„Texas Chainsaw Massacre“ von 2022 geht den gleichen Weg wie „Halloween“ von 2018: Quasi identischer Titel zum Original, alle bisherigen Sequels werden ignoriert. In TCM verschlägt es ein Quartett junger Städter ins verlassene Harlowe, das sie mithilfe von Investoren wieder flott machen wollen. Dummerweise ziehen sie den Zorn von Leatherface auf sich, der 50 Jahre im Verborgenen lebte, aber nichts von seinen Schlächterfertigkeiten einbüßte.
Originaltitel: Texas Chainsaw Massacre__Herstellungsland: USA/Bulgarien__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: David Blue Garcia__Darsteller: Elsie Fisher, Sarah Yarkin, Jacob Latimore, Moe Dunford, Mark Burnham, Nell Hudson, Olwen Fouéré, Jessica Allain, Alice Krige, William Hope, Jolyon Coy, Sam Douglas u.a. |
Tobe Hoopers „Texas Chainsaw Massacre“ gereifte nicht nur schnell zum Horrorklassiker, sondern generierte auch diverse Sequels, ein Prequel, ein Remake sowie ein Remake-Prequel, von höchst unterschiedlicher Qualität. Fans horchten jedoch auf, als eine weitere Neuauflage von Fede Alvarez, seines Zeichens bekannt für das beliebte „Evil Dead“-Remake, angekündigt wurde. Als der Film dann herauskam, war Alvarez jedoch nur noch Storylieferant und Produzent, Regie führte David Blue Garcia („Tejano“) und aus dem mal angedachten Kinostart wurde ein Netflix-Release.
Ähnlich wie „Halloween“ von 2018, „Candyman“ von 2021 oder „Scream“ von 2022 ist auch dieses „Texas Chainsaw Massacre“ eines dieser späten Sequels, das seine Verbindung zum Original durch den quasi identischen Titel ausdrückt. Dessen Bilder und Hauptfiguren kommen auch direkt zu Beginn vor, innerhalb einer innerfilmischen True-Crime-Doku, die von den Morden aus den 1970ern erzählt. Die einzige Überlebende war Sally Hardesty, der bullige Schlächter Leatherface wurde nie gefasst. Noch so ein Zug mancher später Sequels: Alles, was nach dem Original kam, wird ausgeblendet und/oder für nichtig erklärt, so wie bei „Halloween“ von 2018, der hier ganz offensichtlich Pate stand.
50 Jahre nach der Mordserie des Originals ist wieder eine junge Protagonistentruppe auf dem Weg nach Harlow, jedoch unter anderem Vorzeichen: Dante (Jacob Latimore) und Melody (Sarah Yarkin) sind Foodtruck-Köche und Entrepreneure, die das mittlerweile verlassene und verfallene Städtchen aufgekauft haben, um mithilfe einiger Investoren eine Wohlfühloase für genervte Städter im Hinterland zu errichten. Dantes Freundin Ruth (Nell Hudson) und Melodys Schwester Lila (Elsie Fisher) sind ebenfalls mitgekommen. Es taucht das übliche Personal des Genres auf, jedoch ebenfalls unter anderen Vorzeichen: Der Tankwart ist kein Unheilsprophet, sondern gibt Tipps und Hintergrundinfos, die Polizei erweist sich als überraschend umgänglich (anders als vom schwarzen Dante befürchtet) und der Redneck mit dem lauten Truck und der lauten Metal-Mucke stellt sich als Handwerker Richter (Moe Dunford) heraus, der beim Auf-Vordermann-Bringen der Geisterstadt helfen soll.
Doch ganz verlassen ist Harlow nicht. Eine steinalte Waisenhausleiterin (Alice Krige) weigert sich zu gehen, wird jedoch nach einem Disput mitsamt ihres letzten verbliebenen, mittlerweile alten Schützling (Mark Burnham) von den Cops zum Gehen gezwungen, woraufhin sie einen Herzinfarkt erleidet. Sie wird mit ihrem Begleiter zum Krankenhaus gefahren, verstirbt jedoch noch auf der Fahrt. Dumme Sache: Besagter Mann ist Leatherface, der nach ihrem Tod nun Rache üben will…
Schaut euch den Trailer zu „Texas Chainsaw Massacre“ an
Das neue „Texas Chainsaw Massacre“ verlangt seinem Publikum schon einiges in Sachen Suspension of Disbelief ab, gerade mit Blick auf den versuchten Anschluss an das Original. So muss man dem Film abnehmen, dass der baumlange Schlächter Leatherface im Erstling noch ein Teenager war, der danach fast 50 Jahre unerkannt in Harlow leben konnte und seine mörderischen Triebe der Ersatzmama zuliebe fünf Dekaden lang im Zaum hielt. Sobald diese allerdings nicht mehr ist, metzelt der Massenmörder a.D. dann allerdings so munter herum, als habe er nie etwas anderes gemacht. Die Kettensäge und andere Mordwerkzeuge hat er glücklicherweise für eine solche Gelegenheit gleich griffbereit eingelagert, man kann ja nie wissen. Umgekehrt hat Sally (Olwen Fouéré) ihre Nemesis nie aufgespürt, obwohl sie deshalb extra Texas Ranger wurde (Walker wäre stolz auf sie). Gefunden hat sie Leatherface allerdings nie, obwohl sich dieser kaum von seiner alten Wirkungsstätte fortbewegt hatte.
In Sachen Figuren gibt sich der TCM 2022 dagegen wesentlich mehr Mühe, sind hier doch eher Grautöne als Schwarz-Weiß-Zeichnung gefragt. So sind die jungen Entrepreneure nicht nur makellos, sondern gerade Dante begehrt einen folgenschweren Fehler, ohne es direkt beabsichtigt zu haben. Richter mag zwar schroff und abweisend rüberkommen, hat aber das Herz am rechten Fleck. So freundet er sich schnell mit Lila an, die wiederum ihr eigenes Bündel als Überlebende eines School Shootings zu tragen hat. Tatsächlich sind auch in der Neuauflage Ansätze da, um gesellschaftliche Probleme zu verhandeln wie der Erstling, der ja unter anderem auf den Vietnamkrieg und die Verarmung der Landbevölkerung in den USA reagierte. Letzteres hat sich seit den 1970ern nicht wirklich gebessert, die Stadt-Land-Gegensätze sind vielleicht noch größer geworden, während Amokläufe an Schulen ein Gewaltproblem der amerikanischen Neuzeit sind. Doch so lobenswert diese Ansätze sind, darüber kommen sie nicht hinaus, sie bleiben eben nur Ansätze.
Denn Regisseur Garcia und sein Drehbuchautor Chris Thomas Devlin („Knock Knock Knock“) halten sich nicht groß mit Nebensächlichkeiten auf, sondern setzen in erster Linie auf eine Schlachtplatte, die mit Abspann gerade mal 83 Minuten dauert. Da bleibt für Figurenzeichnung nicht viel Zeit, doch immerhin kann „Texas Chainsaw Massacre“ gerade in der ersten Hälfte als Terrorkino überzeugen. Leatherface tötet seine Opfer ohne Gnade und ohne viel Federlesen, ist eine unaufhaltsame Mordmaschine. Wenn sich ein potentielles Opfer in einem Auto totstellt, in der Hoffnung, dass Leatherface sie für bereits hinüber hält, dann sind die Anspannung, die Angst und der Terror regelrecht fühlbar. Auch die Mord- und Gewaltszenen sind hart und durchaus unangenehm, wenn Leatherface Köpfe mit einem Hammer einschlägt, Messer in Bäuche rammt oder einen Kiefer zerteilt. Es gibt Verweise auf das Original, darunter das Basteln einer neuen Maske aus Menschenhaut, den Kettensägentanz des Killers oder eine Mordsequenz, in der Leatherface ein Opfer ähnlich von hinten packt wie ein Pendant aus dem Film von 1974, ohne dass die Version von 2022 allzu deutlich auf den Zitat- oder Nostalgieknopf drücken würde.
Allerdings hält Garcia diesen Ansatz nicht durch und will in Hälfte zwei das Splatterpublikum ordentlich bedienen, dass sich ein Kettensägenmassaker im graphischsten Sinne gewünscht hat und es auch bekommen soll. Also zerhäckselt Leatherface in der zentralen Sequenz gleich einen ganzen Bus voller hipper Junginvestoren, die, höhöhö, dem Killer ihre Handys entgegenstrecken und dann auf schmerzliche Weise feststellen müssen, dass es Leatherface egal ist, ob es filmische Beweisen seiner Taten gibt, die man an die Polizei übergeben könnte. Dazu kommen physikalische Unmöglichkeiten (der Wurf eines abgetrennten Kopfes in eine Bustür, obwohl Leatherface im falschen Winkel dazu steht) sowie himmelschreiende Blödheit: Von den verängstigten Investoren versucht keiner an Leatherface vorbeizuhuschen, stattdessen lassen sie sich immer weiter in die Enge drängen und zersägen. Und wenn dann mal eine auf die Idee kommt, dass man die Fenster des Busses auch öffnen kann, dann ist das natürlich für einen reichlich erwartbaren Splattergag da. Immerhin: In Sachen sichtbare Gewalt und Splattereffekte dürfte dies neben „Texas Chainsaw Massacre: The Beginning“ der wohl härteste und brutalste Film der Reihe sein.
Im Finale taucht dann natürlich Sally auf, die sich analog zu Laurie Strode aus dem offensichtlichen Vorbild „Halloween“ (2018) auf das Endspiel gegen Leatherface vorbereitet hat. Und auch hier gibt es Licht und Schatten. Zum Schatten gehört der vorhersehbare Ablauf des Ganzen, wenn alle Finalteilnehmer, egal auf welcher Seite, die übelsten Wunden wegstecken und immer wieder aufstehen können, damit der nächste Schockeffekt und die nächste Last-Minute-Rettung garantiert ist. Leatherface hat natürlich die größten Nehmerqualitäten, doch immerhin wird dieser Überlebenskampf mit Zähnen und Klauen ausgetragen, sodass es auf handwerklicher Ebene immer noch zu packen weiß. Zum Licht gehört außerdem, dass Garcia tatsächlich in kleinen Rahmen mal was Neues versucht, wenn Sally als Fanatikerin erweist, die potentielle Leatherface-Opfer als Köder für ihre Nemesis einsetzt. Zudem hat man das Gefühl, dass dies wirklich ein Endspiel sein könnte, nicht der Auftakt der nächsten Reihe, die Vorbereitung des x-ten Sequels. Doch da machen Garcia und Devlin ihrem Publikum einen Strich durch die Rechnung, indem sie erst auf einen niederträchtigen Schockeffekt zum Schluss und dann noch auf Fanservice in einer Mid-Credit-Sequenz setzen.
Immerhin sieht man „Texas Chainsaw Massacre“ den Drehort Bulgarien zu keiner Sekunde an. Stattdessen sind atmosphärische Bilder dabei, vom verfallenen Harlow, von einem verdorrten Sonnenblumenfeld, von dem ehemaligen Waisenhaus. Auch die Besetzung ist nicht verkehrt, wissen doch gerade Elsie Fisher („Gutshot Straight“), Sarah Yarkin („Happy Deathday 2U“), Moe Dunford („Vikings“) und Jacob Latimore („Detroit“) ihre Rollen trotz überschaubarer Charakterzeichnung mit Leben zu füllen. Olwen Fouéré („The Northman“) ist ein brauchbarer Ersatz für die 2014 verstorbene Marilyn Burns, Mark Burnham („Hidden in the Woods“) muss in erster Linie körperliche Präsenz zeigen, aber davon hat er mehr als genug. Alice Krige („Barfly“) überzeugt in ihren wenigen Szenen als seine Ersatzmama.
„Texas Chainsaw Massacre“ hat durchaus gute Ansätze und das Zeug zu einem würdigen Nachfolger, darunter atmosphärische Bilder, durchaus differenzierte Ansätze von Charakterzeichnung und eine beklemmende Terrorkino-Atmosphäre, vor allem in der ersten Hälfte. Schade nur, dass Garcia diese Stärken irgendwann vernachlässigt, lieber zum beinharten, aber tonal nicht immer passenden Gemetzelt umschwenkt, auf einmal immer mehr Klischees und Blödheiten auspackt, bis er einige seiner guten Ansätze sogar verrät. Das hat schon Härte und derbe Effekte, ist ein ganz solider Vertreter seines Genres – aber hätte Garcia mehr die Stärken der ersten Hälfte gesetzt, dann hätte es zu wesentlich mehr reichen können.
Als Netflix-Produktion ist „Texas Chainsaw Massacre“ von 2022 aktuell nur bei dem Streamingdienst zu sehen und wurde nicht von der FSK geprüft. Netflix empfiehlt ihn ab 18 Jahren.
© Nils Bothmann (McClane)
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