Originaltitel: The Bodyguard / Ngo Dik Dak Gung Je Je__Herstellungsland: Hongkong__Erscheinungsjahr: 2016__Regie: Sammo Hung__Darsteller: Sammo Hung, Jacqueline Chan, Andy Lau, Zhu Yuchen, Li Qinqin, Feng Jiayi, Yuen Biao, Feng Shaofeng, Tsui Hark, Karl Maka, Dean Shek, Yuen Qiu u.a. |
Ein halbes Jahrhundert der Schauspielerei und Körperbeherrschung. Was für eine Zahl. Es ließen sich wohl spielfilmlange Dokumentationen füllen mit der Karriere des Sammo Hung, der gemeinsam mit seinem Weggefährten Jackie Chan eine ganze Periode des Hongkong-Kinos geprägt hat. 2016 befand er, dass es Zeit sei, diesen beispiellosen Werdegang zu rekapitulieren. In seiner ersten Regiearbeit seit zwanzig Jahren spielt er zugleich auch die Hauptrolle, die ursprünglich für Chan angedacht war… und sieht sich einer Welt im Wandel ausgesetzt, von der er langsam Abschied nehmen muss.
Während sein berühmterer Partner immer noch dem Kind im Manne nachjagt, befasst sich Hung offensiver mit der Sentimentalität des Altwerdens. Sein „Bodyguard“ ist sicherlich alles andere als ein Unikat; es handelt sich um ein wohlbekanntes Relikt des Weltkinos, verhandelt es doch den stillen Epilog einer Persönlichkeit, die einst durch ihren außergewöhnlichen Beruf geprägt wurde und in ihrer Zeit Maßstäbe gesetzt hat. Detektive und Geheimagenten wurden auf diese Art bereits dekonstruiert, Genies und Tyrannen. Sylvester Stallone (“The Expendables“) hat zu diesem Thema in den USA in den letzten zehn Jahren sogar ein kleines Universum aufgebaut, das sich mit dem Bedeutungsverlust des klassischen Actionkinos und seiner Protagonisten auseinandersetzt. Hung greift die damit verbundene Melancholie gerne auf. Anders als Jackie Chan in der albernen US-Komödie „Spy Daddy“ muss er keine Montage seiner besten Kampfchoreografien anführen, um die bedeutungsvolle Vergangenheit zu illustrieren; es reicht ihm, im Vorspann eine Reihe unscharfer Schwarzweiß-Videos mit militärischem Hintergrund aufzufahren, an deren Ende ein Staatsbesuch von US-Präsident Richard Nixon in China steht. In den Hintergrund einkopiert finden wir eine junge Version des Hauptdarstellers, harmonisch eingebettet in eine Ära von höchster Relevanz.
Überraschen kann uns Hung also nicht, wenn er kurz darauf mit dem Ex-Offizier Ding Hu eine stark gealterte Version seiner selbst einführt, dicker denn je und mit extremen Einbußen in der einstmals so phänomenalen Wendigkeit versehen. Steif bewegt er sich im Schneckentempo von einem Ort zum anderen, vegetiert eher anstatt zu leben. Humor und Lebensfreude werden eher durch seine Mitmenschen an ihn herangetragen als dass sie von ihm ausgehen, etwa von seiner Vermieterin Park (Li Qinqin), die auch eine private Schwäche für ihn hat. Er selbst nimmt solche Zeichen nicht wahr, vielmehr nimmt er den Lauf der Zeit ungerührt hin. Lediglich Cherry (Jacqueline Chan), die kleine Tochter seines spielsüchtigen Nachbarn Li (Andy Lau, “Detective Dee und das Geheimnis der Phantomflammen“), vermag es, großväterliche Gefühlsregungen in ihm auszulösen.
Nicht schwer auszumalen, wie sich das Drehbuch weiterentwickelt: Natürlich bringt sich Li in Schwierigkeiten und zwingt Ding durch den persönlichen Bezug zu Lis Tochter dazu, die eingerosteten Kampfmodi wieder zu reaktivieren. So vorhersehbar hier die roten Fäden gezogen werden, so sorgfältig geschieht dies allerdings auch. Die Regie begnügt sich keineswegs mit den üblichen Scherenschnitten, sondern ist bei jeder Figur spürbar auf der Suche nach dem inneren Kern. Andy Lau beispielsweise absolviert kaum mehr als einen erweiterten Cameo mit einer einzelnen größeren Actionsequenz und ein paar kurzen Momenten drumherum, dennoch gelingt es ihm durchaus, seiner Rolle eine tragische Komponente zu verleihen, auch weil er wie ein Geist am Rande des Geschehens wandelt. Ähnliches könnte man von der Vermieterin behaupten, die ebenso wie Lau einen Rollenstereotyp nachdrücklich mit Leben füllt. Vor allen anderen gilt dies aber für die Hauptfigur, denn sie bekommt durch die Demenz-Thematik eine zusätzliche Dimension, die sie vom Rollenklischee abhebt und ein Stück weit mit der schmerzlichen Realität verbindet.
Schaut in den Trailer
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Schon im Vorspann wird deutlich, dass „The Bodyguard“ durchgehend im Zwielicht von Tradition und Moderne angesiedelt sein wird. Traditionelle chinesische Folklore-Instrumente werden da rüde vom Dröhnen eines modernen Soundtracks zerstückelt und in akustische Dissonanzen aufgelöst – ein Vorgeschmack auf die folgenden Mischverhältnisse. Angesiedelt im chinesischen Nordosten, spielt die Grenze zu Russland eine entscheidende Rolle; Kantonesisch vermengt sich auf der Tonspur mit russischen Fragmenten, wenn die russische Gang auf den Plan tritt. In den Clubs der Stadt läuft amerikanisch geprägter Hip Hop und deutscher Schlager. Man trifft sich immer noch in Bars für Mah-Jongg. Im Elektroladen werden keine Tonbandgeräte mehr verkauft wie zu guten alten Spionage-Zeiten, sondern digitale Recorder. Dings altmodischer Bungalow befindet sich mitsamt der knorrigen alten Bäume und renovierungsbedürftigen Straßen im Altkern, umringt von der hochmodernen Fassade des eigentlichen Stadtzentrums. Es wird im Film wenig über die Koexistenz von neuer und alter Welt gesprochen, doch sie ist zweifellos omnipräsent. Die Kamera findet sogar das geeignete Ausdrucksmittel, um Beides zu vereinen, indem sie einerseits hochauflösende, kontrastreiche HD-Bilder nutzt, andererseits jedoch langsame Schwenks und viele Stillleben. Der flippige Inszenierungsstil chinesischer Trendfilme wird somit umgangen, ohne auf altbackene Methoden zurückgreifen zu müssen. Auch der Schnitt verhält sich insgesamt moderat, ohne dem Geschehen vorauszugreifen oder hinterherzulaufen.
Anders sieht es bei den Actionszenen aus, die sich bewusst vom gemäßigten Grundton abheben. Andy Laus Einsatz ist eine eigene Nummer für sich; hier wird mit spektakulären Überkopfmanövern durch ein Treppenhaus gejagt und ausweglose Situationen mutieren zu Schlupflöchern in letzter Minute, mit denen eine fast schon euphorische Stimmung ausgelöst wird. Eine kurze Autoverfolgung sorgt zusätzlich für ein paar Blechschäden zur Abwechslung. Davon abgesehen steht Sammo Hung im Zentrum sämtlicher weiterer Auseinandersetzungen. Angesichts seines Alters und des Gesamtzustands seiner Figur sind von ihm selbstverständlich keine Wundertaten mehr zu erwarten; auch liegt der Verdacht nahe, dass so manche Einlage durch die ansteigende Schnittfrequenz und Bildverzögerungen Ringo-Lam’scher Prägung kaschiert wird.
Dennoch ist die Reaktivierung der ehemaligen Kampfmaschine in mindestens einer Sequenz bemerkenswert. Was Hung da in einem Raum voller Gangster bietet, ist für sich genommen vielleicht nicht viel mehr als Standfußball, doch gerade daraus bezieht die Choreografie ihre Inspiration. Wer auch immer sich dem Rentner nähert, liegt einige Sekunden und Handkantenschläge später unter Garantie bei seinen Kollegen auf dem Boden. Röntgen-Effekte wie aus Sonny Chibas „The Street Fighter“ oder später aus Jet Lis „Romeo Must Die“ lassen die Knochenbrüche gemeinsam mit dem Sounddesign schön wuchtig erscheinen. Dass am Ende der gesamte Boden mit Schergen bedeckt ist, die einem Fresko Michelangelos oder dem Bildkader einer Park Chan-wook-Komposition nacheifern, spricht dafür, dass der insgesamt eher als Drama zu bezeichnende Streifen durchaus ein wenig für die Action-Gemeinde zu bieten hat. Der Kampf überzeugt aber nicht nur durch die endlose Kette von Gegnern, sondern auch gerade durch die kleinen Details. Das Gesicht eines arroganten Neuankömmlings etwa, der nur noch den alten Mann in einem Raum voller Bewusstloser und Toter aufrecht stehen sieht und ihn für leichte Beute hält, bevor seine Gesichtszüge nach den ersten Kontern langsam entgleiten. Oder der sehr geregelte Atemgang Hungs, der erst nach einem schwierigeren Gegner etwas stärker aus der Bahn gerät.
Dies sind allerdings nur Akzente in einem Film, der insgesamt von ähnlich ruhiger Natur ist wie seine Hauptfigur. „The Bodyguard“ ist in der Anlage voller Klischees und repräsentiert jene Sorte von Geschichten, die nostalgisch in vergangene Zeiten blicken. Diese hier wahrt aber auch immer einen Blick auf die Gegenwart. Man könnte dem Plot mit all den mitleiderregenden Gestalten darin unterstellen, emotionale Manipulation anzuwenden und die Altersdemenz als Katalysator auszunutzen. Andererseits hat Sammo Hung aber doch immer noch ein verschmitztes Lächeln für den Zuschauer übrig. Das überträgt sich mühelos, zumal man in kleineren Nebenrollen immer mal wieder alte Bekannte wie Yuen Biao, Tsui Hark oder Dean Shek entdeckt, über deren Wiedersehen man sich freut. Vielleicht ist alles gut so, wie es ist.
Informationen zur Veröffentlichung von “The Bodyguard”
“The Bodyguard” ist seit Juli 2018 auf der Streaming-Plattform Netflix abrufbar. Eine deutsche Synchronisation wurde nicht erstellt, zur Verfügung steht lediglich der kantonesische Originalton in Stereo und 5.1 Surround Sound. Deutsche Untertitel können optional hinzugeschaltet werden. Informationen über eine physische Veröffentlichung inner- oder außerhalb Deutschlands liegen zum aktuellen Zeitpunkt nicht vor.
Bildergalerie
Sascha Ganser (Vince)
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