Originaltitel: The Pope’s Exorcist__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2023__Regie: Julius Avery__Darsteller: Russell Crowe, Franco Nero, Alex Essoe, Peter DeSouza-Feighoney, Daniel Zovatto, Paloma Bloyd, Laurel Marsden, Carrie Munro, Cornell John, Edward Harper-Jones, River Hawkins, Derek Carroll, Bianca Bardoe, Ryan O’Grady, Victor Solé, Tom Bonington, Pablo Raybould u.a. |
Einen Boxer hat Russell Crowe schon einmal gespielt. Tänzelnd, schwingend, hüpfend war er der „Cinderella Man“, der den wesentlich dominanteren Gegner stets zu täuschen und zu überrumpeln wusste.
Nun hat ja das immerzu gleich verlaufende Exorzisten-Subgenre sehr viel mit dem Boxfilm zu tun. Auch hier stehen sich üblicherweise zwei Gegner in einem Ring (mit Bettpfosten) zum Duell gegenüber, jeder fängt sich Beulen vom anderen ein, und am Ende geht derjenige auf die Bretter, der als erstes der Erschöpfung anheim fällt. Crowes körperliche Form ist natürlich nicht mehr die, die er als Boxer hatte, und erst recht nicht mehr die, mit der er als römischer Feldherr weltberühmt wurde. Einen italienischen Akzent grummelt er sich aber in den Bart wie zu besten Zeiten, und im Kopf ist er noch fit genug, um tagelang mit dem Teufel zu tanzen.
Ohne Zweifel stellt der bärige Hauptdarsteller mit seiner wuchtigen Präsenz die Geheimwaffe, um von der Stromlinienförmigkeit abzulenken, die auch „The Pope’s Exorcist“ durchfährt. Die gefühlt fünfzigste Reinkarnation von William Friedkins prägendem Klassiker „Der Exorzist“ hakt zu dessen fünfzigstem Jubiläum sämtliche Routinen ab, die sich seither gebildet haben, vom flotten Eröffnungs-Exorzismus bis zur zähen Geduldsprobe an einem widerspenstigen Körperbesetzer im Hauptteil, Spinnengang und Hautausschlag inklusive. Nur statt Erbsensuppe spritzt eher mal der Himbeersaft. In einer langen Tradition religiöser Horrorfilme ist der heilige Ernst schnell als Schwachstelle ausgemacht, also tritt Crowe als Querulant in Erscheinung, der das starre klerikale System ebenso wie den Teufel schon mit einem Augenzwinkern aus der Fassung bringen kann – eine Analogie, die nicht von ungefähr als Behauptung in den Raum gestellt wird, wenn man an den zunehmend in Verruf geratenen Leumund der Kirche denkt.
Der Job der Titelfigur ist es aber nicht etwa, dem Oberhaupt der Kirche wie ein persönlicher Assistent zum morgendlichen Frühstücksei die Dämonen aus dem Kopf zu massieren, sondern die Welt da draußen soll er als Chef-Exorzist vom Bösen kurieren. Es handelt sich um die verfilmten Memoiren von Gabriele Amorth, mit allem, was zu einem anständigen Biopic dazugehört: Flüche, Gewalt, Obszönitäten und jede Menge Spezialeffekte aus dem Computer.
Biografische Anleihen hin oder her: Man sollte sich keine Illusionen machen, über Amorth, seine Herkunft, seine Natur, seine Psyche und seine Beweggründe etwas von Wert zu erfahren, geschweige denn, dass er als Brücke dienen könnte, um etwas Wahrhaftiges über die Steuerkontrolle im Herzen des Vatikans zu erfahren. Selbst die Rückblenden auf ein traumatisches Erlebnis während des Zweiten Weltkriegs sollen eher eine symbolische Figur in Form eines roten Vogels etablieren, der sich wie ein Faden gleicher Farbe durch den Film zieht. Die Person selbst wird hingegen nicht greifbar, weil die starren Formeln des Exorzistenfilms sie mit Haut und Haar verschlingen. Crowes Marotten sind eher dazu gedacht, diese Formeln aufzuweichen als dass es darum ginge, die stets übernatürlich anmutende und deswegen für Filmemacher wohl so reizvolle Thematik mit der sinnlich erfahrbaren Realität zu verknüpfen, in der Exorzismus immer etwas von Scharlatanerie an sich hat. Gabriel Amorth ist letztlich ein Graphic-Novel-Antiheld der Marke Constantine, mit dem gleichen erhobenen Mittelfinger, nur eben dabei eher mit der Ausstrahlung des netten Onkels, der mit seinem Unernst jede Situation zu deeskalieren weiß.
Und so arbeitet sich das Skript Kratzer für Kratzer, Schimpfwort für Schimpfwort durch seine Gott-ist-nicht-hier-Phrasen und Ihr-werdet-alle-sterben-Warnungen, während der mit deformierten Gesichtsknochen, Zahnprothesen und blutigen Kontaktlinsen geschminkte Jungdarsteller Peter DeSouza-Feighoney als Besessener die Sau rauslässt wie ein Nachwuchsrapper im Video zu seiner ersten Hitsingle, Fratzen ziehend wie ein Leprechaun mit Goldentzug. Es ist tatsächlich Crowe allein, der den Film in dieser Phase immer wieder rettet, indem er ihn durch sein spitzbübisches Schauspiel daran erinnert, dass er im Begriff ist, der allerletzte Sargnagel für ein längst gestrandetes Walross von Subgenre zu werden, das sich aus eigener Kraft nicht mehr auf den Bauch zu drehen weiß. Wenn er der verzweifelten Mutter, die sich fragt, was sie jetzt bloß machen soll, vorschlägt, einen Kaffee zu machen, ist das ein subversiver Lichtblick im Dunkeln und womöglich effektiver in der Wirkung als jede Spoof-Komödie mit Leslie Nielsen.
Doch nicht nur die Hauptfigur, sondern auch Regisseur Julius Avery (“The Samaritan“) weiß, dass er auch jenseits der Macken der Hauptfigur aus der Exorzisten-Einbahnstraße ausreißen muss, wenn er dem Publikum etwas bieten möchte. Also wird die Bildsprache mit zunehmender Laufzeit drastischer, das Make-up heftiger. Personen fliegen durch die Luft, der Sturm tobt, gar einen Hauch von Nacktheit erlaubt man sich in diesem doch eher an ein Massenpublikum appellierenden Horrorfilm. In kurzen Augenblicken fühlt man fast die Atmosphäre von „Evil Dead Rise“, zumal das Böse diesmal nicht auf einen Körper beschränkt bleibt, sondern raffgieriger geworden ist bei der Immobiliensuche und auch gerne ein Zweit- oder Drittdomizil ins Auge fasst. Auf einmal wird die Make-up-Arbeit von Computereffekten abgelöst, Kiefer fahren einen satten Meter nach unten, als wäre Kevin mal wieder alleine zu Hause gelassen worden, und aus der Graphic Novel wird ein Comicheft. Tock-tocktocktock-tock. BUMM BUMM. Kurzum, Avery verliert völlig die Kontrolle und lässt Spektakel walten, um von der langweiligen Imitation Jahrzehnte alter Klassiker abzulenken, ohne jedoch mit dem entfesselten Chaos jemals wirklich den Kern zu verändern.
Immerhin schick anzuschauen ist das alles, von der Kameraarbeit bis zum Produktionsdesign. Reichlich Atmosphäre bläst der Wind unter das starre Korsett und erweckt im Dunkeln mit hübschen Beleuchtungseffekten auf extravagante Architektur und Ausstattung auch das Ambiente wirkungsvoll zum Leben. Der Score tut dabei so ernst, als sei jedes Instrument mit einem faustdicken Stock gespielt worden, während sich die Horrorbilder im Dunstkreis der katholischen Kirche ausbreiten wie eine natürliche Aura.
Kurzum: „The Pope’s Exorcist“ ist die Edelvariante eines pulpigen B-Horrorfilms, der es nicht besser weiß als Genre-Muster nachzustricken, die bereits seit einem halben Jahrhundert Schimmel ansetzen. Mit ein bisschen Politur soll der Karren wieder aus dem Schlamm gezogen werden, und das vielleicht gerade zur rechten Zeit; schließlich ist auch das Friedkin-Remake von Slasher-Verschlimmbesserer David Gordon Green (“Halloween Kills“) gerade angelaufen. Die Synergieeffekte sind nun zu nutzen. Eignet sich Gabriel Amorth mit all seiner Erfahrung aus 70.000 Exorzismen nicht vielleicht sogar als Zugpferd einer ganzen Franchise? Na und ob! Die Bücher sollen jedenfalls gut sein, so hört man…
Informationen zur Veröffentlichung
„The Pope’s Exorcist“ startete am 6. April 2023 in den deutschen Kinos und war bereits Ende Juni über Sony auf Blu-ray und DVD zu bekommen – passenderweise nicht nur mit deutschem und englischem, sondern alternativ auch italienischem Ton. Auch eine englische Audiodeskription ist dabei. Als Extras warten zwei kleine Featurettes. Alternativ ist kann man den Streifen natürlich auch über diverse Streamingportale abrufen.
Sascha Ganser (Vince)
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