Gustav Möllers Langfilmdebüt „The Guilty“ ist ein konsequent minimalistischer Thriller, der lediglich in einer Notrufzentrale der dänischen Polizei spielt. Hier nimmt Asger Holm den Anruf des Entführungsopfers Iben entgegen und setzt von seinem Platz aus alle Hebel in Bewegung, um der jungen Frau zu helfen.
Originaltitel: Den Skyldige__Herstellungsland: Dänemark__Erscheinungsjahr: 2018__Regie: Gustav Möller__Darsteller: Jakob Cedergren, Morten Thunbo, Maria Gersby, Anders Brink Madsen, Tommy Bach, Jan Christensen, Christian Lassen, Michael Rud u.a. |
Der dänische „The Guilty“ ist das Langfilmdebüt von Gustav Möller, sein erstes Werk, das er nach Abschluss seines Regiestudiums drehte, mit vielen Kommilitonen, die in verschiedenen Funktionen an dem Film beteiligt waren.
„The Guilty“ ist eine Thrillerübung in Minimalismus, die einzig und allein in einer Notrufzentrale der dänischen Polizei spielt. Dort hat der strafversetzte Polizist Asger Holm (Jakob Cedergren) seinen letzten Tag – am nächsten Tag warten einerseits eine dienstliche Anhörung, andrerseits die Chance auf die Rückkehr in den Außendienst auf ihn. Asger ist ein Durchschnittstyp, der nicht immer souverän reagiert, der auch mal kleinlich ist, etwa wenn er einen Deppen etwas schmoren lässt, der sich unwissentlich ins Rotlichtviertel begab und dort von einer Prostituierten beraubt wurde. Kein Supercop, niemand, der von Anfang als Held erscheint, sondern jemand, dem man fehlbares Verhalten zutraut. Denn erst erfährt man nicht auch nicht, worum es bei der Anhörung geht.
Dann hat Asger auf einmal Iben in der Leitung, die entführt wurde und nur verdeckt mit ihm sprechen kann. Er weiß nur, dass sie in einem Auto ist und dass sie zwei Kinder hat. Aus der Notrufzentrale versucht er der jungen Mutter zu helfen…
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Es gab durchaus Hollywoodfilme mit artverwandter Prämisse, darunter „Nicht auflegen“, „Final Call“ und vor allem „The Call“ aus dem Jahr 2013, doch allenfalls der Erstgenannte war ähnlich konsequent in seiner Fokussierung auf einen Raum. Jedoch geht „The Guilty“ alles Spektakuläre und Sensationsheischende ab: Es ist ein gewöhnlicher Typ, der mit einem sehr gewöhnlichen Fall konfrontiert ist, dahinter steckt keine superkomplexe Verschwörung oder ein Racheplan gegen den Angerufenen. Die Notrufzentrale verlässt der Film nie (im Gegensatz zum letzten Drittel von „The Call“), noch nicht einmal für Zwischenschnitte zu den Anrufern. Alle anderen Figuren, die sonst noch im Bild auftauchen, sind Statisten oder Darsteller in sehr kleinen Rollen, die gefragtesten Nebendarsteller sind dagegen nur stimmlich zu hören.
Das ist natürlich eine Riesenaufgabe für Hauptdarsteller Jakob Cedergren („Antigang“), die er aber mit Bravour meistert: Ohne große Gesten, aber mit präziser Mimik und unglaublicher Intensität vermittelt er das Innenleben dieses Normalopolizisten, der eine Gefahrensituation abwehren will. Asger ist kein cooler Typ und auch kein Nervenbündel. Er ist fürsorglich, wenn er mit den Kindern der Entführten redet. Er ist genervt, wenn Bürokratie seinen Fall behindert. Er ist entschlossen, wenn er helfen will und sich hinter den Fall klemmen will, der für andere Routine zu sein scheint. Und am allerwichtigsten: Er ist fehlbar.
Denn darin liegt ein großer Reiz des Films: Asger macht Fehler, provoziert etwa den Entführer bei einem Anruf oder überschreitet seine Kompetenzen. Da man lange nicht weiß, weshalb er sich bei der Anhörung verantworten muss (und auch am Ende nicht alle Details erfährt), ist auch nicht ganz klar, ob er sich vielleicht in der Vergangenheit etwas zuschulden hat kommen lassen. Ob er vielleicht kein guter Polizist ist. Oder einer jener Helden, die von Vorschriften an effektiver Polizeiarbeit gehindert wird, wie manche US-Copfilme gern behaupten. So gehen die Charakterzeichnung Asgers und der Fortschritt der Kriminalgeschichte Hand in Hand, helfen einander mit ihren Enthüllungen beim Spannungsaufbau.
Denn genau darin liegt der Reiz dieses eigentlich gar nicht so komplexen Falls: Durch die Informationsverknappung und durch die langsame Enthüllung einzelner Details setzt sich erst nach und nach ein Bild zusammen. So ist es immer möglich, dass Asger und seine Kollegen nur einen Teil sehen, dass neue Informationen bestimmte Tatsachen in einem anderen Licht erscheinen lassen können. Dieser Mangel an Eindeutigkeit wird auch formal dadurch aufgegangen, dass sowohl Asger als auch das Publikum mentale Bilder von anderen Orten zeichnen müssen, die nur von Menschen am Telefon beschrieben werden oder maximal durch gewisse Hintergrundgeräusche charakterisiert sind. Doch die dadurch entstehenden Suggestionen sind mächtig, wie man etwa bei einer Tatortbegehung merkt, deren Ohrenzeuge man wird.
„The Guilty“ hat dabei einen passenden Titel, der sowohl die mögliche Schuld Asgers in seinem Dienstverfahren als auch die Schuldfrage bei der Entführung verhandeln könnte. Gleichzeitig muss man zugeben, dass das minimalistische Konzept von Möllers Film sehr konsequent und faszinierend durchgezogen wird, er dadurch andrerseits auch etwas spröde wirkt. Zudem ist der Wiedersehwert des Ganzen nicht ganz so hoch wie bei anderen Thrillern, da die Twists der Story nicht ganz so unabsehbar sind, sodass bei einer Zweit- oder Drittsichtung nicht unbedingt darauf geachtet werden muss, wie man vom Film raffiniert aufs Glatteis geführt wurde.
Trotzdem muss man Möllers Langfilmdebüt Respekt zollen: „The Guilty“ ist formal streng und konsequent minimalistisch, hat einen großartigen Hauptdarsteller und erweist sich als spannende, aber gleichzeitig sehr bodenständige Sache. Jenseits seiner Konzentration auf eine Location und viele Telefongespräche ein vielleicht eher einfacher Thriller, aber mit Runde 85 Minuten dann auch konzentriert und kurz genug, dass er vorbei ist, ehe dies zum Problem für dieses kleine, feine Kriminalstück wird.
„The Guilty“ ist hierzulande bei Ascot Elite auf DVD und Blu-Ray erschienen und ungekürzt ab 12 Jahren freigegeben. Die Extras umfassen Trailer und ein Interview mit Regisseur Gustav Möller und Hauptdarsteller Jakob Cedergren.
© Nils Bothmann (McClane)
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