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The Taste of Tea

Originaltitel: Cha no aji__Herstellungsland: Japan__Erscheinungsjahr: 2004__Regie: Katsuhito Ishii__Darsteller: Maya Banno, Tadanobu Asano, Satomi Tezuka, Tomokazu Miura, Tomoko Nakajima, Emi Wakui, Hideaki Anno, Tatsuya Gashuin u.a.

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The Taste of Tea Cover

Das Cover-Artwork der Third-Window-Films-Blu-ray von “The Taste of Tea”

Nur ein ganz normaler Tag in der ländlichen Idylle der japanischen Präfektur Tochigi. Die Sonne scheint, die Farne werden im Wind gewogen. Alles geht seinen geregelten Gang, könnte man glauben… bis man ein Kind schwer atmen hört. Das Bild zieht endlich nach und zeigt einen Jungen, der einem Zug hinterherjagt. Der Zug entkommt. Erschöpft bleibt der Junge mitten auf dem Feld stehen, sein Körper scheint mit dem Boden gekoppelt wie durch einen Magneten. Und dann löst sich auch schon beim ersten von vielen Protagonisten dieses Filmes die Gedankenwelt von der nüchternen Realität. Die digitale Projektion eines Zuges rattert als eine Art dreidimensionaler Train of Thought durch die Stirn des Jungen und durchlöchert die natürliche, bis dahin unbearbeitete Bildkomposition. Während der imaginäre Zug in geschwungenen Linien den Himmel ansteuert, hinterlässt er einen quadratischen Tunnel im Kopf, durch den hindurch man das sanfte Blau des Bildhintergrunds erkennen kann. Der wirkt plötzlich gar nicht mehr realistisch, sondern eher impressionistisch; wie aus einem Gemälde von Monet.

Um dem Geschmack von Tee auf die Spur zu kommen, beugt sich Katsuhito Ishii sehr tief in eine von Tradition und Etikette vorgegebene Haltung. Am Boden, wo sich die Japaner üblicherweise zum Speisen und Teetrinken zusammenfinden, ist in „The Taste of Tea“ auch oft die Kamera platziert, die sich aus ihrer trägen Position heraus ohnehin nur selten in Bewegung setzt; lieber bleibt sie auf die einmal gewählte Cadrage fixiert und harrt gespannt der Dinge, die darin geschehen werden. Eine der häufigsten im Film gebrauchten Einstellungen liefert einen Blickwinkel ins Innere des Heims der Familie Haruno aus ihrem Hof heraus. Man kann dann gleichermaßen auf Bodenhöhe in das auf Pfeilern gebaute Haus hinein blicken wie auch darunter hindurch. Der Boden teilt den Ausschnitt ebenso in Quadrate wie der Zug es in der Eröffnung mit der Stirn des Jungen tat.

The Taste of Tea

Der Spielplatz wurde wohl lange nicht mehr benutzt…

Aus der zentrischen Position des familiären Kerns heraus streut das Skript durch die individuellen Ausprägungen der einzelnen Familienmitglieder angetrieben allerhand Stories aus. Meist führen sie zu den Jobs, den Hobbies und persönlichen Neigungen der einzelnen Figuren. Erzählt werden die Erlebnisse exklusiv aus deren Perspektive. Sie sind es, die dann jeweils für eine kurze Szene im Mittelpunkt stehen, bevor das nächste Familienmitglied an der Reihe ist. Mal ist es die Mutter, auf die sich das Augenmerk richtet, wenn sie Zeichnungen für einen Anime anfertigt, mal der Onkel (Tadanobu Asano, “Mortal Kombat“) im Aufnahmestudio oder auch die Tochter, die versucht, an einem Turngerüst eine Drehung zu schaffen. Wenn die Verwandten gerade nicht selbst Kern der Aufmerksamkeit sind, wechseln sie fließend in die Rolle der Statisten und Stichwortgeber. Selbst diese kleinen Geschichten innerhalb einer großen Geschichte drehen sich fortwährend um Dinge, den Menschen an die Erde binden. So wird ein Mann in der Nähe eines Sonnenblumenfelds lebendig begraben, bevor er es irgendwann schafft, seinen mit Dreck bedeckten Kopf an die frische Luft zu befördern. Ein anderer übt Martial-Arts-Posen am See, bei denen es darum geht, Körper und Schwerkraft zu kontrollieren. Wieder ein anderer hält einen minutenlangen Monolog über einen dampfenden Haufen, den er aus einem besonderen Impuls hinaus eines Tages im Wald direkt auf ein Ei setzt, das im Gestrüpp lag. Anekdoten, die aus dem Kontext gerissen absurd wirken mögen, die jedoch aneinandergereiht und in die bescheidene Kulisse japanischer Ländlichkeit eingebettet nichts anderes abbilden als den Alltag, der eben gelegentlich von Verrücktheiten heimgesucht wird.

The Taste of Tea

Yyyyyy-M-C… Moment, wer macht das A?

Man könnte oft meinen, man säße in einer Theatervorstellung, bei der fortlaufend die Hintergrundkulisse ausgetauscht wird. Zwei- oder dreimal eröffnen die Kapitel sogar tarantino-esk postmodern bis märchenhaft mit Überschrift und sich öffnendem Samtvorhang. In den danach folgenden situationsgebundenen Momentaufnahmen finden die Darsteller reichlich Zeit, ihre Figuren zu wahrlich einzigartigen Individuen auszuarbeiten, genug Zeit jedenfalls, damit man sie mit all ihren exzentrischen Eigenarten, ihren Stärken und Fehlern als vollwertige Charaktere akzeptiert und sich schnell an ihre Präsenz gewöhnt. „The Taste of Tea“ mag in der makroperspektivischen Betrachtung eine tragische Komödie über eine Familie sein, doch während man das Treiben Szene für Szene begleitet, orientiert man sich eher am verschlungenen Verlauf der Arme des Kraken als an seinem Kopf. Dorthin kehrt das Ensemble lediglich am Abend zurück, um zu rekapitulieren, was die Arme am Tage getrieben haben.

Schaut in den Trailer von “The Taste of Tea”

httpv://www.youtube.com/watch?v=Da6FJH7IkNA

Die gestapelte, in alltäglichen Details verfangene Erzählstruktur und der Fokus auf die Komplexität familiärer Rollendynamiken führt die Handlung zwar nicht gleich in Buddenbrook-Gewässer, doch immerhin für Vergleiche mit Ingmar Bergmans großer Familiensaga „Fanny und Alexander“ reichte es, zumal dort in ähnlicher Manier der besondere kindliche Blickwinkel auf ein monumentales Familiengerüst nachgestellt wurde. Schließlich ist auch bei Ishii das Kind der heimliche Star, die 8-jährige Maya Banno nämlich, die als Sachiko fortwährend von einer gigantischen Version ihrer selbst beobachtet wird, als sei sie selbst eine Schildkröte in einem Terrarium im Spielzimmer einer Riesin.

Der Ton allerdings ist trotz melancholischer Note wesentlich lockerer als bei Bergman und die Charaktere sind in ihrer Anzahl und Unterschiedlichkeit breiter aufgestellt, so dass sich vielleicht eher ein Blick Richtung Wes Anderson anböte, der in etwa zur gleichen Zeit mit „The Royal Tenenbaums“ und „The Life Aquatic With Steve Zissou“ thematisch wie stilistisch artverwandte Werke schuf, obgleich der zentrale Unterschied zu den Tenenbaums und Zissous Besatzung wohl der ist, dass es sich bei den Harunos nicht etwa um eine dysfunktionale Familie handelt, sondern eine solche, die mit gesunden Sollbruchstellen zur Auslebung von Individualität versehen ist.

The Taste of Tea

“Du bist aber ein großes Mädchen geworden!”

Selbst gegenüber den skurrilen Werken Andersons bewahrt der ungewöhnliche visuelle Stil Ishiis seine besondere Eigentümlichkeit. Rückblickend belächelt man ja nicht nur die 90er Jahre, sondern selbst die frühen 2000er noch für ihre unausgereiften computergenerierten Bildelemente, die in vielen Fällen für ein frühes Verfallsdatum der Filme gesorgt haben, die sie eigentlich veredeln sollten. Wenn hingegen Ishii seine gerenderten CGI-Objekte mit Schattenwurf in der Landschaft positioniert und real gefilmte Flächen mit ihnen verdrängt, dann wird die Künstlichkeit zum gewollten Effekt. Kinetik hingegen regiert den in Handarbeit gezeichneten Anime, der gegen Ende für wenige Minuten die gesamte Bildfläche übernimmt, ähnlich wie bei der Rückblende in O-Ren Ishiis Jugendjahre aus Quentin Tarantinos „Kill Bill: Vol.1“ – keine zufällige Parallele, fungierte O-Rens Namensvetter Katsuhito Ishii in der entsprechenden Sequenz doch als Animation Director.

Die wilden Illustrationen sich entladender Energie erzeugt gegenüber den von der Kamera eingefangenen Stillleben einen scharfen Kontrast, so wie überhaupt die von Hand und per Computer animierten Fremdkörper vor allem dazu da sind, den Kontrast zwischen Innen- und Außenwelt zu hervorzuheben. Als Manifestation der komplizierten inneren Vorgänge der Charaktere funktionieren diese Einschübe des Surrealen auch beinahe 20 Jahre nach ihrer Entstehung immer noch makellos. Darüber hinaus gelingt dem Regisseur mit ihnen eine spezielle ästhetische Signatur, der ebenso ein akustisches Pendant angehört: Manchmal stülpt sich nämlich von der einen auf die andere Sekunde absolute Stille über alle Hintergrundgeräusche und man vernimmt nur noch das, was im Bildmittelpunkt vor sich geht. Ein faszinierender, manchmal komischer, bisweilen auch unheimlicher Effekt, der im Zusammenspiel mit den visuellen Gimmicks des Films Zweifel an der Objektivität der Realität hinterlässt – wie bei einer Zeichentrick-Realfilm-Montage der Marke „Roger Rabbit“ oder „Looney Tunes“, nur diesmal getränkt mit der Melancholie des Alltags, ganz weit entfernt vom reflektierenden Blick des Mediums Film oder gar der produzierenden Studios in den Meta-Spiegel.

The Taste of Tea

Mangas sind in Japan Familiensache.

„The Taste of Tea“ widersteht der Versuchung, exzentrische Figuren nur der Exzentrik wegen in der Familienbowle zu verrühren, bloß damit der Zuschauer sich an der schieren Absurdität berauschen kann; das gilt sogar für Planeten verschluckende Sonnenblumen und Kinder, die zum Teil der Landschaft werden. Sensationstouristen werden von dieser tragischen Komödie um die unvorhersehbaren Abzweigungen der Mitglieder einer Familie nicht satt, vielmehr muss man sich mit den Figuren anfreunden, sich mit Hilfe der Kamera auf ihre Augenhöhe begeben, um die Magie zu verstehen, die sich zwischen den malerischen Landstrichen und dem von Leben erfüllten Haus der Harunos ausbreitet. Wenn sich dann die mühsam in Handarbeit angefertigten Bilder zuletzt zu einer fließenden Bewegung zusammensetzen, beginnt man bei aller Irritation über die skurrilen Einzelgeschichten langsam zu verstehen, was für einen guten Film man da gerade gesehen hat.

8 von 10

„The Taste of Tea“, der Geschmack des Tees hat sich leider noch nicht bis Deutschland verbreitet. Diese Besprechung basiert auf der britischen Blu-ray aus dem Hause Third Window Films. Diese zeigt den Hauptfilm im japanischen Originalton in DTS-HD Master Audio 5.1 mit optionalen englischen Untertiteln und bietet außerdem reichlich Beschäftigung für danach. Highlight ist das spielfilmlange Making Of, ferner findet man den Trailer sowie den im Film gezeigten Anime noch einmal separat als Bonus-Kurzfilm.

Sascha Ganser (Vince)

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Copyright aller Filmbilder/Label: Third Window Films__FSK Freigabe: BBFC15 (englische Freigabe)__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Ja / Ja

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