Slang und der Körpersprache der Jugend und sie erweisen sich als unersättliche Medien-Staubsauger, als Bewunderer der vom Menschen geschaffenen Unterhaltungskultur. Es liegt mal wieder an ihrem Sensei, sie in ihrem jugendlichen Leichtsinn daran zu erinnern, dass der Schein in der Welt der Menschen trügt. Das Leben in der Unterwelt, so predigt Splinter, ist alternativlos.
So weit, so bekannt. Damit sich die rostige Laube trotz quietschender Türen noch an den Mann bringen lässt, wurde sie allerdings mit frischem Lack versehen. Kaum strahlt das „Nickelodeon“-Logo als Teil der Pre-Credits in radioaktiven Farben, nehmen auch die Hintergründe und Charaktere eine gesunde Neonfärbung an. Nach „Spider-Man: A New Universe“ (2018) und dessen Fortsetzung „Spider-Man: Across the Spider-Verse“ (2023) ist wohl endlich wieder der Weg frei für avantgardistische Computeranimation, die sich gegen den Konsens auflehnt, auf den sich Disney, Pixar, Dreamworks und viele andere irgendwann mal geeinigt haben, ohne das Publikum nach seiner Meinung zu fragen. „Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“ schließt sich der Rebellion an und hat gerade den richtigen Stoff an der Hand, um einen glaubwürdigen Schlag gegen das Niedlichkeits-Establishment zu platzieren, denn der Kern des einstmals von Kevin Eastman und Peter Laird als Comichelden-Parodie angelegten Stoffs ist durchaus von düsterer Natur.
Nickelodeon versucht sich nun an einer Sketchbook-Ästhetik, die so speziell geraten ist, dass man sich erst einmal ein paar Minuten an sie gewöhnen muss, bevor man (idealerweise) von ihrer Kreativität überrollt wird. Ähnlich war es bei „Spider-Man: A New Universe“ und dessen Comicpanel-Optik, die dank ihrer an Farbdrucke alter Comichefte angelehnten Animationstechnik ebenfalls im ersten Moment abschreckend wirkte, dann aber ihr volles Potenzial ausschöpfte. Sofern es dem Zuschauer gelingt, sich mit dem 2.5D-Animationsstil zu arrangieren und sich von dem Gedanken zu lösen, dass es immer nur kugeläugiges Family Entertainment nach dem Regelwerk sein darf, ist die Optik jedenfalls das unbestrittene Highlight dieser Neuverfilmung. Gerade der letzte Turtles-Animationsfilm („TMNT – Teenage Mutant Ninja Turtles“, 2007), der noch mit konventionellem Standard-3D animiert wurde, darf sich nun endgültig in die Rente verabschieden, denn das hier ist ein ganz anderer Sport. Wilde Schraffuren erstrecken sich kritzelnd und krakelnd in die tiefsten Winkel der Leinwand wie in Echtzeit aufgetragenes Instant-Graffiti, an jeder Ecke leuchtet das Plasma und setzt Kontraste zur eher düsteren Bildgestaltung, welche die Set Pieces – Kanalisation, leerstehende Gebäude und Hinterhöfe – in gerechtem Licht erstrahlen lässt. Gerade in der Beleuchtung spielt das Art Design seine Stärken aus. Wenn Taschenlampen ihren Kegel wandern lassen, hat man das Gefühl, dass das Bild nur so wimmelt von Leben… als würde man in einer alten Küche das Licht anmachen und Dutzende Kakerlaken krabbelten blitzschnell in die nächstgelegenen Fugen und Ritzen.
Auch die Villain-Wahl leuchtet in diesem Zusammenhang ein. Baxter Stockman, bei dessen Schöpfung sich die Autoren zweifellos stark von Cronenbergs „Die Fliege“ haben inspirieren lassen, passt zu dem visuellen Stil einfach wie Arsch auf Eimer. Dass die Produzenten ihren frischen Neon-Horror-Ansatz aber nicht volle Kante auf Erwachsene zugenäht haben, die mit den Comics aufgewachsen sind, merkt man dann doch schon gleich in der ersten Szene, in der Baxters Labor von einer Special-Forces-Einheit infiltriert wird. Statt Cronenberg’schem Body Horror gibt es hier erst einmal einen verrückten Wissenschaftler und seine putzige kleine Baby-Fliege. Das Projekt droht zu einem Kompromiss zu werden: Zu creepy für die Kleinen, zu harmlos für die Großen.
Vorahnungen, die sich leider bestätigen. Besonders bei der Figurenzeichnung wird schnell klar, dass man mit einem Auge immer noch auf ein Publikum schielt, das ansonsten eher bei den „Minions“ oder „Kung Fu Panda“ die Kinositze belegt. Enttäuschend sind vor allem die fehlenden Konflikte innerhalb der Heldentruppe. Zwar versucht das Character Design, die vier Schildkröten anhand optischer Merkmale mit individuellen Eigenschaften auszustatten (Körperform, Kleidung, Accessoires), doch ihr Bedürfnis, unter den Menschen zu wandeln, eint sie in trauter Geschlossenheit. Dabei hätte man gerne gesehen, wie die Hierarchie unter Anführer Leonardo auch mal ein wenig zum Brodeln gebracht wird. Doch sogar bei den Grundsatzdiskussionen zwischen den Turtles und ihrem Meister wird es nur selten hitzig; vielmehr ist das Verhalten sämtlicher Charaktere auf Kompromiss ausgelegt, was gerade bei hitzköpfigen Jugendlichen nicht allzu natürlich wirkt.
April O’Neil würde man in Form einer afroamerikanischen, leicht untersetzten, ziemlich nerdigen Teenagerin auf den ersten Blick als typisches Gefäß für den inzwischen unabkömmlichen Faktor Diversität ausmachen, weil sie in erster Linie als weiße, knallharte Profi-Journalistin überliefert ist, aber es gibt durchaus einige Animationsserien und -Filme jüngeren Datums, in denen sie bereits eher der hier präsentierten Version ähnelt, und auch bezüglich der ersten Comic-Auftritte gibt es zumindest Debatten, ob sie aufgrund ihres lockigen Haars und ihres dunklen Teints als Afroamerikanerin konzipiert war. Wichtiger für den Handlungsverlauf ist da schon ihre Rolle als unerfahrene Schuljournalistin, denn während die allseits bekannte April fest in der Gesellschaft verankert war, finden ihre Treffen mit den Turtles in den Seitengassen New Yorks diesmal auf Augenhöhe statt… was leider auch an dieser Front für wenig Dynamik sorgt, denn wo jeder isoliert ist, findet auch keine Entwicklung statt.
Schließlich tritt dann die mutierte Fliege „Superfly“ auf den Plan, die nicht nur dem Namen nach an alte Blaxploitation-Streifen angelehnt ist, stolziert sie mit ihrem schillernden Panzer doch durch das Viertel wie einst ein Ron O’Neal oder Anthony Fargas. Erstaunlich ist es, wie das Skript mit ihm und seinen Gangmitgliedern umgeht. Insbesondere die Rammböcke Rocksteady und Bebop hat man selten so handzahm gesehen, aber auch in Gesellschaft von Leatherhead, Wingnut, Ray Fillet, Mondo Gecko und Genghis Frog fühlt man sich nun wie unter Freunden. Die Taktik liegt darin, Superfly langsam von seinen Untergebenen zu isolieren und mit seinem Wahnsinn und seiner Paranoia alleine zu lassen. Dabei geht er, die FSK6 immer im Blick, nicht unbedingt weiter als der durchschnittliche Kriminelle im Samstagmorgencartoon. Sollten die Charaktere in möglichen Fortsetzungen wieder zurückkehren, wird es problematisch werden, sie wieder auf die Seite der Kriminalität zu ziehen; da werden die üblichen Oberschurken der Marke Shredder und Krang schon mit Gehirnwäsche arbeiten müssen, denn ansonsten surfen die Turtles mit ihren einstmaligen Widersachern auf einer Welle.
Weil es inzwischen wohl zum guten Ton gehört, jeden Film mit „Super“-Thematik mit einem Kaiju-Fight ausklingen zu lassen, möchte sich auch dieser nicht lumpen lassen und schickt seine vier Helden zum Abschluss in einen Kampf gegen ein überdimensionales Wesen mit Walleib und sonstigem Getier aus dem örtlichen Zoo als Gliedmaßen. Der ansonsten zwar immer flott gefilmte, aber eher selten die Ninjutsu-Fähigkeiten seiner Stars fordernde Streifen wird hier noch einmal besonders actionreich und setzt auf eine solide Choreografie, die darauf ausgelegt ist, den Wert von Teamwork gegenüber dem Einzelkämpfertum positiv hervorzuheben. Toll auch, wie man den Kampfstil Splinters als jenen von Jackie Chan identifiziert, auch wenn die Besetzung seiner Sprechrolle mit dem Hongkong-Superstar zumindest befremdlich anmutet, orientiert sich die Ausbildung der Schildkröten doch eigentlich an japanischer Kampfkunst. Aber warum auch konsequent bleiben in der Darstellung von Multikulturalität, wenn man einen Namen wie Jackie Chan bekommen kann…
Alleine seiner berauschenden Optik wegen ist „Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“ sicherlich als Gewinn für das Kinojahr 2023 zu verbuchen. Animationsfilme dürfen endlich wieder Charakter haben und ungewöhnlich aussehen. Das ist eine wertvolle Erkenntnis. Auch der Soundtrack erweist sich als positive Überraschung. Zum Eastcoast-Hip-Hop gesellt sich das elektronische Blubbern von Trent Reznor und Atticus Ross, deren synthetische Soundfragmente regelrecht verschmelzen mit den biomechanisch leuchtenden Hintergründen. Ach, hätte man diesen Mut doch auch im Inhaltlichen bewiesen! Mit den Teenager-Jahren arbeitet sich der Film an einer Phase ab, über die eigentlich schon alles gesagt ist, und versäumt es dabei auch noch, spannende Konflikte innerhalb wie außerhalb der Gruppe einzustreuen. Sollte es zu einem oder mehreren Sequels kommen, bleibt zu hoffen, dass man sich irgendwann auch mal der reiferen Phase nähert… und die dann auch dementsprechend erwachsen angeht. Solange die Turtles als Teenager Erfolg haben, werden sie aber wohl ewig jung bleiben, so wie man die Produzenten in Hollywood kennt.
Schaut in den Trailer von “Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem”
„Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“ startete am 3. August 2023 in den deutschen Kinos. Weniger als vier Monate später standen bereits DVD, Blu-ray und Ultra-HD Blu-ray in den Händlerregalen. Diese Rezension basiert auf der deutschen Blu-ray im Keep Case mit Wendecover ohne FSK-Logo. Diese ist mit einer Vielzahl von Sprachen und Untertiteln ausgestattet. Falls entsprechende Englischkenntnisse vorhanden sind, sollte man allerdings die deutsche Tonspur möglichst meiden. Sie ist zwar teilweise gut besetzt (u.a. hört man Jackie-Chan-Stammsprecher Stefan Gossler auf Splinter), schwächelt allerdings gerade bei der bemüht wirkenden Übersetzung des Jugend-Slangs enorm. Die knappe Dreiviertelstunde an Bonus Features setzt sich aus drei kurzen Featurettes zusammen sowie einem Anleitungsvideo zum Zeichnen von Leonardo. Streamen kann man den Streifen auch.
Sascha Ganser (Vince)
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