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The Voyeurs

Originaltitel: The Voyeurs__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2021__Regie: Michael Mohan__Darsteller: Sydney Sweeney, Justice Smith, Ben Hardy, Natasha Liu Bordizzo, Katharine King So, Cameo Adele, Jean Yoon, Cait Alexander, Blessing Adedijo, Bianca Blizzard, Sandrine Bergeron, Emily Shelton u.a.

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The Northman Poster

Das Poster zu “The Voyeurs”

Die Credits schwimmen im weißen, von Adern durchzogenen Gelee eines Auges in der Close-Up-Perspektive, während das Bindegewebe der Iris auf das einfallende Licht reagiert und eine Verschiebung von Mustern und Farben erzeugt. Tja, fragt man sich da unweigerlich, was geschieht bloß im Gehirn, wenn die mit dem Auge eingefangenen Informationen verarbeitet werden? In der medizinisch wirkenden Einführung des Erotikthrillers „The Voyeurs“ wird nicht nur das Arbeitsfeld von Augenoptikerin Pippa (Sydney Sweeney, “Once Upon A Time in Hollywood“) abgesteckt, sondern zugleich der rein rezeptive und damit nahezu willenlose Vorgang des Beobachtens einzufangen versucht. Per Match Cut wird dann von der runden Pupille zu einer gleichermaßen runden Skulptur vor einer Wohnanlage in Montreal übergeleitet. Man sieht jetzt statt der weißen Lederhaut des Auges verglaste Hochhausfronten. Dahinter verbergen sich individuell eingerichtete Apartments, in denen private Vorgänge vollzogen werden. Die mikroskopische Perspektive verwandelt sich in eine symbolische, doch Dreh- und Angelpunkt sowie Leitmotiv bleibt, wie bei einem Film mit dieser Thematik zu erwarten war, immerzu das menschliche Auge.

Ach, hätte man das Auge doch, anstatt es nur abzufilmen, auch mal für einen prüfenden Blick auf das Drehbuch geworfen! Das nämlich scheint spätestens in der zweiten Hälfte von jeglicher Kontrollinstanz befreit zu sein, als es mit jeder neuen Seite eine neue Wendung aus dem Hut zaubert, stets noch haarsträubender als die Wendung zuvor. Bei der relativ simplen Prämisse gepaart mit der satten Laufzeit von fast zwei Stunden konnte man schon alarmiert sein, dass man es entweder mit einer öden Fleischbeschau mit viel zu langgezogenen Szenen zu tun hat oder alternativ mit einem nicht enden wollenden Twist-Feuerwerk mit den Ambitionen eines subversiven Meisterstücks. Es ist Letzteres geworden, aber nicht auf die gute, nicht auf die Brian-De-Palma-Art.

„The Voyeurs“ ist vielmehr eine Art unbeholfener Tribut an die Obsessionen, die nirgendwo fiebriger in Bild und Ton übersetzt wurden als in den Thrillern De Palmas. Dabei gibt sich Michael Mohan anfangs noch redlich Mühe, gleichauf mit ihnen eine optisch ansprechende Weiterentwicklung der gerne und oft variierten Hitchcock-Formel nach Fenster-zum-Hof-Art in Szene zu setzen, die sich samtig auf der Netzhaut niederlegt. In der ersten Hälfte, als die Tragödie noch im Aufbau begriffen ist und von dem verspielten Unvermögen des Hauptfiguren-Pärchens überdeckt wird, die Situation zu überblicken, da wird sogar die Illusion erzeugt, man könnte es tatsächlich mit einer gehaltvollen Großstadterzählung aus dem Herzen des bevölkerungsarmen Kanada zu tun haben, von dort, wo die Menschen zusammenkommen, um sich aneinander zu reiben und zu wärmen.

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Der erste Akt beschreibt noch recht effektiv den spontanen Lustgewinn durch unerwartet sich bietende Perspektiven, gefolgt von der Neugier auf mehr. Seinen Reiz bezieht der Film in dieser Phase daraus, dass sich die Beobachtenden im sicheren Schatten bewegen, obgleich sie die Regeln des Spiels auch bald schön öffentlich im Freundeskreis rekapitulieren, beinahe so wie es die Twentysomethings aus „Scream“ mit den Regeln des Horrorfilms taten. Doch erste Ungereimtheiten machen sich breit, sobald sich das Pärchen tiefer in den Kaninchenbau wagt, als es der Durchschnittsbürger in Erwägung ziehen würde. Ab sofort wird die imaginative Welt filmischer Vorstellungskraft betreten und erste Fassaden beginnen zu bröckeln.

Denn jetzt dreht sich auf einmal alles um raffinierte Spionage-Techniken, pikante Rollenspiele, Glück und Zufall, Sucht und Schicksal in höchster Dosierung. Erste Mängel in der Figurenzeichnung machen sich breit, als das exhibitionistische Paar von gegenüber direkter in die Handlunge einzugreifen beginnt, was durchaus auch mit der Besetzung zu tun haben könnte. Während nämlich Justice Smith und Sydney Sweeney als Thomas und Pippa die moralischen Selbstzweifel am eigenen Voyeurismus durchaus überzeugend transportieren, machen Ben Hardy als Starfotograf Sebastian und Natasha Liu Bordizzo als seine Frau Julia eine zunehmend schlechtere Figur, je näher sie der Kamera kommen. Insbesondere gilt das für Erstgenannten, der eher die Ausstrahlung eines Matthias Schweighöfer im Bad-Boy-Modus vermittelt als die des mysteriösen Mr. X. Aber auch Bordizzo ist heillos überfordert mit den recht hohen Anforderungen an ihre Rolle, zumal sie als Bindeglied zu den Hauptfiguren die größere Verantwortung trägt.

Die späteren Twists scheinen die Unzulänglichkeiten in der Figurenzeichnung zwar zunächst auszubügeln, reißen dafür aber neue, noch viel größere Löcher in den Plot, von dem sich der Film dann auch nicht mehr erholt. Aus dem vermeintlich vielschichtigen Thriller wird eine vogelwilde Farce, der im postmodernen Sinne nur daran gelegen ist, den letzten fetten Joker auf den Tisch zu knallen, den niemand auf der Rechnung hatte. Dass dazu sämtliche Regeln für kohärentes Erzählen übergangen werden, scheint für den Erzähler kaum eine Rolle zu spielen. Dabei zerbricht das Gebilde genau hier, denn was ist ein Erotikthriller ohne seine von fachmännischer Hand geführte Psychologie?

Wenn es denn unbedingt ein aktueller Film dieser Sparte sein muss, haben die Amazon Studios mit „Tiefe Wasser“ von Altmeister Adrian Lyne noch ein weiteres Pferd im Stall, das trotz manch gebrochenen Knöchels mühelos höher springt als „The Voyeurs“. Im Zweifelsfall hält man sich aber noch besser an die Klassiker der 80er und 90er oder organisiert gleich einen De-Palma-Filmabend, wenn man wissen will, wie es richtig geht.

4 von 10

Informationen zur Veröffentlichung von “The Voyeurs”

„The Voyeurs“ ist eine Produktion der Amazon Studios und als solche exklusiv über Amazon Prime in UHD-Qualität abrufbar. Der Film wurde im September 2021 ins Programm aufgenommen und kann derzeit in zehn verschiedenen Sprachen und diversen Untertiteln abgespielt werden.

Bildergalerie

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