Originaltitel: The King’s Man__Herstellungsland: Großbritannien/USA__Erscheinungsjahr: 2021__Regie: Matthew Vaughn__Darsteller: Ralph Fiennes, Djimon Hounsou, Gemma Arterton, Harris Dickinson, Rhys Ifans, Matthew Goode, Charles Dance, Tom Hollander, Alexandra Maria Lara, Daniel Brühl, Valerie Pachner, August Diehl, Aaron Taylor-Johnson, Stanley Tucci, David Kross, Olivier Richters, Joel Basman u.a. |
„Kingsman: The Golden Circle“ bot eigentlich genug Ansätze für ein weiteres Sequel, doch Regisseur und Co-Autor Matthew Vaughn fügte seiner eigenwilligen Agentensaga mit „The King’s Man: The Beginning“ als nächstes ein Prequel hinzu.
Dieses spielt rund 100 Jahre vor ersten Teil, die Auftaktsequenz sogar noch etwas früher, nämlich im Jahre 1902. Dort ist der vornehme englische Duke Orlando Oxford (Ralph Fiennes) während des Buren-Krieges im Auftrag des Roten Kreuzes unterwegs. Bei einem Hinterhalt wird jedoch seine Frau Emily (Alexandra Maria Lara) erschossen, wodurch der britische Gentleman sich endgültig zum Pazifismus bekennt und seinen Sohn Conrad, der die Tat mitansehen muss, nun von allem Übel fernhalten will. Damit ist die Rolle von Alexandra Maria Lara („Geostorm“) ziemlich klein ausgefallen, doch der Einstieg etabliert direkt die zentralen Themen und interpersonellen Konflikte. Denn wie lange kann sich Orlando eine pazifistische Ader leisten, wenn der Erste Weltkrieg bereits vor der Tür steht und es in dieser Filmreihe ja nun mal um nicht gerade zimperliche Elite-Agenten geht?
Mithilfe des Personals, darunter der Chauffeur und Nahkampfexperte Shola (Djimon Hounsou) und die Haushälterin und Scharfschützin Polly (Gemma Arterton), trainiert Orlando den mittlerweile fast erwachsenen Conrad (Harris Dickinson) am Vorabend des Kriegsausbruchs zwar in Kriegsdingen, will ihn jedoch aus dem Konflikt heraushalten. Die Kingsmen gibt es zu diesem Zeitpunkt nicht, jedoch eine Spectre-artige Schurkenliga, welcher der Film einige historische Figuren zuordnet, darunter den Mönch Grigori Rasputin (Rhys Ifans), die Spionin Mata Hari (Valerie Pachner) und den Revolutionär Vladimir Lenin (August Diehl). Denn „The King’s Man: The Beginning“ betreibt eine Geschichtsneudichtung der comichaften Art, wenn hinter den Ereignissen des Krieges groteske Strippenzieher auftauchen, die den englischen König, den deutschen Kaiser und den russischen Zar gleichermaßen manipulieren.
Orlando ist dann auch live vor Ort, als der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand (Ron Cook) von einem Attentäter der Schurkenliga erschossen wird. Als sich Orlando der Präsenz der Bösewichte bewusst wird, arbeitet er mit seinem Team daran den Krieg zu verhindern oder zumindest schnell zu beenden…
Schaut in den Trailer von “The King’s Man: The Beginning” hinein
Dass Comichelden auch auf den Schlachtfeldern des Ersten und Zweiten Weltkriegs gegen Superschurken kämpfen, ist nichts Neues mehr – man denke an „Hellboy“, „Captain America: The First Avenger“ oder „Wonder Woman“. Doch wo diese Filme ihr Namedropping und ihre historische Kulisse für Phantastik fernab realer Begebenheiten nutzen, schreibt „The King’s Man: The Beginning“ eine alternative, klar fiktionale, aber doch an Tatsachen orientierte Geschichte des Ersten Weltkriegs. Hinter Ereignissen wie der russischen Revolution, die den Zaren entmachtete, oder dem Kriegseintritt der USA steht hier stets das Handeln der Kingsmen oder der Schurkenliga. Es ist faszinierend, wie viele kleine historische Details das Drehbuch von Matthew Vaughn („X-Men: First Class“) und Karl Gajdusek („The November Man“) einarbeitet, um diese dann wiederum als Teil der „King’s Man“-Story zu präsentieren. Dementsprechend passte Vaughn auch den Ton seiner Agentensaga an: Trotz einiger Übertreibungen gibt sich „The King’s Man: The Beginning“ geerdeter als die Vorgänger und verzichtet zum großen Teil auf Humor – gerade der mäßig gelungene „Kingsman: The Golden Circle“ hatte ja stark auf Überzeichnungen und Klamauk gesetzt, wodurch der Kontrast noch einmal stärker wird.
Natürlich ist aber auch „The King’s Man: The Beginning“ ein Teil seiner Franchise, wodurch den Ton nicht ganz einheitlich wirkt. Auf der einen Seite gibt es immer noch die Übertreibungen der Reihe, sei es bei den Gadgets (obwohl auch diese heruntergefahren werden), den Action-Set-Pieces und dem pulpigen Grundton, auf der anderen will dieses Prequel auch das Grauen des Krieges darstellen. So erscheinen die Szenen in den Schützengräbern und auf den Schlachtfeldern beinahe einem Kriegsfilm zu entstammen, man denke an „1917“ und Co., wenn man sieht wie junge Männer an der Front verheizt werden und im Niemandsland verrecken. Es scheint fast so, als habe Vaughn und seine Mitstreiter ein großer Respekt, vielleicht sogar große Ehrfurcht vor den damaligen Geschehnissen ergriffen, während sie sonst vor schwarzem Humor und wenig zimperlichem Metzel-Fun nicht zurückschrecken.
Auch dramaturgisch läuft bei „The King’s Man: The Beginning“ nicht alles rund. So wird um die Identität des Oberschurken ein Gewese gemacht, dessen Antlitz erst im Finale enthüllt – wo er sich dann als eher enttäuschender Gegenspieler präsentiert. Rasputin dagegen ist ein famoser Henchman, eine Sex- und Genuss-Junkie, ein Mystiker und ein exzellenter Fighter, kurzum: Bestes Material für einen Oberbösewicht. Aber der wird noch vor der Halbzeitmarke aus dem Spiel genommen. Und so faszinierend es ist, dass Vaughn und Gajdusek ihr Script um den Verlauf des Ersten Weltkriegs herumgeschrieben haben, so ist dies dramaturgisch nicht immer hilfreich, wenn der Plot plötzlich Zeitsprünge zum nächsten Schlüsselereignis machen muss oder das Ziel der Protagonisten nie ganz sauber formuliert ist: Will Orlando nur seinen Sohn schützen, auch wenn andere junge Männer gnadenlos verheizt werden, will er den Krieg komplett beenden oder will er die Schurkenorganisation zur Strecke bringen, derer er allerdings erst nach und nach gewahr wird? Jedes dieser Ziele scheint mal hier, mal da wichtig zu werden und obwohl alle drei miteinander verbunden sind, schafft das Drehbuch es nicht die Geschehnisse treffend auf eines davon zuzuspitzen.
Dabei stecken darin einige interessante Konflikte und Ideen: Orlando wird eher aus der Not heraus zum Helden, ist im Wunsch nach dem Überleben seines Sohnes selbstsüchtig, auch wenn er dadurch zum möglichen Retter von Millionen wird. Zudem verkörpern Orlando und Conrad zwei verschiedene Auffassungen von Pflichterfüllung: Der Vater will den letzten Wunsch seiner sterbenden Frau ehren, der Sohn dagegen den Dienst fürs Vaterland wie jeder andere auch tun, ohne Sonderbehandlung. Diese ritterlichen Tugenden legen dann auch den Grundstein für die Kingsmen (und deren US-Ableger, die Statesmen), die das Publikum bereits aus den vorigen Filmen kennt. Dementsprechend spart der Film auch nicht mit Referenzen und liefert gleichzeitig Erläuterungen nach – so entspringt die Benennung der einzelnen Kingsmen-Mitglieder nach Rittern der Tafelrunde dem Vater-Sohn-Geplänkel der Oxfords.
„The King’s Man: The Beginning“ spielt in der gleichen Budgetliga wie seine beiden Vorgänger, hat die Kohle in Sachen CGI-Effekte allerdings wesentlich besser angelegt als „The Golden Circle“: Einen Faux Pas wie das grauenvoll animierte Internierungslager leistet sich das Prequel nicht. So kann die „Kingsman“-Vorgeschichte mit aufwändigen Kulissen, toller Ausstattung und überzeugenden Trickeffekten ihre Vision des frühen 20. Jahrhunderts auf die Leinwand bringen. Der Look ist etwas gedämpfter und weniger farbenfroh als in den schrilleren Vorgängern, was jedoch sowohl zum historischen Setting als auch zum nüchterneren Ton des Films passt. Im Vergleich zu den Vorgängern geblieben ist das Überraschungspotential, was das Ausscheiden der einen oder anderen Figur angeht – auch wenn man diese im Zweifelsfall im nächsten Film wieder zum Leben erwecken kann, wie „The Golden Circle“ demonstrierte.
Gewohnt bildgewaltig und choreographisch einfallsreich ist auch die Action geraten. Ein großes Highlight ist sicherlich der Fight gegen Rasputin, in welcher der Mönch und Manipulator Moves aus russischen Volkstänzen im Nahkampf gegen die Kingsmen einsetzt. Weitere Actionszenen beinhalten einen Fight zwischen den Schützengräben, bei dem die Kontrahenten Messer, Beile und Hämmer einsetzen, da jedes Geräusch Beschuss von beiden Seiten auslösen würde, einen Spießrutenlauf unter MG- und Mörserfeuer und den Showdown, bei dem die Kingsmen die Schurkenfestung stürmen müssen, die aus einem Ziegenstall auf einem unzugänglichen Felsplateau besteht. Als Stunt Coordinator und Second-Unit-Regisseur für die rasanten Fights und Schießereien zeichnete wie bei den Vorgängern Bradley James Allan („Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“) verantwortlich. Es blieb leider der letzte Film des Jackie-Chan-Protegés, denn der Australier verstarb 2021 im Alter von nur 48 Jahren.
Eine weitere „Kingsman“-Tradition wird gehalten, indem man einen Schauspieler als Superagenten besetzt, den man eher als Charakterdarsteller und weniger als Actionhelden kennt, in diesem Falle Ralph Fiennes („Keine Zeit zu sterben“). Das Casting ist famos, der Mime ist gut aufgelegt, aber nicht herausragend. Das trifft eher auf Rhys Ifans („Spider-Man: No Way Home“) zu, der als skurriler Lebemann Rasputin regelmäßig die Szenen klaut. Daniel Brühl („The Cloverfield Paradox“) gibt den Trickkünstler, Betrüger und späteren Nazi-Sympathisanten Erik Jan Hanussen als illustres Mitglied der Schurkenliga, wo er gemeinsam mit August Diehl („Kursk“) und Valerie Pachner („Phantastische Tierwesen – Dumbledores Geheimnisse“) Akzente setzt. Auf der Heldenseite tun dies vor allem Djimon Hounsou („A Quiet Place 2“) und Gemma Arterton („The Voices“) als hemdsärmeliges Personal mit Actionskills. Ebenfalls gelungene Auftritte liefern Charles Dance („Godzilla II“) und Tom Hollander („Mission: Impossible – Rogue Nation“) ab – letzterer in einer Dreifach-Rolle als König, Kaiser und Zar. Nur Harris Dickinson („The Darkest Minds“) bleibt ein wenig farblos, auch wenn seine Rolle natürlich jene des unbedarften Jünglings sein soll. Gastrollen gibt es von Stanley Tucci („Jolt“) und Aaron Taylor-Johnson („Bullet Train“) – letzterer könnte in einer eventuellen Fortsetzung eine größere Rolle spielen und war bereits der Star von Vaughns „Kick-Ass“.
Dramaturgisch läuft nicht alles rund beim dritten Film der Adaption von Mark Millars Comicreihe und auch der ernstere Ton will nicht ganz zum pulpigen Actionkomödienrezept der Reihe passen. Doch „The King’s Man: The Beginning“ liefert erneut furiose Actionszenen ab, ist teilweise famos gespielt, vor allem von Rhys Ifans, und fasziniert mit seiner alternativen, aber kenntnisreichen Historie des Ersten Weltkriegs. Den teilweise zu klamaukigen und inszenatorisch schwächeren „The Golden Circle“ steckt das Prequel jedenfalls in die Tasche.
Die deutsche DVD und Blu-Ray des Films kommen von Walt Disney/20th Century Studios und sind ungekürzt ab 16 Jahren freigegeben. Die DVD verfügt über keinerlei Bonusmaterial, auf der Blu-Ray gibt es Featurettes und den Red-Band-Trailer von „The King’s Man – The Beginning“.
© Nils Bothmann (McClane)
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