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The Northman

Originaltitel: The Northman__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: Robert Eggers__Darsteller: Alexander Skarsgård, Nicole Kidman, Claes Bang, Ethan Hawke, Anya Taylor-Joy, Gustav Lindh, Elliott Rose, Willem Dafoe, Phill Martin, Eldar Skar, Olwen Fouéré, Edgar Abram u.a.

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The Northman Poster

Das Poster zu „The Northman“

Als der Leuchtturm in Robert Eggers‘ letztem Film von einem Ruderboot angesteuert wurde, verweilte die Kamera noch geduldig im Heck und harrte bei unruhigem Gewässer der kleinen Insel, die sich von der Bildmitte aus langsam näherte. In seinem neuem Film jedoch befreit sich die Kamera in der ansonsten ähnlich aufgebauten Eröffnung von den physikalischen Unwägbarkeiten des Seegangs und lässt Ungeduld walten. Gemäß der nordischen Mythologie schwebt sie wie ein Rabe über die Wikingerschiffe hinweg, überholt sie im Gleitflug und segelt zielstrebig voraus, direkt auf die Klippen zu, auf deren Anhöhe ein stolzes Volk bereits auf die Rückkehr seines Königs aus einer gewonnenen Schlacht wartet. Es gilt keine Zeit zu verlieren; schließlich möchte der bei Kritikern und Cineasten bereits viel beachtete Regisseur seine Visionen nun auch mit einem größeren Publikum teilen.

Zwei Schlüsse lassen sich bereits aus diesen ersten Minuten von „The Northman“ ziehen. Erstens: Seinen eigentümlichen Blick auf die Spuren der Kulturgeschichte hat sich Eggers bewahrt. Es ist kaum möglich, auf diese archaische, rohe Welt zu blicken, ohne das Ackerland von „The VVitch – A New-England Folktale“ und die Küste von „Der Leuchtturm“ zur gleichen Landkarte zu zählen. Zweitens: Das ums Achtfache gestiegene Budget legt sich im Guten wie im Schlechten sicht- und spürbar auf die Produktionswerte nieder. Für die Stärken und Schwächen Eggers‘ funktioniert der Geldsegen gewissermaßen wie ein Verstärker.

So könnte man die körperlose Kamerafahrt zum Einstieg, die weniger den ästhetischen Sehgewohnheiten des Nischenpublikums als vielmehr denen der Masse entgegenkommt, als einen ersten Kompromiss verstehen, wie man ihn bei einem 90-Millionen-Dollar-Budget wohl zwangsläufig erwarten würde. Tatsächlich brach Eggers den intimen Ton seiner Arbeiten aber schon früher; mit der Schlusssequenz aus „The VVitch“ ebenso wie mit der ein oder anderen Kirchenfresko-Pose von Willem Dafoe und Robert Pattinson in „Der Leuchtturm“.

Diesmal wollen sich einige Einstellungen mit offensichtlich computergenerierten Bildelementen aber nur schwerlich in die übrige Bildgestaltung einbetten. Das Produktionsdesign strebt grundsätzlich ein höchstmögliches Maß an Authentizität an, obgleich die Affinität der Wikinger zu Walhall selbstverständlich dazu bemächtigt, auch illusionistische Effekte auf die Leinwand zu bannen, die in aller Regel nicht einfach mit Kulissen abgefilmt werden können. Einige Male geraten diese Bilder in ihrem plakativen Symbolismus unangenehm kitschig und klischeebeladen, bei der Darstellung des Blutbaums etwa oder wenn weiße Pferde auf einer Leuchtspur gen Himmel reiten. In anderen Szenen wiederum gelingt der Griff nach den Göttern erstaunlich gut, etwa während des Kampfes in einer Gruft gegen einen untoten Schwertwächter oder auch einfach dort, wo faszinierende heidnische Rituale in den Wäldern abgehalten werden und die Funken des nächtlichen Feuers wie Navigatoren in der Dunkelheit etwas Magie als Gewürz auf das blutgetränkte Erdreich streuen.

The Northman

Claes Bang als böser Onkel Fjölnir.

Uneingeschränkt sinnvoll wird das Budget jedoch immer dann eingesetzt, wenn versucht wird, die fehlenden Puzzleteile einer nicht mehr lückenlos konservierten Kultur durch Kostüme, Waffen, Gebrauchsgegenstände und Architektur möglichst akkurat zu rekonstruieren. Aus der Serie „Vikings“ ist man bereits mit vielen Themen vertraut, die in „The Northman“ aufgegriffen werden, doch im direkten Vergleich wirkt die eigentlich durchaus aufwändig ausgestattete TV-Produktion fast schon wie die Dokumentation eines familienfreundlichen Themenpark-Abschnitts. Mehr denn je ist Eggers besessen davon, einen nie dagewesenen Detailgrad in der Ausstattung zu erreichen und so eine glaubwürdige Kulisse zu erschaffen, um den Niedergang eines kleinen Königreichs zu skizzieren, dessen Ideologie uns heute zwangsläufig fremd und faszinierend erscheinen muss. Er nähert sich dem von ihm selbst konstruierten Mikrokosmos dabei wie ein Sprengmeister, der noch einmal mit prüfendem Blick jeden Zentimeter abgleicht, bevor er die Lunte zündet.

Die Lunte wiederum, sie führt letztlich bloß zu kulturellem Gemeingut. Es ist die klassische Tragödie des Brudermords, die diese Erzählung mit hunderten vor ihr vereint, bis hin zu „Hamlet“, dessen Titelfigur sich auch im Namen des Nordmannes Amleth spiegelt. Wer etwa die „Herr der Ringe“-Trilogie darauf reduzieren würde, dass sie von einem kleinen Wicht handle, der einen Berg besteigt, um dort aus Pflichtgefühl einen Ring in der Lava zu versenken, der könnte nun ebenso bequem von einem Wikinger berichten, der einen Berg besteigt, um seinen Onkel von Rache getrieben in der Lava zu versenken. Für den postmodern geschulten, erwartungsfrohen Zuschauer könnte der einfache, tausendfach gesehene, gelesene und gehörte Ablauf fast schon als Beleidigung seiner Aufnahmefähigkeit empfunden werden, zumindest jedoch als mittelschwere Enttäuschung, zumal Eggers bisher immer für das Uneindeutige stand, das seinen Reiz aus dem unbekannten Grauen der Wälder und Meere bezog. Der lineare Plot ist allerdings diesmal essenziell, um die einfache Philosophie der Wikinger zu illustrieren, aus der sich letztlich überhaupt die Faszination für deren Lebensstil speist.

The Northman

Amleth & Olga Unchained.

Richtig packend wird „The Northman“ daher eigentlich immer dann, wenn er sich animalisch der Natur des Volkes hingibt, seinem vorbestimmten Schicksal folgt und die kompromisslose Gangart untermalt, um auf die Erfüllung des Schicksals hinzuarbeiten. Natürlich ist hier in erster Linie Hauptdarsteller Alexander Skarsgård („Godzilla vs. Kong„) zu nennen, der als racherfüllter Sohn eines ermordeten Vaters und einer entführten Mutter wahrhaftig zum Tier stilisiert wird und begleitet von unheilvollen Klängen aus den gutturalen Tiefen der Erde zu einem martialischen Monster mutiert. Der Prolog leistet dabei dank des charismatischen Ethan Hawke („Training Day„) in der Rolle des König Aurvandil Bemerkenswertes, als dieser den jungen Amleth (in Person von Kinderdarsteller Oscar Novak) mit einfachen Werten indoktriniert und mit einem klar definierten Ziel ausstattet, so dass es keiner weiteren Worte bedarf, um die raue Erscheinung des entwachsenen Hünen nach einem unbestimmten Zeitsprung zu erklären.

Wann immer die dramaturgische Kurve Fahrt aufnimmt, hat das zumeist mit den Gefühlswallungen Amleths zu tun, der weniger als Stratege denn vielmehr als blinder Rachegeist seinen Pfad beschreitet. Der Kontrahent, verkörpert von Claes Bang („Dracula“), ist von vergleichbarer Statur und physischer Präsenz, wird dabei aber weniger aggressiv, ja beinahe schon unscheinbar, aber nichtsdestotrotz impulsiv gezeichnet, ganz ähnlich wie ein Rollo (Clive Standen) in „Vikings“. Anya Taylor-Joy („Split„) wird keine allzu dankbare Rolle zuteil, sie lebt aber von ihrer ganz besonderen Ausstrahlung und wertet dadurch eine Nebenrolle auf, die in manch anderem Film sang- und klanglos untergegangen wäre. Nicole Kidman („Invasion„) hat immerhin zwei, drei starke Szenen zu verbuchen. In Kurzauftritten überzeugen vor allem Willem Dafoe („Platoon„) als goblinhafter Heimir sowie der Besetzungscoup mit Björk als Seherin, die seit „Dancer in the Dark“ (2000) keine Filmrolle mehr angenommen hat.

The Northman

Björk ist zum ersten Mal seit 22 Jahren wieder jenseits ihrer extravaganten Bühnenauftritte in einem Spielfilm zu sehen.

Es sind aber bei weitem nicht allein die Darsteller, in denen sich die Substanz der Geschichte niederlegt. Es sind die flackernden Schatten abseits des Kerzenscheins, die wehenden Gräser im Wind oder das lodernde Feuer auf den Dächern, in denen der Regisseur aller kommerziellen Zugeständnisse zum Trotz seine Handschrift bewahrt. „The Northman“ ist ein endlos nihilistischer Film, in dem lediglich die Glut der Vergeltung für vereinzelte Lichtkegel sorgt, gleichwohl ist nicht von Widerspenstigkeit im Sinne einer sperrigen Inszenierung zu sprechen, so wie man es von Nicolas Winding Refns Wikinger-Epos „Valhalla Rising“ behaupten könnte. Die Kameraführung ist vielmehr als fließend zu bezeichnen, sie sucht sich stets eine harmonische Ausgangsposition und lässt sich dann von der gleitenden Bewegung durch das Chaos tragen, während Amleth wie ein Berserker durch die Gegner pflügt. Interessanterweise entschärft dieser fließende Ansatz nicht die Gnadenlosigkeit im Handeln der Hauptfigur, sie trägt umgekehrt aber doch dazu bei, seine Philosophie zu unterstreichen, die anders als Shakespeares Hamlet nicht von Unentschlossenheit und Verzweiflung geprägt ist, sondern von der Alternativlosigkeit seiner eigenen Zeitlinie.

Man könnte noch einwenden, dass die Kapitelstruktur des immerhin mehr als zwei Stunden langen Rache-Feldzugs unter einer eher suboptimalen Aufteilung leidet, so dass man als Zuschauer Phasen der Euphorie bei ansteigendem Adrenalinpegel erlebt, nur um sich Minuten später in Ungeduld zu üben, weil die Handlung minutenlang auf der Stelle tritt. Speziell die Szenen im Dorf zur Mitte hin hätten eine Straffung vertragen können oder wenigstens eine alternative Kontinuität im Schnitt. „Der Leuchtturm“ litt bereits unter ähnlichen Problemen, als Eggers auf einmal nicht mehr imstande schien, den infiniten Regress der Verwahrlosung zu durchbrechen, ohne mit einem harten Schnitt eine neue Situation zu erzwingen. Ähnliches geschieht hier wieder mit den sich aufstauenden Rachegelüsten, die zu einem gewissen Zeitpunkt in einer Zeitschleife stecken, bevor es zum kinogerechten Duell vor einem eruptierten Vulkan kommt. In der Konsequenz entsteht trotz des linearen Überbaus eine episodische Struktur, bei der die Qualität der einzelnen Episoden deutlich schwankt.

The Northman

Der braucht das Schwert eh nicht mehr… oder?

Unter dem Strich fällt es Robert Eggers deswegen ungeachtet der wesentlich höheren Produktionswerte schwer, seine vorangegangenen Werke in Ausdruck und Wirkung zu übertreffen. Wer sich allerdings im Vorfeld fragte, was ihn an dem Stoff gereizt haben mag, der bekommt immerhin eine klare Antwort. Sein Wikinger-Epos ist weit weniger progressiv als beispielsweise ein von Wendung und Bewegung angetriebener Film wie „Der 13. Krieger“, doch tief im klassischen Aufbau schürft Eggers wie ein Wahnsinniger im Goldrausch nach Erkenntnissen über eine Kultur, die heute gleichermaßen vielschichtig wie einfach erscheint. Auch wenn es auf den ersten Blick nur ein weiterer, wenig origineller Film über Rache zu sein scheint – es gibt Momente in diesem Film, da erhascht man einen Blick auf Abgründe, die man nicht hat kommen sehen.

7 von 10

Informationen zur Veröffentlichung von „The Northman“

„The Northman“ läuft seit dem 21. April 2022 in den deutschen Kinos. Diverse Heimkino-Veröffentlichungen sind bereits bei hiesigen Händlern gelistet, bei Kinostart aber noch ohne konkretes Datum. Die limitierte 4k UHD-Edition im Steelbook allerdings scheint schon jetzt bei manchen Händlern vergriffen zu sein.

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Sascha Ganser (Vince)

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Copyright aller Filmbilder/Label: Universal Pictures__FSK Freigabe: ab 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein / Nein (voraussichtlich ab 2022)

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